TE Vfgh Erkenntnis 1984/9/27 B646/80

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.09.1984
beobachten
merken

Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art83 Abs2
AVG §8
Oö BauO §51 Abs1
Oö BauO §64 Abs2

Leitsatz

Oö. Bauordnung 1976; Antrag des Bauwerbers um Verlängerung der Frist für den Beginn der Bauausführung gemäß §51 Abs1 und 3; subjektive Rechtssphäre des Nachbarn zumindest hinsichtlich der Frage der Rechtzeitigkeit dieses Antrages iS des §64 Abs2 berührt; Entzug des gesetzlichen Richters durch Verneinung der Parteistellung des Nachbarn in einem solchen Verfahren

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Mit dem am 4. April 1975 rechtskräftig gewordenen Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Enns vom 27. Dezember 1973 wurde den Eigentümern des Grundstückes ..., EZ ..., KG Enns, die Bewilligung zur Errichtung eines Mehrfamilienwohnhauses auf dem genannten Grundstück erteilt. Einwendungen der Bf. als Nachbarn gegen das Bauvorhaben wurde abgewiesen.

b) Mit dem Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Enns vom 12. Juni 1978 wurde "gemäß §51 Abs3 der Oö. Bauordnung, LGBl. 35/1976, (Oö.

BauO) ... die Frist für den Beginn der Bauausführung ... des

Bauvorhabens 'Mehrfamilienwohnhaus ... auf der Parzelle ... der KG

Enns' bis 31. 12. 1979 verlängert".

c) Mit Schreiben vom 26. Juni 1979 wurde der Stadtgemeinde Enns gemäß §54 Abs4 Oö. BauO als Zeitpunkt des Baubeginnes für das angeführte Bauvorhaben der 26. Juni 1979 bekanntgegeben. Dieses Schreiben ist von der mit der Ausführung des Bauvorhabens beauftragten Baufirma unterfertigt und enthält ferner den Hinweis, daß als Bauherr die "W" mit dem Sitz in Linz auftritt.

d) Mit dem Beschluß des BG Enns vom 22. Jänner 1980 ist in der EZ ..., KG Enns, zu der das Grundstück ... gehört, die Einverleibung des Eigentumsrechtes "für die Firma G W GesmbH" bewilligt worden.

e) Da von Organen des Stadtamtes Enns anläßlich einer Besichtigung festgestellt worden war, daß mit dem Bau des Mehrfamilienwohnhauses auf dem Grundstück ... entgegen der im Schreiben vom 26. Juni 1979 erfolgten Mitteilung nicht begonnen worden war, erging an die genannte Wohnbaugesellschaft mit Schreiben des Stadtamtes vom 17. April 1980 die Mitteilung, daß die Baubewilligung für das geplante Mehrfamilienwohnhaus "mit 31. 12. 1979 abgelaufen ist, da mit dem Bau nicht fristgerecht begonnen wurde".

Die genannte Wohnbaugesellschaft teilte ihrerseits dem Stadtamt mit Schreiben vom 23. Mai 1980 mit, sie habe die Mitteilung des Baubeginnes mit dem Schreiben vom 26. Juni 1979 (litc) veranlaßt, sei aber von der Unterlassung des Baubeginnes durch die beauftragte Baufirma nicht informiert worden. Diese habe nunmehr der Wohnbaugesellschaft mitgeteilt, daß die Baufirma und die vormaligen grundbücherlichen Eigentümer mit Schreiben vom 5. Oktober 1979 abermals um Verlängerung der Frist angesucht hätten. Eine bescheidmäßige Erledigung über dieses Ansuchen sei nicht erfolgt. Einer Mitteilung der Grundeigentümer sei zu entnehmen, daß offensichtlich dieses Ansuchen vom 5. Oktober 1979 nach erfolgter Absendung durch die Grundstückseigentümer in Verstoß geraten sei.

Unter Hinweis darauf stelle die einschreitende Wohnbaugesellschaft, die an diesem Vorgang keinerlei Verschulden treffe, als nunmehrige grundbücherliche Eigentümerin den Antrag "auf Verlängerung der Frist für den Baubeginn im Sinne des Schreibens bzw. Antrages" der ehemaligen Grundeigentümer" vom 5. 10. 1979". Dem Antrag war die Ablichtung einer Abschrift eines mit "5. 10. 1979" datierten, von Frau U F für die Eigentümer unterfertigten Schreibens an den "Bürgermeister der Stadt Enns" angeschlossen, in dem unter Hinweis auf die erteilte Baubewilligung (lita) und auf die mit dem Bescheid vom 12. Juni 1978 verlängerte Frist (litb) neuerlich um Verlängerung der Frist zum Beginn der Bauausführung angesucht wurde.

