TE Vfgh Erkenntnis 1984/3/6 G10/83

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Veröffentlicht am 06.03.1984
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Index

43 Wehrrecht
43/01 Wehrrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
HeeresdisziplinarG §61 Abs2

Beachte

vgl. Kundmachung BGBl. 182/1984 am 8. Mai 1984

Leitsatz

Heeresdisziplinargesetz; Gleichheitswidrigkeit der Worte "statt der Entlassung" im §61 Abs2

Spruch

Im §61 Abs2 des Heeresdisziplinargesetzes, BGBl. 151/1956, werden die Worte "statt der Entlassung" als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich in Bundesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Beim VfGH ist zu Z B178/82 das Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Der Bf. ist Bundesbeamter (Berufsoffizier) des Ruhestandes. Er wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Erk. der Disziplinaroberkommission für Berufsoffiziere beim Bundesministerium für Landesverteidigung (im folgenden kurz: DOK) vom 14. April 1961 mehrerer Dienstvergehen für schuldig erkannt. Über den Bf. wurde die Disziplinarstrafe der Versetzung in den dauernden Ruhestand mit Minderung des Ruhegenusses um 5 vH verhängt.

Am 1. Dezember 1975 beantragte der Bf. die Wiederaufnahme des Verfahrens nach §61 Abs2 des Heeresdisziplinargesetzes, BGBl. 151/1956 (HDG).

b) Das Disziplinarrecht der Berufsoffiziere richtet sich auch nach dem Inkrafttreten des Beamten-Dienstrechtsgestzes 1979, BGBl. 333 (BDG 1979), nach dem HDG (s. §151 BDG 1979).

§61 Abs2 HDG lautet:

"Der zu einer Disziplinarstrafe rechtskräftig verurteilte Heeresangehörige oder seine gesetzlichen Erben können die Wiederaufnahme des Verfahrens auch nach vollzogener Strafe verlangen, wenn sie neue Tatsachen oder Beweismittel beibringen, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet sind, den Freispruch oder die Verhängung einer Ordnungsstrafe oder statt der Entlassung eine mildere Disziplinarstrafe zu begründen."

c) Die DOK wies mit dem im Instanzenzug ergangenen Beschluß vom 27. Jänner 1982 den Wiederaufnahmsantrag vom 1. Dezember 1975 ab. Sie begründete dies damit, daß keine der Voraussetzungen der Schlußwendung des §61 Abs2 HDG vorlägen: Es käme ein Freispruch oder die Verhängung einer Ordnungsstrafe nicht in Betracht; der letzte Satzteil dieser Bestimmung könne nur angewendet werden, wenn ursprünglich die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt wurde.

Dieser Bescheid vom 27. Jänner 1982 ist Gegenstand der eingangs erwähnten Verfassungsgerichtshofbeschwerde.

2. Der VfGH hat aus Anlaß dieser Beschwerde am 17. Dezember 1982 beschlossen, gemäß Art140 Abs1 B-VG die Verfassungsmäßigkeit der Worte "statt der Entlassung" im §61 Abs2 HDG zu prüfen.

Er äußerte im Einleitungsbeschluß einerseits das Bedenken, daß es gleichheitswidrig sei, innerhalb der Wiederaufnahmsgründe des §61 Abs2 HDG unsachlich zu differenzieren, andererseits die Wiederaufnahmsgründe für Heeresangehörige im Verhältnis zum Disziplinarrecht für die übrigen Bundesbeamten wesentlich einzuschränken; daß also §61 Abs2 HDG dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz widerspreche.

3. Die Bundesregierung hat mitgeteilt, von der Erstattung einer Äußerung abzusehen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Der im - zulässigen - Anlaßverfahren angefochtene Bescheid wird vor allem auf §61 Abs2 HDG gestützt. Auch der VfGH hat diese Vorschrift im Beschwerdeverfahren anzuwenden.

Eine - unter dem Blickwinkel des Anlaßverfahrens - verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtslage kann durch Aufhebung der in der zitierten Gesetzesbestimmung enthaltenen Worte "statt der Entlassung" hergestellt werden.

Diese Wendung ist sohin präjudiziell in der Bedeutung des Art140 Abs1

B-VG.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das von Amts wegen eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. a) §61 Abs2 HDG sieht drei Fallgruppen vor. Eine Wiederaufnahme ist nur zulässig, wenn Umstände vorliegen, aufgrund derer die Aussicht besteht,

aa) daß ein Freispruch erfolgen wird,

bb) daß statt der Disziplinarstrafe eine Ordnungsstrafe verhängt oder

cc) daß statt der Entlassung eine mildere Disziplinarstrafe ausgesprochen werden wird.

Der klare Wortlaut des Gesetzes läßt eine andere Auslegung nicht zu.

§61 Abs2 HDG schließt somit alle jene Fälle von der Möglichkeit einer Wiederaufnahme aus, in denen zwar die anderen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gegeben wären, in denen aber zu erwarten ist, daß statt einer verhängten Disziplinarstrafe - ausgenommen jener der Entlassung - eine mildere Disziplinarstrafe verhängt werden würde.

b) Es findet sich - wie im Einleitungsbeschluß vorläufig angenommen - tatsächlich keine sachliche Rechtfertigung dafür, daß nach §61 Abs2 HDG zwar eine Wiederaufnahme des Verfahrens dann zulässig ist, wenn möglicherweise statt der Disziplinarstrafe des Verweises eine Ordnungsstrafe (§13 HDG) verhängt wird, daß sie aber dann ausgeschlossen ist, wenn beispielsweise die Aussicht besteht, daß statt der verhängten Disziplinarstrafe der Versetzung in den Ruhestand mit Minderung des Ruhegenusses um 25 vH möglicherweise die Disziplinarstrafe der Versetzung in den Ruhestand mit Minderung des Ruhegenusses um bloß 5 vH oder etwa gar nur der Verweis ausgesprochen wird. In der Regel ist die Chance, mit einer milderen Disziplinarstrafe belegt zu werden, für den disziplinär bestraften Heeresangehörigen wesentlich bedeutsamer als die Chance, daß über ihn statt einer Disziplinarstrafe eine Ordnungsstrafe verhängt wird.

c) Die in Prüfung gezogene Bestimmung verstößt somit schon aus diesem Grund gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz und war daher als verfassungswidrig aufzuheben.

Es war daher entbehrlich, auf die weiters geltend gemachten Bedenken einzugehen.

3. Die übrigen Aussprüche gründen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Wiederaufnahme, Heeresdisziplinarrecht, Disziplinarrecht Heer, Militärdienst, Militärrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:G10.1983

Dokumentnummer

JFT_10159694_83G00010_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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