TE Vfgh Erkenntnis 1985/10/8 V37/84

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Veröffentlicht am 08.10.1985
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Index

L4 Innere Verwaltung
L4000 Anstandsverletzung, Ehrenkränkung, Lärmerregung, Polizeistrafen

Norm

B-VG Art15 Abs2
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art118 Abs3 Z3
B-VG Art118 Abs4
B-VG Art118 Abs6
EGVG ArtVII
EGVG ArtVIII
Grazer Lärmschutz- und LuftreinhalteV 1974 §4 Abs1
Grazer Lärmschutz- und LuftreinhalteV 1974 §7
Grazer Statut 1967 §42 Abs1
Grazer Statut 1967 §44 Abs2
Stmk LG betreffend die Anstandsverletzung. Lärmerreung und Ehrenkränkung §1
Stmk LG betreffend die Anstandsverletzung. Lärmerreung und Ehrenkränkung §3 Abs1
VStG §26 Abs1

Leitsatz

Grazer LärmschutzV §§4 Abs1 und 7; ortspolizeiliche V iS des Art118 Abs6 B-VG und des damit übereinstimmenden §42 Abs1 Grazer Statut 1967; Auslegung der Kompetenz der Gemeinden auf dem Gebiet der Lärmbekämpfung iS der Gemeindefreiheit; Charakter als "Auffangstatbestände" der auf den Lärm bezughabenden Bestimmungen des EGVG und des Stmk. PolizeiG - kein Verstoß der §§4 Abs1 und 7 gegen ArtVIII Abs1 lita EGVG und §1 Stmk. PolizeiG; in §7 lediglich Wiederholungen gesetzlicher Bestimmungen hinsichtlich Strafhöhe sowie hinsichtlich Strafbehörde

Spruch

§4 Abs1 und §7 des Beschl. des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 4. Juli 1974, Z A 17-K 12/7-1974, mit dem die Lärmschutz- und LuftreinhalteV 1974 (über lärm- und staubbelästigende Hausarbeiten, über lärm-, rauch- und geruchsbelästigende sowie gesundheitsgefährdende Gartenarbeiten, über das Abbrennen von Abfällen, über die Benützung von Musikintrumenten, Tonübertragungs- und Tonwiedergabegeräten, über die Inbetriebnahme von Kraftfahrzeugen und Motorfahrrädern sowie über das Halten lärmbelästigender Tiere) erlassen wird, (kundgemacht im ABl. der Landeshauptstadt Graz 1974, Nr. 14/15, S 167 f.) werden nicht als gesetzwidrig aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim VfGH ist zu B247/80 das Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

Die Stmk. Landesregierung erkannte mit dem - angefochtenen - im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 20. März 1980 den Bf. schuldig, dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §7 iVm. §4 Abs1 des Beschl. des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 4. Juli 1974, mit dem die Lärmschutz- und LuftreinhalteV 1974 erlassen wird, (kundgemacht im ABl. der Landeshauptstadt Graz 1974, Nr. 14/15, S 167 f.) (im folgenden kurz: LärmschutzV) begangen zu haben, daß er in der Zeit von Jänner 1977 bis einschließlich August 1977 in seiner in Graz gelegenen Wohnung Klarinette gespielt und die Nachbarn durch starken Lärm ungebührlich belästigt habe. Über den Bf. wurden eine Geldstrafe und eine Ersatzarreststrafe verhängt.

2. Der VfGH hat aus Anlaß dieser Beschwerde beschlossen, gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzesmäßigkeit des §4 Abs1 und des §7 LärmschutzV einzuleiten.

3. a) Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen lauten:

"§4

Benützung von Musikinstrumenten, Tonübertragungs- und Tonwiedergabegeräten

(1) Bei der Benützung von Musikinstrumenten, Tonübertragungs- und Tonwiedergabegeräten in Gebäuden und im Freien ist die Lautstärke stets so zu wählen, daß andere Personen, insbesondere in der Zeit von 12 bis 15,00 Uhr und von 22 bis 7 Uhr durch Lärm nicht ungebührlich belästigt werden.

