TE Vfgh Erkenntnis 1984/12/7 B101/83

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Veröffentlicht am 07.12.1984
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Index

L9 Sozial- und Gesundheitsrecht
L9000 Landarbeiterkammer

Norm

B-VG Art1
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art141 Abs1 / Allg
Stmk LandarbeiterkammerG 1981 §11 Abs5
Stmk LandarbeiterkammerG 1981 §14 Abs5
Stmk LandarbeiterkammerG 1981 §14 Abs6
Stmk LandarbeiterkammerG 1981 §17 Abs2

Leitsatz

Stmk. Landarbeiterkammergesetz; nur vorübergehende Betrauung des Präsidiums mit der Fortführung der Geschäfte der Kammer gemäß §14 Abs5; keine unverzügliche Ausschreibung einer Wiederholungswahl nach Aufhebung der Wahl zur Vollversammlung durch den VfGH mit Erk. VfSlg. 8590/1979; daher Zuständigkeit des Präsidiums am 2. Feber 1982 nicht mehr gegeben; Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Die Bf. sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden. Die Bescheide werden aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit den angefochtenen Bescheiden der Stmk. Landesregierung werden Berufungen gegen Bescheide des Präsidiums der Stmk. Landarbeiterkammer betreffend die Zugehörigkeit zu dieser Kammer abgewiesen. Die Berufungsbehörde teilt die Meinung des Kammerorgans, daß die bei der G-Eisenbahn- und Bergbau-Gesellschaft im Bezirk Voitsberg überwiegend als Forstarbeiter beschäftigten Bf. innerhalb des sonst dem land- und forstwirtschaftlichen Gebiet nicht zuzuzählenden Bergbaubetriebes überwiegend in einem Betriebszweig beschäftigt seien, in dem eine land- und forstwirtschaftliche Tätigkeit iS des §5 der Stmk. Landarbeitsordnung ausgeübt wird (§2 Abs1 lita Z5 Stmk. LandarbeiterkammerG).

Die gegen die Berufungsbescheide erhobenen Beschwerden weisen darauf hin, daß die Bf. im Personalstand der Zentralsortierung des Bergbaubetriebes geführt und als Mitglieder der Kammer für Arbeiter und Angestellte behandelt wurden. Sie leisteten ihre Arbeit zwar tatsächlich zum überwiegenden Teil im Wald, doch sei ihr hauptsächlicher Zweck, die für den Kohlenbergbau notwendigen Flächen durch Schlägerung freizumachen, das hiebei anfallende Holz als Grubenholz der Verwertung im Bergbau zuzuführen und die abgebauten Gebiete wieder aufzuforsten. Da es sich also um Hilfstätigkeiten für den Bergbaubetrieb handle, unterstelle ihre Zuordnung zur Land- und Forstwirtschaft dem Gesetz einen kompetenzwidrigen Inhalt. Im übrigen sei es unsachlich, und verletze sie in ihren Rechten, wenn das Gesetz die Feststellung der Kammerzugehörigkeit dem Präsidium überlasse.

II. Die Beschwerden sind im Ergebnis begründet.

Die angefochtenen Bescheide verletzten die Bf. in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

1. Die Stmk. Kammer für Arbeiter und Angestellte in der Land- und Forstwirtschaft (Stmk. Landarbeiterkammer) ist zur Vertretung und Förderung der beruflichen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Interessen der im Land Stmk. auf land- und forstwirtschaftlichem Gebiet unselbständig beschäftigten und beschäftigt gewesenen Personen berufen (§1 Abs1 StLAKG 1981, Anlage zu LGBl. Nr. 32, in der hier maßgeblichen Fassung vor der Nov. LGBl. 27/1983). Kammerzugehörig sind alle Dienstnehmer, die auf land- und forstwirtschaftlichem Gebiet im Lande Stmk. beschäftigt sind (§2 Abs1); dazu zählen insbesondere auch Dienstnehmer, die innerhalb eines sonst dem land- und forstwirtschaftlichen Gebiet nicht zuzuzählenden Betriebes überwiegend in einem, wenn auch untergeordneten Betriebszweig beschäftigt sind, in dem eine land- und forstwirtschaftliche Tätigkeit iS des §5 der Stmk. Landarbeitsordnung ausgeübt wird (lita Z5). In Zweifelsfällen entscheidet über die Kammerzugehörigkeit von Amts wegen oder auf Antrag das Präsidium (§2 Abs5), gegen dessen Entscheidung die Berufung an die Landesregierung zulässig ist (§27 Abs2).

Das Präsidium der Kammer besteht aus einem Präsidenten und zwei Vizepräsidenten, die von der Vollversammlung gewählt werden (§14 Abs1). Es bleibt bis zur Wahl eines neuen Präsidiums durch die nächste neu gewählte Vollversammlung im Amt; der bisherige Präsident eröffnet die Sitzung der neu gewählten Vollversammlung und leitet hierauf die Präsidentenwahlen (§14 Abs5). Die Wahlperiode der Vollversammlung beträgt fünf Jahre (§17 Abs1); mit Ablauf der Wahlperiode ist sie kraft Gesetzes aufgelöst (§11 Abs1).

