TE Vfgh Erkenntnis 1982/2/26 B502/80

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.02.1982
beobachten
merken

Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht

Norm

StGG Art8
FremdenpolizeiG §11 Abs2
PersFrSchG §4

Leitsatz

Fremdenpolizeigesetz; Verhängung der Schubhaft ohne vorangegangenen Schubhaftbescheid; Verletzung der persönlichen Freiheit

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die am 23. September 1980 gegen 09,30 Uhr über Auftrag der Bezirkshauptmannschaft Bregenz von einem Gendarmeriebeamten in Höchst vorgenommene Festnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Gegen ihn wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vbg. vom 13. August 1980 gemäß §3 Abs1 iVm §4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954 (FrPolG), ein bis zum 31. Dezember 1985 befristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Gebiet der Republik Österreich erlassen. Der Bescheid erwuchs durch die am 22. August 1980 erfolgte Zustellung in Rechtskraft.

Da der Beschwerdeführer entgegen dem §6 FrPolG (wonach der Fremde, gegen den ein Aufenthaltsverbot erlassen worden ist, das Gebiet, in dem ihm der Aufenthalt verboten ist, innerhalb einer Woche nach Rechtskraft des Bescheides zu verlassen hat) in Österreich verblieb, wurde er am 23. September 1980 um etwa 09,30 Uhr über schriftlichen Auftrag der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 8. September 1980 von einem Beamten des Gendarmeriepostenkommandos Höchst festgenommen und der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vorgeführt. Dort wurde ihm nach niederschriftlicher Einvernahme um etwa 10,15 Uhr der mit demselben Tag datierte Bescheid dieser Behörde ausgefolgt. Mit diesem Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß §5 Abs1 FrPolG mit sofortiger Wirkung die vorläufige Verwahrung (Schubhaft) zur Sicherung der Abschiebung angeordnet; die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung wurde gemäß §64 Abs2 AVG ausgeschlossen.

Der Beschwerdeführer wurde sodann in den Landesarrest in Bludenz abgegeben. Über Auftrag des Bundesministeriums für Inneres wurde der Beschwerdeführer am 24. September 1980 um 11,00 Uhr aus der Haft entlassen und ihm in der Folge gemäß §6 Abs2 FrPolG ein Vollstreckungsaufschub bewilligt.

2. Die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde wendet sich gegen die am 23. September 1980 vorgenommene Festnahme. Der Beschwerdeführer behauptet, durch diese Maßnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden zu sein und verweist zur Begründung auf das hg. Erk. VfSlg. 8038/1977.

3. Die belangte Behörde hat die bezughabenden Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch keine Gegenschrift erstattet.

II. Der VfGH hat erwogen:

a) Gemäß §5 Abs1 FrPolG kann ein Fremder (der Beschwerdeführer ist ein solcher, da er die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt - §1 FrPolG) unter anderem zur Sicherung der Abschiebung vorläufig in Verwahrung genommen werden (Schubhaft), wenn dies im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder aus dem Grunde notwendig erscheint, um ein unmittelbar zu befürchtendes strafbares Verhalten des Fremden zu verhindern. Die Schubhaft ist, wie sich aus §11 Abs2 FrPolG ergibt, mit Bescheid anzuordnen. Die Verhängung der Schubhaft schließt auch die Festnahme ein (vgl. zB VfSlg. 8038/1977 und die dort zitierte Vorjudikatur).

Eine Festnahme, die dazu dient, einen Fremden in Schubhaft zu nehmen, darf also nur erfolgen, wenn sie durch einen Bescheid verfügt worden ist.

b) Diese Voraussetzung wurde hier nicht erfüllt: Der Beschwerdeführer wurde am 23. September 1980 um 09,30 Uhr von einem Gendarmeriebeamten festgenommen, ohne daß zuvor ein Schubhaftbescheid erlassen worden wäre. Der Schubhaftbescheid wurde erst etwa eine Stunde nach dieser Festnahme von der Behörde ausgefertigt und dem Beschwerdeführer zugestellt. Unter diesen Umständen ist es - zum Unterschied von jenen, die dem Erk. VfSlg. 4193/1962 zugrundelagen - ausgeschlossen, dem Schubhaftbescheid ua. den Inhalt beizumessen, daß mit ihm die Rechtmäßigkeit der bereits erfolgten Festnahme bestätigt worden wäre; die Behörde hat dies - wie sich aus dem Wortlaut des Bescheides und dem Verwaltungsgeschehen ergibt - auch gar nicht beabsichtigt (vgl. VfSlg. 8038/1977; diesem Erk. lag ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde).

c) Nach §4 des im Verfassungsrang stehenden Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt (nur) in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Ein solcher Fall lag hier nicht vor: Wie in der vorstehenden litb dargetan wurde, konnte die Festnahme des Beschwerdeführers mangels eines vorangegangenen förmlichen Schubhaftbescheides nicht auf das FrPolG gestützt werden. Eine andere gesetzliche Grundlage (etwa §35 VStG) war nicht gegeben; dies wird auch von der belangten Behörde gar nicht behauptet.

d) Es war sohin festzustellen, daß der Beschwerdeführer durch den bekämpften individuellen Verwaltungsakt, der in Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgte, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden ist.

Schlagworte

Fremdenpolizei, Schubhaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B502.1980

Dokumentnummer

JFT_10179774_80B00502_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten