TE Vfgh Erkenntnis 1983/6/10 B70/79

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Veröffentlicht am 10.06.1983
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art90
B-VG Art94
StGG Art5
ASVG §33
ASVG §34
ASVG §113 idF BGBl 6/1968
VfGG §88

Leitsatz

ASVG; keine Bedenken gegen §113 und §34; denkmögliche Anwendung dieser Bestimmungen

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Die Sbg. Gebietskrankenkasse führte am 13. Juli 1978 eine Beitragsprüfung für die Zeit vom Jänner 1976 bis Mai 1978 beim Beschwerdeführer durch. Da bei der Überprüfung festgestellt wurde, daß der Beschwerdeführer in vier Fällen beitragspflichtige Sonderzahlungen nicht gemeldet hatte, wurde ihm eine Nachzahlung von S 5.021,96 sowie mit Bescheid vom 28. September 1979 ein Beitragszuschlag nach §113 Abs1 ASVG in Höhe von S 1.000,-

vorgeschrieben.

1.2. Dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch wurde vom Landeshauptmann für Salzburg mit Bescheid vom 8. Jänner 1979, Zl. 3.07-10.114/1-1979, keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid "aus seinen zutreffenden Gründen gemäß §113 (1) ASVG bestätigt".

2.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die (offenkundig) auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der Art2 und 5 StGG, des §1 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit, des Art7 und weiters der Art1, 18 und 19 B-VG und der Art5 und 6 MRK und 1 des Zusatzprotokolles zur MRK und schließlich eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, im Falle der Abweisung der Beschwerde deren Abtretung an den VwGH beantragt wird. Angefochten wird ausschließlich die Vorschreibung eines Beitragszuschlages gemäß §113 ASVG.

2.2. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde und den Zuspruch von Vorlage- und Schriftsatzaufwand begehrt.

3. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

3.1.1. Mit dem Vorbringen, es könne begreiflicherweise nicht im Ermessen des Versicherungsträgers stehen, einem Dienstgeber oder Versicherten nach Gutdünken einen und einem anderen einen anderen Betrag vorzuschreiben, die Ermächtigung zur Vorschreibung eines Beitragszuschlages stehe im Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz, wird vom Beschwerdeführer der Vorwurf erhoben, die dem angefochtenen Bescheid materiell-rechtlich zugrundeliegende Bestimmung des §113 ASVG sei verfassungswidrig. Aus dem Zusammenhang, in dem diese Ausführungen stehen - der Beschwerdeführer verweist vorerst darauf, daß die Höhe der von Dienstgebern und Dienstnehmern zu leistenden Beiträge vom ASVG bestimmt werde - erweist sich, daß der Beschwerdeführer in Wahrheit die behauptete Verfassungswidrigkeit des §113 ASVG in der vermeintlichen Unbestimmtheit dieser Regelung erblickt.

Wie der VfGH jedoch bereits in VfSlg. 4687/1964 ausgeführt hat, war schon in der damaligen Fassung des §113 ASVG der Sinn des Gesetzes hinreichend bestimmt, sodaß sich der VfGH nicht veranlaßt sah, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung einzuleiten. Der mit der 21. Nov., BGBl. 6/1968, dem §113 ASVG angefügte zweite Satz, wonach bei der Festsetzung des Beitragszuschlages der Versicherungsträger die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners, das Ausmaß der nachzuzahlenden Beträge und die Art des Meldeverstoßes zu berücksichtigen sind, hat den Gesetzestext inzwischen auch verbal in einer Weise ergänzt, wie sie als Inhalt der Regelung vom VfGH mit dem zitierten Erk. als dem Sinn der Bestimmung entsprechend erschlossen wurde.

3.1.2. Der Beschwerdeführer vermeint, daß §113 ASVG aber auch insoweit im Widerspruch "zur Verfassung und Menschenrechtskonvention" (fair trial) stünde, als er die Verhängung einer Strafe einer Körperschaft öffentlichen Rechts anheim stelle, wobei diese Kläger und Richter zugleich sei. Daß eine Strafbestimmung vorliege, ergebe sich schon aus der Überschrift "Strafbestimmungen", die den VIII. Abschnitt des ASVG einleite. Der bekämpfte Bescheid widerspreche ferner dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltentrennung, da auch in Leistungssachen ein Bescheid gleicher Natur ergehe und diesfalls der Verletzte Klage beim Schiedsgericht zu führen habe, wohingegen in "Nichtleistungssachen, den sogenannten 'Verwaltungssachen' aber ein Rechtszug (!) an den Landeshauptmann begründet" werde. Das Gesetz ermächtige also "eine Partei eine Sanktion gegen ein Nichtmitglied dieser Partei (juristische Person) zu verhängen". Der ergangene Bescheid werde aber durch einen Einspruch nicht etwa unwirksam, wie im Leistungsverfahren. Damit werde privater Bereich und Verwaltungsbereich vermengt, wodurch der Grundsatz der Gewaltenteilung verletzt werde. Die Grundsätze der Demokratie würden bedingen, daß in diesem Falle ein Gericht zu entscheiden habe, bzw. sofern eine Strafe zu verhängen sei, die Strafbehörde im Verwaltungsstrafverfahren.

Es ist offensichtlich, daß der Beschwerdeführer mit seinem - weitgehend verworrenen - Vorbringen die Rechtslage insgesamt verkennt. Was den behaupteten Strafcharakter eines Beitragszuschlages und den daraus abgeleiteten Verstoß der Regelung gegen das Gebot eines fair trial betrifft, genügt es auf den Vorbehalt Österreichs zur MRK für Verwaltungsstrafverfahren zu verweisen (vgl. VfSlg. 7814/1976). Eine Trennung von Anklage und Gericht ist nur für das gerichtliche Strafverfahren geboten (vgl. VfSlg. 5235/1966). Das aus Art94 B-VG erfließende Gebot der Gewaltentrennung ordnet die Trennung der Justiz von der Verwaltung in allen Instanzen an, womit insbesondere verboten wird, daß über ein und dieselbe Sache sowohl Gerichte als auch Verwaltungsbehörden, sei es im gemeinsamen Zusammenwirken, sei es im instanzenmäßigen Nacheinander, entscheiden (vgl. VfSlg. 3507/1959, 4359/1963). Der VfGH kann nicht finden, daß §113 ASVG gegen einen der angesprochenen Verfassungsgrundsätze verstoßen würde.

3.1.3. Eine Verfassungswidrigkeit wird vom Beschwerdeführer schließlich auch insofern behauptet, als nach dem ASVG lediglich Dienstgebern Meldepflichten auferlegt würden, nicht aber Dienstnehmern, obwohl in erster Linie diese zur Erstattung von Meldungen verhalten wären, da die Regelung ja in ihrem Interesse gelegen sei. Der Gleichheitsgrundsatz sei somit verletzt.

§60 Abs1 ASVG ermächtigt den Dienstgeber die auf den Versicherten entfallenden Beitragsteile vom Entgelt in barem abzuziehen. Gemäß §58 Abs2 schuldet der Dienstgeber die auf ihn und den Versicherten entfallenden Beiträge, gemäß Abs3 ist er verpflichtet die Beiträge auf seine Gefahr und Kosten an den zuständigen Träger der Krankenversicherung unaufgefordert einzuzahlen. Ausgehend von dieser Systematik kann der VfGH nicht finden, daß es unsachlich ist, wenn Dienstgeber gemäß §34 ASVG verpflichtet sind während des Bestandes der Pflichtversicherung jede für diese Versicherung bedeutsame Änderung zu melden.

Der VfGH sieht daher keine Veranlassung den Bedenken des Beschwerdeführers beizutreten.

3.2.1. Der Beschwerdeführer behauptet weiters, daß er durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden sei.

Die Vorschreibung eines Beitragszuschlages wegen Nichterstattung der Meldung von Sonderzahlungen sei denkunmöglich erfolgt, da er hiezu gar nicht verpflichtet gewesen wäre. Gemäß §34 ASVG sei der Dienstgeber nur dazu verhalten, bedeutsame Änderungen der für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände zu melden. Der Sbg. Gebietskrankenkasse sei die Tatsache der ständigen Zahlung eines 13. und 14. Gehaltes an sich bekannt gewesen, sodaß eine Beitragsvorschreibung auf Grund der unveränderten Meldungen möglich gewesen wäre; jedenfalls hätte die Möglichkeit bestanden im Zweifelsfalle von ihm gemäß §42 ASVG Auskünfte einzuholen.

Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides würde dieser das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzen, wenn die Behörde das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (vgl. zB VfSlg. 8866/1980, 9047/1981), eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz könnte der ständigen Rechtsprechung des VfGH (VfSlg. 8823/1980, 9186/1981) folgend nur vorliegen, wenn die Behörde den angewendeten Rechtsvorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hätte. All dies ist offensichtlich nicht der Fall.

Wie der VwGH wiederholt ausgesprochen hat (vgl. z. B. VwGH 22. 11. 1967 Z 933/67, 15. 9. 1971 Z 325/71) besteht für Dienstgeber auch die Verpflichtung zur Meldung von Sonderzahlungen gemäß §§33 und 34 ASVG. Es war jedenfalls denkmöglich, wenn die belangte Behörde auf Grund einer Unterlassung solcher Meldungen gemäß §113 ASVG einen Beitragszuschlag vorgeschrieben hat.

3.2.2. In der Beschwerde wird weiters eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht, da der Beschwerdeführer nicht von jener Behörde bestraft worden sei, die nach dem VStG in erster Instanz zu entscheiden gehabt hätte. Auch dieses Vorbringen verkennt jedoch die Rechtslage.

Gemäß §410 Abs1 ASVG war die Sbg. Gebietskrankenkasse zur Bescheiderlassung berechtigt; die Zuständigkeit der belangten Behörde zur Entscheidung über den vom Beschwerdeführer erhobenen Einspruch gegen den Bescheid der Sbg. Gebietskrankenkasse ergibt sich aus §413 Abs1 Z1 ASVG. Es kann dahingestellt bleiben, ob Beitragszuschläge als Verwaltungsstrafen zu qualifizieren sind, eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter hat jedenfalls nicht stattgefunden.

3.2.3. Wieso der Beschwerdeführer bei der gegebenen Sachlage eine Verletzung des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit behauptet, ist völlig unverständlich, zumal ein Freiheitseingriff weder behauptet noch erkennbar ist.

3.3. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Sozialversicherung, Beitragspflicht (Sozialversicherung), Gerichtsbarkeit Trennung von der Verwaltung, Gericht, Gewaltentrennung, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B70.1979

Dokumentnummer

JFT_10169390_79B00070_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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