TE Vfgh Erkenntnis 1984/9/21 B242/80

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Veröffentlicht am 21.09.1984
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
ABGB §276
DSt 1872 §44 Abs2

Leitsatz

Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter; gerechtfertigte Annahme der Abwesenheit der Bf.; rechtswirksame Zustellung eines Beschlusses des Disziplinarrates an den vom Gericht bestellten Zustellkurator; Zurückweisung des Rechtsmittels als verspätet daher zu Recht erfolgt; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Die Bf. ist Rechtsanwalt. Sie hatte ihren Kanzleisitz in Mödling.

Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und das Bgld. (im folgenden kurz: Disziplinarrat) hat ihr mit Beschluß vom 8. August 1979, D 51/1977, D 85/1979, "für die Dauer der vom Landesgericht für Strafsachen Wien gegen sie zu 24d Vr 2709/78 geführten Voruntersuchung und der vom gleichen Gericht gegen sie zu 25c Vr 5800/75 gepflogenen Vorerhebungen bis zu deren jeweiliger Einstellung oder der Beendigung der bezüglichen Strafverfahren durch rechtskräftiges Urteil die Ausübung der Rechtsanwaltschaft" gemäß §17 des Disziplinarstatuts für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, RGBl. 40/1872, (DSt.) eingestellt.

b) Am 8. August 1979 beantragte der Disziplinarrat beim BG Mödling, für die Bf. einen Zustellkurator zu bestellen. Es solle ihr der oben erwähnte Beschluß betreffend die Einstellung der Tätigkeit als Rechtsanwalt zugestellt werden; sie sei jedoch unbekannten Aufenthaltes.

Das BG Mödling erließ am 24. August 1979 zu Z 2 P 126/79-3 einen Beschluß, mit dem für die Bf. für die Dauer ihres unbekannten Aufenthaltes Frau Dr. H D, Rechtsanwalt in Mödling, zum Zustellkurator in den Verfahren zu D 51/77 und D 85/79 der "RAK für Wien, Niederösterreich und Burgenland" bestellt wurde.

c) Sodann wurde der erwähnte Einstellungsbeschluß des Disziplinarrates vom 8. August 1979 Rechtsanwalt Dr. H D in ihrer Eigenschaft als Zustellkurator am 6. September 1979 zugestellt.

d) Gegen den Einstellungsbeschluß vom 8. August 1979 erhob die Bf. Administrativbeschwerde, die am 27. September 1979 beim Disziplinarrat eingebracht wurde.

e) Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) wies mit Bescheid vom 18. Feber 1980 diese Administrativbeschwerde als verspätet zurück.

Sie begründete dies im wesentlichen wie folgt:

Es sei erwiesen, daß sich die Bf. zum Zeitpunkt der Bestellung des Zustellkurators weder an ihrem Wohnsitz noch am Sitz ihrer Kanzlei aufgehalten habe. Obgleich der Zustellkurator nicht vom Disziplinarrat selbst, sondern über dessen Antrag vom BG bestellt worden sei, liege eine rechtswirksame Bestellung eines Zustellkurators iS des §44 Abs2 DSt. vor.

Die Rechtsmittelfrist gegen den angefochtenen Beschluß des Disziplinarrates sei mit dessen Zustellung an Dr. H D am 6. September 1979 in Gang gesetzt worden und am 20. September 1979 abgelaufen. Die erst am 27. September 1979 beim Disziplinarrat überreichte Beschwerde sei daher als verspätet zurückzuweisen. Wann die Bf. vom angefochtenen Beschluß Kenntnis erlangt habe, sei ohne Belang.

2. Gegen diesen Bescheid der OBDK vom 18. Feber 1980 wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.

3. Die OBDK als bel. Beh. hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

4. §6 der Geschäftsordnung für den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld., beschlossen von der Vollversammlung der Rechtsanwaltskammer am 21. Mai 1957, kundgemacht im Nachrichtenblatt der Österreichischen Rechtsanwaltschaft, 19. Jg., Heft 5/1957, S 55 ff., regelt die Zusammensetzung des Disziplinarrates.

