TE Vfgh Erkenntnis 1982/3/2 B443/77

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Veröffentlicht am 02.03.1982
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Sachentscheidung / Prüfungsmaßstab
StGG Art14
ZivildienstG §2 Abs1

Leitsatz

Zivildienstgesetz; keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung; keine Gleichheitsverletzung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer beantragte mit Eingabe an das Militärkommando Stmk. unter Bezugnahme auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes-ZDG, BGBl. 187/1974, die Befreiung von der Wehrpflicht und brachte im wesentlichen folgendes vor: Es sei für ihn unvorstellbar, einen Meinungsgegner mittels Gewalt - noch weniger mittels Waffengewalt - von seiner Meinung zu überzeugen. Noch dazu, wenn der andere durch ihn körperlichen Schaden erleiden könnte. Außerdem stehe seine Lebenseinstellung in krassem Widerspruch zu der von ihm durch den Wehrdienst geforderten Aufgabe, nämlich möglichst perfekte Kenntnisse im Fachgebiet der Vernichtung menschlichen Lebens zu erwerben. Jeder Mensch besitze das Recht, sein Leben nach eigenem Ermessen zu gestalten, sofern sich dieses im gesetzlichen Rahmen halte. Von diesem Recht mache er Gebrauch, wenn er um Stattgebung seines Antrages zur Ausübung des Zivildienstes anstelle des Wehrdienstes ersuche.

2. Die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDK) führte sodann Erhebungen über die Person des Beschwerdeführers durch. Sie ergaben (abgesehen von einer geringfügigen Verwaltungsübertretung nach dem Stmk. Jugendschutzgesetz) nichts Nachteiliges. In der mündlichen Verhandlung vor der ZDK, Senat 2, bezog sich der Beschwerdeführer auf seinen schriftlichen Antrag und brachte weiters folgendes vor: Er lehne Gewaltanwendung zur Lösung von Problemen auch im privaten Bereich ab und würde Notwehr nur für den Fall üben, daß eine gewaltsame Abwehr eines Angriffes unbedingt erforderlich sei. Im Falle eines Angriffes auf unser Land würde er jeden aktiven Widerstand ablehnen, was aber nicht bedeute, daß sich das Land seiner Meinung nach ergeben solle. Es müßte im Falle einer Besetzung passiven Widerstand üben und sich Anordnungen der Besatzungsmacht widersetzen. Er selbst habe diese Ansichten schon öfters im privaten Freundeskreis geäußert. Er habe vor rund drei Jahren eine Rauferei gehabt, bei der er seinem Gegner einen Zahn ausgeschlagen habe. Er sei deswegen gerichtlich zur Verantwortung gezogen worden und habe Schadenersatz in der Höhe von 1.700 S zahlen müssen. Dieser Vorfall habe ihn in der Folge nachdenklich gemacht und ihn in der heute dokumentierten Weise motiviert.

3. Mit Bescheid vom 30. Juni 1977 wies die ZDK, Senat 2, den Antrag des Beschwerdeführers unter Berufung auf §§2 Abs1 und 6 Abs1 ZDG ab. Sie bezog sich in der Begründung ihrer Entscheidung auf das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Eingabe sowie in der Senatsverhandlung und führte folgendes aus: Der vom Beschwerdeführer angeführte Sachverhalt sei nicht geeignet, glaubhaft zu machen, daß er bei Anwendung von Waffengewalt in schwere Gewissensnot geraten würde. Es hätten trotz eingehender Befragung keine Umstände dargelegt werden können, die ihn in dieser Weise motiviert hätten.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die Bescheidaufhebung sowie hilfsweise die Beschwerdeabtretung an den VwGH begehrt.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. a) Der Beschwerdeführer beruft sich auf das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gewissensfreiheit und meint, daß diesem zufolge niemand gegen sein Gewissen zur Handhabung von Waffen und zum Töten gezwungen werden könne.

Sollte der Beschwerdeführer damit eine Berufung auf das durch Art14 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit beabsichtigen, so ist auf die ständige Rechtsprechung des VfGH hinzuweisen, derzufolge sich dieses Recht nur auf religiöse Fragen bezieht (s. zB VfSlg. 8390/1978); solche wurden vom Beschwerdeführer jedoch weder im Verwaltungsverfahren noch im Verfahren über die vorliegende Beschwerde aufgeworfen.

b) Dem Inhalt des Beschwerdevorwurfs nach kann dieser aber auch dahin verstanden werden, daß der Beschwerdeführer eine Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung geltend machen will. Hiezu ist folgendes festzuhalten:

Wie der VfGH im Hinblick auf die durch ArtII Z2 der Zivildienstgesetz-Nov. 1980, BGBl. 496, mit Wirksamkeit vom 1. Dezember 1980 (ArtIV Abs1 Z5 dieser Nov.) herbeigeführte neue Fassung dieser Verfassungsbestimmung in vergleichbaren Fällen schon ausgesprochen hat (VfGH 30. 6. 1981 B112/77 und 21. 10. 1981 B312/77), ist ein vor dem Inkrafttreten der zitierten Novellenvorschrift ergangener Bescheid anhand der zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung geltenden Fassung des §2 Abs1 ZDG zu beurteilen; diese Fassung liefert auch den Maßstab für die vorzunehmende Prüfung, ob das durch die bezogene Verfassungsbestimmung gewährleistete Recht verletzt wurde.

Eine Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes liegt nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH vor, wenn die Behörde die in dieser Gesetzesstelle umschriebenen materiellrechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - im Hinblick darauf - daß die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Rechtes einbezogen ist dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers vor der ZDK beinhaltet nur Darlegungen darüber, daß er auf Grund bestimmter Erwägungen die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen ablehnt; er hat aber für seine Person nicht dargetan, weshalb er im Falle der Anwendung von Waffengewalt in eine schwere Gewissensnot geraten würde. Wie der VfGH in gleichgelagerten Fällen schon ausgesprochen hat (s. die schon erwähnten Erk. B312/77 und B112/77 und die dort angeführte Vorjudikatur), ist bei einer solchen Sachlage die ZDK schon auf dem Boden der Behauptungen des Beschwerdeführers gehalten, die von ihm begehrte Befreiung von der Wehrpflicht mangels Erfüllung der materiellen Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG zu verweigern. Ist die Befreiung von der Wehrpflicht aber bereits in Ansehung des eigenen Standpunktes des Antragstellers wegen des Fehlens der materiellen Voraussetzungen abzulehnen, so ist es - wie der VfGH ebenfalls in den bezogenen Erk. dargelegt hat - auch unerheblich, ob die belangte ZDK ihren Bescheid etwa unrichtig begründet hat oder ob ihr irgendwelche Verfahrensfehler unterlaufen sind. Der VfGH braucht daher auf das diesbezügliche Beschwerdevorbringen nicht weiter einzugehen, mit dem der Sache nach eine unrichtige Beurteilung der vom Beschwerdeführer für die Wehrpflichtbefreiung ins Treffen geführten Gründe sowie Verstöße gegen Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung fand sohin nicht statt.

2. Die vom Beschwerdeführer weiters behauptete Verletzung des Gleichheitsrechtes könnte gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die belangte Behörde Willkür geübt hätte. Es trifft jedoch beides nicht zu.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Gesetzesvorschriften wegen eines Verstoßes gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot haben sich aus der Sicht dieses Beschwerdefalles nicht ergeben; die Vorschrift des §2 Abs1 ZDG scheidet, da es sich um eine Verfassungsbestimmung handelt, bei dieser Betrachtung von vornherein aus.

Der Vorwurf, das Gleichheitsrecht sei verletzt, "da auch andere Personen nach Kenntnis des Beschwerdeführers es offensichtlich erreicht haben, daß die Zivildienstkommission sie infolge anerkannter Gewissensgründe vom Wehrdienst befreit hat", ist nicht geeignet, eine willkürliche Gesetzeshandhabung nachzuweisen; er beinhaltet nämlich nur die Behauptung, daß die ZDK unterschiedlich entscheide, was aber nach Maßgabe des jeweiligen Einzelfalls durchaus geboten ist.

Da das Beschwerdeverfahren auch sonst keinen Anhaltspunkt für ein willkürliches Vorgehen der belangten Behörde ergeben hat, ist zusammenfassend festzuhalten, daß ihr eine Verletzung des Gleichheitsrechtes nicht unterlief.

3. Eine Verletzung des vom Beschwerdeführer sogenannten Rechtes auf "Lernfreiheit" liegt seiner Meinung nach deshalb vor, weil er "das Recht (habe), alles das zu lernen, was das Zivildienstgesetz möglich macht".

Zu diesem Vorbringen genügt die Feststellung, daß ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht dieses vom Beschwerdeführer angenommenen Inhalts in der österreichischen Verfassungsordnung nicht enthalten ist.

4. Wenn der Beschwerdeführer weitere Umstände tatsächlicher Natur zum Nachweis eines Gewissensgrundes iS des §2 Abs1 ZDG ausführt (zB daß er beabsichtige, den Beruf eines Diplomkrankenpflegers zu erlernen und auszuüben), ist er darauf aufmerksam zu machen, daß das verfassungsgerichtliche Beschwerdeverfahren nicht dazu dienen kann, Versäumnisse der Partei im Verwaltungsverfahren nachzuholen, sondern daß es ausschließlich bezweckt, die Rechtmäßigkeit des Verhaltens der Verwaltungsbehörde unter dem Gesichtspunkt der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte sowie der Anwendung rechtmäßiger genereller Normen zu überprüfen.

5. Das Beschwerdeverfahren ergab auch keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in anderen als den von ihm geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder infolge der Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in einem Recht verletzt wurde.

Die Beschwerde war sohin abzuweisen.

6. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH war abzuweisen, weil im Hinblick auf die Einrichtung der ZDK und ihrer Senate als Kollegialbehörde iS des Art133 Z4 B-VG ein Fall vorliegt, der von der Zuständigkeit des VwGH ausgeschlossen ist (s. zB VfSlg. 9171/1981).

Schlagworte

Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B443.1977

Dokumentnummer

JFT_10179698_77B00443_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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