TE Vfgh Erkenntnis 1983/9/24 B632/82

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.1983
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

StGG Art8
AVG §26 Abs1
PersFrSchG §4
VStG §53 Abs1

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; §53 Abs1 VStG 1950; Vollzug einer nicht rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe ist gesetzwidrig

Spruch

Der Bf. ist durch seine Anhaltung in Verwaltungsstrafhaft im Polizeigefangenenhaus Innsbruck in der Zeit vom 11. November 1982,

23.30 Uhr, bis 12. November 1982, 10.30 Uhr, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. H A begehrte in seiner auf Art144 Abs1 B-VG gegründeten Beschwerde an den VfGH sinngemäß - die kostenpflichtige Feststellung, daß er durch seine von der Bundespolizeidirektion Innsbruck verfügte Anhaltung in Verwaltungsstrafhaft zur Verbüßung der mit dem - nicht rechtskräftigen - Straferkenntnis dieser Behörde vom 14. Juni 1982, Z St V-4451/81, verhängten Ersatzarreststrafen in der Nacht zum 12. November 1982 im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Person (Art8 StGG) verletzt worden sei.

1.1.2. Die Bundespolizeidirektion Innsbruck als bel. Beh. - vertreten durch die Finanzprokuratur - gab - unter Vorlage der Administrativakten - die Erklärung ab, daß sie auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichte.

1.2. Aus den Verwaltungsakten geht folgender Sachverhalt hervor:

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 14. Juni 1982, Z St V-4451/81, wurden über H A wegen der Verwaltungsübertretungen nach §5 Abs1 StVO und §64 Abs1 KFG gemäß den §§99 Abs1 lita StVO und 134 KFG Geldstrafen von 10000 und 6000 S, im Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzarreststrafen von fünfzehn und neun Tagen verhängt. Obwohl in dieser Verwaltungsstrafsache eine - auf einer allgemeinen, uneingeschränkten Bevollmächtigung zur Vertretung des Beschuldigten beruhende - Ermächtigung des Rechtsanwaltes Dr. M Sch. als Zustellungsbevollmächtigter vorlag, die aktenmäßig - der Bevollmächtigte hatte sich (schon mit Eingabe vom 25. September 1981) ausdrücklich auf seine im Vorakt Z St V-7076/81 einliegende Vollmacht berufen (vgl. VfSlg. 8775/1980) - ausgewiesen war, ließ die Behörde eine Ausfertigung des Straferkenntnisses zunächst, und zwar am 18. Juni 1982, dem Beschuldigten selbst zustellen. Da die Einbringung eines Rechtsmittels - ebenso wie in der Folge die Bezahlung der Geldstrafe und der Antritt der Ersatzfreiheitsstrafen - unterblieb, wurde eine zwangsweise Vorführung des H A zum Strafantritt - Haftbeginn 11. November 1982, 23.30 Uhr - veranlaßt. Am 12. November 1982, als sich herausstellte, daß die Behörde die bestehende Zustellungsbevollmächtigung offenbar übersehen hatte, wurde eine Ausfertigung des Straferkenntnisses vom 14. Juni 1982 dem ausgewiesenen Vertreter des Beschuldigten zugestellt, ferner wurde die Enthaftung des Beschuldigten angeordnet, die daraufhin am 12. November 1982, 10.30 Uhr, stattfand.

2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Nach §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. Nr. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit, das gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Hiezu zählt auch die Bestimmung des §53 VStG 1950 über die Strafvollstreckung: Der Bf. wäre daher im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG) verletzt worden, wenn seine Anhaltung in Verwaltungsstrafhaft in der Vorschrift des §53 VStG 1950 keine Deckung gefunden hätte.

2.1.2. Die Gesetzmäßigkeit des Vollzuges einer Freiheitsstrafe hängt zunächst davon ab, daß die - zu vollziehende - Verwaltungsstrafe rechtskräftig verhängt ist (vgl. VfSlg. 8642/1979, 8770/1980, VfGH 26. Feber 1983 B507/79).

2.2.1. Dies war hier nicht der Fall.

Bei aufrechtem Bestand einer Zustellvollmacht - wie im gegebenen Fall (s. Punkt 1.2.) - kann nach §26 Abs1 AVG 1950 (§24 VStG 1950) an die Partei selbst nicht rechtswirksam zugestellt werden (vgl. zB VwGH 10. November 1969 Z 1285/69, 5. Dezember 1977 Z 969, 970/77; VfSlg. 7385/1974, 8957/1980).

Das Straferkenntnis vom 14. Juni 1982 wurde jedoch - entgegen der Vorschrift des §26 Abs1 AVG 1950 - vorerst nicht dem Rechtsvertreter des Bf., sondern - am 18. Juni 1982 - dem Bf. unmittelbar, somit ohne Rechtswirksamkeit und erst am 12. November 1982 seinem Rechtsfreund, diesmal rechtswirksam, zugestellt.

2.2.2. Als der Beschuldigte am 11. November 1982 in Strafhaft kam, war das Straferkenntnis somit noch keinesfalls in Rechtkraft erwachsen, die Strafvollstreckung also gesetzwidrig (§53 Abs1 Satz 1 VStG 1950).

2.3. Aus diesen Erwägungen folgt, daß der Bf., wie er zutreffend geltend macht, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG) verletzt wurde.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Zustellung, Verwaltungsstrafrecht, Strafvollzug, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B632.1982

Dokumentnummer

JFT_10169076_82B00632_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten