TE Vfgh Erkenntnis 1982/6/16 B412/81

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Veröffentlicht am 16.06.1982
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art8
FremdenpolizeiG §11 Abs2
PersFrSchG §4
VfGG §82 Abs3 dritter Satz

Leitsatz

Fremdenpolizeigesetz; Anhaltung eines Fremden nach Strafverbüßung ohne vorangegangenen Schubhaftbescheid; Verletzung der persönlichen Freiheit

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die am 14. August 1981 von etwa 08.20 Uhr bis kurz vor 18.00 Uhr über Auftrag der Bundespolizeidirektion Wien erfolgte Anhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Hingegen ist der Beschwerdeführer durch die weitere bis 17. August 1981, 15.00 Uhr, währende Anhaltung weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in Rechten verletzt worden; insoweit wird die Beschwerde abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist deutscher Staatsangehöriger.

Er wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 17. Dezember 1980 wegen Verbrechens des schweren Betruges und der Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Strafzeitberechnung auf der Strafvollzugsanordnung weist als Strafende den 14. August 1981, 20.00 Uhr, aus. Gemäß §148 Abs2 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. 144/1969 (StVG), wurde der Beschwerdeführer am 14. August 1981 jedoch bereits um 08.20 Uhr aus der Strafhaft entlassen.

Die Bundespolizeidirektion Wien - Polizeiabteilung bei der Staatsanwaltschaft hatte bereits am 31. August 1979 die Gefangenenhausdirektion I des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ersucht, den Beschwerdeführer nach Strafverbüßung dem Polizeigefangenenhaus zur Verfügung des Fremdenpolizeilichen Büros zu überstellen. Auf Grund dieses Ersuchens wurde der Beschwerdeführer am 14. August 1981 von Beamten des Gefangenenhauses I des Landesgerichtes für Strafsachen Wien um etwa 08.20 Uhr Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Wien übergeben, die den Beschwerdeführer mit einem polizeilichen Gefangenentransportwagen zur Verfügung des Fremdenpolizeilichen Büros ins Polizeigefangenenhaus transportierten, wo er um 11.20 Uhr eintraf. Nachdem hievon das Fremdenpolizeiliche Büro telefonisch verständigt worden war, fertigte dieses einen mit 14. August 1981 datierten Bescheid aus. Mit diesem wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß §5 Abs1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954 (FrPolG) die vorläufige Verwahrung (Schubhaft) zur Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und zur Sicherung der Abschiebung angeordnet; die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung wurde gemäß §64 Abs2 AVG 1950 ausgeschlossen.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer kurz vor 18.00 Uhr im Polizeigefangenenhaus zugestellt.

Am 17. August 1981 erließ die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer ein auf §3 Abs1 und 2 litb FrPolG gestütztes Aufenthaltsverbot. Da gegen ihn beim Landesgericht für Strafsachen Wien zu 21d Vr 9188/80 eine Voruntersuchung anhängig war und ihm vom Gericht gemäß §180 Abs5 Z5 StPO der Reisepaß abgenommen und gemäß §180 Abs5 Z3 StPO die Weisung erteilt worden war, das Staatsgebiet nicht zu verlassen, die sofortige Abschiebung somit gegen die Interessen der Strafjustiz erfolgt wäre, wurde dem Beschwerdeführer am selben Tag ein Vollstreckungsaufschub gemäß §6 Abs2 FrPolG bis einschließlich 15. November 1981 gewährt; er wurde dann sofort (nämlich am 17. August 1981 um 15.00 Uhr) aus der Schubhaft entlassen.

2. Die vorliegende auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde wendet sich gegen die Überstellung des Beschwerdeführers in das Gefangenenhaus der Bundespolizeidirektion Wien und die dort erfolgte Anhaltung. Der Beschwerdeführer behauptet, durch diese Maßnahmen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden zu sein. Er begehrt, diese Rechtsverletzung kostenpflichtig festzustellen.

3. Die Bundespolizeidirektion Wien und der Leiter des Gefangenenhauses I des Landesgerichtes für Strafsachen Wien haben Gegenschriften erstattet, in denen sie beantragen, der Beschwerde keine Folge zu geben. Beide Behörden begehren den Zuspruch von Kosten.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Die Bundespolizeidirektion Wien vertritt in ihrer Gegenschrift die Auffassung, daß ihr die Anhaltung des Beschwerdeführers erst ab 14. August 1981, 11.20 Uhr, zuzurechnen sei, dagegen sei für die vorangehende Anhaltung ab 08.20 Uhr die Strafvollzugsbehörde verantwortlich; die Bundespolizeidirektion Wien habe nämlich nicht die Überstellung des Beschwerdeführers ins Polizeigefangenenhaus angeordnet.

