TE Vfgh Erkenntnis 1985/9/26 B637/83

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Veröffentlicht am 26.09.1985
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

StGG Art9
HausRSchG §1, §5
HausRSchG §2 Abs2
StPO §139, §139 Abs1
StPO §141 Abs2
SuchtgiftG §16
WaffenG 1967 §11
WaffenG 1967 §36 Abs1 litc

Leitsatz

Art9 StGG; Gesetz zum Schutze des Hausrechtes; unvertretbarer Verdacht einer strafbaren Handlung nach dem Suchtgiftgesetz; unvertretbare Annahme, daß ein Nietengürtel eine verbotene Waffe iS des §11 WaffenG 1967 sei; nicht konkretisierter Verdacht, in der Wohnung befänden sich behördlich gesuchte Personen; Verletzung im Recht auf Unverletzlichkeit des Hausrechtes durch verfassungswidrige Hausdurchsuchung

Spruch

Der Bf. ist durch die von Organen der Bundespolizeidirektion Wien am 1. September 1983 in Wien, S-Gasse vorgenommene Hausdurchsuchung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Hausrechtes verletzt worden.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Student M G, wohnhaft in Wien, S-Straße, war Mieter der Wohnung Wien, S-Gasse, die er gemeinsam mit anderen Personen benützte. Am 31. August 1983 fand in der Wohnung ein Fest statt, bei dem es zu Lärmerregung gekommen sein dürfte. Kurz nach Mitternacht wurde in der Wohnung des M G von Beamten der Bundespolizeidirektion Wien eine Hausdurchsuchung durchgeführt.

2. Gegen diese als Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gewertete Hausdurchsuchung wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in der der Bf. den Antrag stellte, kostenpflichtig festzustellen, daß er durch die vorgenommene Hausdurchsuchung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt worden sei. Die bel. Beh., vertreten durch die Finanzprokuratur, beantragte hingegen die Abweisung der Beschwerde.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die Beschwerde ist zulässig; eine Hausdurchsuchung ohne richterlichen Befehl ist ein Verwaltungsakt in Ausübung behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (VfSlg. 7943/1976, 8298/1978, 8545/1979), die übrigen Prozeßvoraussetzungen sind erfüllt.

2. Die Hausdurchsuchung wurde im Dienste der Strafjustiz ohne Vorliegen eines richterlichen Haftbefehles von Sicherheitsorganen aus eigener Macht vorgenommen.

Nach §1 des im Verfassungsrang stehenden Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 88, zum Schutze des Hausrechtes darf eine Hausdurchsuchung in der Regel nur kraft eines mit Gründen versehenen richterlichen Befehles unternommen werden.

Nach §2 Abs2 des angeführten Gesetzes und §141 Abs2 StPO kann eine Hausdurchsuchung auch durch die Sicherheitsorgane aus eigener Macht vorgenommen werden, wenn gegen jemanden ein Vorführungs- oder Haftbefehl erlassen oder wenn jemand auf der Tat betreten, durch öffentliche Nacheile oder öffentlichen Ruf als einer strafbaren Handlung verdächtig bezeichnet oder im Besitze von Gegenständen betreten wird, die auf die Beteiligung an einer solchen hinweisen. Eine solche Hausdurchsuchung ist gemäß §5 leg. cit. nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung (§§139 ff. StPO) durchzuführen. Dies bedeutet, daß bei Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen der StPO eine Hausdurchsuchung ohne richterlichen Befehl verfassungswidrig ist (vgl. schon VfSlg. 3784/1960).

