TE Vfgh Erkenntnis 1985/10/4 G40/85

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Veröffentlicht am 04.10.1985
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ASVG §49 Abs3 Z6 idF der 19. Nov, BGBl 67/1967
B-VG Art7 / Gesetz

Beachte

Kundmachung am 6. Dezember 1985, BGBl. 502/1985; Anlaßfall VfSlg. 10679/1985

Leitsatz

ASVG; Gleichheitswidrigkeit des §49 Abs3 Z6 aus den in VfSlg. 10089/1984 genannten Gründen (ausschließliches Anknüpfen an eine kollektivvertragliche Regelung)

Spruch

Die Z6 im §49 Abs3 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. 189/1955, idF der 19. Nov. zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, BGBl. 67/1967, ("Werkzeuggelder, wenn sie auf Grund kollektivvertraglicher Regelungen gewährt werden;") wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. September 1986 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im BGBl. verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) definiert in seinem §49 - für Zwecke der allgemeinen Beitragsgrundlage - den Begriff des Entgelts und bestimmt in diesem Zusammenhang im Abs3 (ua.) folgendes:

"(3) Als Entgelt im Sinne des Abs1 und 2 gelten nicht:

...

2. Schmutzzulagen, wenn sie auf Grund gesetzlicher Vorschriften oder kollektivvertraglicher Regelungen gewährt werden und soweit sie von der Einkommensteuer (Lohnsteuer) befreit sind;

...

6. Werkzeuggelder, wenn sie auf Grund kollektivvertraglicher Regelungen gewährt werden;

..."

Mit dem Erk. VfSlg. 10089/1984 hob der VfGH die Wortfolge "oder kollektivvertraglicher Regelungen" in der obigen Z2 (idF der 29. Nov. zum ASVG, BGBl. 31/1973 - s. nunmehr ArtI Z2 des Sozialversicherungs-Änderungsgesetzes 1985, BGBl. 205) als verfassungswidrig auf, weil sie gegen das Gleichheitsgebot verstieß. Zur Begründung führte der Gerichtshof aus, er halte

"daran fest, daß die arbeitsvertragliche Gestaltung des einzelnen Dienstverhältnisses durch die Festlegung eines geringeren Grundlohnes, jedoch einer höheren sonstigen Entlohnung auf die Umgehung der Steuervorschriften (und ebenso der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften) abzielen kann, sodaß dagegen ergriffene gesetzgeberische Maßnahmen - vom Zweck her gesehen - nicht unsachlich sind. Der VfGH bleibt auch dabei, daß der Gesetzgeber zur Erreichung dieses verfassungsrechtlich erlaubten Zwecks taugliche Mittel verwenden kann, sofern sie sachlich sind. Den im Erk. Slg. 3185/1957 (und der einschlägigen folgenden Judikatur) daran anschließenden (hier der Übersichtlichkeit wegen wörtlich wiedergegebenen) Gedanken kann der Gerichtshof jedoch nicht mehr in der ausgesprochenen Allgemeinheit aufrechterhalten: 'Aber wenn der Gesetzgeber zur zweckmäßigen Regelung von Fragen des Steuerrechtes an die Einrichtung des Kollektivvertrages anknüpft und danach differenziert, findet dies sein Vorbild in der Grundordnung des Arbeitsvertragsrechtes, das eine verschiedene Behandlung arbeitsvertragsrechtlicher Fragen je nachdem, ob ein Kollektivvertag besteht oder nicht, durchaus kennt.' Auszugehen ist davon, daß es dem Steuer- oder Sozialversicherungsgesetzgeber gestattet sein muß, zur Erreichung des angestrebten Zwecks ein für die Rechtsunterworfenen und die Vollziehung unschwer handhabbares Kriterium festzulegen, das den begünstigten Bereich relativ eindeutig abhebt. Der Gerichtshof erinnert in diesem Zusammenhang an seine ständige Rechtsprechung, daß der Gesetzgeber von einer Durchschnittsbetrachtung auszugehen und etwaige Härtefälle in Kauf nehmen kann (zB VfSlg. 8871/1980 S 593) sowie daß Gründe der Verwaltungsökonomie es erlauben, eine einfache und leicht handhabbare Regelung zu treffen (zB VfSlg. 9258/1981). Dies gestattet zwar an sich, arbeitsrechtliche Grundsätze und Einrichtungen für Zwecke des Steuer- und Sozialversicherungsrechtes nutzbar zu machen, doch kann nicht gesagt werden, daß ausschließlich das Anknüpfen an eine kollektivvertragliche Regelung geeignet ist, ein taugliches Differenzierungskriterium zu liefern, weil hiedurch - wie etwa §68 Abs2 zweiter Satz EStG 1972 zeigt - eine erhebliche Anzahl von Dienstnehmergruppen in gleicher Lage ausgeschlossen würde. Der Gesetzgeber ist, wenn er sich an arbeitsrechtlichen Regelungen orientiert und an sie anschließt, gehalten, auch die neben dem Kollektivvertrag zur Verfügung stehenden sonstigen Kriterien möglichst auszuschöpfen, um die sozialversicherungsrechtliche Gleichbehandlung der Dienstnehmer in weitestreichendem Umfang zu gewährleisten."

Nach einem Hinweis auf §68 Abs2 EStG 1972 legte der VfGH im Erk. weiter dar:

"Nur dann, wenn eine allgemeine, ohne besondere Schwierigkeiten handhabbare Abgrenzung nicht verfügbar ist, kann der Gesetzgeber einer pauschalen Regelung nicht zugängliche Fälle annehmen. Hiezu ist noch anzumerken, daß es in bestimmten Fällen überhaupt fraglich sein wird, ob eine solche Abgrenzung zwischen dem Grundlohn und der darüber hinausgehenden Entlohnung mit zureichender Genauigkeit gefunden werden könnte."

II.1. Beim VfGH ist unter B276/81 ein Verfahren über eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Landeshauptmannes von Sbg. anhängig, welcher aufgrund eines Einspruches gegen einen von der Sbg. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte in einer Beitragsangelegenheit ergangenen Bescheid erlassen wurde. In diesem Einspruchsbescheid wurde (ua.) die vom Rechtsmittelwerber geltend gemachte Beitragsfreiheit für einem Dienstnehmer bezahltes Werkzeuggeld nach §49 Abs3 Z6 ASVG (idF der 19. Nov. zum ASVG, BGBl. 67/1967) verneint, weil für das von ihm betriebene Bestattungsunternehmen kein Kollektivvertrag bestehe.

2. Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens leitete der VfGH gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen das gegenwärtige Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der oben unter I wiedergegebenen Z6 im §49 Abs3 ASVG (idF der 19. Nov. zum ASVG) ein. Der Gerichtshof ging davon aus, daß er die bezogene Gesetzesstelle im Beschwerdeverfahren anzuwenden hätte, und erachtete sie unter dem Aspekt des Gleichheitsgebotes aus den gleichen Gründen als verfassungsrechtlich bedenklich, die ihn zur Aufhebung der Wortfolge "oder kollektivvertraglicher Regelungen" in der Z2 des §49 Abs3 ASVG veranlaßt hatten.

3. Die Bundesregierung sah von einer Äußerung im Gesetzesprüfungsverfahren ab.

III.1. Der VfGH hält an seiner vorläufigen Annahme fest, daß die in Prüfung genommene Gesetzesvorschrift für das Beschwerdeverfahren präjudiziell ist. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist das eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Das Bedenken des Gerichtshofs, daß die Z6 im §49 Abs3 ASVG dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebot widerspricht, ist begründet. Der VfGH bleibt auf seinem im Erk. VfSlg. 10089/1984 eingenommenen Standpunkt, woraus sich für den vorliegenden Gesetzesprüfungsfall entsprechend ergibt, daß auch die bezogene Gesetzesbestimmung den gleichen verfassungsrechtlichen Fehler aufweist. Sie ist daher als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.

Schlagworte

Sozialversicherung, Kollektivvertrag, Gleichheitsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:G40.1985

Dokumentnummer

JFT_10148996_85G00040_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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