TE Vfgh Erkenntnis 1985/2/21 B505/84, B506/84

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Veröffentlicht am 21.02.1985
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Index

25 Strafprozeß, Strafvollzug
25/01 Strafprozeß

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
MRK Art6 Abs3 litc
RAO §28 Abs1 liti
RAO §45
StPO §41 Abs3

Leitsatz

StPO; mangelnde Präjudizialität des §41 Abs3 RAO; keine Bedenken gegen §45 Abs1 in bezug auf das durch Art6 Abs3 litc MRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht, sich selbst vor Gericht verteidigen zu können Art144 Abs1 B-VG; Mitteilung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer, daß einem Antrag auf Widerruf der Bestellung eines Rechtsanwaltes gemäß §45 RAO nicht entsprochen werden könne - kein anfechtbarer Bescheid

Spruch

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die gegen die Erledigung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. vom 5. Juni 1984 gerichtete Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Beschluß des Kreisgerichtes Korneuburg vom 25. Mai 1984, GZ ... Vr 949/82, Hv 6/83, war dem nunmehrigen Bf. Dr. F W K in der gegen ihn wegen §§75 ua. StGB anhängigen Strafsache gemäß §41 Abs2 StPO für die vor dem Geschwornengericht anberaumte Hauptverhandlung ein Verteidiger beigegeben worden.

1.2. Mit Bescheid vom 28. Mai 1984 bestellte der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. gemäß §45 RAO im Rahmen der Beigebung Rechtsanwalt Mag. Dr. F B zum Verteidiger des Bf.

1.3. Der Bf. beantragte hierauf in einer an die Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. gerichteten Eingabe vom 30. Mai 1984, die Bestellung des genannten Rechtsanwaltes - gegen dessen Person er keine Einwendungen erhob - zu widerrufen und dem Kreisgericht Korneuburg mitzuteilen, daß im Hinblick auf die Erklärung des Bf. vom 24. Mai 1984, sich selbst verteidigen zu wollen, die Bestellung eines Verteidigers gemäß §45 RAO abgelehnt werde.

Mit Erledigung vom 5. Juni 1984 teilte der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. dem Einschreiter mit, daß dem Enthebungsantrag nicht entsprochen werden könne, solange der Beschl. des Kreisgerichtes Korneuburg vom 25. Mai 1984, Zlen. ... Vr 949/82, Hv 6/83 (Beigebung eines Verteidigers nach §41 Abs2 StPO), aufrecht sei, zumal gegen die Person des bestellten Verteidigers keine Einwendungen erhoben würden.

2.1. Gegen die Erledigungen vom 28. Mai 1984 und vom 5. Juni 1984 richtet sich die vorliegende Beschwerde an den VfGH, in der ausschließlich eine Verletzung des gemäß Art6 Abs3 litc der Menschenrechtskonvention (MRK) gewährleisteten Rechtes auf Selbstverteidigung geltend gemacht sowie die Verfassungswidrigkeit des §41 Abs3 StPO, der §§28 Abs1 liti und 45 RAO behauptet und die Aufhebung der bekämpften Erledigungen beantragt wird.

2.2. Die bel. Beh. hat eine Gegenäußerung erstattet, in der sie begehrt, die Beschwerde gegen den Bescheid vom 28. Mai 1984 abzuweisen, die Beschwerde gegen die Erledigung vom 5. Juni 1984 zurückzuweisen.

3. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde gegen den Bescheid vom 28. Mai 1984 erwogen:

3. 1. Der Bf. erblickt die Verfassungswidrigkeit des bekämpften Bescheides in einer Verletzung des ihm nach Art6 Abs3 litc MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes, sich selbst vor Gericht verteidigen zu können. Durch die genannte Verfassungsbestimmung sei ihm ein "Wahlrecht ... zwischen Selbstverteidigung und Verteidigung durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter" zugesichert. Auf einfach-gesetzlicher Stufe stehe nun ein solches Wahlrecht nicht zu. §41 Abs3 StPO bestimme vielmehr:

"(3) Wählt für die Hauptverhandlung vor dem Geschwornen- oder Schöffengericht weder der Angeklagte selbst noch ein gesetzlicher Vertreter für ihn einen Verteidiger ... so ist ihm von Amts wegen ein Verteidiger beizugeben ...

Abs2 letzter Satz gilt entsprechend."

§41 Abs3 StPO sei daher mit Verfassungswidrigkeit belastet. Verfassungswidrig seien dann aber auch die §§28 Abs1 liti und 45 RAO, die die Zuständigkeit der bel. Beh. (auch) zur Bestellung eines Ex-offo-Verteidigers gegen den Willen des Beschuldigten vorsehen, da ihre Rechtsanwendung nur dann möglich sei, wenn die bel. Beh. die Bestimmung des §41 Abs3 heranziehe; denn diese Bestimmung und §42 StPO, demzufolge das Gericht den Ausschuß der zuständigen Rechtsanwaltskammer von der Beigebung eines Verteidigers zu verständigen habe, damit diese einen Rechtsanwalt als Verteidiger bestelle, verpflichteten "die bel. Beh. - offenbar ohne weitere Prüfung - in Vollziehung (?) des Gerichtsbeschlusses, einen solchen Verteidiger in Person eines Kammermitgliedes zu nomieren. Eine Vorschrift, die es der bel. Beh. gestattete, das Ersuchen des Gerichtes abzulehnen, wenn der Beschuldigte (Angeklagte) ausdrücklich erklärt hat, er wolle sich selbst verteidigen, fehle aber".

3.2.1. §41 Abs2 StPO regelt, unter welchen Voraussetzungen Beschuldigten (Angeklagten) über ihren Antrag vom Gericht ein Verteidiger unentgeltlich beizugeben ist. Nach Abs3 leg. cit. ist Angeklagten insbesondere für die Hauptverhandlung vor dem Geschwornen- und dem Schöffengericht von Amts wegen ein Verteidiger auf seine Kosten beizugeben, es sei denn, daß die Voraussetzungen nach Abs2 vorliegen.

Hat das Gericht die Beigebung eines Verteidigers beschlossen, so ist der Ausschuß der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu benachrichtigen, damit er einen Rechtsanwalt zum Verteidiger bestelle (§42 StPO).

§45 Abs1 RAO legt fest, daß eine Partei Anspruch auf die Bestellung eines Rechtsanwaltes durch die Rechtsanwaltskammer besitzt, wenn das Gericht die Beigebung eines Rechtsanwaltes beschlossen hat. Nach §28 Abs1 leg. cit. ist für die Bestellung nach §45 RAO der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer zuständig.

3.2.2. Gemäß der Verfassungsbestimmung des Art6 Abs3 MRK hat der Angeklagte mindestens (englischer Text) insbesondere (französischer Text) die in den lita bis e festgelegten Rechte, nach litc das Recht, "sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten und, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt, unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist".

3.3.1. Von dieser Rechtslage ausgehend ist den Beschwerdeausführungen zunächst entgegenzuhalten, daß der angefochtene Bescheid wohl auf einem Gerichtsbeschluß beruht, mit welchem dem Bf. für ein gegen ihn anhängiges Strafverfahren unter Anwendung des §41 Abs2 StPO ein Verteidiger beigegeben wurde, daß diese Bestimmung von der bel. Beh. bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides jedoch nicht angewendet wurde.

Die Entscheidung, ob einem Angeklagten ein Rechtsanwalt als Verteidiger beizugeben ist, obliegt nämlich nach §41 Abs2 StPO ausschließlich dem Gericht, während der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer gemäß §28 Abs1 liti iVm. §45 RAO zu bestimmen hat, wer aus dem Kreise der Rechtsanwälte als Verteidiger bestellt wird. Der bel. Beh. kam auch nicht zu, aus Anlaß der Erlassung des bekämpften Bescheides zu prüfen, ob §41 Abs3 StPO vom Gericht anzuwenden war, ein Vorgehen, das auf eine - nach Art94 B-VG - unzulässige Überprüfung der gerichtlichen Entscheidung durch die Verwaltungsbehörde hinausgelaufen wäre. §41 Abs3 StPO ist auch vom VfGH bei der Prüfung des angefochtenen Bescheides nicht anzuwenden, er ist für das Beschwerdeverfahren somit nicht präjudiziell. Damit konnte sich dem VfGH aus Anlaß des Beschwerdeverfahrens auch gar nicht die Frage stellen, ob gegen §41 Abs3 StPO verfassungsrechtliche Bedenken bestehen.

Auch der vom Bf. erhobene Vorwurf, durch den Vollzug in dem aus Art6 Abs3 litc MRK erfließenden subjektiven Recht verletzt zu sein, richtet sich insofern nicht gegen den angefochtenen Bescheid, sondern gegen den Beschl. des Gerichtes, der dem Bf. einen Verteidiger für das Strafverfahren beigegeben hat, sodaß auf dieses Vorbringen vom VfGH nicht einzugehen war.

3.3.2. Zu §45 RAO, dessen Abs1 die bel. Beh. bei Erlassung des angefochtenen Bescheides idF BGBl. 383/1983 angewendet hat, genügt es, auf VfSlg. 9535/1982 zu verweisen, in welchem Erk. zum - wortgleichen - §45 Abs1 RAO idF BGBl. 570/1973 dargelegt wurde, daß diese Bestimmung zu Art6 Abs3 litc MRK nicht in Widerspruch steht (die mangelnde Bestimmtheit, die zur Aufhebung des §45 Abs1 RAO idF BGBl. 570/1973 führte, veranlaßte den Gesetzgeber, §45 Abs1 RAO mit dem BG BGBl. 383/1983 neu zu erlassen und einen - im Beschwerdefall nicht präjudiziellen - neuen Abs4 einzufügen). Die in VfSlg. 9535/1982 dargelegten Erwägungen treffen auch auf §45 Abs1 RAO idgF zu.

Der VfGH sieht sich durch die Beschwerdeausführungen somit zu verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §45 Abs1 RAO idgF nicht veranlaßt.

3.3.3. Warum §28 Abs1 liti RAO - eine ausschließliche Zuständigkeitsnorm - wegen Verstoßes gegen Art6 Abs3 litc MRK verfassungsrechtlich bedenklich sein sollte, ist auch nach den Beschwerdeausführungen unerfindlich.

3.4. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Bf. in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Zur Beschwerde gegen die Erledigung vom 5. Juli 1984 hat der VfGH erwogen:

Wie unter 3.3.1. dargelegt, kommen der Rechtsanwaltskammer bei der Beigebung eines Verteidigers behördliche Aufgaben nur im Bereich der Frage, "wer" einem Angeklagten als Verteidiger beigestellt wird, zu. Wenn der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer auf die Eingabe des Bf. vom 30. Mai 1984 geantwortet hat, daß seinem Begehren, die mit Bescheid vom 28. Mai 1984 vorgenommene Bestellung zu widerrufen, nicht entsprochen werden könne, solange der Beschl. des Gerichtes, daß ihm ein Verteidiger beizugeben sei, aufrecht sei, kann darin nur eine informative Mitteilung erblickt werden.

Dem Schreiben vom 5. Juni 1984 kommt somit Bescheidcharakter nicht zu. Die gegen das Schreiben des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer vom 5. Juni 1984 gerichtete Beschwerde war daher, da sie sich nicht gegen einen Bescheid und ebensowenig gegen einen iS des Art144 Abs1 B-VG als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu wertenden Verwaltungsakt richtet, wegen Nichtzuständigkeit des VfGH zurückzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Rechtsanwälte, Pflichtverteidigung, Bescheidbegriff

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B505.1984

Dokumentnummer

JFT_10149779_84B00505_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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