TE Vfgh Beschluss 1982/9/28 B525/80

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Veröffentlicht am 28.09.1982
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
AVG §17
AVG §56
AVG §62 Abs2
StPO §47 Abs2 Z2

Leitsatz

Art144 Abs1 B-VG; fernmündliche Erklärung des Leiters der Staatsanwaltschaft, Akteneinsicht zu verweigern - kein Bescheid, keine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Nach dem Beschwerdevorbringen führte die Staatsanwaltschaft Wien Vorerhebungen gegen mehrere Personen als Täter oder Beteiligte (§12 StGB), denen zur Last gelegt wurde, Gelder von Versicherungsanstalten treuwidrig in einer Weise angelegt zu haben, daß ein erzielbarer Vorteil nicht den Berechtigten, sondern einem der Verdächtigen als Zinsenbonus zugeflossen sei. Die Beschwerdeführer seien gewinnbeteiligte Versicherungsnehmer (einer) dieser Versicherungsanstalten, die sich dem einzuleitenden Strafverfahren wegen Schmälerung ihrer Gewinnbeteiligung als Privatbeteiligte angeschlossen hätten. Mit Eingabe vom 3. Oktober 1980 hätten sie der Staatsanwaltschaft Wien neue Sachvorbringen und weitere Beweisanträge angekündigt, mit dem Antrag, ihnen nach Rücklangen des bei der Wirtschaftspolizei befindlichen Aktes Einsicht in diesen zu gewähren. Nachdem ihnen der zuständige Referent der Staatsanwaltschaft Wien zunächst die Gewährung der Akteneinsicht für den 7. Oktober 1980 in Aussicht gestellt habe, sei eine solche in der Folge durch den Leiter der Staatsanwaltschaft Wien unter Berufung auf den Erlaß des Bundesministers für Justiz vom 21. Juli 1976, JABl. 31, über die Gewährung von Einsicht in die bei den staatsanwaltschaftlichen Akten erliegenden Anzeigen, telephonisch verweigert worden.

1.2. Gegen die am 7. Oktober 1980 erfolgte Verweigerung der Einsicht in den Strafakt 20 St 32.372/80 durch die Staatsanwaltschaft Wien erheben die Beschwerdeführer unter Berufung auf Art144 B-VG Beschwerde; sie behaupten, durch "die in der Verweigerung der Akteneinsicht gelegene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt" im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden zu sein. Sie beantragen die Feststellung der behaupteten Rechtsverletzungen und - vorsorglich - auch die Aufhebung des "angefochtenen Verwaltungsaktes", für den Fall der Abweisung der Beschwerde jedoch deren Abtreten an den VwGH.

2.1. Die Staatsanwaltschaft Wien hat als belangte Behörde eine Gegenschrift erstattet und die Zurückweisung, allenfalls die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Gegenstand der Beschwerde sei weder ein Bescheid noch ein Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt einer Verwaltungsbehörde iS des Art144 B-VG. Den Beschwerdeführern komme Parteistellung als Privatbeteiligte nur im gerichtlichen, nicht auch im staatsanwaltschaftlichen Verfahren zu, sodaß ihnen ein subjektives Recht auf Einsicht in die Akten der Staatsanwaltschaft vor Zurücklegung der Anzeige gemäß §90 Abs1 StPO nicht zustehe. Mangels eines Rechtspruches seien die Beschwerdeführer durch die Bekanntgabe, daß die begehrte Akteneinsicht derzeit nicht gewährt werden könne, daher in einem Parteienrecht nicht verletzt worden.

3. Nachdem die Anzeige am 17. November 1980 von der Staatsanwaltschaft Wien gemäß §90 Abs1 StPO zurückgelegt worden war, ist den Beschwerdeführern über neuerliches Ersuchen am 21. November 1980 Einsicht in die Erhebungsakten gewährt worden.

