TE Vfgh Beschluss 1981/6/29 G32/79

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Veröffentlicht am 29.06.1981
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
ASVG §253b Abs1, §253b Abs1 litd

Leitsatz

Art140 B-VG; Individualantrag auf Aufhebung einiger Worte in §253b ASVG; keine Legitimation

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I.1. Der Antragsteller bringt vor, am 15. August 1923 geboren zu sein und zum 1. Jänner 1979 alle in §253b Abs1 lita - c ASVG genannten Voraussetzungen für die Gewährung einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer zu erfüllen. Insbesondere habe er zum 1. Jänner 1979 mehr als 420 für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigende Versicherungsmonate erworben und innerhalb der letzten 36 Kalendermonate 24 Beitragsmonate der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nachzuweisen. Da er aber erst am 15. August 1983 das als Anspruchsvoraussetzung für Männer im Einleitungssatz des §253b Abs1 ASVG vorgesehene 60. Lebensjahr vollende, könne er nicht in den Genuß einer vorzeitigen Alterspension gelangen.

2. Mit einem auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG gegründeten Antrag begehrt der Antragsteller die Aufhebung der Worte "nach Vollendung des 60. Lebensjahres, die Versicherte" in §253b Abs1 ASVG. Durch diese Gesetzesstelle, die gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz verstoße, werde er unmittelbar in seinen Rechten verletzt; es stehe ihm kein Rechtsweg offen, der ihm die Geltendmachung seiner Verfassungsbedenken vor dem VfGH erlauben würde.

Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie primär beantragt, den Antrag wegen Fehlens der Prozeßvoraussetzungen zurückzuweisen, in eventu die Gesetzesbestimmung nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der VfGH über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der VfGH in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem unmittelbar betroffenen Normadressaten aber kommt diese Antragsbefugnis zu. Es ist (wie der VfGH im Beschluß 8009/1977 ausgeführt und in seiner späteren Judikatur mehrfach, zB in VfSlg. 8148/1977, 8241/1978, 8276/1978 und 8485/1979 bestätigt hat) für die Antragslegitimation darüber hinaus auch erforderlich, daß dem Antragsteller ein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung der von ihm behaupteten Verfassungswidrigkeit nicht zur Verfügung steht.

2. a) Ein derartiger zumutbarer Weg stünde aber dem Antragsteller im gegebenen Fall zur Verfügung: Denn zur Realisierung des gesetzlichen Anspruchs auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer gemäß §253b ASVG sieht das ASVG ein Verfahren vor der zuständigen Pensionsversicherungsanstalt (§354 iVm §§367 und 368 ASVG) und im Streitfall im Weg einer sukzessiven Zuständigkeit ein Leistungsstreitverfahren (§§370 ff. ASVG) vor, in dem ein Rechtsweg gemäß §§400 und 402 ASVG zum Oberlandesgericht Wien eingerichtet ist.

Vom ASVG ist somit der Weg ausdrücklich vorgezeichnet, den der Antragsteller beschreiten könnte, um die von ihm angenommene Verfassungswidrigkeit geltend zu machen.

b) Der VfGH kann auch nicht finden, daß es dem Antragsteller unzumutbar sein sollte, diesen Weg zu beschreiten: Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß ein solches Verfahren bei unveränderter Rechtslage nicht zu dem vom Antragsteller angestrebten Erfolg führen könnte. Denn es kommt nicht auf die materiellen Erfolgschancen des dem Antragsteller zur Verfügung stehenden Rechtsweges an, sondern darauf, daß im Zug eines derartigen Verfahrens Gelegenheit besteht, die vom Antragsteller angenommenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Gesetzesbestimmung an den VfGH heranzutragen.

Aus diesem Grund ist es auch nicht von Bedeutung, wenn der Antragsteller vorbringt, daß ein Leistungsstreitverfahren für ihn schon deshalb unzumutbar sei, weil ihm auch jene Voraussetzung für die Zuerkennung der Pension fehle, nach der er im Zeitpunkt der Antragstellung weder selbständig noch unselbständig erwerbstätig sein darf (§253b Abs1 litd ASVG). Entgegen der Annahme des Antragstellers ist die Klärung der ihn interessierenden Rechtsfrage nämlich auch möglich, ohne daß er sein Dienstverhältnis beendet. Denn ungeachtet des Bestehens oder Nichtbestehens eines solchen Dienstverhältnisses hätte in einem Leistungsstreitverfahren über eine vorzeitige Pensionierung wegen langer Versicherungsdauer das Oberlandesgericht Wien in diesem Verfahren jedenfalls auch die vom Antragsteller angefochtene Wortfolge in §253b Abs1 ASVG anzuwenden und wäre daher verpflichtet, dann, wenn es Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung haben sollte, einen entsprechenden Gesetzesprüfungsantrag beim VfGH zu stellen.

Wenn der Antragsteller behauptet, daß sein bereits unternommener Versuch, den aufgezeigten Weg zu gehen, vergeblich war, weil das Oberlandesgericht Wien den von ihm eingeschlagenen Rechtsweg, vor den Schiedsgerichten der Sozialversicherung die Rentenzahlung zu begehren, für unzulässig erklärt und seine Klage beim Schiedsgericht zurückgewiesen habe, so ist dem entgegenzuhalten, daß in dem von ihm genannten Verfahren lediglich sein Antrag auf Feststellung des Bestandes seines Pensionsanspruches zum 1. Jänner 1979 mangels Zuständigkeit der Schiedsgerichte der Sozialversicherung zur Entscheidung von Feststellungsbegehren zurückgewiesen (und sein Antrag auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension ab 1. Jänner 1979 als 10 Monate vor diesem Zeitpunkt gestellt und deshalb als unberechtigt abgewiesen) wurde, das Oberlandesgericht Wien also gar nicht in die Lage kam, sich mit dem Inhalt des Vorbringens des Antragstellers in diesem Verfahren auseinanderzusetzen.

3. Unter diesen Umständen kann keine Rede davon sein, daß der Antragsteller keine andere rechtliche Möglichkeit hätte, die zu nutzen ihm zumutbar ist, um die von ihm angenommene Verfassungswidrigkeit geltend zu machen. Der Antrag war somit mangels Legitimation zur Antragstellung als unzulässig zurückzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Sozialversicherung, Pensionsversicherung, Pensionsalter

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:G32.1979

Dokumentnummer

JFT_10189371_79G00032_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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