TE Vfgh Erkenntnis 1984/10/12 A4/81

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Veröffentlicht am 12.10.1984
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Index

70 Schulen
70/02 Schulorganisation

Norm

B-VG Art14 Abs6
B-VG Art137 / Klage zw Gebietsk
SchulorganisationsG-Nov 4, ArtII §13
F-VG 1948 §2
VfGG §38
VfGG §41

Leitsatz

B-VG Art137; Zulässigkeit einer Klage einer Gemeinde gegen den Bund wegen Ansprüchen aus Besorgung der Schulerhaltung gemäß Art14 Abs6 B-VG iVm. §2 F-VG 4. SchOG-Nov., BGBl. 234/1971; kein Anspruch auf Kostenersatz gegen den Bund nach Durchführung eines Schulversuchs ohne Abschluß einer Vereinbarung gemäß ArtII §§12 und 13

Spruch

Das Klagebegehren, den Bund für schuldig zu erkennen, der Klägerin binnen 14 Tagen 4502189,33 S zu bezahlen, wird abgewiesen.

Das Eventualbegehren auf Feststellung, daß der Kostentragungsfall nach ArtII §13 der 4. Schul-Organisationsgesetz-Nov., BGBl. 234/1971, eingetreten ist und daß die Stadtgemeinde G Anspruch auf Kostenteilung zwischen ihr und dem Bund hat, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, dem Bund (Bundesminister für Unterricht und Kunst) zu Handen der Finanzprokuratur die mit 60274 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Nach ArtII §4 Abs4 der 4. Schul-Organisationsgesetze-Novelle, BGBl. 234/1971, (im folgenden 4. SchOG-Nov.) ist zur Erprobung neuer schulorganisatorischer Formen (ArtII §1 der 4. SchOG-Nov.) der Schulversuch der "Integrierten Gesamtschule" vorgesehen. In dieser Schule ist die fünfte bis achten Schulstufe ohne Trennung in Hauptschule und allgemeinbildende höhere Schule zusammenzufassen. Bei der Einrichtung der Integrierten Gesamtschule ist darauf Bedacht zu nehmen, daß eine möglichst große Zahl der nach dem Alter in Betracht kommenden Kinder aus dem Einzusgebiet die Integrierte Gesamtschule besuchen. In der Integrierten Gesamtschule sind die Schüler in einzelnen Unterrichtsgegenständen nach ihrer Leistung in Leistungsgruppen innerhalb der Klasse oder von Parallelklassen zusammenzufassen (ArtII §4 Abs5).

Die §§12 und 13 des ArtII der 4. SchOG-Nov. lauten:

"§12. Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern

(1) Soweit die Durchführung der Schulversuche im Sinne der vorstehenden Bestimmungen die äußere Organisation der öffentlichen Pflichtschulen berührt, sind vorher Vereinbarungen zwischen dem Bund und dem betreffenden Bundesland abzuschließen.

(2) (Grundsatzbestimmung) In den Ausführungsgesetzen der Länder ist die Durchführung von Schulversuchen vorzusehen, durch die Schulversuche im Sinne der §§2 bis 5 ermöglicht werden, soweit die äußere Organisation der öffentlichen Pflichtschulen berührt wird. Ferner haben die Ausführungsgesetze die zuständigen Behörden zu ermächtigen, die für die Durchführung von Schulversuchen im Sinne der vorstehenden Bestimmungen erforderlichen Vereinbarungen mit dem Bund zu treffen, soweit die äußere Organisation der öffentlichen Pflichtschulen berührt wird.

§13 Kostenteilung zwischen den Schulerhaltern öffentlicher Schulen

Vor der Errichtung von Orientierungsstufen und Gesamtschulen (§4) ist eine Kostenteilung zwischen dem Bund und den in Betracht kommenden gesetzlichen Schulerhaltern zu vereinbaren, die der Aufteilung der Schüler auf die Hauptschule und die allgemeinbildende höhere Schule im Einzugsbereich der Orientierungsstufe bzw. der Gesamtschule in dem der Errichtung der Orientierungsstufe bzw. der Gesamtschule vorangegangenen Schuljahr entspricht."

2. Die Stadtgemeinde G (im folgenden Klägerin) begehrte in einer auf Art137 B-VG gestützten Klage, den Bund (Beklagten) für schuldig zu erkennen, der Klägerin binnen 14 Tagen 4502189,33 S zu bezahlen und die Verfahrenskosten zu ersetzen.

Die Klägerin bringt vor, sie sei "gesetzlicher Schulerhalter" der seit 1971 als "Integrierte Gesamtschule" (IGS) geführten Hauptschule (HS) in G. Der Schulversuch sei auf Drängen der Schulbehörden und mit ausdrücklicher Zustimmung des Bundesministers für Unterricht und Kunst durchgeführt worden. Zu einer Vereinbarung über die Verschiebung der Kostentragung iS des ArtII §13 der 4. SchOG-Nov. sei es aber nicht gekommen. Die Klägerin sei jedoch der Auffassung, dennoch vom beklagten Bund einen Teilbetrag zu den Kosten für die Erhaltung des Schulversuches verlangen zu können.

In der Klage werden sodann die im Zeitraum 1971/72 bis 1981/82 je Schuljahr angefallenen Kosten für die von der Klägerin geführte IGS angeführt. Sodann heißt es in der Klage:

"Stellt man nunmehr die in §13 4. SchOG-Nov. aufgestellte Rechnung an, dann ist festzustellen, daß sich in dem der Errichtung der IGS vorangegangenen Schuljahr (1970/71) in unserer HS 63 Schüler (1. Klassen), und in der AHS 170 Schüler (1. Klassen) befanden. Es ergibt sich daher - im Sinne des §13 der 4. SchOG-Nov. - ein Verhältnis von 1:2,7. Danach sind die Schulerhaltungskosten - nach dem Gesetz:

fortlaufend für alle folgenden Jahre - im Verhältnis 1:2,7 zu teilen."

Die Klägerin berechnet sodann aus der Aufteilung der in den einzelnen Schuljahren angefallenen Gesamtkosten im angeführten Verhältnis einen Gesamtbetrag von 39040781,91 S den der beklagte Bund der Klägerin schulde.

Die Klägerin mache aber vorläufig lediglich einen Teilbetrag von 4502189,33 S geltend. Hiezu wird in der Klage des weiteren ausgeführt:

"Das ist jener Betrag, der sich im Hinblick auf den (aus dem gesamten Einzugsbereich der IGS ...) nach Wien gerichteten Sektor ergibt, wobei zunächst lediglich die aus Wien kommenden und die IGS G besuchenden Kinder berücksichtigt werden. Unsere Überlegung ist folgende:

Zu Beginn des der Gründung der IGS G vorangegangenen Jahres (Schuljahr 1970/71) traten 70% der Wiener Kinder in dem - von G aus gesehen - nach Wien gerichteten Sektor in die in Frage kommenden Hauptschulen ein. Die restlichen zirka 30% besuchten also eine AHS.

Sinnvollerweise kann man im Sinne des Gesetzes daher diesen Schlüssel aus 1970/1971 (7:3) auch auf jene Wiener Kinder übertragen, die in den Folgejahren die IGS in G besuchten. So besehen, hätte ein gesetzmäßiger Schlüssel von 7 (Gemeinde) zu 3 (Bund) zu gelten."

Es werden sodann die Gesamtschülerzahlen in den einzelnen Schuljahren angeführt, davon der Prozentanteil der aus Wien stammenden Kinder berechnet und sodann diesem Prozentsatz entsprechend der Anteil an den Gesamtkosten erstellt. Daraus ergibt sich der Betrag von 4502189,33 S.

Abschließend wird ausgeführt, die Klägerin sei der Auffassung, daß der VfGH nach Art137 B-VG zuständig sei, "zumal die Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde zur Entscheidung der entstandenen Meinungsverschiedenheit ebenso offensichtlich nicht gegeben ist, wie es sich ganz offensichtlich im vorliegenden Fall auch um keine bürgerliche Rechtssache iS des §1 JN handelt".

II. Der VfGH hat erwogen:

1. In Ausführung der Grundsatzbestimmung des ArtII §12 Abs2 der 4. SchOG-Nov. hat der Nö. Landtag das Nö. Schulversuchsgesetz 1971, LGBl. 5001-1, beschlossen, in dem - neben den sonstigen Schulversuchen nach ArtII der 4. SchOG-Nov. - in §6 der Schulversuch der Integrierten Gesamtschule (im Wortlaut des §4 Abs4 des ArtII der 4. SchOG-Nov.) vorgesehen ist. Wird der Schulversuch der Integrierten Gesamtschule an einer Hauptschule eingerichtet, so ist der Leiter der Hauptschule auch Leiter der Integrierten Gesamtschule. In diesem Fall gelten hinsichtlich Sprengel und Schulerhaltung die Bestimmungen des Nö. Pflichtschulorganisationsgesetzes, LGBl. 288/1965, in der geltenden Fassung (§6 Abs3 des Nö. Schulversuchsgesetzes 1971).

Die §§12 und 13 des Nö. Schulversuchsgesetzes 1971 lauten:

"§12

Anwendung und Bestimmungen des Nö. Pflichtschulorganisationsgesetzes

Die Bestimmungen des Nö. Pflichtschulorganisationsgesetzes, LGBl. Nr. 288/1965, in der jeweils geltenden Fassung über die Errichtung von Schulen sind bei der Einrichtung von Schulversuchen nach §§1 bis 7 sinngemäß anzuwenden.

§13

Vereinbarungen zwischen Bund und Land

(1) Soweit die Durchführung der Schulversuche im Sinne der vorstehenden Bestimmungen die äußere Organisation der öffentlichen Pflichtschulen berührt, hat das Land die erforderlichen Vereinbarungen mit dem Bund abzuschließen.

(2) Solche Vereinbarungen sind insbesondere über die Auswahl und Festsetzung der Standorte sowie die Beistellung der erforderlichen Lehrer abzuschließen."

2. Die den Gebietskörperschaften als gesetzlichen Schulerhaltern öffentlicher Schulen (Art14 Abs6 B-VG) obliegenden Verpflichtungen sind im öffentlichen Recht begründet. Sie haben den sich aus der Erfüllung der Aufgaben der Schulerhaltung ergebenden Aufwand zu tragen, sofern nicht durch die zuständige Gesetzgebung (§2 F-VG) bestimmt ist, daß dieser Aufwand von einer anderen Gebietskörperschaft getragen wird.

Soweit sich für eine Gebietskörperschaft aus der Aufgabe der Besorgung der Schulerhaltung ein Anspruch gegen eine andere Gebietskörperschaft ergibt, ist dieser Anspruch finanzausgleichsrechtlicher Natur. Es ist daher ein öffentlich-rechtlicher Anspruch, nicht eine bürgerliche Rechtssache. Damit ist eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zur Entscheidung von Streitigkeiten über die Kostenteilung nach ArtII §13 der 4. SchOG-Nov. nicht gegeben. Daran vermag der Umstand, daß in dieser Bestimmung die Vereinbarung einer Kostenteilung vorgesehen ist, nichts zu ändern.

Es besteht aber auch keine gesetzliche Bestimmung, nach der Verwaltungsbehörden zur Entscheidung über solche Streitigkeiten berufen wären.

Damit ist die Zuständigkeit des VfGH nach Art137 B-VG zur Entscheidung über solche Streitigkeiten gegeben.

Die Klage ist, da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, zulässig.

3. Die Klägerin begehrt die Zahlung eines der Höhe nach bestimmten Geldbetrages und stützt ihren Anspruch auf ArtII §13 der 4. SchOG-Nov.

Nach dieser Bestimmung ist vor Errichtung von Orientierungsstufen und Gesamtschulen zwischen den Schulerhaltern eine Kostenteilung zu vereinbaren. Daß die schulerhaltende Gemeinde auch ohne Abschluß einer solchen Vereinbarung Ersatz der ihr erwachsenden Kosten begehren kann, ist nicht anzunehmen. Der Gesetzgeber hat es offenkundig den an den schulorganisatorischen Maßnahmen beteiligten Schulerhaltern überlassen, die Auswirkungen der geplanten Maßnahmen insgesamt abzuschätzen und einen Ausgleich zu suchen, und nur den Verteilungsschlüssel festgesetzt, an dem sich diese Vereinbarungen zu orientieren haben.

Da eine solche Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Bund nicht besteht, ist das Klagebegehren auf Zahlung von Kostenersatz nicht begründet.

4. In der mündlichen Verhandlung vor dem VfGH begehrte die Klägerin in eventu die "Feststellung, daß ein Kostentragungsfall des ArtII §13 der 4. SchOG-Nov. eingetreten ist und daß die Stadtgemeinde G Anspruch auf Kostenteilung zwischen ihr und dem Bund hat."

Ein solcher Antrag ist zulässig (§38 VerfGG), das Begehren aber nicht begründet. ArtII §13 der 4. SchOG-Nov. schafft selbst keinerlei Rechtsverhältnis zwischen den in Betracht kommenden Schulerhaltern, sondern ermächtigt nur zum Abschluß der genannten Vereinbarungen über die Kostenteilung. Es kann nicht angenommen werden, daß er die Schulerhalter zum Abschluß solcher Vereinbarungen verpflichtet. Denn abgesehen von der für solche Verpflichtungen teilweise fehlenden Kompetenz wäre es unsinnig, Vereinbarungen vorzusehen, wenn sich ohnedies schon aus dem Gesetz erzwingbare Ansprüche ergäben.

Es ist also auch das Eventualbegehren abzuweisen.

5. Der Kostenspruch stützt sich auf §41 VerfGG. Die klagende Partei war zum Ersatz der Prozeßkosten zu verpflichten, weil es im vorliegenden Fall - im Gegensatz zu der dem Erk. VfSlg. 9281/1981 zugrunde liegenden Entscheidung - im Hinblick auf die Klärung nicht nur finanzausgleichsrechtlicher, sondern auch schulrechtlicher und zivilrechtlicher Probleme zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war, im Verfahren vor dem VfGH die Finanzprokuratur mit der Vertretung des beklagten Bundes zu betrauen.

Schlagworte

VfGH / Klagen, Schulen, Schulorganisation, Finanzverfassung, Finanzausgleich, Kompetenz Bund - Länder Schulrecht, Vereinbarungen zw Gebietsk, Vertrag öffentlich-rechtlicher, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:A4.1981

Dokumentnummer

JFT_10158988_81A00004_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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