TE Vfgh Beschluss 1984/6/14 A9/84

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Veröffentlicht am 14.06.1984
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art137 / Allg
B-VG Art137 / ord Rechtsweg
B-VG Art138 Abs1 / Allg
B-VG Art138 Abs1 litb
ABGB §1338
StV Wien 1955 Art26
WohnungsanforderungsG, BGBl 204/1949

Leitsatz

B-VG Art137; Geltendmachung eines Entschädigungsanspruches nach Entziehung einer Liegenschaft aus rassischen Gründen aufgrund Art26 StV von Wien; keine Zuständigkeit des VfGH zur Entscheidung über einen solchen Schadenersatzanspruch infolge Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte

Spruch

Die Klage wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. In der auf Art137 B-VG gestützten Klage wird vorgetragen, H Sch. sei Miteigentümer einer Liegenschaft in Innsbruck gewesen, die den Eigentümern am 4. Juni 1938 aus rassischen Gründen entzogen worden sei. In dem Gebäude sei ein Kaffeehaus samt Konditorei betrieben worden. Der Übernehmer habe einen bisher beim Getränkevertrieb verwendeten Raum für eine Tabaktrafik in Bestand gegeben. 1945 habe ein Kriegsinvalider die Trafik tatsächlich übernommen. Mit Beschluß der Rückstellungskommission Innsbruck vom 9. Feber 1949 sei die Liegenschaft den früheren Eigentümern zurückgestellt worden. Diese hätten gegen den Inhaber der Trafik ein Räumungsverfahren angestrengt, doch habe der Magistrat der Stadt Innsbruck das Lokal hierauf nach dem WohnungsanforderungsG angefordert; Rechtsmittel an den Landeshauptmann und den VwGH seien erfolglos geblieben. Auch ein Versuch, die Aufhebung der Anforderung zu erwirken, sei gescheitert (VfSlg. 2818/1955). Bis zum Verkauf des Hauses im Jahre 1958 sei der Raum als Tabaktrafik genutzt worden. Nehme man auch nur einen Reingewinn von 10 vH des erzielbar gewesenen Umsatzes an, so betrage der Nettoverlust der Eigentümer 1200000 S. Die Hälfte dieses Betrages mache die Verlassenschaft nach der Witwe und Erbin des H Sch. für dessen Anteil geltend.

Der Anspruch wird auf folgende Erwägungen gestützt:

"Die Republik Österreich hat sich in Art26 des Staatsvertrages betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich, BGBl 152/55 verpflichtet, soweit solche Maßnahmen noch nicht getroffen worden sind, in allen Fällen, in denen Vermögenschaften, gesetzliche Rechte oder Interessen seit dem 13. 3. 1938 wegen der rassischen Abstammung oder Religion des Eigentümers Gegenstand gewaltsamer Übertragung oder von Maßnahmen der Sequestrierung, Konfiskation oder Kontrolle gewesen sind, diese angeführten Vermögenschaften zurückzustellen und diese gesetzlichen Rechte und Interessen mit allem Zubehör wiederherzustellen.

Wo eine Rückgabe oder Wiederherstellung nicht möglich ist, sieht der Staatsvertrag die Gewährung einer Entschädigung für aufgrund solcher Maßnahmen erlittener Verluste vor. Diese Entschädigung sollte in einem Ausmaß gewährt werden, wie sie bei Kriegsschäden österreichischen Staatsangehörigen jetzt oder späterhin generell gegeben würde.

Die Arisierung des Vermögens der Familie Sch. im Jahre 1938 war kausal für die Erlassung des (durch alle Instanzen bestätigten) Bescheides nach §10 Abs3 WAG. Wäre die Arisierung nicht erfolgt, so hätte das streitgegenständliche Lokal niemals als Tabakverschleißstätte Verwendung gefunden und wären somit die Tatbestandsvoraussetzungen des §10 Abs3 WAG nicht gegeben gewesen.

Die Liegenschaft selber wurde zwar zurückgestellt, der klagsgegenständliche Vermögensschaden, der eindeutig auf die Arisierung zurückzuführen ist, wurde jedoch von der Republik Österreich nicht entschädigt und ist auch kein Rückstellungs- oder Entschädigungsgesetz zur Abdeckung dieser Schäden erlassen worden, obwohl die völkerrechtliche Verpflichtung hiezu schon aus Art26 des Staatsvertrages ableitbar ist.

Der Regelungsumfang des Art26 Staatsvertrag ist weiter als derjenige der Rückstellungs- und Entschädigungsgesetze, da seinem Wortlaut zu entnehmen ist, daß alle Vermögenschaften und Rechte wieder in den Zustand zu versetzen seien, der am 13. 3. 1938 bestanden hat.

Selbst wenn man davon ausgeht, daß Art26 des Staatsvertrages nicht 'self executing' ist und der gegenständliche Anspruch daher nicht direkt aufgrund dieser Bestimmung geltend gemacht werden kann, so ergibt sich daraus jedenfalls eine völkerrechtliche Verpflichtung der Republik Österreich zur Leistung der klagsgegenständlichen Entschädigung.

Dieser 'Vertrag zugunsten Dritter' wurde von der Republik Österreich nicht (vollinhaltlich) eingehalten.

