TE Vfgh Erkenntnis 1981/12/3 B544/79

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Veröffentlicht am 03.12.1981
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art83 Abs2
VStG §51 Abs3

Leitsatz

VStG 1950; unzulässige Zurückweisung einer ohne Aufnahme einer Niederschrift gemäß §51 Abs3 mündlich eingebrachten Berufung; Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Die Bundespolizeidirektion Wien (Bezirkspolizeikommissariat Alsergrund) verhängte mit Straferkenntnis vom 22. August 1979, Z PSt 7000/A/79, über E. K. wegen einer Verwaltungsübertretung nach §20 Abs2 StVO 1960 iVm §99 Abs3 lita StVO 1960 eine Geldstrafe von 500 S, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzarreststrafe von sechsunddreißig Stunden.

1.2. Die vom Beschuldigten gegen diesen Bescheid ergriffene Berufung wurde mit Bescheid der Wr. Landesregierung vom 24. Oktober 1979, Z MA 70-IX/K 592/79/Str., gemäß §66 Abs4 AVG 1950 als unzulässig zurückgewiesen.

Die Begründung des Berufungsbescheides lautet wörtlich:

"Das Straferkenntnis wurde am 28. 8. 79 mit der Wirkung der Zustellung beim Postamt hinterlegt (Ersatzzustellung nach §23 Abs4 AVG 1950).

Nach der zwingenden Vorschrift des §63 Abs3 AVG 1950, welche Vorschrift nach §24 VStG 1950 auch im Verwaltungsstrafverfahren bei schriftlichen Berufungen Anwendung zu finden hat, muß die Berufung nicht nur den Bescheid bezeichnen, gegen den sie sich richtet, sondern auch einen begründeten Berufungsantrag enthalten. Die schriftliche Berufung vom 4. 9. 79 enthält einen solchen begründeten Berufungsantrag nicht. Mangels dieser Voraussetzung war die Berufung als unzulässig zurückzuweisen."

1.3.1. Gegen den Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des E. K. an den VfGH, in der die Verletzung insbesondere des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, ferner hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH begehrt wird.

1.3.2. Die Wr. Landesregierung als belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und beantragte darin die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 7078/1973, 7508/1975, 8047/1977) unter anderem dann verletzt, wenn die Behörde eine Sachentscheidung gesetzwidrigerweise verweigert.

Der angefochtene Bescheid, mit dem die Berufung des Beschwerdeführers als unzulässig zurückgewiesen wurde, enthält eine Verweigerung der Sachentscheidung.

2.1.2. Der VfGH hatte daher zu prüfen, ob die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers zu Recht zurückwies.

2.2.1. Gemäß §51 Abs3 VStG 1950 kann im Verwaltungsstrafverfahren die Berufung auch mündlich eingebracht werden und bedarf es in diesem Falle keines begründenden Berufungsantrages.

Der Beschwerdeführer behauptet ausdrücklich, gegen das Straferkenntnis vom 22. August 1979 mündlich Berufung erhoben zu haben. In der Beschwerde wird hiezu wörtlich ausgeführt:

"Dieses Straferkenntnis wurde am 28. 8. 1979 mit der Wirkung der Zustellung beim Postamt hinterlegt.

Innerhalb offener Frist, und zwar am 4. 9. 1979, begab sich der Beschwerdeführer mit der Ausfertigung dieses Straferkenntnisses wiederum zum Bezirkspolizeikommissariat Alsergrund. Er begab sich in das Zimmer des Referenten Dr. G., welchem er bereits den Einspruch gegen die Strafverfügung vorgetragen hatte. In diesem Zimmer traf er Herrn Dr. G. nicht an, sondern lediglich die Beamtin, welche ihm bereits von der vorangegangenen Vorsprache bei Herrn Dr. G. bekannt war. Dieser gegenüber erklärte er, daß er gegen das vorliegende Straferkenntnis Berufung erhebe. Die Beamtin belehrte ihn, er möge auf der Rückseite des ihm zugestellten Straferkenntnisses das Wort 'Berufung' hinschreiben und hienach seine Unterschrift anbringen. Der Einschreiter wollte, wie bereits beim Einspruch, die Gründe darlegen, aus welchen er das ergangene Straferkenntnis für unrichtig hielt. Aus diesem Grund hatte er nach dem Wort 'Berufung' bereits einen Doppelpunkt gesetzt. Die Beamtin wies ihn jedoch an, daß eine Begründung für die Berufung zu unterbleiben habe, und ersuchte ihn, die ihm zugestellte Ausfertigung des Straferkenntnisses, nun mit der Bemerkung 'Berufung:' und seiner Unterschrift versehen, bei der Einlaufstelle abzugeben. Dies geschah dann auch."

