TE Vfgh Beschluss 2006/9/25 B1051/06

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Veröffentlicht am 25.09.2006
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §34
ZPO §530 Abs1 Z7
AltlastensanierungsG

Leitsatz

Abweisung des Antrags auf Wiederaufnahme eines durch Ablehnung abgeschlossenen Verfahrens mangels Darlegung eines - eine günstigere Entscheidung des VfGH bewirkenden - Wiederaufnahmegrundes

Spruch

Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird abgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Mit Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates vom 22. Juli 2005 wurde die Beschwerde der Antrag stellenden Gesellschaft gegen die Berufungsvorentscheidung des Zollamtes Innsbruck, mit der gemäß §3 Abs1 Z1 Altlastensanierungsgesetz (AlSAG) der Altlastenbeitrag für das 2. Quartal 2003 festgesetzt wurde, nicht Folge gegeben.

Gegen diesen Bescheid erhob die Antrag stellende Gesellschaft eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung mit Beschluss vom 28. November 2005, B1079/05-3, gemäß Art144 Abs2 B-VG abgelehnt wurde. Begründend führte der Gerichtshof aus, dass das Beschwerdevorbringen eine Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten wegen Anwendung der für verfassungswidrig erachteten Bestimmungen der §§1 bis 12 AlSAG - soweit diese im gegenständlichen Fall überhaupt präjudiziell sind - vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Abgabenrecht (vgl. insb. VfSlg. 10.001/1984, 10.365/1985, 11.143/1986, 11.615/1988 uva; vgl. auch VfSlg. 15.432/1999, 16.585/2002, 16.740/2002, 16.923/2003) und zur Zweckbindung von Abgaben (vgl. VfSlg. 6755/1972, 16.454/2002) sowie im Hinblick auf die im öffentlichen Interesse gelegenen Ziele des AlSAG, wozu insbesondere auch die Vermeidung von Abfällen (vgl. Erl zur RV zum Altlastensanierungsgesetz, 898 BlgNR 17. GP, S 10) und (speziell unter Bezugnahme auf die Bestimmung des §6 AlSAG über die Beitragshöhe) die Schaffung eines finanziellen Anreizes zur Vornahme von Anpassungen von Deponien an den Stand der Technik (vgl. Erl zur RV zu Art87 des Strukturanpassungsgesetzes 1996, 72 BlgNR 20. GP, S 311) zählen, als so wenig wahrscheinlich erkennen lässt, dass die Beschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

2. Mit am 20. Juni 2006 beim Verfassungsgerichtshof eingelangtem Schriftsatz begehrt die Antrag stellende Gesellschaft die Wiederaufnahme des Verfahrens. Der Antrag stützt sich auf den Wiederaufnahmegrund der Z7 des §530 Abs1 ZPO; folgende neue Tatsachen und Beweismittel seien der Antrag stellenden Partei zur Kenntnis gelangt: anlässlich der am 31. Mai 2006 abgehaltenen Konferenz des Österreichischen Wasser- und Abfallwirtschaftsverbandes zum Thema "Hausmülldeponien im ländlichen Raum - Wurde das Risiko bisher überschätzt? Wege zur Sanierung und Folgenutzung!" (eine Konferenzunterlage wurde beigelegt) sei im Rahmen eines Vortrages dargelegt worden, dass "abgeschätzt werden [kann], dass von rund 7.000 alten Gemeindedeponien nicht wie früher erwartet der überwiegende Teil als 'Verdachtsfläche' einzustufen wäre, sondern eine deutliche Reduktion auf eine Größenordnung von 1.000 möglich sein sollte".

Die Beschwerde sei von der Statistik des Bundesumweltamtes mit Stand Jänner 2005 ausgegangen, die das Verhältnis von Altstandorten zu Altablagerungen mit 88,56% zu 11,44% ausgewiesen habe. Die im Altlastenatlas Stand Jänner 2006 ausgewiesene Relation zwischen Altstandorten und Altablagerungen betrage 86,12% zu 13,88%. Die in diesem Altlastenatlas ausgewiesene Anzahl an Altablagerungen (Gesamtheit aller registrierten Altablagerungen und Verdachtsflächen) betrage insgesamt 6.555. Diese Zahl der Altablagerungen sei unter Zugrundelegung der neu hervorgekommenen "Bewertungskriterien" auf 1.000 zu reduzieren, womit sich das Verhältnis der in Rede stehenden Altlasten insoweit verändere, als 97,60% Altstandorten nur mehr 2,40% Altablagerungen gegenüberstünden. Auch unter Beachtung der im öffentlichen Interesse gelegenen Ziele des AlSAG und des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers im Abgabenrecht sei es mit Blick auf die nunmehr errechneten Prozentsätze sachlich nicht mehr zu rechtfertigen, vorwiegend Deponiebetreiber als Beitragsschuldner nach §4 Z1 AlSAG heranzuziehen, Verursacher von Altlasten sowie Abfallverbrennungs- und Abfallverwertungsunternehmen hingegen keiner Altlastenbeitragspflicht zu unterwerfen. Die selektive Begünstigung Letztgenannter sei somit wesentlich gravierender als im Beschwerdeverfahren (an Hand des damals vorgelegenen Zahlenmaterials) angenommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß §34 VfGG kann eine Wiederaufnahme des Verfahrens ua. in den Fällen des Art144 B-VG stattfinden. Da §34 VfGG eine nähere Regelung nicht enthält, gelten für die Wiederaufnahme des Verfahrens nach §35 Abs1 VfGG sinngemäß die Bestimmungen der ZPO (VfSlg. 8972/1980, 9126/1981, 16.511/2002, 17.286/2004). Gemäß §530 Abs1 Z7 ZPO kann ein Verfahren, das "durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist," auf Antrag einer Partei wieder aufgenommen werden, "wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung in früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde".

2. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrages ist nach §530 Abs1 ZPO der Abschluss des Verfahrens durch "eine die Sache erledigende Entscheidung". Eine solche liegt immer schon dann vor, wenn durch sie das Verfahren beendet wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Beschluss, mit dem die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art144 Abs2 B-VG abgelehnt wird, als verfahrensbeendende Entscheidung iS dieser Regelung zu qualifizieren (mwN VfSlg. 16.511/2002), weshalb auch der gegenständliche - fristgerecht eingebrachte und der Sache nach auf einen der gesetzlichen Wiederaufnahmegründe gestützte - Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig ist.

3. Der Antrag erweist sich jedoch als nicht begründet:

3.1. Ein nach dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt (Erlassung des angefochtenen Bescheides - zB VfSlg. 9763/1983, 14.090/1995) entstandenes Beweismittel kann zwar für den Nachweis einer in diesem Zeitpunkt bereits vorhandenen Tatsache als Wiederaufnahmegrund in Betracht kommen (vgl. VfSlg. 9126/1981). Neue Tatsachen und Beweismittel können jedoch - bei sinngemäßer Anwendung des §530 Abs1 Z7 ZPO im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof - nur dann einen Wiederaufnahmegrund bilden, wenn sie solcher Art sind, dass ihre Berücksichtigung im Rahmen der dem Verfassungsgerichtshof zukommenden - beschränkten - Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis (im vorliegenden Fall also unter dem Gesichtspunkt der Verletzung in Rechten durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes) im verfassungsgerichtlichen Verfahren eine für die Partei günstigere Entscheidung möglich erscheinen lässt (mwN VfSlg. 9126/1981, 14.858/1997, 16.511/2002, 17.286/2004), wobei bei der Prüfung der Frage, ob die Möglichkeit eines günstigeren Ergebnisses besteht, von der Rechtsansicht auszugehen ist, die der die Sache erledigenden Entscheidung zugrunde liegt. Mit dem Wiederaufnahmegrund des §530 Abs1 Z7 ZPO kann nämlich nur die Tat-, niemals aber die Rechtsfrage neu aufgerollt werden (vgl. VfSlg. 15.086/1998 swN).

3.2. Die als neue Tatsachen und Beweismittel vorgebrachten, aus dem angeführten Vortrag abgeleiteten (und von der Antrag stellenden Gesellschaft auf die Zahlen des Altlastenatlasses mit Stand Jänner 2006 bezogenen) "neuen Bewertungskriterien" könnten unter Zugrundelegung der vom Verfassungsgerichtshof im Verfahren B1079/05 vertretenen Rechtsansicht indes zu keinem anderen Ergebnis in dieser Sache führen.

Gegenstand des abgeschlossenen Verfahrens bildete die Beurteilung der Verfassungskonformität von (präjudiziellen) Bestimmungen des AlSAG im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (also im Zeitpunkt seiner Zustellung an die Antrag stellende Gesellschaft am 28. Juli 2005), dies vor allem vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Abgabenrecht und im Hinblick auf die im öffentlichen Interesse gelegenen Ziele des AlSAG (vgl. oben Pkt. I.1.). Die Kenntnis des Gerichtshofes von der nunmehr ins Treffen geführten Einschätzung im erwähnten Vortrag hinsichtlich der tatsächlichen, (nach Ansicht des Vortragenden) weit unter den bisher angenommenen Zahlen gelegenen Summe von Verdachtsflächen im Bereich der Gemeindedeponien wäre nicht geeignet gewesen, eine für die Antrag stellende Gesellschaft günstigere Entscheidung in Bezug auf den relevanten Verfahrensgegenstand (Verfassungskonformität von Vorschriften des AlSAG) herbeizuführen, weil die Frage der Anzahl der Verdachtsflächen für die Entscheidungsfindung des Gerichtshofes nämlich ebenso wenig von Bedeutung war wie die Relation zwischen den Altlastenkategorien Altstandorte und Altablagerungen.

Insgesamt vermag die Antrag stellende Gesellschaft mit ihrem Vorbringen daher keinen Wiederaufnahmegrund iS des §530 ZPO darzutun.

Der Antrag war somit gemäß §538 Abs1 iVm §530 Abs1 ZPO und den §§34 f VfGG in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Wiederaufnahme, VfGH / Prüfungsmaßstab, Abfallwirtschaft, Altlastensanierung, Bescheiderlassung (Zeitpunkt maßgeblich für Rechtslage)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B1051.2006

Dokumentnummer

JFT_09939075_06B01051_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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