TE Vfgh Erkenntnis 1980/10/23 V27/80, V28/80

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Veröffentlicht am 23.10.1980
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Index

L3 Finanzrecht
L3701 Getränkeabgabe, Speiseeissteuer

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs6 zweiter Satz
Verordnung zur Durchführung des Wr GetränkesteuerG ArtII Abs1
WAO §146 Abs1
WAO §149 Abs1 idF vor Inkrafttreten des LGBl 28/1978
Wr GetränkesteuerG 1971 §3 Abs1 idF LGBl 12/1973

Beachte

vgl. Kundmachung LGBl. 38/1980 am 9. Dezember 1980; s. Anlaßfälle VfSlg. 8949/1980 und 8962/1980

Leitsatz

Durchführungsverordnung zum Wr. Getränkesteuergesetz, ArtII Abs1 widerspricht dem Gesetz

Spruch

ArtII Abs1 der Verordnung der Wr. Landesregierung vom 24. Feber 1948, LGBl. 12, zur Durchführung des Getränkesteuergesetzes, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die aufgehobene Bestimmung ist auch auf die vor ihrer Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden.

Die Wr. Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Beim VfGH sind zu B413/78 und B95/80 Bescheide der Abgabenberufungskommission der Stadt Wien vom 21. Juni 1978 und vom 3. März 1980 angefochten, mit denen der Beschwerdeführerin für Zeiträume von 1973 bis 1975 außer den bereits einbekannten Steuerbeträgen zusätzlich Getränkesteuer vorgeschrieben wurde. Die für Getränke als Bestandteil des Frühstücks gewählte Bemessungsgrundlage sei unrichtig gewesen.

Aus Anlaß dieser Beschwerdeverfahren hat der VfGH von Amts wegen die Prüfung der Gesetzmäßigkeit des ArtII Abs1 der Verordnung der Wr. Landesregierung vom 24. Feber 1948, LGBl. 12, zur Durchführung des Getränkesteuergesetzes, beschlossen (V27/80).

Ferner ist beim VfGH zu B170/80 die Beschwerde gegen einen weiteren Bescheid der Abgabenberufungskommission der Stadt Wien vom 3. März 1980 anhängig, mit dem einem anderen Beschwerdeführer die Nachentrichtung von Getränkesteuer für Zeiträume von 1976 bis 1978 vorgeschrieben wurde. Auch aus Anlaß dieses Verfahrens hat der Gerichtshof das Verordnungsprüfungsverfahren eingeleitet (V28/80).

In beiden Verfahren hat der Gerichtshof das Bedenken geäußert, die von der Durchführungsverordnung gewählte Bemessungsgrundlage für jene Fälle, in denen steuerpflichtige und steuerfreie Leistungen zusammen in Rechnung gestellt werden, weiche von der nach dem Gesetz zu wählenden ab.

Die Wr. Landesregierung teilt die Bedenken des VfGH.

II. Die Verordnungsprüfungsverfahren sind zulässig.

Das gilt auch für den Bescheid vom 21. Juni 1978 (B413/78). Dieser ist in Anwendung des §149 Abs3 WAO in seiner Stammfassung ergangen. Unter anderem aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens hat der VfGH die Verfassungsmäßigkeit des §149 Abs2 und 3 WAO in der Stammfassung geprüft. Mit Erk. vom 30. Jänner 1980, G107/78, 49/79, hat er festgestellt, daß diese Gesetzesstellen wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz verfassungswidrig waren, und ausgesprochen, daß sie nicht mehr anzuwenden sind. Da der Gerichtshof den angefochtenen Bescheid grundsätzlich nach der im Zeitpunkt seiner Erlassung bestehenden Rechtslage zu beurteilen hat, muß die erst nach diesem Zeitpunkt (am 30. September 1978) inkraft getretene Fassung der Nov. LGBl. 28/1978 außer Betracht bleiben, sodaß §149 WAO in der durch das genannte Erk. bereinigten Stammfassung anzuwenden ist. Im sonach verbleibenden Abs1 spricht nun §149 WAO nur aus, daß die Abgabe durch die Einreichung der Erklärung über die zugelassene Selbstbemessung festgesetzt gilt. Der VfGH hat aber schon in den Erk. VfSlg. 8780/1980 und 8804/1980 ausgesprochen, ein Zusammenhalt dieser Bestimmung mit §146 Abs1 WAO ergebe, daß die Abgabenbehörde die Abgabe durch Bescheid festzusetzen hat, wenn der Abgabepflichtige die zugelassene Selbstbemessung nicht vornimmt oder die abgegebene Erklärung unrichtig ist. Eine andere Auffassung würde zu dem unsachlichen Ergebnis führen, daß die Abgabe in der einbekannten Höhe ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der Selbstbemessung endgültig festgestellt wäre. §149 Abs1 WAO ordnet somit nur an, daß die Abgabe ohne Erlassung eines Bescheides insoweit als festgesetzt gilt, als nicht eine - durch Bescheid zu erledigende - Meinungsverschiedenheit über die Richtigkeit der Selbstbemessung entsteht. Der angefochtene Bescheid kann also nicht schon wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes aufgehoben werden. Es ist vielmehr auch in diesem Fall auf das Beschwerdevorbringen in der Sache näher einzugehen und dabei ArtII Abs1 der Durchführungsverordnung anzuwenden.

