TE Vfgh Erkenntnis 1983/12/7 V36/83, V37/83, V56/83, V57/83

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Veröffentlicht am 07.12.1983
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
DSt 1872 §5 Abs2
DSt 1872 §25
DSt 1872 §35
GO des Disziplinarrates der Oö Rechtsanwaltskammer 1979 §5

Beachte

vgl. Kundmachung BGBl. 87/1984 am 21. Feber 1984, s. Anlaßfall VfGH 27. Feber 1984 B217/82

Leitsatz

GeschäftsO des Disziplinarrates der Oö. Rechtsanwaltskammer 1979; §5 hat als normative Grundlage für Senatsbildungen innerhalb des Disziplinarrates keine gesetzliche Grundlage

Spruch

§5 der Geschäftsordnung des Disziplinarrates der Oö. Rechtsanwaltskammer vom 14. November 1979, genehmigt mit Erlaß des Bundesministers für Justiz vom 30. November 1979, Z 16.311/6-I 6/79, kundgemacht im Nachrichtenblatt der Österreichischen Rechtsanwaltschaft, Heft 1/1980, S 19 ff., wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Der Bundesminister für Justiz ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Beim VfGH ist zur Zahl B20/83 ein Verfahren über eine Beschwerde des Rechtsanwaltes Dr. R Sch. gegen einen Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) vom 5. Jänner 1983 anhängig, mit dem der Beschwerde des Kammeranwaltes gegen den Beschluß des Disziplinarrates der Oö. Rechtsanwaltskammer vom 5. Juli 1982 Folge gegeben und gegen den Bf. gemäß §17 Abs3 Z1 litb des Disziplinarstatuts für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (Gesetz vom 1. April 1872, RGBl. Nr. 40, betreffend die Handhabung der Disziplinargewalt über Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 140/1980, künftig: DSt) eine einstweilige Maßnahme beschlossen wurde.

Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens hat der VfGH beschlossen, von Amts wegen gemäß Art139 Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des §5 der Geschäftsordnung des Disziplinarrates der Oö. Rechtsanwaltskammer vom 14. November 1979, genehmigt mit Erlaß des Bundesministers für Justiz vom 30. November 1979, Z 16.311/6-I 6/79, kundgemacht im Nachrichtenblatt der österreichischen Rechtsanwaltschaft, Heft 1/1980, S 19 ff. (künftig: GO), einzuleiten. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist unter V36/83 protokolliert.

1.1.2. Der VfGH hat ferner in der Beschwerdesache B201/83 des Rechtsanwaltes Dr. W B von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der angeführten Bestimmung der GO eingeleitet (V37/83). Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens ist das Erk. der OBDK vom 29. November 1982, mit dem einer Schuldberufung gegen das Erk. des Disziplinarrates der Oö. Rechtsanwaltskammer vom 29. April 1981 teilweise stattgegeben und der Bf. in diesem Umfange freigesprochen, im übrigen aber seiner Berufung keine Folge gegeben wurde.

1.1.3. Der VfGH hat des weiteren in der Beschwerdesache B217/82 des Rechtsanwaltes Dr. K P von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der genannten Bestimmung der GO eingeleitet (V57/83). Gegenstand dieses Beschwerdefalles ist das Erk. der OBDK vom 18. Jänner 1982, mit dem der Berufung des Bf. gegen das Erk. des Disziplinarrates der Oö. Rechtsanwaltskammer vom 30. März 1981 keine Folge gegeben wurde.

1.1.4. Der VfGH hat schließlich in der Beschwerdesache B237/83 des Rechtsanwaltes Dr. G H von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des §5 GO eingeleitet (V56/83). Gegenstand dieses Beschwerdefalles ist das Erk. der OBDK vom 29. November 1982, mit dem der Berufung des Bf. gegen das Erk. des Disziplinarrates der Oö. Rechtsanwaltskammer vom 16. Dezember 1981 teilweise Folge gegeben und dieses Erk. insofern aufgehoben, im übrigen aber bestätigt wurde.

1.2. Der in Prüfung gezogene §5 GO lautet:

"§5 (Senate)

(1) Der Disziplinarrat kann seine Tätigkeit durch Senate ausüben; die Anzahl der Mitglieder der Senate hat den Bestimmungen des Disziplinarstatutes zu entsprechen.

(2) Die Zusammensetzung der Senate und Zuweisung der Geschäfte an sie obliegt dem Präsidenten (Vizepräsidenten)."

1.3. Der VfGH hat seine Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmung wie folgt umschrieben:

In allen Verordnungsprüfungsverfahren wurde vorläufig davon ausgegangen, daß bei der Zusammensetzung des Disziplinarrates der Oö. Rechtsanwaltskammer bei Fassung des Beschlusses, der jeweils Gegenstand der angefochtenen Entscheidung der OBDK war, die in Prüfung gezogene Bestimmung angewendet wurde und daß diese Bestimmung auch vom VfGH bei der Prüfung, ob die Behörde erster Instanz gesetzmäßig zusammengesetzt war, anzuwenden ist.

Unter Hinweis auf die bereits im Erk. VfSlg. 8711/1979 enthaltenen Darlegungen wurde in den Einleitungsbeschlüssen weiters ausgeführt:

"Der angeführte Wortlaut des §5 GO scheint die Anordnung zu enthalten, daß der Disziplinarrat seine Entscheidungen in Senaten zu treffen hat, deren Zusammensetzung durch den Präsidenten des Disziplinarrates bestimmt wird, die also nicht aus allen Mitgliedern des Disziplinarrates bestehen, weil ansonsten sinnvollerweise von Senaten nicht gesprochen werden kann. Wenn die GO hinsichtlich der Anzahl der Senatsmitglieder festlegt, daß sie 'den Bestimmungen des Disziplinarstatutes zu entsprechen' hat, dürfte dies auf der mit dem Gesetz in Widerspruch stehenden Ansicht beruhen, daß §25 DSt als gesetzliche Grundlage für eine Senatsbildung in Frage käme, obwohl diese Bestimmung ausschließlich festlegt, wieviele Mitglieder des Disziplinarrates für eine gültige Beschlußfassung anwesend zu sein haben. §5 GO scheint somit aus den im Erk. VfSlg. 8711/1979 angeführten Gründen mit dem Gesetz in Widerspruch zu stehen."

2. Sowohl der Bundesminister für Justiz als auch die Oö. Rechtsanwaltskammer haben Äußerungen erstattet, in denen die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Regelung verteidigt wird, mit dem Antrag, zu erkennen, daß §5 GO nicht gesetzwidrig ist.

3. Der VfGH hat in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Verordnungsprüfungsverfahren erwogen:

3.1. Zur Zulässigkeit:

Die vorläufige Annahme des VfGH, er hätte §5 GO bei seinen Entscheidungen in den Beschwerdefällen anzuwenden, trifft zu. Der VfGH hat nämlich zu beurteilen, ob der in erster Instanz eingeschrittene Disziplinarrat seine Entscheidung in der vorgeschriebenen personellen Zusammensetzung fällte; für diese Beurteilung liefert die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle den Maßstab. Dies trifft - entgegen der Ansicht der Oö. Rechtsanwaltskammer - auch für den Beschwerdefall B20/83 zu. Aus §5 GO erfließt ein Wahlrecht des Präsidenten des Disziplinarrates, mit der Entscheidung das Gremium in seiner Gesamtheit oder einen von ihm gebildeten Senat zu befassen. Hievon hat er auch in der vorzitierten Beschwerdesache Gebrauch gemacht und damit die in Prüfung gezogene Regelung angewendet.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, sind alle Prüfungsverfahren zulässig.

