TE Vfgh Erkenntnis 1983/6/13 B570/78

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Veröffentlicht am 13.06.1983
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Index

L1 Gemeinderecht
L1010 Stadtrecht

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z12
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art118 Abs3 Z7
B-VG Art118 Abs6
Verordnung des Magistrates der Stadt Wien vom 10.12.75 betreffend die Reinhaltung von Gebäuden. Innenhöfen und Einrichtungen zur Tierhaltung sowie die Verwendung von Senk- und Düngergruben
Wr Stadtverfassung §76
Wr Stadtverfassung §108

Beachte

ähnliche Erwägungen zu einer anderen ortspolizeilichen Verordnung im Erk. B507/78 v. gleichen Tage

Leitsatz

Ortspolizeiliche Verordnung des Magistrates der Stadt Wien vom 10. Dezember 1975, betreffend die Reinhaltung von Gebäuden, Innenhöfen und Einrichtungen zur Tierhaltung sowie die Verwendung von Senk- und Düngergruben; keine Bedenken gegen §2; keine denkunmögliche Anwendung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 10. August 1978 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §2 der Verordnung des Magistrates der Stadt Wien vom 10. Dezember 1975, Z MA 16-850/75 (kundgemacht im Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 52/1975), begangen zu haben, daß er am 8. November 1976 den auf seinem Grundstück Wien 22, G-gasse 8, befindlichen, als Hühnerstall verwendeten Bretterverschlag in einem vor Schmutz starrenden Zustand gehalten habe, wodurch das Einnisten von Ratten, Mäusen und Ungeziefer begünstigt worden sei.

Gemäß §8 der zitierten Verordnung wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von S 800,- (eine Ersatzarreststrafe von 36 Stunden) verhängt.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

Der Landeshauptmann von Wien als belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der er begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid wird eine Geldstrafe verhängt. Er greift daher in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 8776/1980, 9014/1981) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

2. Der angefochtene Bescheid gründet sich in materieller Hinsicht auf die §§2 und 8 der Verordnung des Magistrates der Stadt Wien vom 10. Dezember 1975, betreffend die Reinhaltung von Gebäuden, Innenhöfen und Einrichtungen zur Tierhaltung sowie die Verwendung von Senk- und Düngergruben (verlautbart im Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 52/1975).

Diese Vorschriften lauten:

"§2. Einrichtungen zur Tierhaltung (Stallungen usw.) sind in einem solchen Zustand zu halten, daß keine gesundheitlichen Übelstände entstehen, das Einnisten von Ratten, Mäusen und Ungeziefer nicht begünstigt und die Nachbarschaft nicht übermäßig belästigt wird. Bereits verwendete, übelriechende Stallstreu darf im Freien nicht ausgebreitet und getrocknet werden. Gesammelter Unrat ist rechtzeitig zu beseitigen. Für die Haftung gelten die Bestimmungen des §1 Abs1."

"§8. Übertretungen dieser Verordnung werden mit Geldstrafen bis zu 3.000 S oder Arrest bis zu drei Wochen bestraft."

3. Der Beschwerdeführer begründet seine Behauptung, im Eigentumsrecht verletzt worden zu sein, einerseits damit, daß §2 der Verordnung rechtswidrig sei. Diese Bestimmung ziele ua. auch darauf ab, das Einnisten von Mäusen zu verhindern; das Einnisten von Mäusen könne aber nicht als ein das örtliche Gemeinschaftsleben störender Mißstand bezeichnet werden.

Zum anderen habe die Behörde die Verordnung verfehlt angewendet. Der Beschwerdeführer halte seit vielen Jahren auf seinem Grundstück acht Tiere, und zwar Hühner und Ziegen. Er wende die moderne, sogenannte "Tiefstreuhaltung" an, bei welcher eine verhältnismäßig dicke Schicht von Streu verwendet werde, welche nur in größeren Zeitabständen gewechselt werde und naturgemäß durch den Kot und Urin der im Stall gehaltenen Tiere durchsetzt werde. Diese Tierhaltungsmethode habe verschiedene Vorteile. Die Qualifikation eines Stalles mit Tiefstreuhaltung als "schmutzstarrend", weil die Einstreu der Sache entsprechend mit Kot versetzt ist, sei rechtlich nicht haltbar. Dasselbe gelte für die Verschmutzung von Brettern mit Hühnerkot, da dieser im getrockneten Zustand geruchlos sei, sich nicht zersetze und weder Ungeziefer noch Mäuse oder Ratten anziehe. Der Stallmist könne keineswegs dem im §2 der Verordnung genannten "Unrat" gleichgesetzt werden. Wörtlich heißt es dann in der Beschwerde: Die "Anwendung einer anerkannten Tierhaltungsmethode kann nicht dem Tatbild des §2 der Verordnung als 'solcher Zustand ..., daß keine gesundheitlichen Übelstände entstehen, das Einnisten von Ratten, Mäusen und Ungeziefer (begünstigt wird)' gleichgesetzt werden".

4. a) Die Verordnung des Magistrates der Stadt Wien vom 10. Dezember 1975 wird ihrer Präambel zufolge auf §76 und §108 der Verfassung der Bundeshauptstadt Wien, LGBl. 28/1968, gestützt. Es handelt sich um eine ortspolizeiliche Verordnung iS des Art118 Abs6 B-VG.

Der VfGH hat keine Bedenken, daß nicht alle von diesen verfassungsgesetzlichen Bestimmungen geforderten Voraussetzungen (s. hiezu VfSlg. 7960/1976, S 483 ff.) vorliegen.

§2 der zitierten Verordnung vom 10. Dezember 1975 wurde im Rahmen der örtlichen Gesundheitspolizei erlassen, die nach Art118 Abs3 Z7 B-VG von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen ist. Die Verordnungsbestimmung dient (zumindest vornehmlich) der Abwehr von Gefahren, die der menschlichen Gesundheit drohen und ist sohin dem Kompetenztatbestand "Gesundheitswesen" (Art10 Abs1 Z12 B-VG) zuzuordnen (vgl. zB VfSlg. 3650/1959, 4609/1963). Unter der örtlichen Gesundheitspolizei (Art118 Abs3 Z7 B-VG) ist jener Teil der Gesundheitspolizei zu verstehen, der im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet ist, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden (vgl. VfSlg. 6463/1971). Diese Voraussetzungen liegen hier offenkundig vor.

Selbst der Beschwerdeführer räumt ein, daß §2 der Verordnung dazu dient, bestehende oder ernstlich zu befürchtende, das örtliche Gemeinschaftsleben störende Mißstände zu beseitigen. Er meint lediglich, daß ein Teilaspekt, nämlich das Einnisten von Mäusen, kein solcher Mißstand sei.

Diese Behauptung ist offenkundig verfehlt; es erübrigt sich, auf sie weiter einzugehen.

§2 der Verordnung steht nicht im Widerspruch zu bestehenden Gesetzen, insbesondere nicht zu §7 des Bundesgesetzes vom 4. Feber 1925, BGBl. 68, betreffend die Verhütung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten durch das Überhandnehmen von Ratten (vgl. hiezu das denselben Beschwerdeführer betreffende Erk. VfSlg. 7958/1976).

b) Was die gegen die Vollziehung der Verordnung gerichteten Vorwürfe des Beschwerdeführers anlangt, weisen sie keine denkunmögliche Handhabung des §2 der zitierten Verordnung nach. Auch wenn die vom Beschwerdeführer erwähnte "Tiefstreuhaltung" für seine Ziegen und Hühner unschädlich und nicht unzweckmäßig sein mag, ist es zumindest vertretbar anzunehmen, daß durch diese Art der Tierhaltung für die Umgebung "gesundheitliche Übelstände entstehen" und "die Nachbarschaft übermäßig belästigt wird."

c) Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die einen Eigentumseingriff darstellende Verhängung einer Geldstrafe auf einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsgrundlage beruht und daß die Behörde diese Rechtsvorschrift nicht denkunmöglich angewendet hat. Der Beschwerdeführer ist daher im Eigentumsrecht nicht verletzt worden.

5. a) Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in einem sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, etwa in jenem auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, verletzt wurde.

Die Handhabung des Verwaltungsstrafrechtes fällt nicht in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden, auch nicht die Bestrafung wegen Übertretung ortspolizeilicher Verordnungen (vgl. zB VfSlg. 7965/1976 und 7969/1976). Zur Bestrafung sind sohin die staatlichen Behörden zuständig. Da es sich um eine Angelegenheit aus dem Bereiche der Bundesvollziehung (Gesundheitswesen iS des Art10 Abs1 Z12 B-VG - s. o. II.4.a) handelt, hat zu Recht der Landeshauptmann in zweiter Instanz entschieden.

b) Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

c) Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Gemeinderecht, Verordnung ortspolizeiliche, Wirkungsbereich eigener, Gesundheitspolizei örtliche, Zuständigkeit Verwaltungsstrafrecht, Verwaltungsstrafrecht, Kompetenz Bund - Länder Gesundheitswesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B570.1978

Dokumentnummer

JFT_10169387_78B00570_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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