2.2.2. Der VfGH nimmt den vom Beschwerdeführer geschilderten Sachverhalt als erwiesen an. Im Verwaltungsakt findet sich, wie in der Beschwerde behauptet, nach dem postalischen Hinterlegungsnachweis das an den Beschwerdeführer ergangene Straferkenntnis, welches unmittelbar anschließend an die Begründung den handschriftlich angebrachten Vermerk "Berufung:" aufweist. Nach einem frei verbliebenen Raum, der für eine gedrängte Begründung jedenfalls ausgereicht hätte, findet sich das ebenfalls eigenhändig geschriebene Datum "4. 9. 79" sowie die Unterschrift des Beschwerdeführers. Schon auf Grund dieser Anordnung der handschriftlichen Vermerke des Beschwerdeführers liegt der Schluß nahe, daß ein Gespräch, wie es in der Beschwerde dargelegt wird, stattgefunden hat. Das Vorbringen des Beschwerdeführers kann im gegebenen Zusammenhang Glaubwürdigkeit zusätzlich deshalb in Anspruch nehmen, als sich aus dem Akt erweist, daß der Beschwerdeführer auch den Einspruch gegen die seinerzeitige Strafverfügung handschriftlich auf der Rückseite sachlich begründete, obwohl dies nicht erforderlich war. Eine Abstandnahme von der Ausführung der offensichtlich beabsichtigten Begründung der Berufung ist daher nur im Zusammenhang mit einem hierüber stattgefundenen Gespräch bei der Behörde erklärbar, dessen Inhalt die Erhebung der Berufung gegen das Straferkenntnis gewesen sein muß. Dafür spricht schließlich auch, daß selbst die belangte Behörde in der Gegenschrift der Sachverhaltsschilderung des Beschwerdeführers nicht entgegentritt. Der VfGH nimmt weiters als erwiesen an, daß der Beschwerdeführer die mündliche Erklärung, Berufung zu erheben, gegenüber einer ihm aus dem vorangegangenen Verfahren bereits bekannten und von ihm im Zimmer des zuständigen Strafreferenten angetroffenen Beamtin abgegeben hat und daß diese, wie sich aus der, wenn auch unrichtigen Rechtsbelehrung an ihn ergibt, sich nicht als in der Sache unzuständig erklärte.

2.2.3. Die belangte Behörde vermeint allerdings, daß es im gegebenen Zusammenhang an den formalen Voraussetzungen einer mündlichen Berufung mangle, da diese, um als rechtswirksam erhoben angesehen werden zu können, der Festhaltung in einer Niederschrift (§14 Abs1 AVG 1950) bedurft hätte.

Dieser Ansicht der belangten Behörde kann jedoch nicht gefolgt werden. Gemäß §14 Abs1 AVG 1950, welche Bestimmung auch im Verwaltungsstrafverfahren (vgl. §24 VStG 1950) Anwendung zu finden hat, sind mündliche Anbringen von Beteiligten - hiezu zählt auch die Einbringung einer mündlichen Berufung im Verwaltungsstrafverfahren - erforderlichenfalls ihrem wesentlichen Inhalt nach in einer Niederschrift festzuhalten. Der VwGH hat mit Erk. VwSlg. 5522 A/1961 hieraus abgeleitet und ausgesprochen, daß aus der Tatsache, daß über eine mündliche Berufungserhebung keine Niederschrift aufgenommen wurde, nur folgt, daß die Behörde ihrer in §14 AVG festgelegten Aufgabe nicht nachgekommen ist. Auch der VfGH ist der Ansicht, daß die Unterlassung der Behörde, eine Niederschrift über eine mündliche Berufung aufzunehmen, an deren Rechtswirksamkeit nichts ändert.

Rechtlich kann das festgestellte Geschehen nur als bei der Behörde erster Instanz eingebrachte mündliche Berufung gegen einen von dieser Behörde erlassenen Bescheid verstanden werden.

Vermerkt sei, daß sich der vorliegende Beschwerdefall von dem dem Erk. des VwGH vom 27. 11. 1963, Z 59/62, zugrunde liegenden Sachverhalt schon insoweit abhebt, als von einer Weigerung des zuständigen Referenten, eine mündlich erhobene Berufung zur Kenntnis zu nehmen, im vorliegenden Beschwerdefall keine Rede sein kann.

3.1. Da die belangte Behörde demnach eine Sachentscheidung gesetzwidrigerweise verweigert hat, ist der Beschwerdeführer durch den von ihm bekämpften Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden. Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Berufung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B544.1979

Dokumentnummer

JFT_10188797_79B00544_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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