TE Vfgh Erkenntnis 1981/3/20 B118/78

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Veröffentlicht am 20.03.1981
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art83 Abs2
StVO 1960 §1 Abs1
StVO 1960 §2 Abs1 Z11 idF BGBl 412/1976
StVO 1960 §2 Abs1 Z1
StVO 1960 §8 Abs4
StVO 1960 §45 Abs2
StVO 1960 §52 litb Z17

Leitsatz

StVO 1960; Verweigerung einer Ausnahmebewilligung von einem nicht bestehenden Verkehrsverbot nach §45 Abs2; Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) Der Beschwerdeführer hat am 17. Mai 1976 beim Magistrat der Stadt Wien ein Ansuchen "um Genehmigung einer Auffahrt des unbenannten Weges '6 m breit' bei der S-straße 119" für sein Kraftfahrzeug eingebracht, um zu seinem Haus S-straße 119b zufahren und das Kraftfahrzeug dort abstellen zu können.

b) Mit dem Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 19. Juli 1977 wurde dem Antrag des Beschwerdeführers "um Ausnahmebewilligung vom Fahrverbot in Wien 19, unbenannter Weg beginnend bei der S-straße 119" gemäß §45 Abs2 der Straßenverkehrsordnung 1960 - StVO 1960, BGBl. 159/1960 idF des Bundesgesetzes 412/1976, nicht stattgegeben.

c) Der gegen diesen Bescheid vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung wurde mit dem Bescheid der Wr. Landesregierung vom 21. Oktober 1977 keine Folge gegeben. Nach der Begründung dieses Bescheides handle es sich bei der Verkehrsfläche, für deren Befahrung vom Beschwerdeführer eine Ausnahmebewilligung begehrt werde, um einen "öffentlichen Fußweg, der derart ausgeführt" sei, "daß von der Konstruktion her eine Befahrung mit Kraftfahrzeugen nicht möglich" sei. Dem Beschwerdeführer möge im Hinblick auf einen vorhandenen Abstellplatz für sein Kraftfahrzeug bei seinem Hause ein persönliches Interesse an der Erteilung der Ausnahmegenehmigung zuzugestehen sein; hier stehe aber jedenfalls die zu erwartende wesentliche Beeinträchtigung der Sicherheit des nur den Fußgängern gewidmeten Verkehrsweges entgegen. Bei der Lage und Beschaffenheit sowie bei der baulichen Ausgestaltung des Weges würde durch seine Verwendung zum Ein- und Ausfahren mit Kraftfahrzeugen eine Gefährdung von Personen zu befürchten sein. Zudem würde eine nicht unerhebliche Lärmbelästigung für die Bewohner der umliegenden Gebäude eintreten. Die nach §45 Abs2 StVO 1960 für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung erforderlichen Voraussetzungen seien nicht gegeben.

2. Gegen den Bescheid der Wr. Landesregierung vom 21. Oktober 1977 richtet sich die unter Berufung auf Art144 B-VG erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer behauptet, durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unverletzlichkeit des Eigentums verletzt worden zu sein. Es wird der Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, für den Fall der Abweisung auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH gestellt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Mit dem Beschluß des Wr. Gemeinderates vom 17. Juli 1953, Pr. Zl. 1.560/53, wurden in Abänderung des mit dem Beschluß des Gemeinderates vom 3. Februar 1931 genehmigten Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes für das im Plan Nr. 2454 (Z M. Abt. 18-5290/51) umschriebene "Plangebiet des Hackenberges zwischen der Krottenbachstraße, Agnesgasse, Sieveringerstraße und Görgengasse im XIX. Bezirk (Kat. Gem. Ober-Döbling, Unter- und Ober-Sievering und Neustift a/Walde) gemäß §1" der Bauordnung für Wien, LGBl. 11/1930 idgF (im folgenden BO), die in den Punkten 1 bis 17 enthaltenen Bestimmungen getroffen. Punkt 1 dieser Bestimmungen enthält die Anordnung, welche der im Plan vorgesehenen Linien als Baulinien, welche als Baufluchtlinien, welche als Straßenfluchtlinien usw. (§5 Abs6 BO) gelten. In den weiteren Punkten sind die Flächenwidmungen und für das Bauland die Bauklassen und Bauweisen bestimmt. In Punkt 15 heißt es, daß zu den als Fußweg bezeichneten Verkehrsflächen keine Ausfahrten angeordnet werden dürfen.

In dem Plan Nr. 2454 ist eine als öffentlicher Fußweg bezeichnete Verkehrsfläche (im folgenden als Weg bezeichnet) zwischen der S-straße - beginnend bei Hausnummer 119 - und der geplanten N-straße ausgewiesen. Der Weg, der durch Baulinien gegen die übrigen Grundflächen des anliegenden Baulandes abgegrenzt ist und über Grundstücke im Eigentum der Stadt Wien führt, bildet ua. auch den Zugang zum Haus des Beschwerdeführers, S-straße 119b.

2. a) Wie aus den vorgelegten Verwaltungsakten und der Begründung des angefochtenen Bescheides hervorgeht, ist die belangte Behörde bei seiner Erlassung davon ausgegangen, daß es sich bei dem in Rede stehenden Weg um eine Straße mit öffentlichem Verkehr iS des §1 Abs1 StVO 1960 handelt.

Der Weg ist - wie die belangte Behörde auf Anfrage des VfGH mitgeteilt hat - nicht durch das Gebotszeichen "Gehweg" nach §52 litb Z17 StVO 1960 als solcher bezeichnet. Ihm kommt daher die Eigenschaft eines Gehweges iS der Begriffsbestimmung des §2 Abs1 Z11 StVO 1960 nicht zu, da nach dieser Bestimmung (seit der Fassung der Novelle BGBl. 412/1976) als Gehweg nur ein für den Fußgängerverkehr bestimmter und als solcher gekennzeichneter Weg gilt.

Die belangte Behörde hat auf Anfrage des VfGH des weiteren mitgeteilt, daß für die Benutzung des Weges Gebote oder Verbote nach der StVO 1960 nicht erlassen worden sind. Ungeachtet dessen ist sie davon ausgegangen, daß ein Fahrverbot nach der StVO 1960 besteht und daß das vom Beschwerdeführer gestellte Begehren als Antrag auf Bewilligung einer Ausnahme von diesem Fahrverbot zu werten ist.

b) Der Weg ist eine für den Fußgängerverkehr bestimmte Landfläche und gilt damit als Straße nach §2 Abs1 Z1 StVO 1960; durch die Widmung als Straße, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden kann, ist er eine Straße mit öffentlichem Verkehr, für die nach §1 Abs1 StVO 1960 dieses Bundesgesetz gilt. Das bedeutet, daß für den Weg auch die Anwendung der Bestimmung des §45 Abs2 StVO 1960 in Betracht kommen kann; nach dieser Bestimmung kann die Behörde Ausnahmen von Geboten oder Verboten, die für die Benützung einer Straße gelten, unter den darin näher umschriebenen Voraussetzungen erteilen. Dabei ist allerdings nur die Erteilung von Ausnahmen von solchen Geboten oder Verboten zulässig, die nach der StVO 1960 für die Benützung des Fußweges bestehen. §45 Abs2 StVO 1960 kann zur Erteilung von Ausnahmen von Geboten oder Verboten, die nach anderen Rechtsvorschriften für die Benützung einer Straße gelten, nicht herangezogen werden.

c) Für die Benützung des Weges durch Kraftfahrzeuge ist weder ein Gebot noch ein Verbot nach der StVO 1960 erlassen worden. Das Verbot der Benützung von Gehwegen mit Fahrzeugen aller Art nach §8 Abs4 StVO 1960 gilt zufolge der in §2 Abs1 Z11 festgelegten Begriffsbestimmung nur für einen für den Fußgängerverkehr bestimmten und als solchen bezeichneten Weg (§52 litb Z17 StVO 1960), somit nicht für den in Rede stehenden Weg. Nach keiner Bestimmung der StVO 1960 besteht somit ein Verbot zur Benützung des Weges durch ein Kraftfahrzeug. Demnach kann hiefür weder die Erteilung einer Ausnahme noch die Verweigerung einer Ausnahme von einem solchen Verbot in Betracht kommen. Wenn daher die belangte Behörde in Anwendung des §45 Abs2 StVO 1960 die Bewilligung einer Ausnahme von einem Verbot der Benützung des Weges mit Kraftfahrzeugen verweigert hat, hat sie damit eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihr nach dem Gesetz nicht zukommt. Im Sinne der ständigen Rechtsprechung des VfGH ist der Beschwerdeführer dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid war daher aufzuheben, ohne daß geprüft zu werden brauchte, ob auch die vom Beschwerdeführer behauptete Verletzung des Gleichheitsrechtes und des Eigentumsrechtes stattgefunden hat.

Schlagworte

Straßenpolizei, Fahrverbot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B118.1978

Dokumentnummer

JFT_10189680_78B00118_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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