3.2. In der Sache selbst:

3.2.1.1. Der Bundesminister für Justiz hält zunächst der in VfSlg. 8711/1979 dargelegten Ansicht des VfGH, daß der nach §5 Abs2 DSt aus dem Präsidenten und acht bzw. vierzehn Mitgliedern bestehende Disziplinarrat die zur Behandlung der Disziplinarangelegenheiten zuständige Behörde ist, entgegen, daß die zitierte Bestimmung zwar die Wendung "Er (der Disziplinarrat) besteht aus ..." gebrauche, daß diese Wendung aber nicht in jedem Falle besage, daß damit die Zusammensetzung der betreffenden Behörde gemeint sei. Die Besetzung des Disziplinarrates sei - entgegen der Meinung des VfGH - nicht in §5 Abs2, sondern (auch) in §25 DSt geregelt. Daß nach dieser Bestimmung - ausdrücklich - die Anwesenheit einer Mindestanzahl von Mitgliedern des Disziplinarrates zur Fassung eines gültigen Beschlusses vorgeschrieben sei, stehe der Richtigkeit der hiemit vertretenen Ansicht keineswegs entgegen. Die §§25 und 5 Abs2 sowie 7 Abs4 DSt regelten eben die Begrenzung der Zahl der Mitglieder der Senate nach unten und oben. Daß eine Senatsbildung vom Gesetzgeber beabsichtigt sei, ergebe sich - unausgesprochen - aus §35 Abs1 und §55d DSt.

Auch der Ausschuß der Oö. Rechtsanwaltskammer ist dieser Ansicht und weist zusätzlich darauf hin, daß der Gesetzgeber mit der Möglichkeit der Senatsbildung dem unterschiedlichen Arbeitsanfall in größeren und kleineren Kammern Rechnung tragen haben wollen; §5 Abs2 DSt könne auch deshalb nicht der Sinn zukommen, daß der Disziplinarrat stets als Plenum zu entscheiden habe, da eine große Anzahl der Mitglieder eines Gremiums zu einem schleppenden Geschäftsgang führe.

Der Bundesminister für Justiz und die Oö. Rechtsanwaltskammer berufen sich schließlich auf das Erk. VfSlg. 9160/1981, aus dem sich ergäbe, daß der VfGH seine im Erk. VfSlg. 8711/1979 vertretene Ansicht fallen gelassen habe.

3.2.1.2. Der VfGH sieht sich nicht veranlaßt, aufgrund dieser Vorbringen von der im Erk. VfSlg. 8711/1979 geäußerten und in den Erk. vom 29. Juni 1983, VfSlg. 9746/1983 und vom 1. Juli 1983, VfSlg. 9756/1983 bestätigten Ansicht abzugehen.

Es ist wohl richtig, daß §35 DSt idgF von "Senaten" spricht, indem er anordnet, daß den Beschuldigten gleichzeitig mit der Ladung zur Disziplinarverhandlung die Liste der zur Verhandlung einberufenen Mitglieder des "Senates" einschließlich allfälliger einberufener Ersatzmitglieder mitzuteilen ist, und daran das Recht des Beschuldigten anknüpft, spätestens binnen 3 Tagen nach Zustellung der Ladung zwei Mitglieder (Ersatzmitglieder) ohne Angabe von Gründen durch Ablehnung von der Teilnahme an der Verhandlung auszuschließen. Hiemit werden Senate jedoch nicht eingeführt, was durch das Gebot einer verfassungskonformen Betrachtung belegt wird.

Auszugehen ist davon, daß §35 DSt in seiner Stammfassung dem Beschuldigten das Recht einräumte, bis zum Beginn der Verhandlung ohne Angabe von Gründen zwei Mitglieder des "Disciplinarrathes" durch Ablehnung von der Teilnahme an der Verhandlung auszuschließen; von Senaten war ursprünglich im DSt weder in §35 noch in einer anderen Bestimmung die Rede. Daß §5 Abs2 in der Stammfassung des DSt nicht bloß die Obergrenze der Zahl der Mitglieder des Disziplinarrates, die an einer Beschlußfassung mitwirken durften, festlegte, sondern daß durch diese Bestimmung der Disziplinarrat als für die Behandlung von Disziplinarangelegenheiten zuständige Behörde eingerichtet wurde, ergab sich auch daraus, daß §25 nur die Mindestzahl der Mitglieder die an einer Beschlußfassung mitwirken müssen, festlegte (Argument "wenigstens"). Daran kann auch durch die Neufassung des §35 durch die

8. Gerichtsentlastungsnov. vom 26. Juli 1933, BGBl. Nr. 346, keine Änderung bewirkt worden sein, wenn auch in der seither geltenden Fassung dieser Bestimmung das Wort "Senate" aufscheint. Berücksichtigt man, daß auch §35 keine Aussage darüber trifft, aus wievielen Mitgliedern Senate zu bestehen haben und für welche Fälle diesen eine Entscheidungsbefugnis zukommt, so schließt schon eine verfassungskonforme Auslegung aus, dem Gebrauch des Wortes "Senate" in dieser Gesetzesstelle die Bedeutung beizumessen, daß damit Senatsbildungen für zulässig erklärt werden.