Auf der Ablichtung ist der - handschriftlich angebrachte - Vermerk ersichtlich: "per Post am 5. 10. 1979 abgesandt".

f) Nach einem Aktenvermerk des Stadtamtes Enns vom 30. Mai 1980 wurde nach Durchsicht des Postverzeichnisses 1979 festgestellt, daß das Schreiben vom 5. Oktober 1979 der Eigentümer des Grundstückes ... beim Stadtamt Enns nicht eingelangt ist.

Bei einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Stadtamt Enns erklärte Frau U F, das Ansuchen vom 5. Oktober 1979 an diesem Tage "per Post abgesandt" zu haben. Sie verwies auf den handschriftlichen Vermerk über die Absendung dieses Schreibens am genannten Tage, der von einem zuverlässigen Mitarbeiter bei der Baufirma angebracht worden sei.

In einem weiteren Aktenvermerk des Stadtamtes Enns ist festgehalten, es sei anzunehmen, daß das Ansuchen der ehemaligen Grundstückseigentümer vom 5. Oktober 1979 auf dem Postweg in Verlust geraten sei.

Da es - nach den weiteren Ausführungen in diesem Aktenvermerk - besonders wegen der seit der Erteilung der Baubewilligung eingetretenen Änderung der Bauordnung eine außergewöhnliche Härte wäre, die rechtzeitige Einbringung des Antrages um Verlängerung der Baubeginnsfrist nicht anzuerkennen, erscheine es unter Berücksichtigung der vorgebrachten Behauptungen der Grundstückseigentümer gerechtfertigt, "die Baubeginnsfrist unter Zugrundelegung der Rechtslage vom 5. 10. 1979 zu verlängern".

g) In dem sodann vom Bürgermeister der Stadt Enns erlassenen, "an die

G W GesmbH" adressierten Bescheid vom 9. Juni 1980 heißt es:

"Mit Ansuchen vom 23. 5. 1980 haben Sie im Sinne des Ansuchens der

Voreigentümerin der Parzelle ... vom 5. 10. 1979 um Verlängerung der

Baubeginnsfrist für das ... Bauvorhaben auf der Parzelle ... der KG

Enns angesucht ... Im Sinne des §59 Abs1 AVG 1970 ergeht über ihr

Ansuchen folgender Spruch:

Gemäß §51 Abs3 der Oö. Bauordnung, LGBl. 35/1976 wird die Frist für den Beginn der Bauausführung Ihres Bauvorhabens 'Mehrfamilienwohnhaus ...' auf der Parzelle ... der KG Enns bis 31. 12. 1980 verlängert".

Die Begründung des Bescheides lautet:

"Die Verlängerung der Baubeginnsfrist war im Sinne der angeführten Gesetzesstelle zu erteilen, weil das Bauvorhaben ohne Verschulden der Bauwerberin verzögert wurde, da die zugesagten Förderungsmittel durch die Wohnbauförderung nicht zugeteilt wurden".

Der Bescheid erging "durchschriftlich zur Kenntnisnahme" an die Bf.

h) Die von den Bf. gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 9. Juni 1980 erhobene Berufung wurde mit dem aufgrund des Beschlusses des Gemeinderates der Stadtgemeinde Enns vom 25. September 1980 erlassenen Bescheid vom 26. September 1980 gemäß §66 Abs4 iVm. §8 AVG 1950 und gemäß §51 Oö. BauO zurückgewiesen.