(2) ..."

"§7

Strafbestimmungen

Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen dieser Verordnung werden als Verwaltungsübertretungen von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu S 3.000, im Falle der Uneinbringlichkeit mit Arrest bis zu zwei Wochen, geahndet."

b) Allgemeine Lärmschutzvorrschriften enthält das steiermärkische Landesgesetz vom 25. Juni 1975, LGBl. 158, betreffend die Anstandsverletzung, Lärmerregung und Ehrenkränkung (Stmk. PolG):

"§1

Wer den öffentlichen Anstand verletzt oder ungebührlicherweise störenden Lärm erregt, begeht eine Verwaltungsübertretung.

§2

...

§3

(1) Verwaltungsübertretungen nach §1 sind von der Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde von dieser, mit Geldstrafe bis zu 3.000 S oder mit Arrest bis zu zwei Wochen zu bestrafen.

(2) ..."

4. a) Der VfGH ging im Einleitungsbeschluß vorläufig davon aus, daß die auf Art144 B-VG gegründete Beschwerde zulässig sei und er bei Entscheidung über sie §4 Abs1 und §7 LärmschutzV - die jeweils eine untrennbare Einheit zu bilden scheinen - anzuwenden habe, daß also diese Verordnungsbestimmungen zur Gänze präjudiziell seien.

Der Gerichtshof nahm weiters vorläufig an, daß die LärmschutzV als ortspolizeiliche V iS des Art118 Abs6 B-VG und des §42 Abs1 des Statuts der Landeshauptstadt Graz 1967, LGBl. 130, nicht aber als DurchführungsV zum Stmk. PolG bzw. zu ArtVIII Abs1 lita EGVG 1950 (der zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung noch galt) zu qualifizieren sei.

b) Der VfGH äußerte im Einleitungsbeschluß zunächst das Bedenken, daß der Landesgesetzgeber mit den oben zitierten landesgesetzlichen Bestimmungen die Bekämpfung ungebührlicherweise störenden Lärms durch Statuierung entsprechender Verwaltungsstrafvorschriften derart geregelt habe, daß es nicht notwendig gewesen sei, Mißstände, die durch die Benützung von Musikinstrumenten, Tonübertragungs und Tonwiedergabegeräten hervorgerufen werden, im Wege einer ortspolizeilichen V abzuwehren oder zu beseitigen und daß daher die Voraussetzungen für die Erlassung einer ortspolizeilichen V nicht vorgelegen seien.

§7 LärmschutzV bestimme als Verwaltungsstrafbehörde stets die Bezirksverwaltungsbehörde; im Gegensatz dazu berufe §3 Abs1 Stmk. PolG zur Bestrafung von Verwaltungsübertretungen nach §1 (darunter der Erregung ungebührlicherweise störenden Lärms) im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese; damit stehe anscheinend die V im Widerspruch zum Gesetz.

Schließlich scheine §7 LärmschutzV deshalb gesetzwidrig zu sein, weil es unzulässig sei, durch ortspolizeiliche V Strafbestimmungen zu erlassen.

5. Der Gemeinderat der Landeshauptstadt Graz als verordnungserlassende Behörde hat eine Äußerung erstattet, deren Inhalt er selbst wie folgt zusammenfaßt:

"1. Auch und besonders auf dem Gebiete der Lärmbekämpfung können die Gemeinden, wie der VfGH schon in Entscheidungen des Jahres 1951 (VfSlg. 2168 und 2233) erklärt hat, eines autonomen Verordnungsrechtes 'nicht entraten'. Schon der ursprüngliche Artikel des EGVG gab in seiner völlig unzureichenden Diktion Anlaß dazu, daß vor allem österreichische Städte durch Verordnungen Abhilfe geschaffen und auf diese Weise die Notwendigkeiten und Besonderheiten der örtlichen Gemeinschaft in die Regelung eingebracht haben.

