TE Vfgh Erkenntnis 1984/11/22 B40/80

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Veröffentlicht am 22.11.1984
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art83 Abs2
AVG §69 Abs1
AVG §69 Abs2
Wr BauO 1930 §70
Wr BauO 1930 §134 Abs3

Leitsatz

Wr. Bauordnung; keine Bedenken gegen §70 Abs2; Abweisung eines Wiederaufnahmeantrags wegen Versäumnis der dreijährigen Frist iS des §69 Abs2 AVG; keine unzulässige Verweigerung der Sachentscheidung mangels Parteistellung des Antragstellers, der als Anrainer Einwendungen nicht erhoben hatte, im Hinblick auf §70 Abs2 Wr. Bauordnung; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die L-GesmbH, ein Kraftfahrzeug- und Karosseriefachbetrieb, stellte beim Magistrat der Stadt Wien in zwei gleichlautenden Eingaben am 27. und 29. November 1972 den Antrag auf Erteilung der Baubewilligung für bauliche Änderungen entsprechend den eingereichten Plänen auf der Liegenschaft EZ ..., KG Ottakring,

Gst.-Nrn. .../1, .../2 und ..., in Wien, W-Straße. Bei der am 10. Jänner 1973 durchgeführten Bauverhandlung erhoben die geladenen Anrainer, darunter auch der Verein der Freunde des Wohnungseigentums, vertreten durch Herrn S, Eigentümer des Grundstückes EZ ..., KG Ottakring, in Wien gegen die geplanten Abänderungen keine Einwendungen. Mit Bescheid vom 16. Mai 1973 bewilligte der Magistrat der Stadt Wien gemäß §70 iVm. §101 Abs3 der Bauordnung für Wien, LGBl. 11/1930 idF der Nov. LGBl. 16/1972, (im folgenden: BO) nach dem mit dem Genehmigungsvermerk versehenen Plan, auf der oben bezeichneten Liegenschaft verschiedene Abänderungen durchzuführen. Der Bescheid wurde an den Bauwerber, nicht aber an die Anrainer zugestellt.

2. Am 25. April 1978 brachte der Bf. aufgrund einer Vollmacht des Vereins der Freunde des Wohnungseigentums beim Magistrat eine Anzeige und einen Antrag auf Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 16. Mai 1973 abgeschlossenen Baubewilligungsverfahrens sowie eine Anrainerbeschwerde ein. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 16. Jänner 1979 wurde der Antrag auf Wiederaufnahme des mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 16. Mai 1973 abgeschlossenen Verfahrens gemäß §69 Abs2 AVG 1950 abgewiesen. In der Begründung wurde ausgeführt, da der Bescheid vom 16. Mai 1973 zugestellt, der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens frühestens am 25. April 1978 gestellt worden sei, sei der Antrag nicht innerhalb der durch §69 Abs2 AVG 1950 normierten Frist von drei Jahren gestellt worden. Der Bf. erhob mit Schriftsatz vom 29. Jänner 1979 gegen diesen erstinstanzlichen Bescheid "Einspruch" und begründete diesen damit, daß der Bescheid vom 16. Mai 1973 erschlichen worden sei. Diesen als Berufung behandelten Einspruch des Bf. wies die Bauoberbehörde für Wien mit Bescheid vom 20. November 1979, Z MDR-B XVI-15/79, unter Berufung auf §66 Abs4 AVG 1950, BGBl. 172/1950, als unbegründet ab und bestätigte den Bescheid der ersten Instanz. In der Begründung wurde ausgeführt, der Bf. habe in der Berufung im wesentlichen vorgebracht, schon im Antrag vom 25. April 1978 auf Wiederaufnahme des Verfahrens sei darauf hingewiesen worden, daß der Baubewilligungsbescheid vom 16. Mai 1973 erschlichen worden sei. Der Bescheid vom Jahre 1973 hätte nicht ergehen dürfen, da ein Ortsaugenschein erforderlich gewesen wäre, um ausgehend vom eingereichten Bauplan die Auswirkungen des Bauvorhabens auf die Umgebung wirklich beurteilen zu können. Auszugehen sei davon, daß dem angeführten Baubewilligungsbescheid vom 16. Mai 1973 am 10. Jänner 1973 eine Bauverhandlung vorausgegangen sei, bei welcher der Eigentümer der Nachbarliegenschaft ..., nämlich der "Verein der Freunde des Wohnungseigentums", vertreten gewesen sei, wobei der Vertreter des Vereins keinen Einwand gegen das Bauvorhaben erhoben und nach der Aktenlage auch nicht die Zustellung einer Ausfertigung des Baubewilligungsbescheides verlangt habe. Da nach §70 Abs2 BO in der vor der Nov. LGBl. 18/1976 in Geltung gestandenen Fassung der Baubewilligungsbescheid nur jenen Beteiligten zuzustellen gewesen sei, die gegen die Bewilligung Einwendungen erhoben oder eine Ausfertigung des Bescheides verlangt hatten, sei der angeführte Baubewilligungsbescheid am 4. Juni 1973 (Ablauf der Rechtsmittelfrist nach der am 21. Mai 1973 erfolgten Zustellung an den Bauwerber) in Rechtskraft erwachsen. Gemäß §69 Abs2 AVG 1950 sei der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens binnen zwei Wochen von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich von dem Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt habe, jedoch spätestens binnen drei Jahren nach der Zustellung oder mündlichen Verkündung des Bescheides bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen habe. Aufgrund der dargestellten Sach- und Rechtslage müsse davon ausgegangen werden, daß der mit Schreiben vom 25. April 1978 und mit einer Vollmacht des Vereins der Freunde des Wohnungseigentums belegte Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht innerhalb der angeführten Frist von drei Jahren eingebracht worden sei. Der Bescheid erster Instanz erweise sich demnach als richtig, weshalb die Berufung abzuweisen gewesen sei.

3. Gegen diesen Bescheid der Bauoberbehörde für Wien richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der Bf. die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG und auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG behauptet, die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt, sowie verfassungsrechtliche Bedenken in Hinsicht auf §70 Abs2 BO äußert.

4. Die bel. Bauoberbehörde für Wien erstattete eine Gegenschrift und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Bf. macht die Verletzung des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG geltend. Dieses Recht wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (vgl. VfSlg. 8828/1980), etwa, indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (vgl. zB VfSlg. 9105/1981).

Der Bf. bestreitet nicht, daß die Behörde erster Instanz zur Entscheidung über seinen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, die Behörde zweiter Instanz zur Entscheidung über seine dagegen erhobene Berufung zuständig war. In dieser Hinsicht sind auch beim VfGH keine Bedenken entstanden. Der Bf. behauptet aber, daß das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dadurch verletzt wurde, daß die Abweisung seines Antrages, die nach seiner Ansicht richtig als Zurückweisung zu bezeichnen gewesen wäre, aus dem formellen Grund des Ablaufes der dreijährigen Frist zur Stellung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgt sei; er habe aber den Anspruch auf eine Sachentscheidung gehabt. Der Bf. war in dem Baubewilligungsverfahren zwar gemäß §134 Abs3 Bo Partei. Diese Parteistellung bestand jedoch gemäß der speziellen Vorschrift des §70 Abs2 BO nur insoweit, als der Bf. als Nachbar Einwendungen erhoben und aufrechterhalten hatte. Der Bf. erhob aber - wie die übrigen Nachbarn - in dem Verfahren keine Einwendungen. Die bel. Beh. hat daher im Ergebnis mit Recht die erstinstanzliche Verweigerung einer Sachentscheidung bestätigt. Demnach ist der Bf. durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG nicht verletzt worden (vgl. zB VfSlg. 8249/1978 und 8251/1978).

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wird ein Bescheid erster Instanz bestätigt, mit dem einem Antrag des Bf. auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus formellen Gründen nicht stattgegeben wurde. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH wird durch einen solchen Bescheid, dem ausschließlich verfahrensrechtliche Wirkung zukommt, in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nicht eingegriffen. In diesem Recht konnte der Bf. durch den angefochtenen Bescheid entgegen seiner Behauptung nicht verletzt werden. Ob der Bf. in einem sonstigen Recht verletzt wurde, hat nicht der VfGH, sondern der VwGH zu prüfen.

3. Die vom Bf. hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des §70 Abs2 BO vorgebrachten Bedenken teilt der VfGH nicht, weil diese Gesetzesstelle - anders als die in VfSlg. 3845/1960 behandelte - die Parteistellung des Nachbarn verneint, wenn er keine Einwendungen erhoben hat. Abzusprechen ist nur über erhobene und aufrechterhaltene Einwendungen.

4. Anhaltspunkte dafür, daß der Bf. in einem von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden wäre, hat das Beschwerdeverfahren nicht ergeben. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Wiederaufnahme, Baurecht, Parteistellung Baurecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B40.1980

Dokumentnummer

JFT_10158878_80B00040_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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