TE Vfgh Erkenntnis 1982/10/6 B646/81

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Veröffentlicht am 06.10.1982
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art83 Abs2
DSt 1872 §2
RAO §23

Leitsatz

Rechtsanwaltsordnung iVm Disziplinarstatut; keine Strafbefugnis des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer; Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Dem Rechtsanwalt Dr. H. G. wurde mit Beschluß der Abteilung IVa des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und das Bgld. vom 28. Juli 1981, GZ 2919/80, in Handhabung des §23 RAO die "Mißbilligung" ausgesprochen, weil er bei der am 18. Oktober 1977 vor dem Landesgericht für ZRS Graz im Verfahren 21 Nc 258/77 stattgefundenen Konkurstagsatzung als Rechtsvertreter des Antragstellers erklärt hatte, eine Äußerung des Rechtsvertreters des Antragsgegners, Dr. F. I., Rechtsanwalt in Graz, sei eine "Lüge".

Begründend wurde dazu ua. ausgeführt:

"Wenn das Verhalten des ... Dr. G., der in einer Debatte dem

Gegenvertreter, Rechtsanwalt Dr. F. I., bei einer Tagsatzung vor dem

Landesgericht für ZRS Graz vorwarf, eine Äußerung, die Rechtsanwalt

Dr. F. I. gerade gemacht hatte, wäre eine Lüge, ... einer

standesrechtlichen Beurteilung durch den Kammerausschuß gemäß §1 DSt.

und §23 RAO unterzogen wird, so ergibt sich, daß die Verwendung des Ausdruckes 'Lüge' jedenfalls eine Ordnungswidrigkeit darstellt - wenn sie schon nach den Umständen des vorliegenden Falles noch nicht als ein Disziplinarvergehen gewertet wurde. Wie die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission zu Bkd 26/60 und zu Bkd 71/80, E. vom 2. Feber 1981, entschieden hat, muß sich ein Anwalt einer maßvoll korrekten und sachlichen Sprache bedienen, und zwar auch bei mündlichen und nicht nur bei seinen schriftlichen Äußerungen. Von einem Rechtsanwalt, einem Angehörigen eines akademischen Berufes, mit bedeutenden Rechten und ebensolchen Pflichten, ist zu erwarten, daß er auch in unangenehmen Situationen, die bei der Ausübung seines Berufes auftreten, die nötige Selbstbeherrschung aufbringt, um sich jeder Entgleisung zu enthalten, seine Worte abzuwägen, sich beleidigender Äußerungen und Wendungen zu enthalten und seinen Standpunkt und seine Behauptungen mit Ruhe und in sachlicher Form vorzubringen, ohne beleidigend und ausfällig zu werden ..."

1.1.2. Der gegen diesen Beschluß von Dr. H. G. erhobenen Vorstellung gab der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und das Bgld. mit (Plenar-)Entscheidung vom 13. Oktober 1981, GZ 2919/80, keine Folge.

In der Begründung dieser Entscheidung heißt es ua. wörtlich:

"... Im Sprachgebrauch bedeutet der Vorwurf der Lüge den der bewußten Unwahrheit. Der Vorwurf, jemand sei ein Lügner, als welcher der Vorwurf, jemand habe eine Lüge gebraucht, nur verstanden werden kann, bedeutet eine subjektive Mißachtung. Es darf daher ein Rechtsanwalt in einer öffentlichen Verhandlung vor Gericht einem anderen Rechtsanwalt, dazu noch dem Vertreter der Gegenpartei, nicht den Vorwurf einer Lüge machen, ohne damit die zwischen den Standesangehörigen besonders zu beobachtende Ordnung im gesellschaftlichen Verkehr zu verletzen. Der Vorwurf der Lüge gegenüber einem anderen Anwalt, der den Prozeßgegner der eigenen Partei vertritt, widerspricht dem Anstand und der Sitte ... Das Verhalten des Rechtsanwaltes Dr. G. mußte daher von der Standesbehörde in Ausübung der Aufsichtspflicht nach §1 Disziplinarstatut mißbilligt werden ..."

1.2.1. Dagegen richtet sich die vorliegende, auf Art144 (Abs1) B-VG gestützte Beschwerde des Dr. H. G. an den VfGH, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) und auf Freiheit der Meinungsäußerung (Art13 StGG) sowie des Rechts nach Art7 MRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.

1.2.2. Der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und das Bgld. als belangte Behörde erstattete - unter Vorlage der Verwaltungsakten - eine Gegenschrift und begehrte darin die Abweisung der Beschwerde.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Gemäß §26 RAO idF der Nov. BGBl. 673/1976 kann gegen den Beschluß einer Abteilung des Kammerausschusses - binnen vierzehn Tagen nach Zustellung - Vorstellung erhoben werden, über die der Ausschuß entscheidet.

Auf dem Gebiet der Selbstverwaltung - die Rechtsanwaltskammern sind Einrichtungen der beruflichen Selbstverwaltung - bedarf es zur Einräumung eines (weiteren) Rechtsmittels an ein Organ der staatlichen Verwaltung einer ausdrücklichen Bestimmung, die einen solchen Rechtszug vorsieht (zB VfSlg. 3683/1960, 4667/1964, 5745/1968, 6305/1970). Dies ist hier - für den Bereich des §23 RAO - nicht der Fall.

Der Instanzenzug ist damit erschöpft.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2.2. Das vom Beschwerdeführer relevierte Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG wird nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH ua. durch die gesetzwidrige Inanspruchnahme einer behördlichen Zuständigkeit verletzt. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn die Behörde eine Strafbefugnis in Anspruch nimmt, für die im Gesetz jegliche Grundlage fehlt (vgl. etwa VfSlg. 5498/1967).

2.2.1. Die Administrativbehörde erster Instanz und die belangte Behörde stützen ihre Bescheide ersichtlich nur auf die Bestimmungen der §§1 DSt und 23 RAO. Auch in der von der belangten Behörde erstatteten Gegenschrift heißt es in diesem Zusammenhang, daß gesetzliche Grundlage des Ausspruches einer "Mißbilligung" die Vorschrift des §23 RAO sei, die in §1 DSt eine Zuständigkeitsnorm erhalte:

Vorliegend bezeichnete die Abteilung IV des Kammerausschusses das dem Beschwerdeführer angelastete Verhalten in der Begründung des Beschlusses expressis verbis als "Ordnungswidrigkeit". Auch der Kammerausschuß selbst spricht in seiner Bescheidbegründung ausdrücklich von einer "Ordnungswidrigkeit ..., die nicht so weit gegangen ist, ... daß sie als Disziplinarvergehen angesehen werden kann", und zwar offensichtlich auf dem Boden der im Fachschrifttum vertretenen Auffassung, daß der Kammerausschuß zur Ausübung des Aufsichtsrechts nach §23 RAO einem Rechtsanwalt, der sich eine "Ordnungswidrigkeit" zu schulden kommen lasse (Heller - Jahoda - Schuppich, RAO, Wien 1974, S 34, Anm. 1), die Mißbilligung auszusprechen berechtigt sei.

2.2.2. Der VfGH nahm bereits im Erk. VfSlg. 2150/1951 unter Bezugnahme auf die Vorjudikatur (VfSlg. 1314/1930) den Standpunkt ein, daß die Rechtsanwaltskammer und ihr Ausschuß innerhalb ihrer Kompetenzen generelle und individuelle Normen erlassen dürfen. Dazu gehören nach dem Erk. VfSlg. 2150/1951 insbesondere auch jene Beschlüsse und Aufträge, die gemäß §23 RAO und gemäß §1 Abs1 des DSt in Überwachung der Standespflichten und in Ausübung des Aufsichtsrechtes zur Wahrung der Ehre, des Ansehens und der Rechte des Rechtsanwaltsstandes ergehen (s. auch VSlg. 9470/1982).

Keinesfalls aber bildet §23 RAO - nach Wortlaut und Sinngehalt - eine Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme einer Strafbefugnis - und sei es auch nur die Befugnis zur Ahndung von sogenannten Ordnungswidrigkeiten -, wie sie in der angefochtenen Verhängung des - angesichts seines (nicht etwa belehrenden, sondern) unmißverständlich rügenden Charakters - offenkundig der Disziplinarstrafe des "schriftlichen Verweises" nach §12 Abs1 lita DSt nachgebildeten förmlichen Ausspruchs der Mißbilligung der nach Auffassung der Administrativinstanz unterlaufenen "Ordnungswidrigkeit" zum Ausdruck kommt.

Denn ein Rechtsanwalt, welcher die Pflichten seines Berufes verletzt, oder welcher inner- oder außerhalb seines Berufes durch sein Benehmen die Ehre oder das Ansehen des Standes beeinträchtigt, unterliegt - kraft der ausdrücklichen Norm des §2 DSt - (nur) der Disziplinarbehandlung durch den zuständigen Disziplinarrat, nicht hingegen durch den örtlich zuständigen Kammerausschuß, dem das Gesetz - zwar das schon erwähnte Aufsichtsrecht, aber - keine wie immer geartete Strafgewalt übertrug.

2.2.3. Daraus ergibt sich, daß der Beschwerdeführer deswegen, weil ihn der - nicht mit Strafbefugnis ausgestattete - Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und das Bgld. - in Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides wegen einer Ordnungswidrigkeit mit einer förmlichen "Mißbilligung" bestrafte, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wurde.

2.2.4. Der angefochtene Bescheid war schon darum als verfassungswidrig aufzuheben.

Schlagworte

Instanzenzug, Selbstverwaltungsrecht, Rechtsanwaltskammer, Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B646.1981

Dokumentnummer

JFT_10178994_81B00646_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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