Der VfGH hat (ua.) aus Anlaß der vorliegenden Beschwerde Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des §6 Abs2 und des §6 Abs1 GO-DR eingeleitet. Mit Beschlüssen vom 1. Juli 1983, V103/82, und vom 2. März 1984, V45/83, wurden beide Verordnungsprüfungsverfahren mangels Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmungen eingestellt.

Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid der OBDK wird eine von der Bf. erhobene Berufung zurückgwiesen. Die bel. Beh. hat somit der Bf. eine Sachentscheidung über diese Berufung verweigert. Hätte sie dies zu Unrecht getan, hätte sie die Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt (vgl. zB VfSlg. 9105/1981).

2. a) Der erstinstanzliche Bescheid des Disziplinarrates wurde am 6. September 1979 dem Zustellkurator Dr. H D zugestellt. Die gegen diesen erstinstanzlichen Beschluß erhobene Administrativbeschwerde wurde am 27. September 1979 beim Disziplinarrat persönlich eingebracht. Sollte die 14tägige Beschwerdefrist (§48 Abs1 DSt.) durch Zustellung an Dr. D am 6. September 1979 in Gang gesetzt worden sein, so wäre demnach die Administrativbeschwerde verspätet erhoben und von der OBDK zu Recht zurückgewiesen worden.

b) Die Bf. bestreitet, daß die Zustellung an Dr. D die Beschwerdefrist in Gang gesetzt habe. Sie habe erst am 13. September 1979 vom Beschluß des Disziplinarrates Kenntnis erlangt.

Die Bestellung von Dr. D zum Zustellkurator sei rechtswidrig erfolgt; möglicherweise sei der durch das BG Mödling gesetzte Bestellungsakt sogar absolut nichtig. Ihr Aufenthalt sei damals nicht unbekannt gewesen. Selbst wenn die Voraussetzungen für eine Kuratorenbestellung vorgelegen wären, hätte diese gemäß §44 Abs2 DSt. durch den Disziplinarrat, und nicht durch das BG Mödling erfolgen müssen.

c) Feststeht, daß das BG Mödling über Antrag des Disziplinarrates mit Beschluß vom 24. August 1979 Dr. H D zum Zustellkurator in den gegenständlichen, gegen die Bf. anhängigen Disziplinarverfahren bestellt hat. Es kann unerörtert bleiben, ob dieser Bestellungsakt rechtmäßig erfolgte oder nicht. Ein solcher nach §276 ABGB erfolgter Bestellungsbeschluß ist nämlich nach Anschlag an der Gerichtstafel und nach Zustellung an den Kurator rechtswirksam und kann auch noch vor seiner Rechtskraft in Vollzug gesetzt werden; der Kurator kann unverzüglich nach Eintritt der Rechtswirksamkeit für den Kuranden tätig werden (vgl. zB SZ 27/302).

Die Bf. behauptet unter Berufung auf Feil, ABGB II S 520 ("Die vorsätzliche Veranlassung der Bestellung eines Kurators für eine Person, von der der Antragsteller weiß, daß sie nicht abwesend ist, hat Nichtigkeit des Verfahrens zur Folge (Fasching II 613; EvBl. 1951/235) ..."), daß die Kuratorenbestellung absolut nichtig gewesen sei.

Es erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der in der zitierten Literaturstelle vertretenen Meinung, da - wie sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt - der antragstellende Disziplinarrat mit gutem Grund (an die Bf. gerichtete Erledigungen des Disziplinarrates konnten wegen ihres unbekannten Aufenthaltes nicht zugestellt werden) die Abwesenheit der Bf. annehmen konnte.

Die Zustellung des erstinstanzlichen Beschlusses an den Kurator Dr. D hat sohin die 14tägige Rechtsmittelfrist in Gang gesetzt.

Da die Berufung der Bf. zu Recht zurückgewiesen worden ist, ist die Bf. im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt worden.

3. a) Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der die Zurückweisung tragenden Rechtsvorschriften ist es damit auch ausgeschlossen, daß sie in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden wäre (vgl. zB VfSlg. 8741/1980).

b) Die Beschwerde war infolgedessen abzuweisen.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Zustellung / Zustellbevollmächtigter, Fristen (Berufung), Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B242.1980

Dokumentnummer

JFT_10159079_80B00242_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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