TE Vfgh Erkenntnis 2006/6/6 B3625/05

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Veröffentlicht am 06.06.2006
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

EMRK Art6 Abs3, Art7
EMRK 7. ZP Art4
DSt 1990 §1
RL-BA 1977 §18

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen Vertretung durch eine nicht zur Substitution berechtigte Kanzleimitarbeiterin in einer Verhandlung und wegen persönlicher Vorwürfe gegen den gegnerischen Rechtsanwalt; keine Verletzung des fair trial, des Klarheitsgebotes und des Doppelbestrafungsverbotes

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 1. Dezember 2004 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe

"a) zu D 195/02 (DV 21/04) die in dem zwischen der von ihm vertretenen klagenden Partei S W und der beklagten Partei K S beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien, AZ ..., anhängigen Besitzstörungsverfahren am 10. Juli 2002 anberaumte Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung durch seine Kanzleimitarbeiterin M P als seine Substitutin verrichten lassen, obzwar diese zur Vertretung nicht berechtigt gewesen war;

b) zu D 89/03 (DV 33/04) in dem zwischen der von ihm vertretenen klagenden Partei W F und den beklagten Parteien Dr. G T und Dr. E O, Rechtsanwälte in 1010 Wien, beim Bezirksgericht Leopoldstadt zu AZ ... anhängigen Exszindierungsverfahren in der am 19. Februar 2003 durchgeführten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung folgendes vorgebracht:

'KV bringt vor, dass die BV das Vorbringen über die angebliche Nichtexistenz der Gegenstände ohne hinreichende Information erstattet habe und beantragt daher die Übermittlung des Aktes an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien zur Beurteilung der standesrechtlichen Relevanz.'

und dadurch die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen."

Der Beschwerdeführer wurde unter Bedachtnahme auf das Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 19. November 2003 zur Disziplinarstrafe einer Zusatzgeldbuße von € 500,-- verurteilt.

2. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: OBDK) vom 24. Oktober 2005 keine Folge gegeben.

3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art6 EMRK, Art7 EMRK, Art83 Abs2 B-VG und Art4 des 7. ZP-EMRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

4. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Ausführungen in der Beschwerde entgegentritt und deren Abweisung beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof auch aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens nicht entstanden.

Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2.1. Unter dem Titel des Art6 Abs3 EMRK rügt der Beschwerdeführer im Wesentlichen, er habe nicht erkennen können, aus welchen Gründen er disziplinarrechtlich verfolgt werde, weshalb er sich nicht entsprechend auf seine Verteidigung vorbereiten habe können.

2.2. Dem ist entgegenzuhalten, dass dem Beschwerdeführer die inkriminierten Sachverhalte sowohl durch die Aufforderungen zur Abgabe verantwortlicher Äußerungen vom 6. Dezember 2002 sowie vom 5. Juni 2003, als auch durch die am 22. April 2004 zugestellten Einleitungsbeschlüsse vom 18. Februar 2004 zu D 195/02 (DV 21/04) und vom 24. März 2004 zu D 89/03 (DV 33/04) bekannt geworden sind; Der Beschwerdeführer hatte daher bis zu den Disziplinarverhandlungen am 19. November und am 1. Dezember 2004 - das sind 7 Monate - hinreichend Gelegenheit, seine Verteidigung vorzubereiten.

Weshalb der Beschwerdeführer bei diesem Sachverhalt die Behauptung aufstellen kann, ihm sei nicht mitgeteilt worden, welche konkreten Vorwürfe gegen ihn erhoben wurden, ist unerfindlich.

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art6 Abs3 EMRK verletzt.

3.1. Der Beschwerdeführer behauptet weiters eine Verletzung in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art7 EMRK bzw. Art83 Abs2 B-VG, weil ihm keine Vorschrift bekannt sei, welche einen Antrag auf Übermittlung eines Aktes an den Disziplinarrat verbiete. Er habe keinen Vorwurf gegen Anwaltskollegen erhoben, sondern lediglich eine Überprüfung durch die Disziplinarbehörden beantragt. Seine Verurteilung sei ohne gesetzliche Grundlage erfolgt.