In der Begründung des Bescheides wird ausgeführt, daß ein nachbarrechtliches Verfahren nur im Baubewilligungsverfahren vorgesehen sei (§46 Oö. BauO). Im Verfahren über die Bewilligung zur Verlängerung der Frist für den Beginn der Bauausführung sei dies nicht der Fall. Es sei "davon auszugehen, ob überhaupt die Berufungswerber als Nachbarn zur Einbringung einer Berufung gegen die Verlängerung der Frist zum Beginn der Bauausführung berechtigt" seien. Sie seien dies nur dann, wenn ihnen Parteistellung zukäme. Die Parteistellung für die Nachbarn sei nicht gegeben, weil die Bestimmungen des §51 Oö. BauO über die Verlängerung der Frist zum Beginn der Bauausführung ein nachbarrechtliches Verfahren nicht vorsähen und somit Nachbarn keine subjektiven Rechte eingeräumt würden. Die Berufung sei daher zurückzuweisen gewesen.

i) Der von den Bf. gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung hat die Oö. Landesregierung mit dem Bescheid vom 7. November 1980 gemäß §102 Oö. Gemeindeordnung 1979 in Verbindung mit §67 der Oö. BauO "mit der Feststellung, daß durch den angefochtenen Bescheid Rechte der Vorstellungswerberinnen nicht verletzt werden, keine Folge gegeben".

In der Begründung des Bescheides wird ausgeführt, daß die Bf. wohl in Verkennung der Rechtsmittelbelehrung, die nur für den Bescheidadressaten, somit die G W GesmbH zu gelten habe, die Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid eingebracht hätten. Die von den Baubehörden erster und zweiter Instanz vertretene Ansicht, die Bf. hätten als Nachbarn im Verfahren nach §51 Abs3 Oö. BauO keine Parteistellung und könnten daher auch keine Berufung einbringen, sei "deshalb nicht von der Hand zu weisen, weil sich diese Bestimmung (§51 Abs3 Oö. BauO) lediglich an die Baubehörde richtet und keine dem Schutz der Nachbarschaft dienende Regelung darstellt".

Im §51 Abs3 Oö. BauO gehe es "darum, die Rechtsbeziehungen zwischen den Bauwerbern und der Baubehörde ... der Regelung zu unterziehen". Diese Regelung diene nur dem öffentlichen Interesse und nicht dem Schutz bzw. dem Interesse der Nachbarn.

2. Gegen den Bescheid der Oö. Landesregierung vom 7. November 1980 richtet sich die unter Berufung auf Art144 B-VG erhobene Beschwerde.

Die Bf. behaupten, durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden zu sein. Sie stellen den Antrag, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) §51 Abs1 und Abs3 Oö. BauO lauten:

"§51

Erlöschen der Baubewilligung

(1) Die Baubewilligung für jedes Bauvorhaben erlischt mit Ablauf von drei Jahren nach dem Eintritt der Rechtskraft des Bewilligungsbescheides, wenn nicht innerhalb dieser dreijährigen Frist mit der Bauausführung begonnen wurde.

(2) ...

(3) Die Frist für den Beginn der Bauausführung (Abs1) ist über Antrag des Bauwerbers angemessen zu verlängern, wenn das Bauvorhaben dem zur Zeit der Verlängerung geltenden Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan entspricht und der Bauwerber überdies glaubhaft macht, daß sich der Beginn der Bauausführung ohne sein Verschulden verzögert hat."

b) §64 Abs2 Oö. BauO lautet:

"§64

Dingliche Bescheidwirkung; Verlängerung von Fristen

(1) ...

(2) Sofern in diesem Gesetz die Verlängerung einer Frist über Antrag vorgesehen ist, ist der Antrag auf Fristverlängerung vor Ablauf der Frist bei der zur Verlängerung zuständigen Behörde einzubringen. Ein rechtzeitig bei der zuständigen Behörde eingebrachter Antrag auf Fristverlängerung hemmt den weiteren Ablauf der Frist bis zur Entscheidung über den Verlängerungsantrag."

2. Der Bürgermeister ist bei der Erlassung des Bescheides vom 9. Juni 1980 (I./1. litg) davon ausgegangen, daß das von den Voreigentümern am 5. Oktober 1979 gestellte Ansuchen als Ansuchen der G W GesmbH zu behandeln und daß somit über ein vor Ablauf der mit dem Bescheid vom 12. Juni 1978 (I./1. litb) bis 31. Dezember 1979 verlängerten Frist gestelltes Ansuchen um Verlängerung der Frist für den Beginn des Bauvorhabens abzusprechen ist.

Die gegen den Bescheid des Bürgermeisters erhobene Berufung der Bf. hat der Gemeinderat der Stadt Enns (I./1. lith) mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, daß in einem Verfahren über die Verlängerung der Frist für den Beginn der Bauausführung nach §51 Abs3 der Oö. BauO den Nachbarn Parteistellung nicht zukäme.

