TE Vfgh Erkenntnis 1981/10/21 V48/79

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.10.1981
beobachten
merken

Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz lita
Tir RaumOG 1972 §6 Abs1
Tir RaumOG 1972 §10 Abs2
Tir BauO §4 Abs1
Tir BauO §27, §28
VfGG §57 Abs1

Leitsatz

Art139 Abs1 B-VG; Individualantrag auf Aufhebung des Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Kartitsch vom 20. Dezember 1977; Legitimation teilweise gegeben; Tir. Raumordnungsgesetz; das Fehlen eines Entwicklungsprogrammes bewirkt nicht die Gesetzwidrigkeit eines Flächenwidmungsplanes

Spruch

1. Der Antrag auf Aufhebung des Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Kartitsch vom 20. Dezember 1977 wird, soweit dieser nicht die Widmung des südlichen Teiles des Grundstückes 712/2 KG Kartitsch als Parkplatz zum Gegenstand hat, zurückgewiesen.

2. Der Antrag, den Flächenwidmungsplan der Gemeinde Kartitsch vom 20. Dezember 1977 aufzuheben, wird, soweit er die Widmung des südöstlichen Teiles des Grundstückes 712/2 KG Kartitsch als Parkplatz zum Gegenstand hat, abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Mit der als "Beschwerde gemäß Art139 B-VG" bezeichneten Eingabe begehrt der Antragsteller die Aufhebung des am 20. Dezember 1977 vom Gemeinderat der Gemeinde Kartitsch beschlossenen Flächenwidmungsplanes. Er sei Eigentümer des Grundstückes 712/2 KG Kartitsch, dessen südlicher Teil durch den Flächenwidmungsplan ungeachtet seines Einspruches als Parkplatz gewidmet worden sei. Hiedurch werde er im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums unmittelbar verletzt, da er nicht mehr in der Lage sei, über das genannte Grundstück, soweit auf diesem ein Parkplatz widmungsgemäß vorgesehen sei, entsprechende Verfügungen zu treffen; im Falle des Verkaufes beeinträchtige die Widmung den Kaufpreis, Baumaßnahmen seien nicht mehr zulässig.

Der Flächenwidmungsplan sei gesetzwidrig, da ein Entwicklungsplan iS des §4 des Tir. Raumordnungsgesetzes vom 6. Dezember 1971, LGBl. 10/1972, idF der Raumordnungsgesetznovellen vom 11. Juli 1973, LGBl. 70, und vom 7. Juli 1976, LGBl. 63 (künftig TROG), nicht erlassen worden sei. Nach §6 Abs1 TROG dürften Verordnungen auf Grund von Landesgesetzen nur im Einklang mit den Zielen der überörtlichen Raumordnung erlassen werden, fehle also ein Entwicklungsprogramm, so sei eine "hinreichende materiell-rechtliche Determinierung eines Flächenwidmungsplanes" nicht gegeben. Der Antragsteller begehrt, den angefochtenen Flächenwidmungsplan als gesetzwidrig aufzuheben.

2. a) Die Gemeinde Kartitsch verteidigt den angefochtenen Flächenwidmungsplan unter Hinweis auf §10 TROG. Nach dieser Bestimmung dürfen Flächenwidmungspläne den Entwicklungsprogrammen nicht widersprechen. Da für den Planungsbereich Kartitsch ein Entwicklungsprogramm nicht bestehe, könne ein Widerspruch nicht vorliegen.

b) Auch die Tir. Landesregierung begehrt in der von ihr erstatteten Äußerung die Abweisung des Individualantrages.

3. Wie sich aus dem die Erlassung des Flächenwidmungsplanes betreffenden Akt und den vorgelegten Planunterlagen ergibt, ist das im Eigentum des Antragstellers stehende Grundstück 712/2 hinsichtlich seines südöstlichen Teiles in einem Umfang von ca. 5 bis 8% der Fläche des gesamten Grundstückes als Parkplatz, im übrigen in ungefähr dem gleichen Ausmaß teilweise als Bauland und teilweise als Freiland gewidmet.

4. Bei der mündlichen Verhandlung hat der Antragsteller zusätzlich zu seinem schriftlichen Vorbringen im Normenprüfungsantrag als neues Bedenken geltend gemacht, daß der bekämpfte Flächenwidmungsplan mit den gesetzlichen Planungszielen der örtlichen Raumordnung gemäß §8 Abs2 TROG im Widerspruch stehe. Gemäß §57 Abs1 zweiter Satz VerfGG hat jedoch ein Antrag auf Aufhebung einer Verordnung die gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung sprechenden Bedenken im einzelnen darzulegen; dies bewirkt nicht nur, daß nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH das Fehlen der Darlegung der Bedenken zur Zurückweisung des Antrages führt (VfGH 2. 12. 1980 G73/77, V43/77, VfSlg. 8863/1980), sondern auch, daß auf Bedenken, die bei einer Verhandlung über den Normenprüfungsantrag (neu) vorgebracht werden, obwohl sie im Antrag gar nicht geltend gemacht wurden, vom VfGH nicht einzugehen ist. Dies trifft auf das Vorbringen des Antragstellers bei der mündlichen Verhandlung, daß als zusätzliches, im Normenprüfungsantrag nicht erhobenes Bedenken die Gesetzmäßigkeit des Flächenwidmungsplanes auch deshalb bekämpft werde, weil dieser den gesetzlichen Planungszielen der örtlichen Raumordnung widerspreche, zu, sodaß auf diese Vorbringen nicht weiter einzugehen ist.

II. Der VfGH hat über die Zulässigkeit des Antrages erwogen:

1. Nach §57 Abs1 erster Satz VerfGG muß ein Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, begehren, daß entweder die Verordnung ihrem ganzen Inhalt nach oder daß bestimmte Stellen der Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben werden. Vom Antragsteller wird die Aufhebung des Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Kartitsch vom 20. Dezember 1977, dem nach der ständigen Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes die Eigenschaft einer Verordnung iS des Art139 B-VG zukommt (vgl. VfSlg. 8119/1977), begehrt. Damit wird der Umfang des vom Antragsteller gestellten Begehrens, dem §57 Abs1 erster Satz VerfGG entsprechend, bestimmt.

2. Voraussetzung der Antragslegitimation ist, wie der VfGH in ständiger Rechtsprechung seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 ausgesprochen hat, daß der Antragsteller durch das bekämpfte Gesetz (die bekämpfte Verordnung) im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit (Gesetzwidrigkeit) in seinen Rechten nicht nur behaupteterweise, sondern tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides, verletzt worden ist.

Der Antragsteller führt aus, daß er Eigentümer des Grundstückes 712/2 KG Kartitsch ist, dessen südlicher Teil durch den Flächenwidmungsplan die Widmung "Parkplatz" erhält, sodaß für ihn auf diesem Grundstücksteil Baumaßnahmen nicht mehr zulässig seien. Für den als "Parkplatz" gewidmeten Teil des dem Antragsteller gehörigen Grundstückes 712/2 KG Kartitsch trifft dessen Behauptung zu, daß in seine Rechtssphäre in einer nach Art139 B-VG geforderten Art eingegriffen worden ist, da für ihn künftig die Errichtung baulicher Anlagen unzulässig ist (§4 Abs1 der Tir. Bauordnung, LGBl. 43/1978).

Soweit die Aufhebung des Flächenwidmungsplanes vom Antragsteller begehrt wird, obwohl sein Grundstück durch die Widmung zum "Parkplatz" gar nicht berührt wird, versteht der VfGH das Vorbringen als Antrag, den Flächenwidmungsplan in Anwendung des Art139 Abs3 lita B-VG zur Gänze aufzuheben, da sich der behauptete Mangel des Fehlens einer gesetzlichen Grundlage auf die ganze Verordnung erstrecke. Dieses Begehren erweist sich jedoch schon deshalb als unzulässig, weil den Parteien eines Verfahrens ein Anspruch auf ein Vorgehen des VfGH nach Art139 Abs3 lita B-VG nicht zusteht; die Voraussetzungen des Art139 Abs3 lita B-VG sind nur von Amts wegen wahrzunehmen.