Zum Zeitpunkt der B-VG-Novelle 1974 und weiterhin unverändert macht die zunehmende Bedeutung des (jetzt sogar durch ein eigenes BVG zum Staatsziel deklarierten) Umweltschutzgedankens eine praktikable Durchbildung von Lärmvorschriften unabdinbar; mit einem einzigen, in seiner Unbestimmtheit kaum faßbaren Satz des Landesgesetzes kann keineswegs das Auslangen gefunden werden.

2. Hätte es das Land Steiermark unterlassen, eine Bestimmung über den Lärm in das genannte Landesgesetz einzubauen, bestünde keinerlei Sorge, daß eine diesbezügiche lokale Vorschrift gegen ein Gesetz verstößt. Allen übrigen Kriterien, die das selbständige Verordnungsrecht ermöglichen, wird die in Rede stehende Lärmschutzverordnung der Stadt Graz gerecht; sie stützt sich auf den dem eigenen Wirkungsbereich zugeordneten Kompetenztatbestand der 'örtlichen Sicherheitspolizei' und stellt ein repressives (polizeiliches) taugliches Mittel zur Mißstandsabwehr örtlicher Relevanz in Richtung Lärm dar.

3. Ein Konfliktstoff könnte nach Auffassung des Gemeinderates allein darin gelegen sein, daß die Landesregelung erschöpfend ausgefallen ist oder aber zu Durchführungsverordnungen legitimiert. Das Wie der Lärmverbotsnorm ist jedoch zu dürftig ausgefallen, daß es nicht als ausreichende Determination angesehen werden kann. Immer dann, wenn der Wortlaut eines Gesetzes zu wenig an Vorausbestimmung enthält, muß es der Gemeinde offen stehen, bei Zutreffen der sonstigen Voraussetzungen von ihrem Verordnungsrecht Gebrauch zu machen.

4. Aber selbst wenn man den unbestimmten Gesetzesbegriff der landesrechtlichen Vorschrift für eine einwandfreie Grundlage zur Erlassung von Durchführungsbestimmungen hält, wäre damit nichts gewonnen. Der Landesgesetzgeber hat es nämlich verabsäumt, der Gemeinde zur Erlassung einer Durchführungsverordnung einen eigenen Wirkungsbereich einzuräumen; ohne eine solche Festlegung kann die Gemeinde in dieser Angelegenheit nach dem Dafürhalten des Gemeinderates rechtens nicht an die Erlassung einer Durchführungsverordnung schreiten. Den ansonsten verbleibenden übertragenen Wirkungsbereich kann es in einer Sache der örtlichen Sicherheitspolizei nicht geben.

5. Der Stadt Graz ist nichts übrig geblieben und bleibt nichts übrig, als die notwendige Ausführung mit Hilfe einer ortspolizeilichen Verordnung zustande zu bringen.

6. Stehen Gesetz und Verordnung zueinander nicht in einem kontradiktorischen Verhältnis wie im gegenständlichen Falle, dann kann auch davon nicht die Rede sein, daß etwa das im Jahr 1975 erlassene Landesgesetz der Verordnung derogiert hätte."

Zur in Prüfung gezogenen Strafbestimmung des §7 LärmschutzV wird in dieser Äußerung darauf hingewiesen, daß der Wortlaut dieser Bestimmung im wesentlichen mit jenem des §42 Abs1 letzter Satz des Statutes der Landeshauptstadt Graz 1967 identisch sei; der Gemeinderat als Verordnungsgeber habe lediglich - schon im Interesse der Effektivität der V und auch zur Herstellung der nötigen Klarheit für die Normadressaten - deutlich zu machen versucht, daß es sich bei der LärmschutzV um keine sanktionslose Norm handle; auch die Zuständigkeitsbestimmung sei bloß deklarativer Natur.

Der Gemeinderat begehrt, von einer Aufhebung der in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmungen Abstand zu nehmen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Das Anlaß-Beschwerdeverfahren ist zulässig. Der VfGH wird daher im Beschwerdeverfahren in der Sache selbst zu entscheiden haben. Der angefochtene Bescheid gründet sich materiell auf §4 Abs1 und §7 LärmschutzV. Auch der VfGH hätte diese Bestimmungen - die eine untrennbare Einheit bilden - im Anlaßverfahren anzuwenden. Sie sind sohin präjudiziell in der Bedeutung des Art139 Abs1 B-VG.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

2. Zunächst ist zu klären, ob die in Prüfung gezogenen Bestimmungen eine ortspolizeiliche V oder aber eine DurchführungsV zu ArtVIII Abs1 lita EGVG 1950 bzw. §1 Stmk. PolG sind.

Nach ihrem Selbstverständnis ist die LärmschutzV eine ortspolizeiliche V. Dies ergibt sich daraus, daß sie sich in ihrem Einleitungssatz auf §42 Abs1 des Statuts der Landeshauptstadt Graz 1967, LGBl. 130, stützt; nach dieser Vorschrift hat die Gemeinde das Recht, ortspolizeiliche V nach freier Selbstbestimmung zu erlassen.

Auch die Präambel der LärmschutzV ("... wird zur Abwehr bzw.

Beseitigung von das örtliche Gemeinschaftsleben störenden Mißständen,

unbeschadet ... anderer in Geltung stehender ortspolizeilicher

Verordnungen, verordnet") bestätigt dieses Selbstverständnis.

Ihrem Inhalt nach ist die LärmschutzV tatsächlich eine ortspolizeiliche V. Gegen die Wertung als DurchführungsV spricht auch, daß andere Vorschriften der LärmschutzV als jene des §4 von vornherein keinesfalls als Konkretisierung bestehender Gesetze angesehen werden können.

Nach dem Gesagten spricht alles dafür, §4 Abs1 und §7 LärmschutzV als ortspolizeiliche V zu qualifizieren. Argumente für einen Durchführungsverordnungscharakter lassen sich kaum finden. Diese würden nach dem Grundsatz, daß Rechtsvorschriften im Zweifel verfassungs- bzw. gesetzeskonform auszulegen sind, nicht durchschlagen. Wären nämlich die in Prüfung gezogenen Bestimmungen als DurchführungsV zu den wiederholt erwähnten Gesetzesvorschriften zu werten, dann bestünde ein Widerspruch zwischen §7 LärmschutzV und §3 Abs1 Stmk. PolG bzw. ArtVIII EGVG 1950, weil die V stets die Bezirksverwaltungsbehörde zur Durchführung des Verwaltungsstrafverfahrens beruft, während die zitierten gesetzlichen Bestimmungen hiefür im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese als zuständig benennen.

Die Grazer LärmschutzV ist sohin als ortspolizeiliche V iS des Art118 Abs6 B-VG und des damit übereinstimmenden §42 Abs1 des Statuts der Landeshauptstadt Graz 1967, LGBl. 130, einzustufen.

3. Ortspolizeiliche V dürfen nach den erwähnten Vorschriften nur unter folgenden Voraussetzungen erlassen werden:

Zum ersten muß eine solche V in einer Angelegenheit erlassen werden, deren Besorgung der Gemeinde nach Art118 Abs2 und 3 B-VG im eigenen Wirkungsbereich gewährleistet ist,

zum zweiten darf die V nicht gegen bestehende Gesetze oder V des Bundes und des Landes verstoßen und

zum dritten muß die V den Zweck verfolgen, das örtliche Gemeinschaftsleben störende Mißstände abzuwehren oder zu beseitigen (vgl. zB VfSlg. 9762/1983; diese Judikatur ist auch nach der durch die B-VG-Nov. 1984, BGBl. 490, erfolgten Neufassung des Art118 Abs6 B-VG weiterhin anwendbar).

4. Der VfGH äußerte im Einleitungsbeschluß zunächst das Bedenken, daß der Gesetzgeber mit den wiederholt zitierten gesetzlichen Bestimmungen die Bekämpfung ungebührlicherweise störenden Lärms derart geregelt habe, daß es nicht notwendig gewesen sei, Mißstände, die durch die Benützung von Musikinstrumenten, Tonübertragungs- und Tonwiedergabegeräten hervorgerufen werden, im Wege einer ortspolizeilichen V abzuwehren oder zu beseitigen; im Einleitungsbeschluß wurde auf das Erk. VfSlg. 5611/1967 verwiesen.

Diese Bedenken treffen nicht zu:

a) Durch die mit ArtI Z15 der Bundes-Verfassungsgesetznov. 1974, BGBl. 444, vorgenommene Neufassung des Art15 Abs2 B-VG wurde "die Abwehr ungebührlicherweise hervorgerufenen störenden Lärms" als eine Angelegenheit der örtlichen Sicherheitspolizei bezeichnet. Durch diese Verfassungsbestimmung iVm. Art118 Abs3 Z3 B-VG ist den Gemeinden zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich eine Aufgabe auf einem Sachgebiet übertragen worden, das bisher schon - unter dem verwaltungsstrafrechtlichen Aspekt - durch ArtVIII EGVG 1950 geregelt war.

Aus den Erläuterungen der RV zu ArtI Z15 der Bundes-Verfassungsgesetznov. 1974 (182 BlgNR, XIII. GP, S 17 f.) ergibt sich, daß der Verfassungsgesetzgeber auf eine Erweiterung der Gemeindeautonomie abzielte, indem er den Begriff der örtlichen Sicherheitspolizei - entgegen der bisherigen Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes - dahin erweiterte, daß darunter jedenfalls auch die Verletzung des öffentlichen Anstandes und die ungebührlicherweise erfolgte Erregung störenden Lärms zu subsumieren sei. Sodann heißt es in den Erläuterungen:

"Durch die im Entwurf beabsichtigte Regelung wird den Gemeinden die Möglichkeit eröffnet, entsprechende Maßnahmen zur Abwehr störenden Lärms und zur Wahrung des öffentlichen Anstandes im Rahmen ihres eigenen Wirkungsbereiches zu treffen."

Aus dieser Entstehungsgeschichte des neuen Art15 Abs2 B-VG ist abzuleiten, daß die Kompetenz der Gemeinden auf dem Gebiete der Lärmbekämpfung iS der Gemeindefreiheit auszulegen ist.

Da den Gemeinden auf dem Gebiete der Lärmbekämpfung einerseits keine Kompetenz zur Durchführung von Verwaltungsstrafverfahren zukommt (s. unter II.5), andererseits der Verfassungsgesetzgeber - wie dargetan - wollte, daß die Gemeinden auf diesem Gebiet bedeutsame Aufgaben wahrnehmen, muß angenommen werden, daß sie zur Erlassung von der Lärmbekämpfung dienenden V (sei es von ortspolizeilichen V, sei es von DurchführungsV zu landesgesetzlichen Bestimmungen) berechtigt sind.

Daher ist die Frage, ob einer derartigen ortspolizeilichen V eine gesetzliche Regelung entgegensteht, im Zweifel darin zu lösen, daß dies nicht der Fall ist und daß daher der Gemeinde (wenn ihr keine Kompetenz zur Erlassung von Durchführungsverordnungen zukommt) die Befugnis zur Erlassung der ortspolizeilichen V durch ein bestehendes Gesetz nicht ohne weiteres verwehrt wird.

b) aa) Von dieser Position ausgehend ergibt sich - allgemein gesprochen - folgendes Bild:

