TE Vfgh Erkenntnis 1984/10/8 B25/80

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Veröffentlicht am 08.10.1984
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8500 Straßen

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z6
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art94
B-VG Art119a Abs5
MRK Art6
StGG Art5
Nö GdO 1973 §61
Nö LandesstraßenG §2
Nö LandesstraßenG §34:

Leitsatz

Nö. Landesstraßengesetz; Feststellung der Öffentlichkeit eines Privatweges gemäß §2; keine zivilrechtliche Angelegenheit; kein Entzug des gesetzlichen Richters, keine Verletzung des Eigentumsrechtes

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Der Bürgermeister der Marktgemeinde Mühldorf stellte mit

Bescheid vom 11. Juli 1977 gemäß §2 des Nö. Landesstraßengesetzes

fest, daß dem über die Parzellen ..., ..., ..., ... und ...,

sämtliche in der Rotte Eichberg, führenden, etwa parallel zum

Doppelbach befindlichen, zirka 2 bis 3 m breiten Weg, und zwar

beginnend bei der öffentlichen Wegparzelle ... und endend bei der

Landesstraße Parzelle ... im Bereich der Parzelle ..., die Merkmale

der Öffentlichkeit, und zwar des Fußgeher-, Radfahrer-, Reit- und Fahrzeugverkehrs, zukommen.

1.2. Der gegen diesen Bescheid von den Bf. erhobenen Berufung wurde, nachdem ein am 19. Dezember 1977 ergangener Berufungsbescheid von der Vorstellungsbehörde wegen Verfahrensmängeln aufgehoben und nachdem am 27. September 1978 ein ergänzendes Gutachten eingeholt worden war, mit Bescheid vom 27. Dezember 1978 nicht stattgegeben, der erstinstanzliche Bescheid jedoch dahingehend ergänzt, daß die Merkmale der Öffentlichkeit sich hinsichtlich des Fahrzeugverkehrs nicht auf die Parzellen ... und ... beziehen.

1.3. Die dagegen erhobene Vorstellung wurde mit Bescheid der Nö. Landesregierung vom 30. November 1979, Z II/2-240-1979, als unbegründet abgewiesen.

2.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Eine Anfechtung erfolgt jedoch nur insoweit, als der bekämpfte Bescheid die Feststellung trifft, daß dem Weg die Merkmale der Öffentlichkeit (auch) hinsichtlich des Radfahrer-, Reit- und Fahrzeugverkehrs zukommen. Behauptet wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Unversehrtheit des Eigentums.

2.2. Die bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

3. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

3.1. Gemäß §2 Abs1 Nö. Landesstraßengesetz, Anlage zur Kundmachung der Nö. Landesregierung vom 6. März 1979, mit dem das Nö. Landesstraßengesetz wiederverlautbart wird, LGBL. 8500-0, gilt eine Privatstraße als öffentliche Straße, wenn sie mindestens 30 Jahre lang ununterbrochen von jedermann ohne ausdrückliche Bewilligung zur Befriedigung eines notwendigen Verkehrsbedürfnisses benutzt wird, worüber nach Abs2 auf Begehren eines Beteiligten oder von Amts wegen mittels Bescheid zu erkennen ist. Der Bescheid hat festzustellen, für welche Art des öffentlichen Verkehrs die Straße benützt wird; Beteiligte, über deren privatrechtliche Einwendungen ein gütliches Übereinkommen nicht erzielt werden kann, sind auf den ordentlichen Rechtsweg zu verweisen (Abs3 leg. cit.).

3.2.1. Die Bf. behaupten die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, weil mit dem Bescheid in ihnen zustehende private Rechte eingegriffen werde, worüber zu entscheiden ausschließlich die ordentlichen Gerichte berufen seien. Da sich die Bf. im Verfahren ausdrücklich auf das ihnen nach Inhalt ihres Kaufvertrages vom 23. Juni 1933 nur mit einer Wegedienstbarkeit und einem öffentlichen Wegerecht belastete, aber sonst unbeschränkt zustehende Eigentumsrecht berufen hätten, hätte die bel. Beh. die Rechtssache gemäß §2 Abs3 Nö. Landesstraßengesetz auf den ordentlichen Rechtsweg zu verweisen gehabt, "da die Entscheidung über bürgerliche Rechtssachen (wozu ja die Eigentumsfreiheit gehört) gemäß Art82 bis 94 B-VG und gemäß §1 JN ausschließlich den Gerichten vorbehalten" sei. Im Hinblick auf das Trennungsgebot des Art94 B-VG bestünde das Bedenken, daß §2 Nö. Landesstraßengesetz, demzufolge einer Verwaltungsbehörde die Zuständigkeit eingeräumt werde, über die Beschränkung der Freiheit des Eigentums "infolge einer 30jährigen Ersitzung" (gemeint ist eine 30jährige Duldung der Benützung durch die Allgemeinheit zur Befriedigung eines notwendigen Verkehrsbedürfnisses) zu entscheiden, verfassungswidrig sei.

3.2.2. Diesen Vorwürfen der Bf. ist vorweg entgegenzuhalten, daß es sich bei der Durchführung eines Verfahrens zur Prüfung, ob einem Weg die Merkmale der Öffentlichkeit zukommen, kompetenzrechtlich nicht um eine zivilrechtliche Angelegenheit, sondern um eine Angelegenheit des öffentlichen Wegerechts handelt. Da derartige Angelegenheiten nicht in die Zuständigkeit der Gerichte fallen, sind die auf Art94 B-VG abzielenden Ausführungen der Beschwerde schon von der Prämisse her verfehlt. Zu bemerken bleibt, daß selbst dann, wenn es sich iS des Art6 MRK um "civil rights" handeln sollte, in welchem Falle jedermann das Recht zusteht, daß seine Sache von einem unabhängigen und unparteiischen, auf dem Gesetz beruhenden Gericht (tribunal) entschieden wird, diesem Verfassungsgebot durch die nachprüfende Kontrolle der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts jedenfalls Genüge getan wäre (vgl. VfSlg. 5100/1965, 5102/1965).

Die Gemeindebehörden waren auch ungeachtet der Einwendungen der Bf., sie hätten das Grundstück Parzelle ... im Vertrauen auf den Grundbuchstand und damit frei von außerbücherlichen Rechten privater und öffentlicher Natur erworben, berechtigt, die getroffenen Sachentscheidungen gemäß §34 Nö. Landesstraßengesetz zu fällen; auch die Zuständigkeit der bel. Beh. zur Entscheidung über die an sie erhobene Vorstellung ist im Gesetz gedeckt (§61 Nö. Gemeindeordnung 1973). Ob darüber hinaus privatrechtliche Einwendungen der Bf. gemäß §2 Abs3 Nö. Landesstraßengesetz auf den Zivilrechtsweg zu verweisen gewesen wären, kann die Frage des gesetzlichen Richters nicht berühren, da hiedurch, selbst wenn diese Verweisung zu Unrecht unterblieben wäre, keinesfalls eine Sachentscheidung rechtswidrig verweigert wurde.

Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter liegt somit nicht vor.

3.3.1. Die Bf. erheben weiters den Vorwurf, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt zu sein, da durch den angefochtenen Bescheid - über das von den Bf. anerkannte Gehrecht hinaus - das Vorliegen der Merkmale der Öffentlichkeit "für Radfahrer-, Reit- und Fahrzwecke bestätigt" werde. Für eine derartige Feststellung gäbe es keine Grundlage, zumal aus dem eingeholten Gutachten lediglich hervorgehe, daß die Parzelle ... seit mindestens 30 Jahren für Zwecke des Radfahr-, Reit- und Fahrzeugverkehrs von jedermann benutzt werden konnte, nicht aber, daß eine solche Benutzung tatsächlich stattgefunden habe. Dazu komme, daß sich der Amtssachverständige für sein Gutachten auf keinerlei Beweise berufen habe können, da nur Parteierklärungen abgegeben worden seien; daran ändere nichts, daß diese von ihm "wie Zeugenaussagen behandelt" worden seien.

3.3.2. Der Berufungsbescheid, der Gegenstand des angefochtenen Vorstellungsbescheides ist, greift in das Eigentumsrecht ein.

Bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen (vgl. auch VfSlg. 5157/1965) käme eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrechtes nur in Frage, wenn die bel. Beh. mit dem Vorstellungsbescheid nicht wahrgenommen hätte, daß die Gemeindebehörden das Gesetz denkunmöglich angewendet haben, was dann der Fall wäre, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre. Auch dies ist offensichtlich nicht der Fall.

Im gemeindebehördlichen Berufungsbescheid vom 27. Dezember 1978 wird unter Berufung auf die Verfahrensergebnisse ausgeführt, daß die Wegparzelle seit mehr als 30 Jahre von jedermann benützt werden konnte, was zum Ausdruck bringt, daß der Weg während des genannten Zeitraumes von jedermann frei benützt werden konnte und bei Bedarf auch benützt wurde, sowie daß auch ein dringendes Verkehrsbedürfnis gegeben war. Bei dieser Sachlage kann von einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung, die von der bel. Beh. nicht wahrgenommen worden wäre, nicht die Rede sein.

Auch die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums liegt somit nicht vor.

3.3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat daher nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß die Bf. in von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm in ihren Rechten verletzt wurden.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Straßenverwaltung, Widmung (einer Straße), Zivilrecht, Behördenzuständigkeit, Gemeinderecht, Vorstellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B25.1980

Dokumentnummer

JFT_10158992_80B00025_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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