3.2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis VfSlg. 11.776/1988 darlegte, muss sich eine Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen Ehre und Ansehen des Standes auf gesetzliche Regelungen oder auf verfestigte Standesauffassungen - wofür Richtlinien oder die bisherige (Standes-)Judikatur von Bedeutung sind - stützen, die in einer dem Klarheitsgebot entsprechenden Bestimmtheit feststehen. Dem aus Art7 EMRK erfließenden Gebot entspricht die Behörde dann nicht, wenn sie sich - statt zu benennen, gegen welche konkrete Standespflicht ein inkriminiertes Verhalten verstößt - nur mit Rechtsprechungshinweisen begnügt.

Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Verurteilung des Beschwerdeführers stützt sich auf den zweiten Satz des §18 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977), dieser lautet:

"§18. Der Rechtsanwalt darf den Rechtsanwalt einer anderen Partei nicht umgehen und es auch nicht ablehnen, mit diesem zu verhandeln; er darf ihn weder unnötig in den Streit ziehen noch persönlich angreifen."

Die belangte Behörde hat sich bei der Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers im Rahmen dessen gehalten, was bei vernünftiger Interpretation der Begriffe "Ehre und Ansehen des Standes" für den Beschwerdeführer erkennbar sein musste, nämlich, dass er sich durch das in Streitziehen eines anderen Rechtsanwaltes einer Bestrafung aussetzt. Es kann der belangten Behörde aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn sie den Antrag des Beschwerdeführers der Ankündigung einer Disziplinaranzeige gleichhält.

Der angefochtene Bescheid steht daher im Lichte der zitierten Rechtsprechung mit dem aus Art7 EMRK erfließenden Klarheitsgebot im Einklang.

3.3. Wodurch Art83 Abs2 B-VG verletzt sein soll, legt die Beschwerde nicht dar und ist vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu diesem Recht (vgl. zB VfSlg. 15.372/1998, 15.482/1999, 15.738/2000, 15.858/2000, 16.066/2001, 16.079/2001, 16.298/2001, 16.717/2002, 16.737/2002) auch nicht nachvollziehbar.

4.1. Schließlich behauptet der Beschwerdeführer eine Verletzung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art4 des 7. ZP-EMRK, nicht wegen derselben strafbaren Handlung neuerlich bestraft zu werden. Begründend wird ausgeführt, dass die ihm nunmehr zur Last gelegte Tat inhaltlich mit denjenigen, die bereits seiner ersten Verurteilung (VfGH 13. Juni 2005, B1519/04) zugrunde lagen, identisch sei.

4.2. Wie der Beschwerdeführer selbst einräumt, handelt es sich im vorliegenden Fall um eine vom damaligen Vorwurf nicht umfasste Tat. Die mit Disziplinarerkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 19. November 2003 abgeurteilten Verfehlungen des Beschwerdeführers wurden in verschiedenen Verfahren und zu verschiedenen Tatzeiten - am 20. Februar 2002, am 5. März 2002 und am 3. Juli 2002 - begangen (VfGH 13. Juni 2005, B1519/04). Die mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid verurteilte Tat beging der Beschwerdeführer hingegen am 10. Juli 2002. Diese Tat stellt somit eine selbständige Pflichtenverletzung dar.

Die nunmehr zu beurteilende Tathandlung ist daher durch die Entscheidungen im vorhergehenden Verfahren nicht bereits rechtskräftig abgeurteilt, weshalb keine Verletzung des Doppelbestrafungsverbotes vorliegt.

5. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

6. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, fair trial, Doppelbestrafungsverbot, Klarheitsgebot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B3625.2005

Dokumentnummer

JFT_09939394_05B03625_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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