TE Vfgh Erkenntnis 1982/3/10 B69/79

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Veröffentlicht am 10.03.1982
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art83 Abs2
AVG §56
AVG §58 Abs1

Leitsatz

ASVG; Zurückweisung eines Einspruches mangels Bescheidcharakters der angefochtenen Erledigung; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Bescheid der Stmk. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte (künftig: GKK) vom 6. August 1975 wurde die Versicherungspflicht des per 1. Feber 1975 angemeldeten, selbständig vertretungsbefugten Geschäftsführers F. K. der Firma F. K. Ges.m.b.H. abgelehnt, da ein Dienstvertrag nicht abgeschlossen worden sei und die Versicherungspflicht eines Geschäftsführers aus seiner bloßen Organstellung nicht abgeleitet werden könne.

Gegen diesen Bescheid wurde von F. K. Einspruch gemäß §412 ASVG an den Landeshauptmann erhoben.

2. Mit Schreiben vom 29. Juni 1976 gab die GKK dem Landeshauptmann von Stmk. bekannt, daß die Einzelzeichnungsberechtigung des Geschäftsführers F. K. mit Wirksamkeit vom 3. März 1976 in eine kollektive Zeichnungsberechtigung geändert worden sei und daß unter den geänderten Voraussetzungen nunmehr keine rechtlichen Bedenken bestünden, F. K. in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Firma F. K. Ges.m.b.H. in die Voll- und Arbeitslosenversicherung mit dem genannten Zeitpunkt einzubeziehen. Es werde gebeten, "die geänderte Rechtslage" bei der Entscheidung über den Einspruch zu berücksichtigen.

Zu dieser Note äußerte sich die beschwerdeführende Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten (künftig: PVA) gegenüber dem Landeshauptmann von Stmk., daß nach ihrer Ansicht für die Entscheidung über den erhobenen Einspruch nur die Frage maßgeblich sein könne, ob ein versicherungspflichtiges Dienstverhältnis des F. K. mit 1. Feber 1975 bestanden habe. Die geänderten Verhältnisse könnten nur im Falle einer neuen Anmeldung Bedeutung besitzen, über die eine "neuerliche Prüfung und Absprache seitens der Kasse erfolgen" müsse.

Mit Eingabe vom 13. Oktober 1976 gab F. K. dem Landeshauptmann von Stmk. bekannt, daß der von ihm erhobene Einspruch hiemit zurückgezogen werde, da die GKK selbst festgestellt habe, daß er "ab 3. 3. 1976 in die Voll- und Arbeitslosenversicherung" einzubeziehen sei.

3. Am 11. Jänner 1977 ersuchte die PVA die GKK, über die Versicherungspflicht des F. K. ab 3. März 1976 mit Bescheid abzusprechen, da dieser bei ihr eine Höherversicherung in der Pensionsversicherung beantragt habe. Die GKK teilte der PVA daraufhin am 26. Jänner 1977 mit, "daß nach dem Wegfall des seinerzeitigen Hinderungsgrundes der Einzelzeichnungsberechtigung als Geschäftsführer die per Eintritt 3. März 1976 erstattete Versicherungsanmeldung ohne Formalitäten entgegenzunehmen und ohne Ausfertigung eines Bescheides durchzuführen war".

Mit Schreiben vom 21. Feber 1977 wurde von der PVA ihr Bescheidbegehren wiederholt, worauf die GKK am 14. März 1977 erneut darauf hinwies, "daß ihr die Ausstellung eines Bescheides unnotwendig" erscheine.

Nachdem die PVA am 28. März 1977 nochmals mit dem Ersuchen um Ausstellung eines Bescheides an die GKK herangetreten war, legte diese mit Erledigung vom 7. April 1977 dar, daß dem Träger der Pensionsversicherung nach dem ASVG gemäß §411 ASVG die Parteistellung erst im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde zukomme und von ihr die Ausstellung eines Bescheides zufolge §410 Abs1 Z7 ASVG im Verfahren vor dem Krankenversicherungsträger nicht durchsetzbar sei.

4. Gegen diese Erledigung erhob die PVA Einspruch mit dem Antrag, diesen gemäß §412 ASVG dem Landeshauptmann von Stmk. zur Entscheidung zu übermitteln.

Nachdem die PVA am 23. Mai 1977 schriftlich bekanntgegeben hatte, daß sie die Absicht habe, die Frage der Parteistellung des Pensionsversicherungsträgers im Verfahren vor dem Versicherungsträger durch eine höchstgerichtliche Entscheidung abzuklären, übermittelte die GKK den gesamten Schriftwechsel dem Landeshauptmann von Stmk. mit dem Ersuchen, die Frage zu prüfen, ob der mit "Einspruch" bezeichnete Schriftsatz der PVA überhaupt als Rechtsmittel anzusehen sei, "zumal die im Schreiben der Kasse vom 7. 4. 1977 angestellten rechtlichen Überlegungen keinen Bescheidcharakter tragen und sich auch aus den Verfahrensvorschriften des §409 ff. kein Anhaltspunkt dafür ergibt, daß etwa der Krankenversicherungsträger einem Bescheidbegehren des Pensionsversicherungsverträgers zu entsprechen hat". Sie sei der Ansicht, daß "der mit Einspruch umschriebene Schriftsatz" der Beschwerdeführerin zurückzuweisen sei, da "nach Maßgabe des §416 ASVG diese Streitfrage an das Bundesministerium für soziale Verwaltung zur Entscheidung" herangetragen werden müsse.

