TE Vfgh Beschluss 1985/9/26 B390/84, B391/84

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Veröffentlicht am 26.09.1985
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Index

32 Steuerrecht
32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb Ausübung nicht erfolgte
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
StGG Art8
AbgEO §6 Abs1
AbgEO §13 Abs1
BAO §232
HausRSchG §3
PersFrSchG

Leitsatz

Art144 Abs1 B-VG: Vollstreckungshandlungen durch Organe des Finanzamtes in einem dem Gatten der Bf. überlassenen Raum; keine Beschwerdelegitimation der Gattin Art144 Abs1 B-VG; Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; von Vollstreckungsorganen geäußerter Wunsch, die Bf. möge an den Ort der vorzunehmenden Vollstreckungshandlungen kommen - keine Verhaftung Art144 Abs1 B-VG; finanzbehördliche Pfändung aufgrund eines gemäß §232 BAO erlassenen Sicherstellungsauftrages; Rechtmäßigkeit der Durchführung der Pfändung nach Maßgabe des §13 AbgEO in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren zu prüfen; keine unmittelbare Zuständigkeit des VfGH

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Die vorliegende, auf Art144 (Abs1 zweiter Satz) B-VG gestützte Beschwerde wendet sich gegen Amtshandlungen, die am 27. April und am 2. Mai 1984 von Organen des Finanzamtes für den 6., 7. und 15. Bezirk in Wien (FA 6/7/15) durchgeführt wurden.

Die Bf. behauptet, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf persönliche Freiheit sowie auf Unversehrtheit des Hausrechtes und des Eigentumsrechtes verletzt worden zu sein, und beantragt, diese Rechtsverletzungen kostenpflichtig festzustellen.

2. Das FA 6/7/15 als bel. Beh. erstattete eine Gegenschrift, in der die Abweisung der Beschwerde begehrt wird.

II. Aufgrund der vorgelegten Vollstreckungsakten des FA 6/7/15, StNr. 063/5937, und der im Zuge dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens abgelegten Aussage des FInsp. M K als Zeugen nimmt der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

1. Das Finanzamt für den 1. Bezirk in Wien (FA 1) übermittelte am 25. April 1984 dem FA 6/7/15 einen Rückstandsausweis über die vollstreckbar gewordenen Abgabenrückstände des Gatten der Bf. und ersuchte im Wege der Amtshilfe um Fahrnispfändung. Über Vollstreckungsauftrag des FA 6/7/15 begaben sich am 27. April 1984 Vollstreckungsorgane dieser Behörde (darunter der Zeuge K) in die von der Schwiegermutter der Bf. gemietete und benützte Wohnung in Wien, G-Straße ... In einem Zimmer, das von der Hauptmieterin dem Gatten der Bf. überlassen worden war, pfändeten die Beamten eine Bibliothek. Sie versperrten und versiegelten sowohl die Möbel, in denen sich diese Bücher befanden, als auch das erwähnte Zimmer; die Schlüssel nahmen sie in behördliche Verwahrung.

Die Bf. war bei dieser Amtshandlung nicht anwesend. Jedenfalls am erwähnten Zimmer stand ihr kein Benützungsrecht zu.

2. Das FA 6/7/15 ordnete mit Sicherstellungsauftrag vom 2. Mai 1984 gemäß §232 BAO zur Sicherung bestimmter Abgabenansprüche gegen die Bf. "die Sicherstellung in" ihr "bewegliches und unbewegliches Vermögen" an.

Am 2. Mai 1984 gegen 8 Uhr suchten Vollstreckungsorgane des FA 6/7/15 (darunter der Zeuge K) die Bf. an ihrem Arbeitsplatz (sie ist Ärztin im Altersheim L) auf und folgten ihr den Sicherstellungsauftrag aus. Die Beamten teilten der Bf. mit, daß sie in deren Wohnung, M-Straße ..., eine Fahrnispfändung durchführen wollten, und forderten sie auf, sie zu begleiten. Die Bf. lehnte dieses Ansinnen zunächst mit der Begründung ab, daß sie ihren Arbeitsplatz nicht verlassen könne. Nach Rücksprache mit ihrem Vorgesetzten und nach einem Telefongespräch mit ihrem Rechtsanwalt erklärte sie sich dann aber doch bereit, mit den Beamten in ihre Wohnung zu fahren. Eine Festnahme wurde weder ausgesprochen noch ein solcher Ausspruch angedroht. Die Vollstreckungsorgane teilten der Bf. mit, daß ihre Anwesenheit bei der Exekution nicht erforderlich sei. Es wurde ihr aber dennoch empfohlen mitzukommen, da ansonsten ihre Wohnung von einem Schlosser geöffnet werden müßte, was ihr Kosten verursachen würde.

Die Vollstreckungsorgane pfändeten sodann in der von der Bf. benützten Wohnung M-Straße ... mehrere Gegenstände (darunter einen Fernsehapparat und mehrere Bilder), die sie in Verwahrung der Bf. beließen. Anläßlich einer (insbesondere auf das Auffinden von Sparbüchern gerichteten) Nachschau in Laden fanden die Beamten ein Kuvert mit 3 Safe-Schlüsseln, die die Vollstreckungsorgane pfändeten und in amtliche Verwahrung nahmen.

III. Der VfGH beurteilt diesen Sachverhalt rechtlich wie folgt:

1. Was die am 27. April 1984 durchgeführte Amtshandlung anlangt, ist es ausgeschlossen, daß die Bf. dadurch in subjektiven Rechten verletzt werden konnte. Ihr kamen weder am Zimmer, in dem die Pfändung durchgeführt und das in der Folge versperrt und versiegelt wurde, noch an der gepfändeten Bibliothek irgendwelche Rechte zu.

Sie ist daher insoweit nicht zur Beschwerdeführung legitimiert (vgl. zB VfSlg. 9107/1981, S 364).

In diesem Umfang war mithin die Beschwerde gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

2. a) Die Bf. behauptet, am 2. Mai 1984 von Beamten des FA 6/7/15 festgenommen und dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden zu sein.

Der Begriff der Verhaftung iS des - auf Verfassungsstufe stehenden (Art149 Abs1 B-VG) - Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit, erfaßt wohl alle unmittelbaren Freiheitsbeschränkungen, auch wenn diese nicht formell als Verhaftung verfügt worden sind (vgl. zB VfSlg. 9494/1982).

Dennoch ist das in Beschwerde gezogene Verhalten der Finanzbeamten nicht als Verhaftung iS des zitierten Gesetzes zu werten. Die Bf. wurde weder formell festgenommen noch war der Wille der einschreitenden Beamten - objektiv - darauf gerichtet, ihre Freiheit zu beschränken. Der von den Vollstreckungsorganen geäußerte Wunsch, die Bf. möge in ihre Wohnung kommen, stellt keinen - sofortige Befolgung heischenden - Befehl dar, bei dessen Nichtbefolgung sie mit der Ausübung von körperlichem Zwang zu rechnen gehabt hätte. Ihr wurde vielmehr ausdrücklich mitgeteilt, daß keine Rechtspflicht zum Mitkommen bestehe, sondern daß für sie lediglich ein Kostenrisiko entstünde.

Das damit in Beschwerde gezogene Geschehen bildet auch sonst keinen tauglichen Gegenstand für eine Anfechtung iS des Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG. Die Beschwerde war demnach in diesem Umfang gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG wegen offenbarer Nichtzuständigkeit des VfGH ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (vgl. zB VfSlg. 8879/1980, 9494/1982).

b) Die von der Bf. als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt qualifizierte, am 2. Mai 1984 in ihrer Wohnung M-Straße ... durchgeführte finanzbehördliche Pfändung mehrerer Gegenstände (darunter von drei Safe-Schlüsseln) fand aufgrund eines gemäß §232 BAO gegen sie erlassenen Sicherstellungsauftrages statt.

Nach §78 Abs1 der Abgabenexekutionsordnung (AbgEO) darf aufgrund eines derartigen Sicherstellungsauftrages ua. zur Sicherung von Abgaben schon vor Eintritt der Rechtskraft die Vornahme von Vollstreckungshandlungen angeordnet werden. Dem §78 Abs2 AbgEO zufolge kann zur Sicherung ua. die Pfändung und Verwahrung beweglicher körperlicher Sachen vorgenommen werden. Gemäß dem folgenden Abs3 sind im übrigen die Bestimmungen des I. Teiles (§§4 bis 77 AbgEO) sinngemäß anzuwenden.

Der Abgabenschuldner kann also nach der - mit "Einwendungen gegen die Durchführung der Vollstreckung" überschriebenen - Bestimmung des auch hier anwendbaren §13 Abs1 AbgEO gegen die Vollstreckung (beim Finanzamt) - an bestimmte inhaltliche Voraussetzungen geknüpfte - Einwendungen, und zwar ua. dann erheben, wenn er bestreitet, daß die Vollstreckbarkeit des Sicherstellungsauftrages eingetreten ist. Über solche Einwendungen ist in einem Verwaltungsverfahren nach §13 AbgEO zu entscheiden. Dieses Verfahren umfaßt auch die Entscheidung über das Vorgehen des Vollstreckers, wie sich aus dem Einleitungssatz des §16 AbgEO ergibt. Nach dieser Vorschrift ist ua. in den in §13 AbgEO angeführten Fällen die Vollstreckung bei gleichzeitiger Aufhebung aller bis dahin gesetzter Vollstreckungsakte einzustellen. Demnach muß in einem nach §13 AbgEO ablaufenden Verfahren nicht nur geprüft werden, ob den vom Abgabenschuldner - zulässigerweise - erhobenen Einwendungen stattzugeben ist (§12 Abs4 AbgEO). Es ist vielmehr, wenn diesen Einwendungen stattgegeben wird, auch zu untersuchen, welche Vollstreckungsakte bis dahin vollzogen wurden und aufzuheben sind. Auch eine durchgeführte Pfändung ist in einem solchen Fall als vollzogener Vollstreckungsakt zu beheben. Damit ist die Frage der Rechtmäßigkeit der Durchführung der finanzbehördlichen Pfändung - nach Maßgabe des §13 AbgEO - Gegenstand eines verwaltungsbehördlichen Verfahrens und in diesem Verfahren auszutragen. Was aber in einem Verwaltungsverfahren auszutragen ist, kann beim VfGH nur durch Erhebung der Beschwerde gegen die in diesem Verfahren ergangenen letztinstanzlichen Bescheide, nicht hingegen mit sofortiger Beschwerde gegen Akte der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt bekämpft werden, ohne daß es dabei auf die Erfolgsaussichten der dem Abgabenschuldner prozessual eingeräumten administrativen Einwendungen ankommt (vgl. zB VfSlg. 9388/1982, S 335 f. und die dort zitierte weitere Vorjudikatur; vgl. auch VfSlg. 9673/1983).

Gemäß §6 Abs1 AbgEO (der nach §78 Abs3 auch für die Vollstreckung eines Sicherstellungsauftrages anzuwenden ist) ist der Vollstrecker ua. befugt, soweit es der Zweck der Vollstreckung erheischt, die Wohnung des Abgabenschuldners und "dessen Behältnisse" zu durchsuchen. Die verfassungsrechtliche Grundlage für diese Maßnahmen bildet §3 des Gesetzes zum Schutze des Hausrechtes (s. VfSlg. 2861/1955, S 243). Ein solches Durchsuchen von Behältnissen (wie es hier stattgefunden hat) ist notwendiger Bestandteil der Vollstreckungsmaßnahme (vgl. VfSlg. 8363/1978, S 29). Auch für sie gelten also die vorstehenden Ausführungen.

Zusammenfassend ergibt sich daher, daß der VfGH zur Entscheidung über die Beschwerde - soweit sie sich gegen die finanzbehördlichen Pfändungsakte vom 2. Mai 1984 richtet - nicht zuständig ist.

Auch insoweit mußte darum die Beschwerde - als unzulässig - zurückgewiesen werden.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung, Vollstreckungshandlung, Vollstreckung (Finanzen), Pfändung, Verwaltungsvollstreckung, VfGH / Legitimation, VfGH / Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B390.1984

Dokumentnummer

JFT_10149074_84B00390_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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