TE Vfgh Beschluss 1985/9/28 G55/83, V52/83

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Veröffentlicht am 28.09.1985
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
AVG §17 Abs1
Geo (Geschäftsordnung für die Gerichte I) und II. Instanz, §170 Abs1, Abs2

Leitsatz

Art139, 140 B-VG; als Individualantrag zu wertende Eingabe bezüglich Aufhebung des §17 Abs1 AVG 1950 bzw. der jeweils letzten Sätze des §170 Abs1 und 2 der GO für die Gerichte I. und II. Instanz; keine Legitimation mangels unmittelbaren Eingriffs in die Rechtssphäre

Spruch

Die Eingabe wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Mit "Beschwerde gemäß Art140 Bundesverfassungsgesetz" wird vom Einschreiter vorgebracht, daß er beim BG Hietzing zur GZ 6 C 177/1975 auf Feststellung der außerehelichen Vaterschaft und Unterhalt geklagt worden sei. In dem Rechtsstreit seien ihm gegen den mj. Kläger mit dem abweisenden Urteil sowie mit einem nachträglichen Beschluß insgesamt Kosten in der Höhe von 16010 S zuerkannt worden.

1.2. In der Folge sei der Mj. gemäß §259 AußStrG inkognito adoptiert worden. Da dem Einschreiter damit faktisch die Möglichkeit entzogen worden sei, seine Kostenersatzansprüche gegen den Mj. zu verfolgen, habe er versucht, diese gegen die Kindesmutter geltend zu machen, was jedoch daran gescheitert sei, daß deren Aufenthalt nicht habe ermittelt werden können.

1.3. Mit Eingabe vom 20. Oktober 1982 habe er sodann beim Bezirksjugendamt den Antrag gestellt, ihm Akteneinsicht zu gewähren, was jedoch unter Hinweis auf das Vorliegen einer Inkognitoadoption abgelehnt worden sei. Die gegen den abweisenden Bescheid erhobene Berufung sei vom Amt der Wr. Landesregierung mit dem ihm am 7. Juli 1983 zugestellten Berufungsbescheid vom 22. März 1983 abgewiesen worden.

1.4. Der Einschreiter habe hierauf Akteneinsicht in den Pflegschaftsakt begehrt, was jedoch mit Beschluß des Vorstehers des BG Innere Stadt vom 25. Oktober 1982 ebenfalls abgelehnt worden sei. Dem dagegen erhobenen Rekurs sei keine Folge gegeben worden, der ao. Revisionsrekurs vom OGH mit Beschluß vom 11. Mai 1983, GZ 1 Ob 623/83, zurückgewiesen worden.

1.5. "Aus Anlaß sämtlicher Entscheidungen" erhebe er nunmehr Beschwerde an den VfGH wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Grundrechtes auf Eigentum (Art5 StGG) sowie wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Grundrechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 BVG iVm. Art6 Abs1 MRK).

In sämtlichen Entscheidungen sei unrichtigerweise davon ausgegangen worden, daß er kein rechtliches, sondern lediglich ein wirtschaftliches Interesse bescheinigt habe. Unzweifelhaft enthalte nun wohl das Außerstreitgesetz keine Regelung des Rechtes auf Akteneinsicht, wohl aber könne "über §170 Abs1 GO §219 Abs2 ZPO Anwendung finden". Aus §259 AußStrG den Schluß zu ziehen, daß Personen, denen im Falle einer Inkognitoadoption kein Zustimmungs- und Anhörungsrecht zustehe, gar keine Rechte zukämen, fände im Gesetz keine Deckung. "Vielmehr wäre in den Entscheidungen eine Interessenabwägung zwischen dem Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums und dem Recht auf Datenschutz vorzunehmen gewesen."

Im gegenständlichen Fall sei dem Einschreiter gegen den Mj. gerichtlich ein Kostenersatzanspruch zuerkannt worden. Wenn der Gesetzgeber gewollt hätte, daß eine solche Entscheidung durch eine andere Entscheidung (gemeint ist die Inkognitoadoption) inhaltsleer und ihre Durchsetzbarkeit unmöglich gemacht werden sollte, hätte er andere rechtliche Vorsorgemaßnahmen getroffen. Der Gesetzgeber hätte aber auch die Parteirollen im Vaterschaftsprozeß oder im Adoptionsverfahren anders verteilen können, sodaß "nicht die vorliegende Situation entstehen kann, wonach jemand eines rechtskräftig zuerkannten Anspruches, welcher als Eigentum durch das im Verfassungsrang stehende Staatsgrundgesetz geschützt ist, enteignet wird".

Durch die Entscheidung des LG für ZRS Wien und die vom OGH getroffene Entscheidung werde der Einschreiter aber auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, da der erstrichterliche Beschluß des Gerichtsvorstehers, mit dem ihm Akteneinsicht verweigert wurde, dem Bereich der Justizverwaltung zuzuschreiben sei. Demnach wäre, wie von ihm beantragt, der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien zur Entscheidung in II. Instanz berufen gewesen.

Der Einschreiter stelle daher die Anträge, der VfGH wolle "... die Verletzung der Grundrechte auf Unverletzlichkeit des Eigentumsrechtes und des Rechtes auf den gesetzlichen Richter feststellen, sowie ...

die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Bestimmungen des §170 Abs1

letzter Satz und §170 Abs2 letzter Satz der Geschäftsordnung für die

Gerichte 1. und 2. Instanz BGBl. 264/51 in der Fassung des

BGBl. 403/82, sowie des §17 Abs1 des allgemeinen

Verwaltungsverfahrensgesetzes AVG 1950 BGBl. 172/50 in der Fassung

des BGBl. 199/82 feststellen und diese Normen aufheben, sowie ... aus

Anlaß des Falles die beantragte Akteneinsicht gewähren bzw. den Namen

und die Anschrift des ... minderjährigen ... meinem bevollmächtigten

Anwalt zur Kenntnis bringen".

2. Die Eingabe des Antragstellers ist trotz ihrer Bezeichnung als "Beschwerde" und trotz der Behauptung des Einschreiters, durch Entscheidungen der Gerichte und der Verwaltungsbehörden in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein, ihrem Inhalte nach als Antrag (Individualantrag) iS des Art140 Abs1 letzter Satz bzw. Art139 Abs1 letzter Satz B-VG auf Aufhebung bestimmter Gesetzes- bzw. Verordnungsstellen zu werten. Begehrt wird, dem §62 Abs1 VerfGG 1953 idF der Nov. BGBl. 311/1976 entsprechend, die Aufhebung des §17 Abs1 des AVG 1950 idF BGBl. 199/1982 sowie, dem §57 Abs1 VerfGG 1953 idF der Nov. BGBl. 311/1976 entsprechend, die Aufhebung der jeweils letzten Sätze des §170 Abs1 und 2 der Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz (GO idF BGBl. 403/1982). Daß sich die Eingabe nicht gegen die Entscheidungen richtet, von denen der Einschreiter behauptet, sie verletzten ihn in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, sein Eingehen auf diese Verfahren vielmehr nur als Sachverhaltsschilderung zu werten ist, erweist sich schon daraus, daß in der Eingabe ausdrücklich erklärt wird, die Beschwerde wäre "aus Anlaß sämtlicher Entscheidungen" erhoben, sowie weiters daraus, daß der Einschreiter hinsichtlich keiner der Entscheidungen einen Aufhebungsantrag stellt. Eine allfällige Wertung als Bescheidbeschwerde gemäß Art144 B-VG ist daher ausgeschlossen.

3. Die Normprüfungsanträge sind unzulässig.

3.1. Gemäß Art140 B-VG (139 B-VG) erkennt der VfGH über die Verfassungswidrigkeit (Gesetzwidrigkeit) von Gesetzen (von V) auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Bestimmungen in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz (die V) ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

3.2. Mit den Darlegungen der Eingabe wird nun nur behauptet, daß ein verfassungswidriger (gesetzwidriger) Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers dadurch stattgefunden hätte, daß die Anwendung der von ihm bekämpften Bestimmungen in von ihm angestrengten Gerichts- und Verwaltungsverfahren zu für ihn negativen Ergebnissen geführt hätte; die - allein maßgeblichen - Ausführungen der Eingabe behaupten somit lediglich einen mittelbaren Eingriff in die Rechtssphäre des Einschreiters. Dem Antragsteller wäre es freigestanden, gegen den ihm am 7. Juli 1983 zugestellten administrativen Berufungsbescheid vom 22. März 1983 Beschwerde an den VwGH zu erheben und an diesen seine Bedenken gegen §17 AVG 1950, bzw. im Pflegschaftsverfahren seine Bedenken gegen §170 Abs1 und 2 jeweils letzter Satz der GO an den Gerichtshof I. Instanz und an den OGH heranzutragen, die - falls sie den Bedenken beigetreten wären - einen Gesetzes- (V-) Prüfungsantrag an den VfGH hätten stellen können. Da die Unmittelbarkeit des Eingriffes der bekämpften Bestimmungen für die Zulässigkeit eines Individualantrages vorausgesetzt ist, kommt dem Einschreiter schon nach seinem eigenen Vorbringen die Legitimation zur Stellung eines Antrages auf Aufhebung der bekämpften Bestimmungen nach Art140 Abs1 (Art139 Abs1) letzter Satz B-VG nicht zu.

4. Der Antrag ist daher mangels Legitimation des Antragstellers zurückzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:G55.1983

Zuletzt aktualisiert am

22.08.2008
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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