5. Mit Bescheid vom 7. Juli 1977 wies der Landeshauptmann von Stmk. den Einspruch der PVA als unzulässig zurück.

6. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 12. Jänner 1979, Z 124.823/1-6/1977, keine Folge gegeben.

6.1. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, allenfalls die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

6.2. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen und den Antrag gestellt, die Beschwerde abzuweisen.

7. Der VfGH hat erwogen:

7.1. Die beschwerdeführende PVA macht geltend, der angefochtene Bescheid verletze sie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit. Die Ansicht, daß ihr kein Anspruch auf Ausstellung eines Bescheides über das Vorliegen einer Versicherungspflicht zustehe, wohl aber dem Dienstnehmer und dem Dienstgeber, sei gleichheitswidrig, da "Dienstnehmer, Dienstgeber und Pensionsversicherer jene drei Elemente" seien, die gemeinsam mit den Sozialversicherungsträgern anderer Art die Sozialversicherung bildeten und demnach auch gleichberechtigt sein müßten. Nichts könne rechtfertigen, daß der PVA durch Verweigerung der Bescheidausstellung über das Vorliegen einer Versicherungspflicht die Möglichkeit einer Anfechtung genommen werde, obwohl nicht bestritten werden könne, daß sie ein eminentes rechtliches Interesse daran habe, ihren "präsumptiven Versicherten bei der erstmöglichen Gelegenheit 'kennenzulernen', um seine Qualifikation für eine Vollversicherung iS des §4 ASVG überprüfen zu können".

7.2.1. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung wurde ein Bescheid des Landeshauptmannes von Stmk. bestätigt, mit dem ein Einspruch der beschwerdeführenden PVA zurückgewiesen worden war. In der Zurückweisung des Einspruches liegt die Verweigerung einer Sachentscheidung, durch die, wenn sie zu Unrecht erfolgt ist, eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter bewirkt wird (vgl. VfSlg. 8899/1980, 9160/1981).

7.2.2. Die Zurückweisung des Einspruches der PVA wurde mit dem Bescheid des Landeshauptmannes von Stmk. im wesentlichen damit begründet, daß er sich nicht gegen eine als Bescheid zu beurteilende Erledigung richte; aus den Ausführungen des in Frage stehenden Schreibens gehe eindeutig hervor, daß die GKK "ihre Erledigung vom 7. April 1977 nicht als Bescheid qualifiziert wissen wollte".

Der VfGH pflichtet dieser Rechtsansicht im Ergebnis bei. Für den Bescheidcharakter einer behördlichen Enuntiation ist nicht nur die äußere Form, sondern auch der Inhalt maßgebend; eine Erledigung, die nicht die Form eines Bescheides aufweist, ist dann ein Bescheid, wenn sie in einer der Rechtskraft fähigen Weise rechtsbegründend oder rechtsfeststellend über eine Verwaltungsangelegenheit gegenüber individuell bestimmten Personen abspricht (vgl. VfSlg. 7599/1975). Die Voraussetzungen eines Bescheides liegen in Ansehung des Schreibens der GKK vom 7. April 1977 tatsächlich nicht vor.

Das der beschwerdeführenden PVA zugegangene Schreiben vom 7. April 1977 ist mit "Sehr geehrte Herren!" überschrieben und wird mit den Worten "Um den von der Stmk. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte eingenommenen Rechtsstandpunkt zu veranschaulichen, sei nochmals auf das Folgende hingewiesen." eingeleitet; die an die wiedergegebene Einleitung des Schreibens anknüpfenden Ausführungen enthalten nach einer Schilderung der tatsächlichen Vorgänge ausschließlich eine Darstellung der Rechtsansicht der GKK, zu deren Richtigkeit sie sich auf eine Entscheidung des Bundesministers für soziale Verwaltung beruft. Abschließend wird ausgeführt, die Kasse bedauere, in Ermangelung einer Rechtsgrundlage "auch einen Bescheid über die Verweigerung der Erteilung eines Bescheides nicht ausstellen zu können". Damit wurden mit der Erledigung vom 7. April 1977 weder seiner Form noch seinem Inhalt nach in einer der Rechtskraft fähigen Weise rechtsfeststellend oder rechtsbegründend über eine Verwaltungsangelegenheit abgesprochen.

Die belangte Behörde ist daher im Recht, wenn sie in Bestätigung des Bescheides des Landeshauptmannes von Stmk. dem Schreiben der GKK vom 7. April 1977 keinen normativen Inhalt beigemessen und diese Erledigung nicht als Bescheid gewertet hat.

Der Landeshauptmann von Stmk. hat den Einspruch der PVA demnach zu Recht zurückgewiesen und ist die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt worden.

7.3. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die Behauptung der beschwerdeführenden PVA, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden zu sein. Da - wie unter 7.2.2. ausgeführt - der beschwerdeführenden PVA eine Sachentscheidung zu Recht verweigert wurde, weil der Erledigung vom 7. April 1977 Bescheidcharakter nicht zukam, kann sie durch den angefochtenen Bescheid im Gleichheitsrecht nicht verletzt worden sein (vgl. VfSlg. 7515/1975); ob die im Schreiben der GKK vom 7. April 1977 dargelegte Rechtsansicht zutrifft, war mangels Bescheidqualität desselben nicht zu prüfen.

7.4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß die Beschwerdeführerin in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm in einem Recht verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Bescheidbegriff

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B69.1979

Dokumentnummer

JFT_10179690_79B00069_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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