Durch diese Zurückweisung der Berufung hat der Gemeinderat der Stadtgemeinde Enns den Bf. eine Sachentscheidung über eine von ihnen erhobene Berufung verweigert. Die Bf. wären im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, wenn die Zurückweisung der Berufung zu Unrecht erfolgt wäre und die Vorstellungsbehörde diesen Fehler nicht wahrgenommen hätte (vgl. VfSlg. 9383/1982).

3. Weder die Bestimmungen des §51 noch sonstige Bestimmungen der Oö. BauO enthalten eine (ausdrückliche) Regelung, welchen Personen - außer dem antragstellenden Bauwerber - in einem Verfahren zur Verlängerung der Frist für den Beginn der Bauausführung Parteistellung zukommt, insbesondere, ob die Parteistellung für die Nachbarn als Parteien des Baubewilligungsverfahrens gegeben ist.

Als Parteien kommen iS des §8 AVG 1950 alle Personen in Betracht, deren subjektive Rechtssphäre im Verfahren unmittelbar berührt wird (vgl. VfSlg. 8232/1978 mit Hinweisen auf Literatur und Vorjudikatur). Die Bf., denen im Baubewilligungsverfahren als Nachbarn unbestritten Parteistellung zugekommen ist, können daher im Verfahren zur Verlängerung der Frist für den Beginn der Bauausführung Parteistellung nur dann haben, wenn durch die in diesem Verfahren ergehende Entscheidung in ihre subjektiven Rechte unmittelbar eingegriffen wird.

Bei der Beurteilung, ob durch diese Entscheidung ein Eingriff in die Rechtssphäre der Nachbarn bewirkt wird, kommt es darauf an, ob über einen iS des §64 Abs2 Oö. BauO vor Ablauf der Frist - im vorliegenden Fall vor Ablauf der mit dem Bescheid des Bürgermeisters vom 12. Juni 1978 bis 31. Dezember 1979 verlängerten Frist - oder über einen nach Ablauf der Frist gestellten Antrag zu entscheiden ist.

Träfe letzteres zu, so wäre über ein neu gestelltes Bauansuchen zu entscheiden. Im Verfahren käme den Nachbarn unbestritten Parteistellung zu.

Zweifelhaft ist hingegen die Parteistellung der Nachbarn im Falle der Entscheidung über ein vor Ablauf der Frist gestelltes Ansuchen.

Mit der Verlängerung der Frist wird ausgesprochen, daß statt des Erlöschens der Baubewilligung nach §51 Abs1 Oö. BauO deren Wirksamkeit für die Zeit der gewährten Frist aufrecht bleibt. Damit bleibt auch das gegenüber den Nachbarn nach dem Baubewilligungsbescheid bestehende Rechtsverhältnis aufrecht.

Daher wird die subjektive Rechtssphäre der Nachbarn jedenfalls hinsichtlich der Frage berührt, ob ein rechtzeitig gestellter Antrag als Voraussetzung für eine Verlängerung der Frist vorgelegen ist und nicht erst ein nach Ablauf der Frist gestellter Antrag eingebracht wurde, der zur Durchführung eines neuerlichen Bauverfahrens geführt hätte, in dem den Nachbarn in vollem Umfang Parteistellung zukäme.

Da der Gemeinderat bei der Entscheidung über die Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid den umschriebenen Eingriff in die subjektive Rechtssphäre der Bf. verkannt und damit ihre Berufung zurückgewiesen hat, ist den Bf. zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert worden.

Die bel. Beh. hat bei der Entscheidung über die Vorstellung gegen den Berufungsbescheid des Gemeinderates die rechtswidrige Verweigerung der Sachentscheidung nicht wahrgenommen, sodaß die Bf. iS der ständigen Rechtsprechung des VfGH durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wurden.

Der Bescheid war daher aufzuheben, ohne daß zu prüfen war, ob die Behauptung der Bf., durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden zu sein, zutrifft.

Schlagworte

Baurecht, Nachbarrechte, Baubewilligung, Parteistellung Baurecht, Verwaltungsverfahren, Fristen, Auslegung eines Antrages

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B646.1980

Dokumentnummer

JFT_10159073_80B00646_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten