TE Vfgh Erkenntnis 1985/6/7 B71/83

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Veröffentlicht am 07.06.1985
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anhaltung
B-VG Art144 Abs1 / Verhaftung
StGG Art8
StPO §175 Abs1 Z1
StPO §177 Abs1 Z1

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; Art8 StGG; vertretbare Annahme glaubwürdiger Beschuldigung der Täterschaft unmittelbar nach Begehung des Vergehens der Zuhälterei; rechtmäßige Verhaftung iS des §177 Abs1 Z1 iVm. §175 Abs1 Z1 StPO

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Aus der Beschwerde und den von der bel. Beh. vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich - auf den wesentlichen Gehalt reduziert - folgendes Verwaltungsgeschehen:

Am 31. Dezember 1982 erbat der Bf. in den späten Abendstunden über Polizeinotruf das Einschreiten von Polizeiorganen gegen seine Ehefrau, die nach einem ehelichen Streit tobte und das Mobiliar ihrer Wohnung zu zerstören begann. Als die Streifenbeamten der Bundespolizeidirektion Wien am Einsatzort eintrafen, hatte sie sich aber bereits beruhigt. Auf Befragung der einschreitenden Beamten erklärte sie, mit ihrem Ehemann deshalb gestritten zu haben, weil ihr dieser ihre gesamten aus Prostitution erzielten Einkünfte schon seit einiger Zeit ständig abnähme. Solcherart des Deliktes der Zuhälterei (§216 StGB) beschuldigt, wurde der Bf. von den Sicherheitswachebeamten verhaftet.

Der VfGH folgte damit der glaubhaften Sachverhaltsdarstellung der Behörde, die im wesentlichen mit dem Vorbringen der Beschwerde übereinstimmt.

2. Der Bf. beantragt, kostenpflichtig festzustellen, daß er durch diese Verhaftung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde; die bel. Beh., vertreten durch die Finanzprokuratur, beantragt hingegen die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

II. Der VfGH hat erwogen:

1.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes stellt eine Verhaftung durch Verwaltungsorgane ohne richterlichen Haftbefehl im Dienste der Strafrechtspflege die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar (vgl. dazu nur aus der jüngeren Judikatur VfSlg. 8439/1978, 8633/1979, 8816/1980, 8826/1980, 9267/1981). Dies gilt auch für die nachfolgende Anhaltung (VfSlg. 8507/1979). Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen erfüllt sind, war die Beschwerde zulässig.

1.2. §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit iVm. Art8 StGG gewährt Schutz vor jeder rechtswidrigen Verhaftung ohne richterlichen Haftbefehl (VfSlg. 7149/1973, 7361/1974 uva. mehr). Nach dieser Bestimmung ist es den zur Anhaltung berechtigten Organen der öffentlichen Gewalt erlaubt, in den vom Gesetze bestimmten Fällen eine Person auch ohne richterlichen Befehl in Verwahrung zu nehmen. Werden die Organe der öffentlichen Gewalt hiebei im Dienste der Strafrechtspflege tätig, so ist die maßgebende gesetzliche Bestimmung hiefür §177 iVm. §175 StPO 1975.

1.3. Der Bf. ist der Ansicht, daß die für eine Verhaftung nach §177 Abs1 Z2 (aus den Gründen des §175 Abs1 Z2 bis 4) StPO ohne richterlichen Haftbefehl erforderliche "Gefahr im Verzuge" nicht gegeben war, daß also eine Verhaftung aus diesem Grunde nicht statthaft war. Aber auch der Verhaftungsgrund nach §177 Abs1 Z1 lag seiner Meinung nach nicht vor, da - wie er ausführt -

"völlig unabhängig von dem allfälligen Ausgang des gegen den Beschwerdeführer eingeleiteten Strafverfahrens wegen Zuhälterei in diesem Falle seine Festnahme nur dann möglich gewesen wäre, wenn er auf frischer Tat betreten oder unmittelbar nach Begehung einer derartigen strafbaren Handlung der Täterschaft beschuldigt worden wäre. Eine derartige Situation ist jedoch schon, wie sich aus der Vorgeschichte ergibt, denkunmöglich, weil sich der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Ehefrau und auch deren Mutter in der ehelichen Wohnung aufgehalten hat, sodaß ein Anhaltspunkt dafür, wie er in dieser Situation Zuhälterei, welche ja nach dem Gesetzestext des §216 StGB ein Dauerdelikt darstellt, ausüben sollte oder unmittelbar vorher ausgeübt hat, nicht gegeben ist."

1.4. Mit diesen Ausführungen ist der Bf. aber nicht im Recht. Er wurde nämlich von seiner Ehegattin den einschreitenden Beamten gegenüber beschuldigt, unmittelbar vor der Verhaftung deswegen mit ihr in Streit geraten zu sein, weil sie ihm seit Juni 1982 ihren gesamten "Schandlohn" habe ausfolgen müssen. Die Beamten konnten daher bei der Verhaftung vertretbarerweise davon ausgehen, daß der Bf. unmittelbar nach Begehung des Vergehens der Zuhälterei glaubwürdig der Täterschaft beschuldigt wurde. Die Glaubwürdigkeit dieser Beschuldigung ergibt sich vor allem auch daraus, daß die Ehegattin des Bf. sich dadurch selbst einer strafbaren Handlung beschuldigte, weil sie zu diesem Zeitpunkt keinen für die Ausübung der Prostitution erforderlichen gesundheitsbehördlichen Ausweis besaß (vgl. dazu das Erk. vom heutigen Tag, B72/83). Die Voraussetzungen für die Verhaftung gemäß §177 Abs1 Z1 iVm. §175 Abs1 Z1 StPO lagen demnach vor. Da die Verhaftung sohin nach dieser Bestimmung rechtmäßigerweise vorgenommen werden durfte, braucht nicht weiter untersucht zu werden, ob allenfalls noch andere Haftgründe vorlagen (vgl. VfSlg. 8045/1977).

Die Beschwerde ist unbegründet und war demnach abzuweisen.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B71.1983

Dokumentnummer

JFT_10149393_83B00071_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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