Die im Berufungsverfahren angefochtenen Bescheide über die Kammerzugehörigkeit der Bf. wurden am 2. Feber 1982 von einem Präsidium erlassen, das von der im Jahre 1973 gewählten Vollversammlung bestellt worden war. Die am 4. Juni 1978 abgehaltene Neuwahl zur Vollversammlung hatte der VfGH nämlich nach Durchführung eines Gesetzesprüfungsverfahrens (das ua. auch die Frage der Kammerzugehörigkeit betraf; VfSlg. 8539/1979) mit Erk. vom 21. Juni 1979, VfSlg. 8590/1979, zur Gänze aufgehoben. Eine neuerliche Wahl in die Vollversammlung wurde erst am 11. Dezember 1983 abgehalten, ein neues Präsidium am 19. Jänner 1984 gewählt.

In erster Instanz ist also eine Behörde eingeschritten, die ihren Bestand offenbar auf §14 Abs5 StLAKG gestützt hat.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH wird das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, wenn in erster Instanz eine sachlich unzuständige oder unrichtig zusammengesetzte Behörde eingeschritten ist und die Rechtsmittelbehörde diesen Mangel nicht wahrnimmt, sondern in der Sache selbst entscheidet (vgl. zB VfSlg. 8188/1977 und 8883/1980 bzw. 8309/1978). Ein solcher Fall liegt hier vor, wenn §14 Abs5 StLAKG oder eine andere Bestimmung dieses Gesetzes das Einschreiten des aus den Wahlen 1973 hervorgegangenen Präsidiums im Jahre 1982 nicht deckt.

In der Tat kann eine solche Deckung nicht angenommen werden:

a) §14 Abs5 StLAKG betraut das Präsidium offenbar nur für eine vorübergehende Zeit mit der Fortführung der Geschäfte der Kammer. Das macht der anschließende Abs6 deutlich, wonach dem Präsidium

"für die Zeit zwischen der Auflösung der Vollversammlung und dem erstmaligen Zusammentritt der neugewählten Vollversammlung sowie für die Zeit einer von der Landesregierung festgestellten vorübergehenden Unmöglichkeit der Einberufung einer beschlußfähigen Vollversammlung

..."

auch die zur Erledigung der laufenden Angelegenheiten erforderlichen Befugnisse der Vollversammlung und des Vorstandes zukommen (mit der Auflösung der Vollversammlung ist nämlich nicht nur die Vollversammlung, sondern auch der Vorstand aufgelöst: §11 Abs5); das gleiche gilt im Falle der Aufhebung einer Landarbeiterkammerwahl für jenes Präsidium, das aufgrund der letzten gültigen Wahl im Amte war (§14 Abs6 Satz 2). Daß von einer "vorübergehenden" Zeitspanne nur im Fall der Unmöglichkeit der Einberufung einer beschlußfähigen Vollversammlung ausdrücklich die Rede ist, erklärt sich daraus, daß die Zeit zwischen der Auflösung der Vollversammlung und dem erstmaligen Zusammentritt der neugewählten Vollversammlung ihrer Natur nach nur kurz sein kann. Denn die vom Präsidium auszuschreibende Neuwahl ist vor Ablauf der ordentlichen Wahlperiode so rechtzeitig durchzuführen, daß die neue Vollversammlung spätestens zwölf Wochen nach Ablauf der bisherigen Wahlperiode zusammentreten kann, und in anderen Fällen so, daß zwischen Auflösung und Neuwahl kein längerer Zeitraum als vier Monate liegt. Hält man sich die hier maßgeblichen Zeiträume und die Einschränkung auf Fälle "vorübergehender" Unmöglichkeit der Einberufung der Vollversammlung vor Augen, so kann kein Zweifel sein, daß auch §14 Abs5 das Präsidium nur für eine verhältnismäßig kurze Zeit im Amt halten soll.

b) Die Annahme, daß §14 Abs5 das Präsidium zeitlich unbegrenzt ermächtige, wäre auch aus verfassungsrechtliche n Gründen unhaltbar. Sie müßte nämlich unterstellen, daß es alle Aufgaben der Kammer wahrnehmen könnte, ohne sich jemals Neuwahlen stellen zu müssen. Eine solche Regelung widerspräche aber dem demokratischen Bauprinzip der Bundesverfassung (Art1 B-VG):

Österreich ist eine demokratische Republik; ihr Recht geht vom Volk aus. Daher müssen die maßgebenden Organe der Gesetzgebung und der Vollziehung in periodisch wiederkehrenden Wahlen bestellt oder bestätigt werden. Diese demokratische Legitimation ist - wie der Gerichtshof schon im Erk. VfSlg. 8644/1979 betont hat - auch für die Organe der durch Gesetz eingerichteten Selbstverwaltung erforderlich. Ihre Bedeutung erhellt schon daraus, daß die Entscheidung über die Anfechtung von Wahlen zu den satzungsgebenden Organen (Vertretungskörpern) der gesetzlichen beruflichen Vertretungen dem VfGH zugewiesen ist (Art141 Abs1 lita B-VG). Zwar obliegt es dem Gesetzgeber, die Wahlperioden näher festzulegen und Vorsorge für den Fall zu treffen, daß es bei der Abhaltung von Wahlen zu Verzögerungen kommt oder unterlaufene Rechtswidrigkeiten zur Aufhebung abgehaltener Wahlen führen, doch darf er dabei keinem leitenden Organ einer gesetzlichen beruflichen Vertretung ermöglichen, sich der Notwendigkeit periodisch wiederkehrender demokratischer Legitimierung wirksam zu entziehen.

Die bloße Einräumung eines Aufsichtsrechtes berechtigt nicht zum Schluß, daß die Geschäftsführungsbefugnis des leitenden Organs im Hinblick auf die Möglichkeiten der Aufsichtsbehörde solange unbegrenzt fortdauert, bis von diesem Aufsichtsrecht Gebrauch gemacht wird. Auch seine Existenz garantiert nämlich die Durchführung von Wahlen nicht. Geht man aber davon aus, daß das Gesetz das Präsidium nach Auflösung der Vollversammlung von vornherein nur durch begrenzte Zeit mit der Fortführung der Kammergeschäfte betraut, muß es nach Ablauf dieser Frist folgerichtig auf die zur Herstellung der demokratischen Legitimation notwendigen Akte - die Ausschreibung der Wahl (§14 Abs3 litb) und die Mitwirkung an der Konstituierung der gewählten Vollversammlung (§14 Abs5) - beschränkt sein. Nur ein Verlust der Kompetenz zur Erledigung von laufenden Geschäften iS des §14 Abs3 und 6 StLAKG trägt dem grundsätzlich vorübergehenden Charakter des dem Präsidium überbundenen Amtes wirksam Rechnung.

c) Welcher Zeitraum das Maß des Vorübergehenden übersteigt, läßt sich gewiß nicht allgemein sagen. Je nach den Umständen wird man dem Präsidium zur Erfüllung seiner Aufgabe mehr oder weniger Zeit zubilligen müssen. Auch wenn man annimmt, daß nach Aufhebung einer Wahl die Wiederholungswahl - mangels besonderer Bestimmungen - so auszuschreiben ist, daß bis zur Neuwahl kein längerer Zeitraum als vier Monate verstreicht (§17 Abs2 letzter Halbsatz), kann der Grund für die Aufhebung der Wahl doch noch längere Verzögerungen bedingen. War etwa die Rechtswidrigkeit einer für das Wahlverfahren maßgeblichen generellen Norm Grund für die Aufhebung der Wahl, so kann die Möglichkeit der Durchführung einer (rechtmäßigen) Wiederholungswahl von einem Akt des Gesetzgebers abhängig sein. Diesfalls muß eine Fortführung der Geschäfte für eine längere Zeitspanne gesichert sein.

Im vorliegenden Fall ist aber nichts hervorgekommen, was einer unverzüglichen Ausschreibung der Wiederholungswahl entgegengestanden wäre. Weder tatsächliche noch rechtliche Hindernisse haben ihre alsbaldige Durchführung ausgeschlossen. War es auch zur Aufhebung der Wahl wegen Aufhebung gesetzlicher Bestimmungen gekommen, so waren doch ausschließlich die verfassungswidrigen Bestimmungen selbst beseitigt worden. Darüber hinaus wurde der Inhalt des Gesetzes nicht verändert. Für die Wahl unerläßliche Vorschriften waren von der Aufhebung nicht betroffen. Daß der Landesgesetzgeber die Beseitigung verfassungswidriger Bestimmungen zum Anlaß einer dann offenbar länger hinausgeschobenen Gesetzesänderung nehmen wollte - das zuletzt 1977 geänderte und 1981 wiederverlautbarte StLAKG 1967 wurde erst durch Gesetz vom 1. Feber 1983, LGBl. 27, in zahlreichen Punkten neu gefaßt -, kann längere Verzögerungen nicht rechtfertigen. Am 2. Feber 1982 war bereits so viel Zeit seit Aufhebung der Wahl des Jahres 1978 durch den VfGH am 21. Juni 1979 verstrichen, daß von einer bloß vorübergehenden Fortführung der Kammergeschäfte auch bei großzügigster Auslegung nicht mehr die Rede sein konnte. Das Präsidium der Stmk. Landarbeiterkammer war daher zur Erlassung der angefochtenen Bescheide über die Kammerzugehörigkeit nicht mehr zuständig.

Da die bel. Beh. diesen Mangel nicht wahrgenommen und in der Sache selbst entschieden hat, sind die Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die angefochtenen Bescheide sind daher aufzuheben.

Bei dieser Sachlage ist auf die Beschwerdevorwürfe insgesamt nicht mehr einzugehen. Die Frage der Kammerzugehörigkeit muß zunächst das dazu berufene Organ entscheiden.

Schlagworte

Landarbeiterkammern, Behördenzuständigkeit, Wahlen, Selbstverwaltungsrecht, berufliche Vertretungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B101.1983

Dokumentnummer

JFT_10158793_83B00101_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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