Die auf den Lärm bezughabenden Bestimmungen des EGVG und des Stmk. PolG sind reine "Auffangstatbestände". Sie sind auf jene Maßnahmen der Lärmabwehr beschränkt, die aus sicherheitspolizeilichen - nicht jedoch aus auf andere Verwaltungsmaterien bezogenen - Rücksichten notwendig sind (VfSlg. 8155/1977). Die erwähnten Gesetzesbestimmungen kommen nur dort zur Anwendung, wo die Erregung von störendem Lärm nicht nach den Vorschriften einzelner Verwaltungsmaterien, zB des Verkehrswesens (Verkehrslärm), der Gewerbe- und Industrieangelegenheiten (Betriebslärm) oder des Bauwesens (Baulärm) zu beurteilen ist (vgl. Helmreich - Moser, Lärmschutz aus rechtlicher Sicht am Beispiel Wiens, ÖGZ 1979, S 337 ff.; Funk, Landespolizeigesetze; in: Handbuch für Unweltschutz und Raumordnung, Ö-93-1 bis 9-1 S 1). Die erwähnten Gesetzesbestimmungen betreffen nur die Abwehr von nicht bereichsspezifischem Lärm ("Wohnlärm", "Freizeitlärm") (s. Funk, aaO, S 5).

Die zitierten - sehr abstrakt gefaßten - der Lärmbekämpfung dienenden Gesetzesvorschriften (und nur über diese wird hier eine Aussage getroffen) regeln sohin keineswegs umfassend und abschließend die Bekämpfung ungebührlicherweise erregten störenden Lärms. Sie enthalten grundsätzlich den - unausgesprochenen - Vorbehalt, nur so weit zu gelten, als nicht andere Vorschriften anderes regeln. Sie treten also gegenüber allen auf den einzelnen Gebieten erlassenen Lärmschutzvorschriften zurück. Das gleiche Modell gilt auch für ortspolizeiliche V. Im hier umschriebenen Bereich läßt das Gesetz daher auch dem ortspolizeilichen Verordnungsgeber grundsätzlich freie Hand, spezielle, auf das örtliche Gemeinschaftsleben bezogene Normen auf diesem Gebiet zu erlassen (vgl. Gallent, Ortspolizeiliche Verordnungen, in: Handbuch für Umweltschutz und Raumordnung, Ö-41-1 bis 9-0, S 15; Strobl, Rechtliche Möglichkeiten der Gemeinden zur Lärmbekämpfung, ÖGZ 1969, S 29; Funk, aaO, S 6; Havranek - Unkart, in: Fröhler - Oberndorfer, Das österreichische Gemeinderecht, Bd. II, 3.1., S 10 f.).

Eine Ausnahme besteht dann, wenn der Gesetzgeber seinen Willen, daß die erwähnten, dem ArtVIII EGVG gleichenden Lärmbekämpfungsvorschriften im Wege von DurchführungsV zu konkretisieren sind, zum Ausdruck gebracht hat; etwa indem er die Gemeinden ausdrücklich zur Erlassung von DurchführungsV ermächtigt und die Erlassung von solchen V als zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden gehörend bezeichnet. Unterläßt der Gesetzgeber eine derartige Regelung, so gilt der soeben dargestellte Grundsatz, daß das Lärmgesetz auch gegenüber ortspolizeilichen V nur subsidär gilt. Wurde eine ortspolizeiliche V erlassen, so findet also das Gesetz (kraft seiner - impliziten - Subsidiaritätsbetimmung) keine Anwendung.