Zu bemerken bleibt, daß die vom Ausschuß der Oö. Rechtsanwaltskammer angestellte Erwägung, Plenarentscheidungen des Disziplinarrates zögen im Hinblick auf die Größe der Zahl seiner Mitglieder einen schleppenden Geschäftsgang nach sich, der dem Arbeitsanfall nicht gerecht werde, nicht ausreicht, um eine andere rechtliche Beurteilung des Inhaltes der hier maßgebenden Gesetzesbestimmungen zu bewirken.

Zu den Ausführungen des Bundesministers für Justiz und der Oö. Rechtsanwaltskammer, der VfGH sei im Erk. VfSlg. 9160/1981 von der früher in VfSlg. 8711/1979 vertretenen Ansicht abgerückt, zumal er hinsichtlich der damals anzuwendenden Geschäftsordnung der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und das Bgld. zu keiner Verordnungsprüfung geschritten sei und sich nur dahin geäußert habe, daß das Prinzip der festen Geschäftsverteilung in Disziplinarsachen nicht anzuwenden sei, genügt es darauf zu verweisen, daß mit Erk. vom 1. Juli 1983, VfSlg. 9756/1983, festgestellt wurde, daß eben diese Geschäftsordnung des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und das Bgld. insofern gesetzwidrig war.

Zusammenfassend sieht sich der VfGH durch die Vorbringen des Bundesministers für Justiz und der Oö. Rechtsanwaltskammer nicht veranlaßt, von der in VfSlg. 8711/1979 dargelegten Rechtsansicht abzugehen.

3.2.2.1. Der Ausschuß der Oö. Rechtsanwaltskammer verteidigt die in Prüfung gezogene Regelung aber auch damit, daß §5 GO lediglich bestimme, daß der Disziplinarrat seine Entscheidungen in Senaten ausüben "kann". Der Ausschuß verweist darauf, daß diese Wortwahl auf die Entstehungsgeschichte des §5 GO zurückzuführen sei, da die Beschlußfassung über die Geschäftsordnung vom 14. November 1979 in eine Zeit gefallen sei, in der sich ein Arbeitskreis des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages mit der Reform des Disziplinarrechtes befaßt habe. Der damals erarbeitete Entwurf eines Disziplinarstatutes habe Senatsbildungen vorgesehen. §5 GO habe sowohl der geltenden Rechtslage als auch der im Entwurf vorgesehenen Rechtslage entsprechen sollen.

3.2.2.2. Auch durch diese Ausführungen des Ausschusses der Oö. Rechtsanwaltskammer werden die vom VfGH aufgeworfenen Bedenken nicht entkräftet. Der Ausschuß muß selbst zugeben, daß die Geschäftsordnung an einem Entwurf zu einer Neuregelung des Disziplinarstatuts und damit nicht am geltenden Gesetz orientiert ist. Wie im Einleitungsbeschluß angenommen, erweist sich damit - auch nach der Intention des Verordnungsgebers - §5 GO als normative Grundlage für Senatsbildungen innerhalb des Disziplinarrates, obwohl das Gesetz hiefür keine Grundlage bietet. Dieser Normgehalt belastet §5 GO mit Gesetzwidrigkeit.

Die im Einleitungsbeschluß gegen die Gesetzmäßigkeit des in Prüfung gezogenen §5 GO angeführten Gründe treffen somit zu.

3.3. Es ist daher auszusprechen, daß §5 GO als gesetzwidrig aufgehoben wird.

Die Entscheidung über die Kundmachungsverpflichtung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht (Rechtsanwälte), VfGH / Präjudizialität, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:V36.1983

Dokumentnummer

JFT_10168793_83V00036_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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