TE Vfgh Beschluss 1982/3/2 B221/81, B222/81, B553/81, B554/81

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Veröffentlicht am 02.03.1982
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §82 Abs1
WAO §73 Abs1
ZPO §146 Abs1

Leitsatz

VerfGG 1953; sechswöchige Beschwerdefrist des §82 Abs1; Zustellung der Bescheide an die mit der Abwicklung des täglichen Posteinganges befaßte Angestellte der Beschwerdeführerin; keine Wiedereinsetzung wegen verschuldeter Versäumnis der Beschwerdefrist

Spruch

Den Anträgen der Österreichischen B.-AG, ihr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist nach §82 Abs1 VerfGG zur Beschwerdeerhebung gemäß Art144 B-VG zu gewähren, wird keine Folge gegeben.

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1.a) Mit dem Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 24. März 1980 wurde ein Ansuchen der Beschwerdeführerin vom 22. Jänner 1980 um Herabsetzung der Abwassergebühr gemäß §13 Abs1 Kanalräumungs- und Kanalgebührengesetz 1978, LGBl. f. Wien 2/78, abgewiesen; die Abgabenberufungskommission der Stadt Wien hat mit Bescheid vom 26. Feber 1981, Z MDR-07/80, der dagegen erhobenen Berufung nicht Folge gegeben.

Gegen diesen Bescheid der Abgabenberufungskommission richtet sich die unter Berufung auf Art144 B-VG erhobene, unter B221/81 protokollierte Beschwerde.

b) Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 4. August 1980 wurde ein gleichlautender Antrag der Beschwerdeführerin vom 3. Juni 1980 abgewiesen; die dagegen erhobene Berufung hat die Abgabenberufungskommission der Stadt Wien mit Bescheid vom 26. Feber 1981, Z MDR-012/80, abgewiesen.

Die gegen diesen Bescheid erhobene, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde ist unter B222/81 protokolliert.

c) In den von der belangten Behörde erstatteten Gegenschriften wurde ausgeführt, daß die Beschwerden erst nach Ablauf der sechswöchigen Beschwerdefrist (§82 Abs1 VerfGG) eingebracht worden seien. Die angefochtenen Bescheide seien am 16. März 1981 (Montag) zugestellt worden. Die Beschwerdefrist sei am 27. April 1981 abgelaufen. Die am 28. April 1981 zur Post gegebenen Beschwerden seien verspätet.

2. Am 12. August 1981 sind beim VfGH zu beiden Beschwerden Schriftsätze der Beschwerdeführerin eingelangt, in denen sie ausführt, daß ihr die angefochtenen Bescheide erst am 17. März 1981 zugestellt worden seien; die Bescheide seien nämlich von einer Sekretärin der Beschwerdeführerin namens A. F. entgegengenommen, jedoch erst am folgenden Tag, dem 17. März 1981, mit dem Datumsstempel 17. März 1981 abgestempelt und dem Vorstand der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht worden. Die Zustellung am 16. März 1981 sei gesetzwidrig erfolgt, da die genannte Sekretärin kein zur Vertretung befugtes Organ der Beschwerdeführerin sei; diese Gesetzwidrigkeit sei erst durch die tatsächliche Kenntnisnahme durch ein Mitglied des Vorstandes der Beschwerdeführerin am 17. März 1981 saniert worden.

Für den Fall, daß sich der VfGH dieser Rechtsansicht nicht anschließen und die Beschwerden als verspätet behandeln sollte, wird der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Die versehentlich erfolgte falsche Datierung sei ein Mißgeschick, das für die Beschwerdeführerin ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis darstelle, das sie an der rechtzeitigen Einbringung der Verfassungsgerichtshofbeschwerden gehindert habe. Die Sekretärin, die die Bescheide entgegengenommen habe, sei eine verläßliche Mitarbeiterin, mit deren Fehlleistung die Beschwerdeführerin nicht habe rechnen müssen.

Der das Verfahren B221/81 betreffende Wiedereinsetzungsantrag ist zu B553/81, der sich auf die Beschwerde B222/81 beziehende Wiedereinsetzungsantrag ist zu B554/81 protokolliert. Beiden Anträgen sind Beschwerden gegen die obgenannten Bescheide der Abgabenberufungskommission der Stadt Wien neuerlich angeschlossen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Die angefochtenen Bescheide sind im Rahmen eines von den Abgabenbehörden der Stadt Wien durchgeführten Verfahrens über die Herabsetzung der Abwassergebühren nach §13 Abs1 des Kanalräumungs- und Kanalgebührengesetzes 1978, LGBl. 2/1978, ergangen. Für die durch Organe der Post vorzunehmende Zustellung waren sie an die "Österreichische B.-AG, L-straße 70, 4021 Linz" adressiert. Bei ihrer Erlassung war von diesen Behörden die Wr. Abgabenordnung - WAO, LGBl. 21/1962, in der Fassung LGBl. 12/1964, 4/1974, 28/1978 (vgl. §§1 und 2) anzuwenden.

Die Zustellung der Bescheide hatte nach den Bestimmungen der §§72 ff. WAO (im folgenden beziehen sich Paragraphenbezeichnungen auf die WAO, wenn nicht ausdrücklich eine andere Vorschrift angeführt ist) zu erfolgen.

b) Diese Bestimmungen lauten (soweit sie für die Beurteilung der Zustellung der angefochtenen Bescheide in Betracht kommen):

... (Es folgt die Wiedergabe der §§72 bis 76, die hier unterbleibt) ...

c) Eine Zustellung der angefochtenen Bescheide zu eigenen Handen (§75 Abs1) war nicht angeordnet.

2. a) Die in den vorgelegten Verwaltungsakten befindlichen Rückscheine (Zustellscheine) weisen die handschriftliche Fertigung durch das zustellende Postorgan auf. Auf den Rückscheinen ist die Übernahme der Postsendungen durch die handschriftliche Angabe des Datums "Linz, 16. 3. 81", den Stampiglienaufdruck "Österreichische B.-Aktiengesellschaft, Zentralverwaltung" und durch eine handschriftliche Unterschrift, aus der die Abkürzung eines Vornamens "H." oder "A." und der Zuname "F." ersichtlich sind, bestätigt worden.

b) Auf Grund der von der belangten Behörde erstatteten Gegenschriften hat die Beschwerdeführerin sowohl in den Beschwerdeverfahren als auch bei der Stellung der Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eine eidesstattliche Erklärung ihrer Angestellten A. F. vorgelegt, in der diese zum Ausdruck bringt, daß sie "als Sekretärin im Angestelltenverhältnis bei der Österreichischen B.-Aktiengesellschaft tätig und als solche mit der Abwicklung des täglichen Posteinganges befaßt" ist. Des weiteren wird von der genannten Angestellten festgestellt, daß sie "als Angestellte der Österreichischen B.-Aktiengesellschaft nicht ausdrücklich zur Entgegennahme von Rückscheinbriefen ermächtigt" ist.

3. Unbestritten steht fest, daß die Bescheide am 16. März 1981 im Geschäftsraum der Beschwerdeführerin (§73 Abs1) der Angestellten A.

F. vom zustellenden Postorgan übergeben worden sind. Die Angestellte war zwar nach ihren eigenen Angaben nicht ausdrücklich zur Entgegennahme von Rückscheinbriefen ermächtigt. Der VfGH ist aber der Auffassung, daß mit der Betrauung der genannten Angestellten (als Sekretärin) zur Abwicklung des täglichen Posteinganges auch die zumindest stillschweigend erteilte Bevollmächtigung zur Entgegennahme von Postsendungen, deren Empfang durch Ausstellung eines Rückscheines (Zustellscheines) zu bestätigen ist, verbunden war, wie dies nach den Erfahrungen des täglichen Lebens über die Abwicklung des Posteinganges bei Empfängern der Fall ist, bei denen - wie bei der Beschwerdeführerin - der tägliche Posteinlauf eine Fülle von Postsendungen, darunter auch Rückscheinbriefe umfaßt.

Die angefochtenen Bescheide sind daher am 16. März 1981 an eine zu ihrer Entgegennahme bevollmächtigte Angestellte der Beschwerdeführerin zugestellt worden. Die sechswöchige Beschwerdefrist des §82 Abs1 VerfGG 1953 endete für die Beschwerdeführerin am 27. April 1981. Die am 28. April 1981 zur Post gegebenen Beschwerden (B221/81, B222/81) sind verspätet eingebracht worden und waren daher zurückzuweisen. Die Zurückweisung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 litb VerfGG idF BGBl. 353/1981 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

4. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht berechtigt.

Wie der VfGH (unter Hinweis auf die anzuwendenden Rechtsvorschriften) wiederholt dargetan hat (vgl. VfSlg. 7824/1976, VfGH 28. 11. 1977 B386/77, VfGH 2. 3. 1979 B590/78, VfGH 30. 6. 1981 B191/81), kommt als Wiedereinsetzungsgrund nur ein Ereignis in Betracht, das den Beschwerdeführer oder eine von ihm bevollmächtigte Person ohne sein Verschulden an der Fristeinhaltung hinderte. Ein bloßes Versehen des Beschwerdeführers kann nicht als ein einen Wiedereinsetzungsgrund bildendes Ereignis angesehen werden. Da es sich im vorliegenden Fall nicht um ein solches Ereignis handelt, war den Wiedereinsetzungsanträgen (B553/81, B554/81) keine Folge zu geben.

Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die zugleich mit den Wiedereinsetzungsanträgen gestellten Anträge einzugehen.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Zustellung, Zustellungsbevollmächtigter, VfGH / Fristen, VfGH / Wiedereinsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B221.1981

Dokumentnummer

JFT_10179698_81B00221_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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