Von dieser Auffassung ist im übrigen der VfGH - wenngleich unausgesprochen - in seiner bisherigen Judikatur (VfSlg. 8283/1978, 9762/1983) ausgegangen.

bb) Für die besondere, hier gegebene Rechtslage ist daraus zu folgern, daß den in Prüfung gezogenen ortspolizeilichen Vorschriften kein Gesetz und keine V des Bundes oder Landes entgegensteht:

Der zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung in Geltung gestandene ArtVIII EGVG und der nun geltende §1 Stmk. PolG enthielt (enthält) nur eine allgemeine Lärmbekämpfungsbestimmung. Weder diese noch andere Gesetze berufen die Gemeinden (darunter die Landeshauptstadt Graz) dazu, im eigenen Wirkungsbereich zu den zitierten Gesetzes DurchführungsV zu erlassen. Unter diesen Umständen galten (gelten) diese Gesetze nur bedingt, nämlich nur insoweit, als nicht ein anderes Gesetz oder eine ortspolizeiliche V Konkreteres normiert.

Dann aber ist es ausgeschlossen, daß die in Prüfung gezogenen ortspolizeilichen Verordnungsbestimmungen gegen ArtVIII Abs1 lita EGVG und §1 Stmk. PolG verstoßen.

c) Im Einleitungsbeschluß wurde als weiteres Bedenken angeführt, daß ein Widerspruch zwischen der Zuständigkeitsregelung des §7 LärmschutzV (wonach "die Bezirksverwaltungsbehörde" - das ist in Graz der Magistrat - zur Durchführung des Verwaltungsstrafverfahrens berufen ist) und des §3 Abs1 Stmk. PolG (wonach Verwaltungsübertretungen im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde von dieser - in Graz also von der Bundespolizeidirektion - zu bestrafen sind) bestehe. Da aber - wie dargetan - diese beiden Vorschriften nicht zueinander in Beziehung zu setzen sind, trifft dieses Bedenken nicht zu.

d) Dem Verordnungsgeber kann nicht entgegengetreten werden, wenn er zur Überzeugung gelangt ist, daß ein gegen §4 Abs1 LärmschutzV verstoßendes Verhalten einen das örtliche Gemeinschaftsleben störenden Mißstand darstelle. Ein solches Verhalten unter Strafsanktion zu verbieten, stellt ein adäquates Mittel zur Abwehr und Beseitigung dieses Mißstandes dar (vgl. zB VfSlg. 5611/1967).

5. Gegen §7 LärmschutzV äußerte der VfGH im Einleitungsbeschluß das Bedenken, daß es unzulässig sei, durch ortspolizeiliche V Strafbestimmungen zu erlassen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 8155/1977 und 9704/1983) gehört die Handhabung des Verwaltungsstrafrechtes nicht zu den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinden. Art118 Abs6 B-VG ermächtigt die Gemeinden, die Nichtbefolgung der in ortspolizeilichen V enthaltenen Anordnungen zur Verwaltungsübertretung zu erklären. Nicht aber erlaubt diese Verfassungsbestimmung, die Strafhöhe und die Strafbehörde festzulegen. §7 LärmschutzV gibt aber in dieser Hinsicht nur wieder, was an sich von Gesetzes wegen schon rechtens ist. Die LärmschutzV wiederholt - ohne normativen Charakter - in Ansehung der Strafhöhe den ArtVII EGVG und §42 Abs1 letzter Satz des Statuts der Landeshauptstadt Graz, LGBl. 130/1967, sowie in Ansehung der Strafbehörde den §44 Abs2 des Grazer Stadtstatuts und den §26 Abs1 VStG.

6. Die im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken treffen sohin insgesamt nicht zu.

Die in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmungen waren daher nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

Schlagworte

Verordnung ortspolizeiliche, Verordnung Durchführungs-, Polizeirecht, Lärmerregung, Zuständigkeit Verwaltungsstrafrecht, Polizei, Sicherheitspolizei, Verwaltungsstrafrecht, Kompetenz Bund - Länder Polizeirecht, Auslegung, Gemeinderecht, Wirkungsbereich eigener, Selbstverwaltungsrecht, Anwendbarkeit Gesetz, Geltungsbereich eines Gesetzes

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:V37.1984

Dokumentnummer

JFT_10148992_84V00037_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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