TE Vfgh Erkenntnis 1981/10/19 V1/81

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Veröffentlicht am 19.10.1981
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Index

L4 Innere Verwaltung
L4005 Prostitution, Sittlichkeitspolizei

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art118 Abs3 Z8
B-VG Art118 Abs6
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
MRK Art8
StGG Art5
Oö PolStG §2 Abs3
ProstitutionsV des Gemeinderates der Stadtgemeinde Bad Ischl vom 26.11.80 betr Ausübung der Prostitution in einem bestimmten Haus

Leitsatz

Art139 Abs1 B-VG; Individualantrag auf Aufhebung der Verordnung des Gemeinderates Bad Ischl vom 26. November 1980 betreffend Ausübung der Prostitution in einem bestimmten Haus; Legitimation gegeben; Voraussetzungen für die Erlassung der Verordnung nach §2 Abs3 Oö. Polizeistrafgesetz gegeben; keine Verletzung des Eigentumsrechtes

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Bad Ischl hat am 26. November 1980 nachstehenden Beschluß gefaßt:

"Verordnung

des Gemeinderates der Stadtgemeinde Bad Ischl vom 26. 11. 1980, betreffend das Verbot der Hingabe des eigenen Körpers zur sexuellen Befriedigung anderer Personen zu Erwerbszwecken.

Auf Grund des §2 Abs3 des Oö. Polizeistrafgesetzes, LGBl. Nr. 36/1979 wird verordnet:

§1

Die Hingabe des eigenen Körpers zur sexuellen Befriedigung anderer Personen zu Erwerbszwecken im Hause Bad Ischl, Bauerstraße 4, ist verboten.

§2

Wer diesem Verbot zuwiderhandelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu S 50.000,- zu bestrafen.

§3

Diese Verordnung tritt mit dem auf den Ablauf der Kundmachungsfrist folgenden Tag in Kraft."

Dieser Beschluß wurde durch Anschlag an der Gemeindeamtstafel in der Zeit vom 12. Dezember 1980 bis 7. Jänner 1981 kundgemacht.

In der Kundmachung wird die Fundstelle des Oö. Polizeistrafgesetzes mit "LGBl. Nr. 38/1979" angeführt.

2. Die Antragstellerin bringt vor, drei Räume im Haus Bad Ischl, Bauerstraße 4, gemietet zu haben. Sie sei als Prostituierte bei der Bezirkshauptmannschaft Gmunden registriert. In den genannten Räumen habe sie die Prostitution ausgeübt. Durch die Verordnung werde ihr die Ausübung der Prostitution verboten, weshalb sie unmittelbar in ihren Rechten verletzt sei.

Die Antragstellerin begehrt mit der vorliegenden, auf Art139 Abs1 letzter Satz B-VG gestützten Eingabe, die zitierte Verordnung zur Gänze aufzuheben.

3. Die Oö. Landesregierung und der Gemeinderat der Stadtgemeinde Bad Ischl haben Äußerungen erstattet, in denen sie die Gesetzmäßigkeit der bekämpften Verordnung verteidigen.

II. Der VfGH hat zur Frage der Zulässigkeit des Antrages erwogen:

1. Der bekämpfte Beschluß des Gemeinderates der Stadtgemeinde Bad Ischl vom 26. November 1980 ist eine Verordnung.

2. a) Voraussetzung der Antragslegitimation nach Art139 Abs1 letzter Satz B-VG ist, daß die bekämpfte Verordnung für den Antragsteller nicht bloß behaupteterweise, sondern tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides, wirksam geworden ist.

Anfechtungsberechtigt ist also von vornherein nur ein Rechtsträger, an oder gegen den sich die anzufechtende Verordnung wendet. Nicht jedem Normadressaten aber kommt diese Befugnis zu; es ist darüber hinaus erforderlich, daß der Eingriff in die Rechtssphäre der betreffenden Person unmittelbar durch die Verordnung selbst - tatsächlich - erfolgt ist. Wie der VfGH in ständiger Judikatur (zB VfSlg. 8396/1978) dargetan hat, ist ein unmittelbar durch die Verordnung erfolgter und (deswegen) die Antragslegitimation begründender Eingriff in die Rechtssphäre einer Person jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die generellen Rechtsnormen selbst eindeutig bestimmt ist und die (rechtlich geschützten) Interessen der betreffenden Person nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt.

Der VfGH hat weiters, beginnend mit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977, den in der weiteren Rechtsprechung (zB VfSlg. 8396/1978 und die dort zitierte Vorjudikatur) bekräftigten Standpunkt eingenommen, daß der durch die Art139 Abs1 und 140 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf nur dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht. Anderenfalls fehlt die Antragsberechtigung.

b) Die Antragslegitimation ist hier gegeben:

Die Beschwerdeführerin behauptet, daß ihr durch die Verordnung des Gemeinderates Bad Ischl vom 26. November 1980 (im folgenden kurz: PrV Bad Ischl) die bisher im Haus Bad Ischl, Bauerstraße 4, ausgeübte Prostitution verboten werde.

Der Beschwerdeführerin wird durch die angefochtene Verordnung tatsächlich untersagt, in der von ihr gemieteten Wohnung weiterhin die Prostitution auszuüben. Dieser Eingriff in ihre Rechtssphäre bedarf zu seinem Eintritt keines weiteren rechtskonkretisierenden Aktes; er ist, ohne daß es eines weiteren Rechtsaktes bedürfte, klar zu erkennen und beeinträchtigt die Rechtsposition der Antragstellerin aktuell.

Unter den Umständen des vorliegenden Falles kann der VfGH nicht finden, daß der Antragstellerin ein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung stünde, um die durch die behauptete Rechtswidrigkeit der Verordnung bewirkte Rechtsverletzung abzuwehren. Es wäre bei der Lage des Falles der Antragstellerin nicht zumutbar, durch Verstoß gegen die Verordnungsbestimmung des §1 PrV Bad Ischl ein Verwaltungsstrafverfahren nach §2 PrV Bad Ischl iVm §2 Abs3 und §10 Abs1 litb des Oö. Polizeistrafgesetzes, LGBl. 36/1979 (im folgenden kurz: Oö. PolStG), zu provozieren, um auf diese Art einen der Anfechtung zugänglichen Bescheid zu erwirken (vgl. VfSlg. 8396/1978, S 173).

3. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.

III. In der Sache selbst hat der VfGH erwogen:

1. Die PrV Bad Ischl wird auf §2 Abs3 Oö. PolStG gestützt.

Diese Gesetzesbestimmung lautet:

"Die Hingabe des eigenen Körpers zur sexuellen Befriedigung anderer Personen zu Erwerbszwecken kann von der Gemeinde für den Bereich bestimmter Gebäude, Gebäudeteile oder Gruppen von Gebäuden durch Verordnung untersagt werden, wenn durch diese Tätigkeit die Nachbarschaft unzumutbar belästigt, das örtliche Gemeinwesen gestört wird oder sonstige öffentliche Interessen, insbesondere solche der Ruhe, Ordnung und Sicherheit und des Jugendschutzes, verletzt werden. Wer einem solchen Verbot zuwiderhandelt, begeht eine Verwaltungsübertretung."

2. Die Antragstellerin begründet ihre Behauptung, die PrV Bad Ischl sei rechtswidrig, wie folgt:

a) Es seien die im §2 Abs3 Oö. PolStG umschriebenen Voraussetzungen für die Erlassung einer Verordnung, mit der die Prostitution in einem bestimmten Gebäude verboten wird, nicht vorgelegen.

b) Die PrV Bad Ischl verstoße gegen das Eigentumsrecht, da sie die aus dem bestehenden Mietvertrag erfließenden vermögenswerten Privatrechte der Antragstellerin verletze.

c) Die angefochtene Verordnung verstoße auch gegen Art8 MRK, wonach jedermann Anspruch auf Achtung seines Privatlebens hat.

d) Die die Verordnung tragende Gesetzesstelle sei in der Verordnungskundmachung unrichtig (nämlich LGBl. Nr. 38/1979 statt LGBl. Nr. 36/1979) zitiert.

e) §2 Abs3 Oö. PolStG, auf das die bekämpfte Verordnung gegründet werde, sei verfassungswidrig. Es handle sich nämlich um eine Regelung zivilrechtlichen Inhaltes.

f) Die angefochtene Verordnung hätte von der Gemeinde nicht im eigenen Wirkungsbereich erlassen werden dürfen, da nicht "das örtliche Gemeinschaftsleben" störende Mißstände vorgelegen seien.

3. Alle diese Bedenken treffen nicht zu:

a) In dem dem VfGH vorgelegten, die angefochtene Verordnung betreffenden Verwaltungsakt erliegt ein Auszug des Protokolles über die Sitzung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Bad Ischl vom 26. November 1980. Darin lautet es unter Punkt 10 "Oö.

Polizeistrafgesetz, Verbot der Prostitution":

"Im Objekt Bauerstraße 4 wird seit einiger Zeit von zwei Mieterinnen öffentliche Prostitution ausgeübt. Anrainer und Nachbarn aus der Bauerstraße und Kaltenbachstraße hatten Beschwerde geführt, daß sie durch diese Tätigkeit während der Nacht in unzumutbarer Weise belästigt werden, das öffentliche Gemeinleben gestört wird und die Sicherheit und Ordnung gefährdet bzw. verletzt werden."

In der Beilage zum Gemeinderatsprotokoll werden diese Ausführungen konkretisiert.

In der in diesem verfassungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Äußerung des Gemeinderates vom 7. Mai 1981 wird - unbestritten - folgendes ausgeführt:

"Zu den Behauptungen der Antragstellerin, daß es in ihrem Wohngebiet vor Erlassung der Verordnung zu keiner Störung des Gemeinwesens gekommen ist, wird mitgeteilt, daß man sich auf Grund der nachangeführten Vorkommnisse und der zahlreichen Anrufe beim Bürgermeister, Amtsdirektor und der städt. Sicherheitswache, die auf die nächtlichen Ruhestörungen durch schreiende Betrunkene und PKW-Motorenlärm hinwiesen und Abhilfe forderten, gezwungen sah, die zit. Verordnung zu erlassen.

Am 25. 8. 1980, 05.05 Uhr, hat D. nach einer lautstarken Auseinandersetzung, wobei W. H. den polizeibekannten A. W. niedergeschlagen und mit dem Leben bedroht hat, nur mit einem Pulli und Slip bekleidet, die Wohnung Bauerstraße 4 verlassen und sich zum Gendarmeriepostenkommando Bad Ischl begeben (GPK. Bad Ischl, E.Nr. 3942/80 vom 27. 9. 1980). Laut einem Aktenvermerk beim GPK. Bad Ischl kam es am 18. 4. 1980 um 19.00 Uhr in der Bauerstraße beim Hause Nr. 4 zu einer lautstarken Szene, weil M. D. sich weigerte, mit ihrer Schwester, die sie von der Prostitution abhalten wollte, nach Braunau zu fahren.

Andere Vorfälle, bei denen die Anzeiger nicht genannt werden wollten, waren folgende:

In den Sommermonaten 1980 wurde wiederholt fernmündlich bei der städt. Sicherheitswache um polizeiliches Einschreiten ersucht, weil verschiedene Personen durch Laufenlassen der PKW-Motoren, Zuschlagen von Autotüren und lautes Geschrei betrunkener Männer, die zu der Prostituierten wollten, aus dem Schlafe geweckt wurden. Bis zum Einschreiten haben sich diese ruhestörenden Personen zumeist entfernt und wurden die gemeldeten Übelstände nicht aktenkundig gehalten.

In der Nachbarschaft wurde oftmals durch Betrunkene die Nachtruhe gestört, weil die Hausglocke dauernd betätigt wurde, um Auskunft über die Prostituierten zu erhalten.

Mit einer schriftlichen Eingabe an den Bürgermeister wurde Beschwerde geführt, daß des öfteren während der Nachtstunden durch Lärm und durch betrunkene "Freier" die Nachtruhe gestört werde.

Die geschilderten Vorfälle fanden alle vor Erlassung der Verordnung durch den Gemeinderat statt. Da sie das öffentliche Gemeinwesen störten und die Nachbarschaft unzumutbar belästigten, sah man sich zu dieser Maßnahme gezwungen."

Der VfGH sieht keine Veranlassung, an der Richtigkeit der obigen Ausführungen zu zweifeln, zumal sie die Antragstellerin unerwidert gelassen hat.