Mit dieser Auffassung ist die Bundespolizeidirektion Wien nicht im Recht: Der Beschwerdeführer wurde auf Grund des schriftlichen Ersuchens der Bundespolizeidirektion Wien vom 31. August 1979 am 14. August 1981 um 08.20 Uhr Sicherheitswachebeamten des Polizeigefangenenhauses übergeben. Die Anhaltung nach Ende der gerichtlichen Strafhaft ist daher ausschließlich der Bundespolizeidirektion Wien zuzurechnen, nicht aber dem Leiter des Gefangenenhauses I des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Strafvollzugsbehörde erster Instanz (vgl. §11 StVG).

2. a) Gemäß §5 Abs1 FrPolG kann ein Fremder (der Beschwerdeführer ist ein solcher, da er die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt - §1 FrPolG) zur Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder zur Sicherung der Abschiebung vorläufig in Verwahrung genommen werden (Schubhaft), wenn dies im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder aus dem Grund notwendig erscheint, um ein unmittelbar zu befürchtendes strafbares Verhalten des Fremden zu verhindern. Die Schubhaft ist, wie sich aus §11 Abs2 FrPolG ergibt, mit Bescheid anzuordnen. Die Verhängung der Schubhaft schließt auch die Festnahme ein (vgl. zB VfSlg. 9323/1982 und die dort zitierte Vorjudikatur).

Eine Festnahme, die dazu dient, einen Fremden in Schubhaft zu nehmen, darf also nur erfolgen, wenn sie durch einen Bescheid verfügt worden ist.

b) Diese Voraussetzung wurde hier nicht erfüllt: Der Beschwerdeführer wurde am 14. August 1981 um 08.20 Uhr aus der gerichtlichen Strafhaft entlassen und gleichzeitig den Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Wien übergeben, die ihn mit einem Gefangenentransportwagen ins Polizeigefangenenhaus der Bundespolizeidirektion Wien brachten. Die um 08.20 Uhr erfolgte Maßnahme ist als Festnahme zu werten. Zu diesem Zeitpunkt war ein Schubhaftbescheid nicht erlassen worden. Dieser Bescheid wurde erst in den frühen Nachmittagsstunden des 14. August 1981 ausgefertigt und dem Beschwerdeführer kurz vor 18.00 Uhr zugestellt.

Unter diesen Umständen ist es - zum Unterschied von jenen, die dem Erk. VfSlg. 4193/1962 zugrunde lagen - ausgeschlossen, dem Schubhaftbescheid ua. den Inhalt beizumessen, daß mit ihm die Rechtmäßigkeit der bereits erfolgten Festnahme bestätigt worden wäre; die Behörde hat dies - wie sich aus dem Wortlaut des Bescheides und dem Verwaltungsgeschehen ergibt - auch gar nicht beabsichtigt. Die Festnahme ist sohin durch den Schubhaftbescheid nicht gedeckt (vgl. VfSlg. 8038/1977 und 9323/1982; diesen Erk. lagen vergleichbare Sachverhalte zugrunde).

c) Nach §4 des im Verfassungsrang stehenden Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit, dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt (nur) in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen.

Wie in der vorstehenden litb dargetan wurde, konnten die Festnahme des Beschwerdeführers und seine Anhaltung bis 14. August 1981, kurz vor 18.00 Uhr mangels eines vorangegangenen förmlichen Schubhaftbescheides nicht auf das FrPolG gestützt werden. Eine andere gesetzliche Grundlage war nicht gegeben; dies wird von der belangten Behörde auch gar nicht behauptet.

Es war sohin festzustellen, daß der Beschwerdeführer durch die am 14. August 1981 in der Zeit von 08.20 Uhr bis kurz vor 18.00 Uhr erfolgte Anhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.

d) Hingegen war die weitere Anhaltung vom 14. August 1981, ca. 18.00 Uhr, bis 17. August 1981, 15.00 Uhr, im Gesetz gedeckt. Der Schubhaftbescheid, der mit seiner Zustellung vollstreckbar wurde (die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung wurde gemäß §64 Abs2 AVG 1950 ausgeschlossen) bot hiefür die gesetzmäßige Grundlage (vgl. §5 Abs2 erster Satz FrPolG).

Wenn es, wie der Beschwerdeführer behauptet, deshalb gesetzwidrig gewesen wäre, ihn in Schubhaft zu nehmen, weil ihm das Landesgericht für Strafsachen Wien den Auftrag erteilt hatte, das Staatsgebiet nicht zu verlassen, wäre dieser Mangel dem - hier nicht bekämpften - Schubhaftbescheid anzulasten.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Anhaltung, Fremdenpolizei, Schubhaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B412.1981

Dokumentnummer

JFT_10179384_81B00412_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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