Ein Anerkenntnis bzw. einen weiteren Hinweis auf das Bestehen der klagsgegenständlichen Ansprüche bildet der Inhalt des Notenwechsels zwischen den Regierungen des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland und der Republik Österreich vom 8. und 22. 5. 1959 betreffend gewisse Ansprüche in Verbindung mit Art26 des österreichischen Staatsvertrages.

Im Anhang zu diesem Dokument sind unter dem Titel 'Liste individueller Ansprüche' auch die Ansprüche der Familie Sch. betreffend Geschäftsräumlichkeiten in Innsbruck, M-Straße, ausdrücklich angeführt.

Dieser Notenwechsel fand 10 Jahre nach der Rückstellung der Liegenschaft in das Eigentum der Familie Sch. statt, woraus ersichtlich ist, daß nicht nur die Rückübertragung des Eigentumes als solches, sondern die damals bereits durch Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof sanktionierte Anforderung des Geschäftslokales als Tabaktrafik Gegenstand eines noch nicht bereinigten Entschädigungsanspruches war und ist.

Art4 des Notenaustausches enthält eine ausdrückliche Verpflichtung der Republik Österreich, sich für die Zurückstellung widerrechtlich entzogener Bestandsrechte an jene Personen, die nach der Befreiung Österreichs in das Bundesgebiet zurückkehrten, um sich die von der nationalsozialistischen Herrschaft zerstörte Existenzgrundlage wiederaufzubauen, einzusetzen.

Die Verletzung dieser völkerrechtlichen Verpflichtung, welche sich auch aus Art26 des Staatsvertrages ergibt, zieht eine Schadenersatzforderung in der nunmehr geltend gemachten Höhe nach sich."

Die Zivilgerichte erster und zweiter Instanz hätten die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen. Sollte sich auch der VfGH für unzuständig erklären, wird gemäß Art138 B-VG begehrt, die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte festzustellen.

II. Die Klage ist nicht zulässig.

Geltend gemacht wird ein vermögensrechtlicher Anspruch an den Bund. Zu seiner Beurteilung wäre der VfGH nach Art137 B-VG zuständig, wenn der Streit weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen wäre. Es handelt sich jedoch um einen Anspruch, der vor die ordentlichen Gerichte gehört:

Die klagende Verlassenschaft begehrt - ungeachtet der Schlußfolgerungen der Klage - eine Entschädigung für erlittene Verluste aufgrund gewaltsamer Übertragung von Vermögenschaften wegen der rassischen Abstammung oder der Religion. Sie sieht die Grundlage des Anspruches nicht etwa in der Anforderung des Geschäftsraumes nach dem WohnungsanforderungsG, BGBl. 204/1949, - dieses Gesetz sah auch keine Entschädigung, sondern den Abschluß von Mietverträgen zwischen dem Eigentümer und dem Zugewiesenen, allenfalls eine Vergütungspflicht des Zugewiesenen unter Haftung der Gemeinde vor -, sondern der Entziehung der Liegenschaft als wesentlicher Ursache der späteren Anforderung. Die Klage geht davon aus, daß die Abdeckung solcher Schäden in keinem Rückstellungs- oder Entschädigungsgesetz vorgesehen ist, aber unmittelbar aus Art26 des Staatsvertrages von Wien begehrt werden kann.

Zu prüfen ist indessen hier noch nicht, ob für den in der Klage geschilderten Sachverhalt eine Entschädigung gebührt, sondern ob zur Entscheidung darüber Gerichte oder Verwaltungsbehörden zuständig sind. Der Art nach handelt es sich beim geltend gemachten Anspruch offenkundig um einen Schadenersatzanspruch. Wie der VfGH aber schon im Erk. VfSlg. 2154/1951 unter Hinweis auf §1338 ABGB und die Rechtsprechung des ehemaligen kk. Reichsgerichtes klargestellt und seither ständig festgehalten hat (vgl. VfSlg. 2228/1951, 2431/1952, 2579/1953, 3124/1956, 3167/1957, 3287/1957, 3348/1958, 4961/1965, 5257/1966, 5519/1967, 6512/1971, 7421/1974, 8065/1977 und VfGH 25. 9. 1978 B377/78), fallen Schadenersatzansprüche in die Kompetenz der ordentlichen Gerichte, sofern das Gesetz nicht eine besondere Ausnahme von dieser Regel macht. Eine gesetzliche Bestimmung, die eine Verwaltungsbehörde zur bescheidmäßigen Erledigung eines Begehrens der vorliegenden Art berufen würde, findet sich nicht. Die Entscheidung über den Anspruch ist also Sache der ordentlichen Gerichte.

Die Frage, ob das Gesetz - oder ein Staatsvertrag - den behaupteten Anspruch auch tatsächlich einräumt, berührt die Zulässigkeit des Rechtsweges nicht; sie ist vom Gericht zu beantworten.

Der VfGH ist dazu offenkundig nicht zuständig. Vielmehr ist die Klage ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (§19 Abs3 Z2 lita VerfGG).

II. Der für diesen Fall gestellte Antrag auf Entscheidung eines - verneinenden - Kompetenzkonfliktes zwischen dem VfGH und den ordentlichen Gerichten muß der Entscheidung in dem dafür vorgesehenen - erst einzuleitenden - besonderen Verfahren vorbehalten bleiben.

Schlagworte

VfGH / Klagen, VfGH / Kompetenzkonflikt, Entschädigung, Schadenersatz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:A9.1984

Dokumentnummer

JFT_10159386_84A00009_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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