TE Vfgh Erkenntnis 1981/3/14 G50/80

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Veröffentlicht am 14.03.1981
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Index

66 Sozialversicherung
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs3 erster Satz
LohnpfändungsG §4
NotarversicherungsG 1972 §30 Abs2

Beachte

vgl. Kundmachung BGBl. 208/1981 am 30. April 1981

Leitsatz

Notarversicherungsgesetz 1972; §30 Abs2 gleichheitswidrig

Spruch

§30 Abs2 des Bundesgesetzes vom 3. Feber 1972 über die Pensionsversicherung für das Notariat (Notarversicherungsgesetz 1972 - NVG 1972), BGBl. 66, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Juli 1981 in Kraft.

Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Mit Erk. VfSlg. 8446/1978 hat der VfGH §98a Abs2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. 189/1955, idF der 17. Novelle, BGBl. 309/1965 (ASVG), und §47a Abs2 des Gewerblichen Selbständigen-Pensionsversicherungsgesetzes, BGBl. 292/1957 idF der 14. Novelle, BGBl. 310/1965 (GSPVG), als verfassungswidrig aufgehoben. Die aufgehobenen Gesetzesbestimmungen hatten die Möglichkeit der Pfändung der nach §98a Abs1 ASVG bzw. §47a Abs1 GSPVG pfändbaren Geldleistungen mit Ausnahme der Pensionen aus den Versicherungsfällen des Alters davon abhängig gemacht, daß

"die Exekution in das sonstige bewegliche Vermögen des Anspruchsberechtigten zu einer vollständigen Befriedigung des betreibenden Gläubigers nicht geführt hat oder voraussichtlich nicht führen wird und ... nach den Umständen des Falles, insbesondere nach der Art der vollstreckbaren Forderung und der Höhe der zu pfändenden Geldleistung, die Pfändung der Billigkeit entspricht; §4 Abs3 des Lohnpfändungsgesetzes, BGBl. Nr. 51/1955, gilt entsprechend."

2. Mit Erk. VfSlg. 8576/1979 hat der VfGH schließlich §66 Abs2 des Bundesgesetzes über die Sozialversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen (GSVG), BGBl. 560/1978, als verfassungswidrig aufgehoben. Diese Bestimmung entsprach - mit hier unwesentlichen stilistischen Änderungen - dem aufgehobenen §47a Abs2 GSPVG und war lediglich in einem anderen gesetzestechnischen Zusammenhang neuerlich erlassen worden.

II.1. Beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien ist ein Rekurs gegen einen Beschluß des Exekutionsgerichtes Wien anhängig, mit dem der betreibenden Partei die Exekution durch Pfändung und Überweisung eines Pensionsbezuges nach dem Bundesgesetz vom 3. Feber 1972 über die Pensionsversicherung für das Notariat (Notarversicherungsgesetz 1972 - NVG 1972), BGBl. 66, bewilligt wurde. Das antragstellende Rekursgericht vermeint §30 Abs2 leg. cit. bei der Entscheidung über das Rechtsmittel anwenden zu müssen und bringt vor, daß dem Rechtsmittel im Hinblick auf die angegriffene Gesetzesstelle Folge zu geben sei.

§30 Abs2 NVG 1972 lautet:

Die Pensionen mit Ausnahme der Alterspension könne nur dann gepfändet werden, wenn die Exekution in das sonstige bewegliche Vermögen des Anspruchsberechtigten zu einer vollständigen Befriedigung des betreibenden Gläubigers nicht geführt hat oder voraussichtlich nicht führen wird und wenn nach den Umständen des Falles, insbesondere nach der Art der vollstreckbaren Forderung und der Höhe der zu pfändenden Leistung, die Pfändung der Billigkeit entspricht. §4 Abs3 des Lohnpfändungsgesetzes gilt entsprechend.

Das antragstellende Gericht hält §30 Abs2 NVG 1972 aus denselben Gründen für verfassungswidrig, die zur Aufhebung des §98a Abs2 ASVG, des §47a Abs2 GSPVG und des §66 Abs2 GSVG geführt haben, und beantragt seine Aufhebung.

2. Die Bundesregierung hat von einer Äußerung in der Sache selbst abgesehen, jedoch für den Fall der Aufhebung beantragt, gemäß Art140 Abs5 B-VG eine Frist von einem Jahr zu setzen, um erforderliche legistische Maßnahmen treffen zu können.

Die am verfassungsgerichtlichen Verfahren beteiligte Versicherungsanstalt des österreichischen Notariats hat in der mündlichen Verhandlung vor dem VfGH angeregt, nur einige Worte des §30 Abs2 NVG 1972 aufzuheben, und zwar die Worte

"mit Ausnahme der Alterspension" und

"wenn die Exekution in das sonstige bewegliche Vermögen des Anspruchsberechtigten zu einer vollständigen Befriedigung des betreibenden Gläubigers nicht geführt hat oder voraussichtlich nicht führen wird und".

III. Der Antrag ist zulässig.

Es sind keine Umstände hervorgekommen, die gegen die Annahme des antragstellenden Gerichtes sprechen, daß es die angefochtene Gesetzesstelle in dem bei ihm anhängigen Rechtsmittelverfahren unmittelbar anzuwenden habe.

IV. Der Antrag ist auch begründet.

Die angefochtene Gesetzesbestimmung entspricht mit unwesentlichen Abweichungen den aufgehobenen §§98a Abs2 ASVG, 47a Abs2 GSPVG und 66 Abs2 GSVG und steht in ähnlichem Zusammenhang wie diese Bestimmungen.

Die Gründe, aus denen die letztgenannten Bestimmungen vom VfGH aufgehoben wurden, treffen daher auch auf §30 Abs2 NVG 1972 zu. Es ist gleichheitswidrig, wenn die Pfändung von Ruhegenüssen aus öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen nur den Beschränkungen der §§5 bis 9 LohnpfändungsG, also Beschränkungen der Höhe nach, unterworfen werden, jene von Pensionen nach dem NVG jedoch den weiteren Einschränkungen nach Art des §4 des Lohnpfändungsgesetzes.

Der Anregung der beteiligten Versicherungsanstalt des österreichischen Notariats, nur einzelne Worte des §30 Abs2 NVG 1972 aufzuheben, vermochte der VfGH nicht Rechnung zu tragen, weil mit der vorgeschlagenen Teilaufhebung der Inhalt der Bestimmung des §30 Abs2 NVG 1972 wesentlich verändert würde (vgl. VfSlg. 6674/1972) und die Verfassungswidrigkeit der Bestimmung ihren Sitz nicht nur in dieser Wortfolge hat (vgl. VfSlg. 8446/1978).

Auch eine Aufhebung bloß der Worte "wenn die Exekution in das sonstige bewegliche Vermögen des Anspruchsberechtigten zu einer vollständigen Befriedigung des betreibenden Gläubigers nicht geführt hat oder voraussichtlich nicht führen wird und" kam nicht in Betracht, da auch auf diese Weise die Ungleichbehandlung von Pensionsbezügen nicht vollständig beseitigt würde. Es blieben nämlich auch dann bestimmte im Bereich des NVG bezogene Pensionsleistungen nur beschränkt pfändbar, während gleichartige Pensionsleistungen im Bereich anderer sozialversicherungsrechtlicher Regelungen und im Bereich öffentlich-rechtlicher Pensionsversorgung einer gleichartigen Beschränkung nicht unterliegen.

Da somit die konstatierte Verfassungswidrigkeit nicht bloß in einzelnen Teilen des §30 Abs2 NVG ihren Sitz hat, ist die angefochtene Gesetzesbestimmung zur Gänze aufzuheben.

V.1. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der angefochtenen Bestimmung gründet sich auf Art140 Abs5 B-VG. Im Hinblick darauf, daß die Verfassungswidrigkeit schon seit dem Erk. VfSlg. 8446/1978 vom 4. Dezember 1978 offenkundig ist und der Gesetzgeber schon anläßlich der Novellierung des GSVG im Gefolge der erwähnten aufhebenden Erk. des VfGH Überlegungen zur legistischen Neuordnung in einer gleichartigen Situation anzustellen hatte, erachtete der VfGH die gesetzte Frist für ausreichend.

2. Der Ausspruch über die Verpflichtung zur Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art140 Abs5 B-VG; der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, auf Art140 Abs6 B-VG.

Schlagworte

Exekutionsrecht, Lohnpfändung, Notare, Sozialversicherung, Pensionsversicherung, Dienstrecht, Ruhegenuß

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:G50.1980

Dokumentnummer

JFT_10189686_80G00050_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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