3. Aufgrund der Aktenlage und des Vorbringens der Parteien des verfassungsgerichtlichen Verfahrens nimmt der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Am 31. August 1983 fand in der Wohnung des Bf. eine größere Feier statt, an der etwa 30 durchwegs jugendliche Personen teilnahmen. Dabei wurde erheblicher Lärm erregt, der die übrigen Hausbewohner störte. Diese baten gegen Mitternacht die Polizei um Abhilfe. Den alsbald in relativ großer Zahl eintreffenden Beamten bedeuteten einige Hausbewohner, daß die Jugendlichen sicher Suchtgift besäßen und benützten, da des öfteren - allerdings nicht in der fraglichen Nacht - Personen die Wohnung des Bf. verließen, die einen benommenen Eindruck machten. Daraufhin wurde eine entsprechende, mit einem offensichtlich zur Fahndung nach Suchtgift abgerichteten Diensthund ausgerüstete Polizeistreife angefordert.

Eine solche traf auch am Einsatzort ein. Mittlerweile war es den Beamten gelungen, die Jugendlichen zum Öffnen der Türe zu veranlassen. Wegen der Erregung ungebührlicherweise störenden Lärms wurden geständige Festteilnehmer mit einer Organstrafe von 100 S belegt, andere zur Bekanntgabe ihrer Personalien verhalten, damit gegen sie Anzeige erstattet werden könne. Während der vorgenommenen Amtshandlungen standen die Beamten vor der weit geöffneten Wohnungstüre; sie konnten dabei mehrere Zimmer der Wohnung einsehen und feststellen, daß kaum Möbel vorhanden waren, Kleidungsstücke am Boden herumlagen und Matratzen als Schlaflager dienten. Die - allerdings zahlenmäßig schon stark reduzierte - Gesellschaft stand den Beamten in der geöffneten Tür gegenüber. Plötzlich bemerkte einer der Polizeihundeführer, daß ein Jugendlicher einen "Nietengürtel" trug. Er forderte ihn auf herauszukommen, da es sich bei dem Gürtel um eine verbotene Waffe handle. Dieser Aufforderung leistete der Jugendliche nicht Folge, sondern zog sich in den Hintergrund der Wohnung zurück. Zugleich nahmen die Beamten wahr, daß einige Jugendliche über ein Flachdach die Wohnung verließen. Daraufhin befahl der Einsatzleiter - es war mittlerweile 0.30 Uhr - eine Hausdurchsuchung, die von den Streifenbeamten mit Einsatzhund durchgeführt wurde; nach Annahme des Einsatzleiters habe der Verdacht bestanden, daß sich in der Wohnung Suchtgift und gefährliche Waffen befänden sowie behördlich gesuchte Personen aufhielten. Der Bf. verlangte eine Bescheinigung über die Hausdurchsuchung, bekam aber darauf nur den Hinweis, sich an ein bestimmtes Bundespolizeikommissariat zu wenden. Eine Bescheinigung hat der Bf. nie erhalten. Anläßlich der Durchsuchung wurden zwei Personen angetroffen, die einen "Nietengürtel" trugen. In einem Kasten fanden sich zwei weitere "Nietengürtel", ein "Nietenarmband" sowie ein Patronengurt aus Metall mit 63 Gewehrpatronenhülsen.

4. Soweit die Behörde die Vornahme der Hausdurchsuchung auf den Verdacht stützte, in der Wohnung des Bf. befände sich - widerrechtlich - Suchtgift, ist sie schon allein aufgrund der Vorschrift des §2 Abs2 des Gesetzes zum Schutze des Hausrechtes verfassungswidrig. Strafbar ist nach §16 Suchtgiftgesetz ua., wer unberechtigt Suchtgift besitzt. Aus diesem Grund war nach Kenntnis der Behörde gegen keinen der anwesenden Jugendlichen ein Vorführungs- oder Haftbefehl erlassen worden, keiner wurde bei der Tat oder im Besitze von Gegenständen betreten, welche auf die Beteiligung an einer solchen hätten hinweisen können. Aber auch durch öffentliche Nacheile oder öffentlichen Ruf wurde niemand einer solchen strafbaren Handlung verdächtig bezeichnet. Die bloß ganz allgemeine, von einem konkreten Tatverdacht losgelöste Vermutung der übrigen Hausbewohner, die Jugendlichen benützten Suchtgift, da schon öfters Personen die Wohnung des Bf. verlassen hätte, die einen benommenen Eindruck gemacht hätten, ist weder als "öffentliche Nacheile" noch als "öffentlicher Ruf" zu werten (vgl. VfSlg. 3108/1956). Beides liegt hier ersichtlich nicht vor. Eine deshalb durchgeführte Hausdurchsuchung war daher verfassungswidrig.

5. Die Behörde stützt aber die Berechtigung der Hausdurchsuchung auch darauf, daß sich in der Wohnung Jugendliche aufgehalten haben, die im Besitz einer verbotenen Waffe waren; sie trugen nämlich "Nietengürtel", und zwar so, wie sich später herausstellte, daß sie diese mit einem Handgriff entfernen und allenfalls auch als Waffe benutzen konnten. Diese Jugendlichen hätten sie also bei einer strafbaren Tat betreten (Besitz verbotener Waffen, §11 Abs1 Z5 iVm. §36 Abs1 litc Waffengesetz 1967). Ein Nietengürtel ist ein Lederband, dem zirka 1 cm hohe, pyramidenförmige Metallteile aufgesetzt sind. Ein solcher Gürtel kann nach Ansicht des VfGH weder einem Schlagring noch einem Totschläger, aber auch nicht einer anderen gemäß §11 des Waffengesetzes 1967 oder aufgrund eines anderen Gesetzes verbotenen Waffe vertretbarer Weise gleichgehalten werden. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich hiebei, wie die Träger meinten, nur um einen modischen Bekleidungsbestandteil handelt oder allenfalls doch um eine Waffe. Eine iS des §11 des Waffengesetzes 1967 verbotene Waffe liegt indes nicht vor.

Gemäß §139 StPO darf eine Hausdurchsuchung nur dann vorgenommen werden, wenn gegründeter Verdacht besteht, daß sich in der Wohnung eine eines Verbrechens oder Vergehens verdächtige Person verborgen hält oder daß sich darin Gegenstände befinden, deren Besitz oder Besichtigung für eine bestimmte Untersuchung von Bedeutung sein kann.

Die Polizeiorgane gründeten ihren Verdacht, daß sich in der Wohnung eines Verbrechens oder Vergehens verdächtige Personen aufhalten und daß sich darin Gegenstände befinden, deren Besitz oder Besichtigung für eine bestimmte Untersuchung von Bedeutung sein kann, auch darauf, daß sie die von ihnen wahrgenommenen Nietengürtel als verbotene Waffen ansahen. Da diese Nietengürtel allenfalls als Waffen, vertretbarer Weise aber nicht als verbotene Waffen angesehen werden können, war der von den Polizeiorganen gehegte Verdacht unbegründet.

Die Hausdurchsuchung war auch aus diesem Grunde verfassungswidrig.

6. Die Annahme der Behörde, in der Wohnung befänden sich behördlich gesuchte Personen, ist in dieser Allgemeinheit überhaupt kein tauglicher Grund für eine Hausdurchsuchung. Ein darüber hinausgehender, konkreter Verdacht, der eine Voraussetzung für eine Hausdurchsuchung nach §2 Abs2 des Gesetzes zum Schutze des Hausrechtes hätte abgeben können, lag jedenfalls, wie schon aus den Sachverhaltsdarstellungen der Behörde selbst zu entnehmen ist, ersichtlich nicht vor.

7. Die Tatsache, daß dem Bf. trotz Verlangens keine Bescheinigung ausgestellt wurde, begründet die Verfassungswidrigkeit der Hausdurchsuchung auch in diesem Teil (VfSlg. 1624/1948, 1890/1949).

Aus all den erwähnten Gründen war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Suchtgift, Hausrecht, Hausdurchsuchung, Waffenrecht, Waffen verbotene

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B637.1983

Dokumentnummer

JFT_10149074_83B00637_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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