4. Der VfGH hat erwogen:

4.1. Gemäß §47 Abs1 StPO kann jeder durch ein Verbrechen oder durch ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen in seinen privaten Rechten Verletzte sich bis zum Beginn der Hauptverhandlung seiner privatrechtlichen Ansprüche wegen dem Strafverfahren anschließen und wird hiedurch Privatbeteiligter. Gemäß §47 Abs2 Z2 leg. cit. können Privatbeteiligte in die Akten, und zwar, falls nicht besondere Gründe entgegenstehen, schon während der Vorerhebungen und der Voruntersuchungen Einsicht nehmen. Gemäß §87 Abs1 leg. cit. ist der Staatsanwalt verpflichtet, alle an ihn gelangenden Anzeigen über strafbare Handlungen, die von Amts wegen zu verfolgen sind, zu prüfen; gemäß §88 Abs1 leg. cit. ist er berechtigt, durch den Untersuchungsrichter, durch die Bezirksgerichte oder durch die Sicherheitsbehörden Vorerhebungen zu dem Zwecke führen zu lassen, um die nötigen Anhaltspunkte für die Veranlassung der Strafverfahrens wider eine bestimmte Person oder für die Zurücklegung der Anzeige zu erlangen. Findet der Staatsanwalt nach Prüfung der Anzeige oder der Akten der Vorerhebungen keine genügenden Gründe, wider eine Person das Strafverfahren zu veranlassen, so hat er gemäß §90 Abs1 leg. cit. die an ihn gelangte Anzeige mit kurzer Aufzeichnung der ihn dazu bestimmenden Erwägungen zurückzulegen und dem Untersuchungsrichter die Akten der Vorerhebungen mit der Bemerkung zu übersenden, daß er keine Gründe zur weiteren Verfolgung finde.

4.2. Die Beschwerdeführer sehen in der telephonischen Erklärung des Leiters der Staatsanwaltschaft, die Akteneinsicht werde im Hinblick auf den Erlaß des Bundesministers für Justiz aus dem Jahre 1976 verweigert, eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iS des Art144 Abs1 B-VG. In dieser Verweigerung liege eine Norm, durch die die Beschwerdeführer in einem subjektiven Recht verletzt sein könnten.

Dieser Wertung vermag der VfGH jedoch nicht bezupflichten. Wie der Gerichtshof schon im Erk. VfSlg. 5329/1966 dargelegt hat, kann die (bloße) fernmündliche Verständigung, die Gewährung der Akteneinsicht werde verweigert, nicht als Bescheid gewertet werden, weil sie der nötigen Form entbehrt, und nicht als faktische Amtshandlung (iS der Rechtsprechung vor der B-VG-Novelle 1975, BGBl. 302), weil ein solches Verhalten der Behörde in die Rechtssphäre der Einsichtswilligen nicht gestaltend eingreift.

An dieser Rechtsprechung hält der Gerichtshof fest. Welches Maß an Förmlichkeit für das Vorliegen eines Bescheides nötig ist, richtet sich zwar nach den jeweils maßgeblichen Verfahrensvorschriften. Aber im Falle schlichter telephonischer Verweigerung der begehrten Akteneinsicht könnten diese Voraussetzungen nur erfüllt sein, wenn das Gesetz die mündliche Erlassung eines Bescheides ohne eine Niederschrift, wie sie im Bereich des AVG in dessen §62 Abs2 vorgesehen ist, ausdrücklich vorsähe. Ist die formlose Erklärung aber kein Bescheid, so wird sie auch nicht dadurch zu einem die Rechtssphäre gestaltenden Akt, daß sie die tatsächliche Nichtvorlage der Akten zur Einsicht begleitet. Das mit keinerlei weiteren Handlungen oder Drohungen verbundene Geschehen stellt keine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar.

Unter diesen Umständen erübrigt es sich, die in der Beschwerde als Frage der Rechtmäßigkeit des bekämpften Verhaltens erörterte, in Wahrheit aber bereits die Zulässigkeit der Beschwerde berührende Frage zu erörtern, ob dem durch ein Verbrechen in seinen Rechten Verletzten seiner privatrechtlichen Ansprüche wegen auch in Vorerhebungen, die der Staatsanwalt durch Sicherheitsbehörden führt, ein Recht auf Akteneinsicht zusteht und ein Eingriff in seine Rechtssphäre denkbar ist.

Die Beschwerde ist vielmehr als unzulässig zurückzuweisen.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Akteneinsicht, Bescheidbegriff, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B525.1980

Dokumentnummer

JFT_10179072_80B00525_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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