TE Vfgh Erkenntnis 1984/6/9 B74/80

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Veröffentlicht am 09.06.1984
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

StGG Art5
StVO 1960 §11 Abs2
VStG §44a
VStG §60
VStG §64 Abs1
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Art9, Art14

Leitsatz

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, BGBl. 591/1978, Vorbehalt zu Art9 und Art14 bewirkt keine Veränderung des Vorbehaltes zu Art5 MRK bezüglich AVG 1950 und VStG 1950 StVO 1960; denkmögliche Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Übertretung des §11 Abs2 VStG 1950; keine Bedenken gegen §64 Abs1

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Straferk. der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung vom 10. Jänner 1979 wurde der Bf. schuldig erkannt, dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §11 Abs2 StVO 1960 begangen zu haben, daß er am 4. August 1978 in der Zeit von 20.30 Uhr bis 20.45 Uhr in Weidling auf der Brandmayerstraße das Moped N ... gelenkt und es beim Abbiegen nach rechts in die Metzgergasse unterlassen habe, die Fahrtrichtungsänderung anzuzeigen. Gemäß §99 Abs3 lita StVO 1960 wurde über den Bf. eine Geldstrafe von 200 S, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzarreststrafe in der Dauer von 36 Stunden verhängt. Überdies wurde ausgesprochen, daß der Bf. gemäß §64 Abs2 VStG 1950 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens 20 S zu bezahlen habe.

Der vom - damaligen - gesetzlichen Vertreter des Bf. gegen dieses Straferk. erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Nö. Landesregierung vom 21. Dezember 1979 keine Folge gegeben und ausgesprochen, daß der Bf. gemäß §64 Abs1 und 2 VStG 1950 einen Betrag von 20 S zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu entrichten habe. Der Berufungsbescheid ist nach der Klausel "NÖ Landesregierung:

Im Auftrage" von einem Beamten des Amtes der Nö. Landesregierung unterfertigt.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Bf. in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und "des öffentlichen Gehörs vor einem auf Gesetz beruhenden Gericht innerhalb angemessener Frist" verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Der Bf. bringt gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen des AVG 1950 und des VStG 1950 Bedenken vor. Unter Hinweis auf das Erk. VfSlg. 8234/1978 führt der Bf. aus, Österreich habe zwischenzeitlich den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert (BGBl. 591/1978). Der Bf. vertritt "die Rechtsansicht, daß nunmehr nach Geltung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte die bisherige und im VfGH Erk. B105/75 (jetzt VfSlg. 8234/1978) zusammengefaßte Rechtsansicht nicht länger aufrecht erhalten werden" könne.

Er begründet dies damit, daß der Vorbehalt zu Art9 und 14 des Paktes formulierungsmäßig über den Vorbehalt zu Art5 MRK hinausgehe und im Gegensatz zu diesem auch das Verfahren, wie es in den Verwaltungsverfahrensgesetzen geregelt ist, vom Geltungsbereich des Paktes ausnehme. Da aber im Vorbehalt zur MRK der wesentliche Hinweis auf das Verfahren fehle, ergebe sich, daß das Verfahren nach AVG und VStG nicht konventionskonform sei und durch die entsprechenden Vorbehalte Österreichs zur MRK nicht gedeckt sei.

b) Mit dieser Auffassung ist der Bf. nicht im Recht. Er übersieht, daß die Formulierung der Vorbehalte, die Österreich bei der Ratifikation des Paktes erklärt hat, als spätere Formulierung eines Vorbehaltes zu einem unter Erfüllungsvorbehalt stehenden Staatsvertrag auf der Stufe eines einfachen Gesetzes den Sinngehalt einer früheren verfassungsgesetzlichen Normierung nicht zu verändern vermag. Der VfGH hat diese Erwägungen bereits in den Erk. VfSlg. 8900/1980 und 9409/1982 zu einem gleichartigen Vorbringen ausgesprochen und sieht keinen Anlaß, von dieser Rechtsansicht abzugehen.

2. a) Der Bf. äußert auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen §64 Abs1 VStG 1950. Die Berufung gegen das erstinstanzliche Straferk. sei vom Vater des Bf. als dessen gesetzlichem Vertreter erhoben worden. Sein Vater habe daher auch den Verfahrensaufwand verursacht. Wenn §64 Abs1 VStG vorschreibe, daß der Bestrafte jedenfalls einen Kostenbeitrag zu leisten habe und im Fall des §60 VStG unberücksichtigt lasse, daß der gesetzliche Vertreter eines jugendlichen Beschuldigten das Recht habe, auch gegen den Willen des Beschuldigten Rechtsmittel einzulegen, so sei dieser Gesetzesstelle der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit zu machen, weil in sachlich nicht gerechtfertiger Weise Ungleiches (Erhebung der Berufung durch den Beschuldigten bzw. - allenfalls gegen seinen Willen - durch seinen gesetzlichen Vertreter) gleich behandelt werde.

b) Diese Argumentation des Bf. ist schon deshalb abwegig, weil sie völlig außer Betracht läßt, daß ein vom gesetzlichen Vertreter auch gegen den Willen des Minderjährigen erhobenes Rechtsmittel doch jedenfalls zum Schutz des Minderjährigen eingebracht wird und dazu dienen soll, eine für den Minderjährigen ungünstige Entscheidung aus dem Rechtsbestand zu eliminieren oder allenfalls zu modifizieren. Falls der gesetzliche Vertreter im Einzelfall offenkundig nicht im Interesse des Minderjährigen gehandelt hat, werden allfällige zivilrechtliche Konsequenzen daraus durch §64 Abs1 VStG keineswegs ausgeschlossen.

Der VfGH hat daher unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §64 Abs1 VStG 1950 (zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Regelung des Kostenbeitrages in Abs2 des §64 s. VfSlg. 9409/1982).

3. a) Der Bf. behauptet weiters, die bel. Beh. hätte im angefochtenen Bescheid eine gesetzwidrige V angewandt. Der angefochtene Bescheid sei durch einen Beamten gefertigt, dies in Anwendung des §7 Abs2 der

V des Landeshauptmannes vom 9. Dezember 1975 über die Geschäftsordnung des Amtes der Nö. Landesregierung, LGBl. 0002/1-1; diese V sei im Hinblick auf §3 Abs3 des Bundesverfassungsgesetzes vom 30. Juli 1925, betreffend Grundsätze für die Einrichtung und Geschäftsführung der Ämter der Landesregierungen außer Wien, BGBl. 289, verfassungswidrig, da nach der zitierten Verfassungsbestimmung einzelne den Abteilungen zugeteilte Beamte nur ausnahmsweise zur Vertretung zuzulassen seien, wo hingegen nach der Geschäftsordnung des Amtes der Nö. Landesregierung dies generell zulässig sei.

b) Zu diesem Vorbringen ist zu erwidern, daß es sich, wie der VfGH wiederholt ausgesprochen hat, bei den aufgrund des §3 Abs2 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 289/1925 erlassenen Geschäftsordnungen der Ämter der Landesregierungen um Angelegenheiten der inneren Organisation handelt, sodaß solche Vorschriften das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht berühren. Da solche Vorschriften keine allgemeinen Anordnungen enthalten (VfSlg. 1283/1929), sind sie keine Rechtsverordnungen (VfSlg. 7941/1976); §7 Abs2 der Geschäftsordnung des Amtes der Nö. Landesregierung bildet nur eine innerdienstliche Regelung über die Vertretung des zur Erlassung eines Bescheides zuständigen Kollegiums bzw. des einzelnen Mitgliedes der Landesregierung. Die Zurechnung des angefochtenen Bescheides an die Nö. Landesregierung ergibt sich aus anderen Normen. Es kann daher das vom Bf. angeregte Verordnungsprüfungsverfahren nicht eingeleitet werden (vgl. zu gleichlautenden Vorbringen betreffend die Geschäftsordnungen anderer Ämter der Landesregierungen VfSlg. 8900/1980 und 9409/1982).

4. a) Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides würde dieser das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nur verletzen, wenn die Behörde das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (vgl. zB VfSlg. 8828/1980).

Der Bf. hält die Vorschreibung der Geldstrafe für denkunmöglich. Nach §44a VStG habe der Spruch sowohl die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt wurde, als auch die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Dem Bf. werde vorgeworfen, er hätte "eine

Verwaltungsübertretung nach §11 Abs2 StVO" begangen. Eine Verwaltungsübertretung nach §11 Abs2 StVO gebe es aber nicht. Zur Verwaltungsübertretung werde eine Verletzung der in §11 Abs2 StVO enthaltenen Anordnung erst aufgrund der Gesetzesbestimmung des §99 Abs3 lita dieses Gesetzes. Der Spruch des durch den angefochtenen Bescheid bestätigten Straferk. enthalte auch nicht alle Tatbestandsmerkmale des §11 Abs2.

Dazu ist zu bemerken, daß die Strafe über den Bf. keineswegs gesetzlos verhängt worden ist, sondern aufrund des - im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides ebenfalls zitierten - §99 Abs3 lita StVO. Das Vorbringen des Bf. in diesem Zusammenhang (auch zur nicht hinreichenden Kennzeichnung der Tat im Spruch gemäß §44a) vermag keinen in die Verfassungssphäre reichenden (s. VfSlg. 8841/1978) Fehler der Behörde darzutun.

b) Gleiches gilt für das Beschwerdevorbringen, die Behörde habe die Beweisergebnisse denkunmöglich dahin gedeutet, daß anläßlich des Abbiegens des Bf. in die Metzgergasse hinter dem Bf. fahrende Fahrzeuge behindert oder gefährdet werden konnten, die Behörde habe mit einer denkunmöglichen Begründung grobe Fahrlässigkeit als gegeben angenommen und sei im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen auch denkunmöglich von der Annahme ausgegangen, daß drei Gendarmeriebeamte im Zeitraum von einer Stunde fünfzig KFZ zu kontrollieren in der Lage seien.

Selbst wenn diese Vorwürfe ihrem Inhalt nach zuträfen, würde dies nicht bedeuten, daß die Behörde in einem Maß fehlerhaft vorgegangen wäre, das einer Gesetzlosigkeit gleichkommt. Ob die Begründung des angefochtenen Bescheides richtig ist, hat der VfGH nicht zu beurteilen.

5. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Bf. in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Verwaltungsstrafrecht, Verfahrenskosten, Straßenpolizei, Fahrtrichtungsanzeige

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B74.1980

Dokumentnummer

JFT_10159391_80B00074_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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