Auf Grund dieses Sachverhaltes konnte die Behörde mit Recht annehmen, daß durch die Begleitumstände, die mit der Ausübung der Prostitution in Bad Ischl, Bauerstraße 4, verbunden sind, zumindest die Nachbarschaft unzumutbar belästigt wird, dies unabhängig davon, wer dort der Prostitution nachgeht.

Die Voraussetzungen des §2 Abs3 Oö. PolStG lagen sohin vor.

b) Das durch Art5 StGG gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums steht unter dem Gesetzesvorbehalt. Ein solches Recht kann durch ein Gesetz im formellen Sinn (hier durch die PrV Bad Ischl) eingeschränkt werden (vgl. zB VfSlg. 7969/1976, S 521 f.). Eine Verletzung des Eigentumsrechtes liegt sohin nicht vor.

c) Die PrV Bad Ischl untersagt - in Übereinstimmung mit §2 Abs3 Oö. PolStG - lediglich die gewerbsmäßige Prostitution in einem bestimmten Gebäude. Die Gewerbsmäßigkeit der Ausübung bringt es notwendigerweise mit sich, daß sie von der Öffentlichkeit bemerkt wird. Die Verordnung erfaßt daher nur solche Formen der Prostitution, die der Öffentlichkeit gegenüber in Erscheinung treten; daraus ergibt sich, daß die Verordnung die dem Schutz des Art8 MRK unterliegende Privatsphäre gar nicht berührt (vgl. VfSlg. 8445/1978, S 381, 8763/1980 und 8907/1980).

d) Das B-VG enthält keine Bestimmung, daß eine Verordnung ihre gesetzliche Grundlage anführen müsse. Es genügt vielmehr, wenn eine gesetzliche Bestimmung, der gegenüber die Vorschrift als Durchführungsverordnung gelten kann, überhaupt besteht (vgl. zB VfSlg. 2773/1954). Wie oben nachgewiesen, führt die PrV Bad Ischl §2 Abs3 Oö. PolStG durch.

e) Der VfGH teilt die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Bedenken, die die angefochtene Verordnung tragende Gesetzesstelle sei verfassungswidrig, weil zu ihrer Erlassung nicht der Landes-, sondern der Bundesgesetzgeber zuständig gewesen sei, nicht.

Das Oö. PolStG regelt in seinem §2 Abs3 ausschließlich solche Akte der Ausübung der Prostitution, die in der Öffentlichkeit bemerkbar sind. Wie bereits oben dargetan, bringt es die Gewerbsmäßigkeit der Ausübung nämlich notwendigerweise mit sich, daß sie der Öffentlichkeit gegenüber in Erscheinung tritt. Diese Bestimmung zählt daher zur Regelungsmaterie "Sittlichkeitspolizei" iS des Art118 Abs3 Z8 B-VG. Die Sittlichkeitspolizei fällt in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder nach Art15 Abs1 B-VG. Der Landesgesetzgeber war daher zur Erlassung der zitierten Bestimmung zuständig (vgl. VfSlg. 8445/1978, S 380 f. und die dort zitierte Vorjudikatur).

f) Die PrV Bad Ischl ist keine selbständige (ortspolizeiliche) Verordnung iS des Art118 Abs6 B-VG, sondern eine Durchführungsverordnung iS des Art18 Abs2 B-VG. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, daß sie im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde erlassen wurde: Wie in der vorstehenden lite nachgewiesen wurde, regelt die PrV Bad Ischl - in Übereinstimmung mit §2 Abs3 Oö. PolStG - Angelegenheiten der "Sittlichkeitspolizei", die nach Art118 Abs3 Z8 B-VG der Gemeinde zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich gewährleistet ist. §11 Abs1 Oö. PolStG verfügt daher auch, daß unter anderem die in §2 Abs3 vorgesehene Aufgabe im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde wahrzunehmen ist; dagegen bestehen nach dem Gesagten keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

4. Die von der Antragstellerin vorgebrachten Bedenken treffen sohin nicht zu.

Der Antrag war daher abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Prostitution, Sittlichkeitspolizei

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:V1.1981

Dokumentnummer

JFT_10188981_81V00001_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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