TE Vfgh Erkenntnis 1981/2/27 B462/78

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Veröffentlicht am 27.02.1981
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/05 Lebensmittelrecht

Norm

StGG Art5
LMG 1975 §69 Abs2
LMG 1975 §74 Abs5 Z1
LMG 1975 §74 Abs7
LebensmittelkennzeichnungsV 1973 §1
LebensmittelkennzeichnungsV 1973 §5 Abs1 Z3
VStG §5 Abs1
VStG §9

Leitsatz

Lebensmittelgesetz 1975; keine Bedenken gegen §§74 Abs5 Z1 dieses Gesetzes und §1 und 5 Abs1 Z3 Lebensmittelkennzeichnungsverordnung 1973; VStG 1950; denkmögliche Anwendung des §9

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Über F.W. wurde mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 31. Jänner 1978, Z SanLP 61/2 1977, wegen der Verwaltungsübertretung nach den §§1 und 4 Abs1 Z3 Lebensmittelkennzeichnungsverordnung 1973 in Verbindung mit §74 Abs5 Z1 Lebensmittelgesetz 1975 gemäß der eben zitierten Gesetzesstelle eine Geldstrafe von 300 S, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzarreststrafe in der Dauer von 36 Stunden verhängt, weil er am 9. November 1976 in der Filiale 5 der H. KG in St. "Formosa Champignons" in Verkehr gebracht hatte, welche laut Gutachten der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung in Linz als nicht entsprechend iS der LMKV 1973 - und zwar wegen Fehlens der Kennzeichnungselemente des §3 Z2 und 18 - zu beurteilen waren.

1.2. Gegen diesen Bescheid ergriff der Beschuldigte fristgerecht Berufung; mit Bescheid des Landeshauptmannes von OÖ vom 6. Juli 1978, Z SanRB-2896/1-1978-Hau, wurde diesem Rechtsmittel gemäß §66 Abs4 AVG 1950 in Verbindung mit §24 VStG 1950 nicht Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis bestätigt.

1.3.1. Dagegen richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des F.W. an den VfGH, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

1.3.2. Der Landeshauptmann von OÖ erstattete eine Gegenschrift und beantragte darin die Abweisung der Beschwerde.

2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Der angefochtene Bescheid greift im Hinblick auf die Verhängung einer Geldstrafe in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums ein (vgl. VfSlg. 7814/1976). Durch diesen Eingriff wäre der Beschwerdeführer nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH im angeführten Grundrecht verletzt worden, wenn der angefochtene Bescheid auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn er sich als gesetzlos erwiese, wobei die denkunmögliche Anwendung eines Gesetzes einer Gesetzlosigkeit gleichkäme (zB VfSlg. 7811/1976, 8293/1978).

2.1.1. Der angefochtene Bescheid stützt sich in materiell-rechtlicher Hinsicht insbesondere auf §74 Abs5 Z1 Lebensmittelgesetz 1975, BGBl. 86/1975, (LMG 1975) und auf die §§1 und 5 Abs1 Z3 Lebensmittelkennzeichnungsverordnung 1973, BGBl. 627/1973, (LMKV 1973). Diese Verordnung - die gemäß der ausdrücklichen Vorschrift des §77 Abs1 Z19 LMG 1975 als Bundesgesetz so lange weiter in Kraft bleibt, bis ihren Gegenstand regelnde Verordnungen auf Grund des LMG 1975 in Wirksamkeit treten - stand im Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides als Bundesgesetz in Geltung (vgl. auch VwGH 22. 5. 1979 Z 2377/1978, 19. 6. 1979 Z 756/1978, 23. 10. 1979 Z 3258/1978 und 7. 7. 1980 Z 1113/1979).

Daß die den bekämpften Bescheid tragenden Rechtsvorschriften verfassungswidrig seien, wurde vom Beschwerdeführer nicht behauptet. Auch der VfGH hegt unter dem Blickwinkel dieses Beschwerdefalls keine derartigen Bedenken.

2.1.2. Demnach könnte die geltend gemachte Grundrechtsverletzung nur in einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung gelegen sein.

2.1.2.1. Der Beschwerdeführer bringt dazu zunächst - zusammenfassend - vor, die H. KG verfüge über mehrere, eine gewisse Selbständigkeit genießende Zweigniederlassungen, die selbst wieder zahlreiche Filialen betreuten. Der Beschwerdeführer fungiere als Leiter des Gesamtunternehmens, die besagte Filiale 5 in St. aber unterstehe der Zweigniederlassung S., für deren Warengeschäfte - ebenso wie für den Zentraleinkauf - selbstverantwortliche Prokuristen eingesetzt seien. Dabei handle es sich um Vertreter nach (dem 2. und 3. Satz des) §9 VStG 1950, auf welche die Verwaltungsstrafbestimmungen volle Anwendung fänden. Ferner wird eingewendet, daß die §§69 Abs2, 74 Abs7 LMG 1975 eine Übertragung der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit (an unterstellte Organe) ausdrücklich vorsähen. Der Beschwerdeführer sei darum in denkunmöglicher Anwendung des §9 VStG 1950 bestraft worden.

Die "Besondere Fälle der Verantwortlichkeit" regelnde Bestimmung des §9 VStG 1950 lautet:

"Trifft eine Handlungs- oder Unterlassungspflicht, deren Nichterfüllung mit Verwaltungsstrafe bedroht ist, eine Gesellschaft, eine Genossenschaft oder einen Verein, so finden, sofern die Verwaltungsvorschrift nicht anderes bestimmt, die Strafbestimmungen auf die satzungsgemäß zur Vertretung nach außen berufenen Organe Anwendung. Diese Organe sind berechtigt und auf Verlangen der Behörde verpflichtet, aus ihrem Kreise eine oder mehrere handlungsfähige Personen zu bestellen, denen für den Gesamtbetrieb oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Gebiete die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt. Soweit solche verantwortliche Vertreter bestellt wurden, finden die Strafbestimmungen zunächst auf sie Anwendung ..."

Die belangte Behörde legt dem Beschwerdeführer die in Rede stehende Verwaltungsübertretung iS des §9 VStG 1950 als dem satzungsgemäß zur Vertretung der H. KG nach außen berufenen Organ zur Last. Sie geht dabei ersichtlich davon aus, daß als alleiniger persönlich haftender Gesellschafter der H. KG in S. zur Tatzeit im Handelsregister die "H.H. Gesellschaft m.b.H. in S." (Komplementärgesellschaft) eingetragen und der Beschwerdeführer alleiniger und zur Vertretung nach außen berufener Geschäftsführer dieser Gesellschaft m.b.H. und in dieser Eigenschaft auch zur Vertretung der "H. KG" nach außen berufen war. In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird der Rechtsstandpunkt eingenommen, daß die vom Beschuldigten ins Treffen geführte innerbetriebliche Übertragung bestimmter (Leitungs-)Aufgaben an Prokuristen die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit der satzungsgemäß zur Vertretung der Gesellschaft nach außen berufenen Organe unberührt lasse.

Der VwGH vertritt in dieser Frage die Rechtsauffassung, daß eine Übertragung der Verantwortung nach dem zweiten Satz des §9 VStG 1950 nur an satzungsgemäß zur Vertretung nach außen berufene Organe juristischer Personen (arg. "... aus ihrem Kreise ...") und nicht etwa an einen angestellten Prokuristen möglich sei (vgl. VwGH 6. 11. 1974 Z 1779/1973, mit ausführlicher Darstellung der Rechtsprechung zu §9 VStG 1950, sowie VwGH 15. 2. 1977 Z 244/1976, ZfVB 1977/3/1135; VfSlg. 8293/1978).

Der VfGH kann nicht finden, daß diese am Wortlaut des §9 VStG 1950 orientierte Auslegung, der sich die belangte Behörde anschloß, denkunmöglich ist. Daran vermag auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf die §§69 Abs2, 74 Abs7 LMG 1975 nichts zu ändern. Die belangte Behörde durfte nämlich ihrer Entscheidung - entgegen der offenbaren Meinung des Beschwerdeführers - schon deshalb denkmöglicherweise zugrunde legen, daß diese Regelung nicht als "besondere Verwaltungsvorschrift" iS des ersten Satzes des §9 VStG 1950 zu beurteilen sei und darum die dem materiellen Recht zugehörige subsidiäre Regelung des §9 VStG 1950 über verantwortliche Organe nicht ausschließe, weil es sich dabei um bloße prozeßrechtliche Vorschriften für Haftungsbeteiligte handelt.

2.1.2.2. Der Beschwerdeführer vertritt ferner in ausführlichen Darlegungen die Ansicht, es sei ihm die Überwachung und Prüfung der in den Filialen des Unternehmens zum Verkauf gelangenden Waren nicht zumutbar; er wirft hier der belangten Behörde die Unterlassung sowohl seiner Einvernahme zum Sachverhalt als auch der Ermittlung der Organisationsstruktur der H. KG vor. Schließlich behauptet er, es sei ihm mit Rücksicht auf Gutachten der Lebensmittelversuchsanstalt Blaasstraße und der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung in Graz nicht erkennbar gewesen, daß die vorgeschriebene Lebensmittelkennzeichnung fehle, sodaß auch deshalb ein Verschulden nicht vorliege.

Die belangte Behörde ging, wie die Begründung des angefochtenen Bescheides und die Ausführungen in der Gegenschrift zeigen, in Prüfung der subjektiven Tatseite davon aus, daß gemäß §5 Abs1 VStG 1950 zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genüge und, da zum Tatbestand der hier geahndeten Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehöre, schon die bloße Nichtbefolgung des gegenständlichen (Kennzeichnungs-)Gebotes Strafe nach sich ziehe, wenn der Täter nicht beweise, daß ihm die Einhaltung der Verwaltungsvorschrift ohne sein Verschulden unmöglich gewesen ist. Die belangte Behörde nahm an, daß dieser Beweis nicht erbracht worden sei, setzte er doch voraus, daß der Beschuldigte die ihn treffende Verantwortung auf eine andere geeignete Person übertragen und darüber hinaus für eine wirksame Kontrolle dieses (tauglichen) Beauftragten vorgesorgt habe. Sie vertrat schließlich die Meinung, daß die beiden obzitierten Gutachten vorliegend ohne Bedeutung blieben, weil sie Proben betroffen hätten, die laut Beschriftung nicht den verfahrensgegenständlichen Waren entsprächen.

Auch in diesen Punkten sind sowohl die - auf die Aktenlage gegründeten - Tatsachenannahmen als auch die - in der Rechtsprechung des VwGH eine Stütze findende (s. VwSlg. 2142 A/1952) - Rechtsansicht der belangten Behörde durchaus denkmöglich: Die in den eben behandelten Beschwerdeabschnitten aufgeworfenen Rechtsfragen betreffen in Wahrheit bloß die einfachgesetzliche Rechtmäßigkeit des bekämpften Bescheides; denn der Beschwerdeführer zielt der Sache nach nur darauf ab, daß ihm bei richtiger Rechtsauslegung die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften ohne sein Verschulden unmöglich gewesen sei, worüber zu erkennen nicht der VfGH, sondern ausschließlich der VwGH berufen ist.

Auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, daß der angefochtene Bescheid im gegebenen Zusammenhang auch wegen unrichtiger Anwendung von Verfahrensvorschriften rechtswidrig sei, brauchte der VfGH unter diesen Umständen nicht mehr einzugehen.

Aus diesen Erwägungen geht hervor, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums offenkundig nicht verletzt wurde.

2.2. Die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes wurde nicht behauptet und kam auch im Verfahren vor dem VfGH nicht hervor; ebensowenig entstanden - aus der Sicht dieser Beschwerdesache - verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dem bekämpften Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften; der Beschwerdeführer wurde darum auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2.3. Die Beschwerde war folglich als unbegründet abzuweisen.

Schlagworte

Lebensmittelrecht, Verwaltungsstrafrecht, Verantwortlichkeit Organe (Verwaltungsstrafrecht)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B462.1978

Dokumentnummer

JFT_10189773_78B00462_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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