Der Antrag, den Flächenwidmungsplan der Gemeinde Kartitsch vom 20. Dezember 1977 aufzuheben, war demnach, soweit Gegenstand desselben nicht der als "Parkplatz" gewidmete südöstliche Teil des dem Antragsteller als Eigentümer gehörigen Grundstückes 712/2 KG Kartitsch ist, zurückzuweisen.

3. Durch den Antrag, den Flächenwidmungsplan der Gemeinde Kartitsch vom 20. Dezember 1977 aufzuheben, werden, soweit er die Widmung eines Teiles des Grundstückes 712/2 KG Kartitsch als Parkplatz bekämpft, auch die weiteren Voraussetzungen eines Individualantrages, daß der Eingriff durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist und die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden, erfüllt. Dem Antragsteller steht auch ein anderer zumutbarer Weg der Geltendmachung der behaupteten Rechtswidrigkeit nicht zur Verfügung. In Betracht käme nach §§27 und 28 der Tir. Bauordnung nur ein förmliches Baubewilligungsansuchen. Es kann jedoch, wie der VfGH wiederholt ausgesprochen hat (vgl. VfSlg. 8463/1978, 8697/1979), vom Antragsteller nicht erwartet werden, daß er allein für diesen Zweck die nach der Tir. Bauordnung für ein Bauansuchen erforderlichen Planunterlagen anfertigen ließe.

Der Antrag auf Aufhebung des Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Kartitsch vom 20. Dezember 1977 ist daher, soweit dieser die Widmung des Grundstückes 712/2 KG Kartitsch zum "Parkplatz" zum Gegenstand hat, zulässig.

III. Der VfGH hat über den Antrag - soweit er zulässig ist - in der Sache selbst erwogen:

1. Gegen die Gesetzmäßigkeit des angefochtenen Flächenwidmungsplanes wird vom Antragsteller unter Berufung auf das Erk. des VfGH VfSlg. 8280/1978 geltend gemacht, daß dem Gebot des §6 Abs1 TROG, wonach Verordnungen auf Grund von Landesgesetzen nur im Einklang mit den Zielen der überörtlichen Raumordnung erlassen werden dürfen, nicht entsprochen sein könnte, wenn für den in Frage stehenden Planungsbereich ein Entwicklungsprogramm nicht erlassen worden sei. Da der Tir. Landesgesetzgeber ausdrücklich darauf abgestellt habe, daß Verordnungen auf Grund von Landesgesetzen nur im Einklang mit den Zielen der überörtlichen Raumordnung erlassen werden dürfen, setze die Erlassung eines Flächenwidmungsplanes voraus, daß entsprechende Entwicklungsprogramme in Form von Verordnungen Rechtswirksamkeit erlangt haben. Fehle ein solches Entwicklungsprogramm, so mangle einem dennoch erlassenen Flächenwidmungsplan eine hinreichende materiellrechtliche Determinierung und sei dieser damit gesetzwidrig.

2. Die Bedenken des Antragstellers treffen nicht zu. Gemäß §10 Abs2 TROG dürfen Flächenwidmungspläne bestehenden Gesetzen und Verordnungen des Bundes und des Landes, insbesondere Entwicklungsprogrammen (§4) nicht widersprechen. §6 Abs1 TROG, wonach Verordnungen auf Grund von Landesgesetzen nur im Einklang mit den Zielen der überörtlichen Raumordnung erlassen werden dürfen, ist, wie sich aus §10 Abs2 leg. cit. ergibt, nicht dahin zu verstehen, daß die Gesetzmäßigkeit eines Flächenwidmungsplanes die rechtswirksame Erlassung eines Entwicklungsprogrammes zur Voraussetzung hat. Das Fehlen eines Entwicklungsprogrammes kann demnach die Gesetzwidrigkeit eines Flächenwidmungsplanes nicht bewirken (s. insbesondere auch VfSlg. 8701/1979).

Damit trifft aber das gegen die Gesetzmäßigkeit des angefochtenen Flächenwidmungsplanes alleine geltend gemachte Bedenken nicht zu. Der Antrag war daher, soweit er zulässig war, als unbegründet abzuweisen.

Schlagworte

Raumordnung, Flächenwidmungsplan, VfGH / Individualantrag, VfGH / Formerfordernisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:V48.1979

Dokumentnummer

JFT_10188979_79V00048_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten