TE Vfgh Erkenntnis 1981/6/11 B328/79

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Veröffentlicht am 11.06.1981
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Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs1 / Beschlagnahme
StGG Art5
GewO 1973 §46 Abs3
GewO 1973 §336 Abs1
GewO 1973 §368
GewO 1973 §369
VfGG §82 Abs3 dritter Satz
VfGG §83 Abs1
VStG §39 Abs1

Leitsatz

GewO 1973; Beschlagnahme von Waren wegen Übertretung des §46 Abs3; denkunmögliche Anwendung des §39 VStG 1950

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist dadurch, daß am 21. Juni 1979 ihr gehörige Waren, nämlich 57 Baukästen und 58 Wasserbälle, im Hauptbahnhof Leoben von Organen der Bundespolizeidirektion Leoben beschlagnahmt wurden und die Beschlagnahme dieser Gegenstände bis 22. Juni 1979 aufrechterhalten wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Wie die Beschwerdeführerin in der auf Art144 B-VG gestützten Eingabe ausführt, veranstaltete sie aufgrund eines Vertrages mit der "Bahn-Werbung" in der Zeit vom 16. bis 30. Juni 1979 eine Verkaufsaktion im Hauptbahnhof Leoben. Sie habe dabei übersehen, daß es hiefür einer Anzeige gemäß §46 Abs3 Gewerbeordnung 1973 - GewO 1973 wegen Ausübung des Gewerbes in einer weiteren Betriebsstätte bedurft hätte. Als am 21. Juni 1979 ihre Propagandistin M.W. von Organen der Bundespolizeidirektion Leoben zum Vorweis ihrer Gewerbeberechtigung aufgefordert worden sei und dem nicht nachkommen konnte, sei von den genannten Organen der gesamte Warenvorrat, nämlich 57 Baukästen und 58 Wasserbälle, beschlagnahmt worden.

Nachdem am 22. Juni 1979 die Anzeige gemäß §46 Abs3 GewO 1973 nachgeholt worden war, sei die Beschlagnahme wieder aufgehoben worden.

Die Beschlagnahme fände weder in den Bestimmungen der Gewerbeordnung noch des VStG eine denkmögliche Stütze. Ein förmlicher Bescheid oder ein richterlicher Befehl hätten nicht vorgelegen. In der Beschlagnahme vom 21. Juni 1979 liege daher ein verfassungswidriger Eingriff, sodaß die Beschwerdeführerin beantragt festzustellen, daß sie durch die Vornahme dieser Beschlagnahme und durch die Aufrechterhaltung derselben bis 22. Juni 1979 im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden sei.

Als belangte Behörde bezeichnet sie die Bundespolizeidirektion Leoben.

2. Aus der von den Organen der Bundespolizeidirektion Leoben am 21. Juni 1979 erstatteten Anzeige geht hervor, daß die Beschlagnahme vorgenommen wurde, weil die am Werbestand der Beschwerdeführerin anwesende M.W. keine gewerberechtliche Legitimation vorweisen konnte und die Beschwerdeführerin eine Anzeige gemäß §46 Abs3 GewO 1973 an die Bezirkshauptmannschaft Leoben unterlassen habe. Laut Rücksprache mit der Bezirkshauptmannschaft Leoben, Gewerbereferat, sei "eine Anzeige wegen Betriebsstättenverlegung" nicht aufgeschienen. Die Beschwerdeführerin habe sich demnach einer Unterlassung gemäß §46 GewO 1973 schuldig gemacht.

3. a) In einer von der Bundespolizeidirektion Leoben abgegebenen Stellungnahme wird darauf verwiesen, daß die Beamten ihres Wachkörpers in Angelegenheiten des §336 GewO 1973 als Organe der Bezirksverwaltungsbehörde tätig gewesen seien.

b) In der von der Bezirkshauptmannschaft Leoben erstatteten Gegenschrift wird der in der Beschwerde vorgetragene Sachverhalt nicht bestritten, jedoch ausgeführt, "die mit dem Werbestand bzw. mit dem Verkauf beauftragte Person konnte anläßlich der Kontrolle weder eine Handelsreisendenlegitimation noch einen Gewerbeschein vorweisen, sodaß nach Ansicht der Bezirkshauptmannschaft Leoben die einschreitenden Beamten der Bundespolizeidirektion Leoben annehmen mußten, daß es sich im Gegenstande um eine unbefugte Gewerbeausübung iS des §366 Abs1 Z1 GewO 1973 handelt." Da gemäß §369 Abs1 GewO 1973 ua. Waren, welche mit einer Verwaltungsübertretung nach §366 leg. cit. im Zusammenhang stehen, für verfallen erklärt werden können, stelle sie den Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Eine Beschlagnahme ist dann als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art144 B-VG bekämpfbar, wenn ein sie anordnender förmlicher Bescheid weder vorher noch nachher erlassen worden ist (VfSlg. 8888/1980). Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen erfüllt sind, ist die Beschwerde zulässig.

2. Die Beschwerdeführerin hat die Bundespolizeidirektion Leoben als belangte Behörde bezeichnet. Diese hat jedoch die vorliegende Amtshandlung nicht zu verantworten.

Gemäß §336 Abs1 GewO 1973 haben in Orten, in denen Bundespolizeibehörden bestehen, die Sicherheitswachen dieser Behörden bei der Vollziehung der gewerberechtlichen Vorschriften als Organe der Bezirksverwaltungsbehörde mitzuwirken. Auf einen Auftrag der Bezirksverwaltungsbehörde kommt es hiebei nicht an; ein solcher ist dafür, daß die Bezirksverwaltungsbehörde solche Amtshandlungen zu vertreten hat, ohne rechtliche Bedeutung.

Da die Beamten der Sicherheitswache der Bundespolizeidirektion Leoben gemäß §336 GewO 1973 eingeschritten sind, sind sie als Organe der Bezirksverwaltungsbehörde tätig geworden. Es hat daher die Bezirksverwaltungsbehörde die Amtshandlungen zu vertreten.

Da ein Beschwerdeführer gemäß §82 Abs3 VerfGG nur den Sachverhalt genau darzulegen und nur, soweit dies zumutbar ist, auch anzugeben hat, welches Organ die unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt ausgeübt hat und welcher Behörde sie zuzurechnen ist, wird durch eine unrichtige Bezeichnung der belangten Behörde die Beschwerde weder unzulässig noch mangelhaft, sondern ist vom VfGH die richtige Behörde festzustellen und mit dieser das Verfahren durchzuführen. Über die Benennung der richtigen Behörde im Erk. hinaus bedarf es keiner prozessualen Entscheidung.

3. Unter Beschlagnahme ist die zwangsweise Entziehung eines Gegenstandes zum Zwecke seiner Verwahrung zu verstehen (vgl. VfSlg. 4947/1965). Durch eine solche Beschlagnahme wird in das durch Art5 StGG geschützte Eigentumsrecht eingegriffen (VfSlg. 1616/1948, 6754/1972). Der Eingriff wäre dann verfassungswidrig, wenn er gesetzlos ergangen wäre, auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte.

Nach §39 Abs1 VStG kann die Behörde die Beschlagnahme von Gegenständen anordnen, wenn der Verdacht einer Verwaltungsübertretung vorliegt, für die der Verfall dieser Gegenstände als Strafe vorgesehen ist. Unter den gleichen Voraussetzungen können bei Gefahr im Verzuge die Organe der öffentlichen Aufsicht aus eigener Macht solche Gegenstände vorläufig in Beschlag nehmen (VfSlg. 3848/1960). Es ist daher zu prüfen, ob die Organe der belangten Behörde vertretbarerweise das Vorliegen eines Straftatbestandes annehmen konnten, für die der Verfall von Gegenständen als Strafe vorgesehen ist.

Von den einschreitenden Sicherheitsorganen wurde am 21. Juni 1979 Anzeige erstattet, daß die Beschwerdeführerin es unterlassen habe, eine weitere Betriebsstätte anzumelden, wodurch von ihr eine Verwaltungsübertretung nach §46 GewO 1973 begangen worden sei. Hiezu wurde ausgeführt, daß von ihnen um 14.00 Uhr festgestellt worden sei, daß ein Verkaufsstand der Beschwerdeführerin in der Wartehalle des Hauptbahnhofes errichtet sei und daß laut Rücksprache mit der Bezirkshauptmannschaft Leoben (Gewerbereferat Dr. E.) bei der Bezirkshauptmannschaft Leoben keine Anzeige gemäß §46 Abs3 GewO 1973 aufscheine. In der Anzeige heißt es abschließend dann weiter: "Die am Verkaufsstand vorgefundenen 57 Baukästen und 58 Wasserbälle wurden beschlagnahmt. Ein Beschlagnahmeprotokoll über die vorläufige Beschlagnahme wurde ausgestellt und eine Durchschrift hievon M.W. ausgehändigt".

Dies stellt klar, daß die Beschlagnahme ausschließlich deshalb erfolgte, weil von der Beschwerdeführerin die Ausübung des Gewerbes in einer weiteren Betriebsstätte gemäß §46 Abs3 GewO 1973 nicht angezeigt worden war. Wenn die belangte Behörde in der Gegenschrift darauf verweist, daß die Sicherheitsorgane den Tatverdacht einer unbefugten Gewerbeausübung hegen konnten, ist ihr entgegenzuhalten, daß nach der Aktenlage ein solcher Verdacht nie bestanden hat. Die einschreitenden Organe haben das Vorliegen einer unbefugten Gewerbeausübung offensichtlich gar nicht in Erwägung gezogen, da sie andernfalls unzweifelhaft der Verkäuferin hierauf abzielende Fragen gestellt und die Rücksprache mit der Gewerbebehörde auch diesem Thema gewidmet hätten. Wenn die belangte Behörde darauf verweist, daß gemäß §369 GewO 1973 die Strafe des Verfalles für eine Verwaltungsübertretung gemäß §366 Abs1 GewO 1973 (unbefugte Gewerbeausübung) vorgesehen ist und damit auch eine Beschlagnahme nach §39 Abs1 VStG 1950 erfolgen konnte, geht dies somit ins Leere.

Die einschreitenden Beamten sind nur davon ausgegangen, daß die Beschwerdeführerin ihrer Verpflichtung nach §46 Abs3 GewO 1973 nicht entsprochen hat, welcher Fall wohl auch eine Verwaltungsübertretung (§368 leg. cit.) bildet; für diesen Tatbestand ist jedoch nach §369 GewO 1973 ein Verfall von Waren nicht vorgesehen. Da sich auch keine sonstige Bestimmung findet, die die Verhängung des Verfalles erlauben würde, konnte die für die Beschlagnahme alleine in Frage stehende Bestimmung des §39 Abs1 VStG 1950 denkmöglich nicht angewendet werden. Damit hat die Behörde einen so schweren Fehler begangen, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, was nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (VfSlg. 8266/1978) bewirkt, daß die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt ist.

Der VfGH hatte daher wie im Spruch zu entscheiden.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Beschlagnahme, Gewerberecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B328.1979

Dokumentnummer

JFT_10189389_79B00328_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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