Die zu prüfende Verordnungsstelle bestimmt:

"Ist in einem Preise ein steuerfreies und ein steuerpflichtiges Entgelt zusammengefaßt (wie zum Beispiel beim Gedeck in gastgewerblichen Betrieben, beim Frühstück in Hotels und Pensionen oder beim Pensionspreis in Sommerfrischen), so ist als Preis für das steuerpflichtige Getränk der Betrag anzunehmen, der in dem betreffenden Betriebe für gleichartige Getränke bei gesonderter Verabfolgung erhoben wird oder, falls eine gesonderte Verabfolgung nicht stattfindet, der Preis, der in ähnlichen Betrieben für gleichartige Getränke bei gesonderter Verabfolgung üblich ist."

Der sprachliche Zusammenhang und das Gebot, die Bedeutung des verbleibenden Textes möglichst wenig zu verändern, erheischen die Prüfung des ganzen Abs1, selbst wenn in den vorliegenden Fällen nur die erste Alternative ("bei gesonderter Verabfolgung erhoben wird") in Betracht kommen sollte.

III. Die Bedenken des VfGH sind begründet. ArtII Abs1 der Durchführungsverordnung ist im Getränkesteuergesetz nicht gedeckt.

1. Über die Höhe der Getränkesteuer bestimmt §3 Abs1 Wr. GetränkesteuerG idF Nov. LGBl. 12/1973:

"Die Steuer beträgt 10 vH des Entgeltes (Kleinhandelspreises) für die gemäß §1 steuerpflichtigen Getränke. Kleinhandelspreis ist das Entgelt, das dem Verbraucher für das Getränk ausschließlich der Getränkesteuer, der Umsatzsteuer, der Abgabe von alkoholischen Getränken und des Bedienungsgeldes in Rechnung gestellt wird. Bei der Berechnung der Steuer darf für übliche Beigaben, deren Preis herkömmlicherweise im Preis für das Getränk mitenthalten ist (zB Zucker und Milch bei Kaffee, Zitrone bei Tee), nichts abgezogen werden. Ist in das Entgelt die Getränkesteuer bereits eingerechnet, so ist der Versteuerung das Entgelt abzüglich der Getränkesteuer zugrunde zu legen."

Der VfGH hat seine Bedenken in den die Verfahren einleitenden Beschlüssen wie folgt umschrieben:

"Der VfGH geht vorläufig davon aus, daß mangels eines anderen Anhaltspunktes im Gesetz in jenen Fällen, in denen steuerpflichtige und steuerfreie Leistungen zusammen in Rechnung gestellt werden, das Entgelt für die steuerpflichtige Leistung (die Abgabe des Getränks) nach dem Verhältnis ihres Durchschnittswertes zum Durchschnittswert der steuerfreien Leistung aus dem Gesamtpreis zu ermitteln ist. Ist aber dieses Wertverhältnis maßgeblich, so dürfte die unmittelbare Heranziehung des für eine gesonderte Verabfolgung (im gleichen Betrieb oder in ähnlichen Betrieben) in Rechnung gestellten Entgeltes - das in Summe nach den Erfahrungen des täglichen Lebens höher ist als der Gesamtpreis - grundsätzlich ausgeschlossen sein. Unter diesen Umständen wäre daher ArtII Abs1 der Durchführungsverordnung gesetzwidrig."

2. Im Verfahren ist nichts hervorgekommen, was diese Bedenken zerstreut hätte.

Die vorläufige Annahme des Gerichtshofes trifft zu. Da das Gesetz selbst den Fall der Abgabe steuerpflichtiger und steuerfreier Leistungen zu einem Gesamtpreis nicht ausdrücklich regelt, muß die Lücke im Hinblick auf die allgemeine Erfahrung geschlossen werden, daß die gemeinsame Abgabe solcher Leistungen regelmäßig zu einem geringeren Gesamtpreis erfolgt, als der Summe getrennt abgegebener Leistungen entsprechen würde. Da die mögliche Ermäßigung nicht einseitig dem steuerfreien Teil der Gesamtleistung zugerechnet werden kann, kommt nur ihre verhältnismäßige Aufteilung auf beide Leistungen in Betracht. Es muß also der Gesamtpreis nach dem Verhältnis der Preise der getrennten Leistungen geteilt werden. Wird eine der beiden Leistungen gesondert nicht abgegeben, so kann nur das Verhältnis der Durchschnittswerte maßgeblich sein. Keinesfalls jedoch ist die unmittelbare Heranziehung bloß des für die gesonderte Abgabe in Rechnung gestellten - nicht ermäßigten - Entgeltes möglich. Da ArtII Abs1 der Durchführungsverordnung solches anordnet, widerspricht er dem Gesetz und ist aufzuheben.

Da die Vollziehung des Gesetzes auch ohne die Verordnung ohne weiteres möglich ist und weitere Nachverrechnungen aufgrund der gesetzwidrigen Verordnung vermieden werden sollen, ist ein Ausspruch über die Nichtanwendung auf früher verwirklichte Tatbestände iS des Art139 Abs6 B-VG geboten.

Schlagworte

VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Präjudizialität, Getränkesteuer Wien

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:V27.1980

Dokumentnummer

JFT_10198977_80V00027_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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