TE Vfgh Erkenntnis 2006/9/26 B427/06

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Veröffentlicht am 26.09.2006
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art83 Abs2 EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
DSt 1990 §7, §14, §25 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Abweisung eines Delegierungsantrags wegen Befangenheit der Mitglieder eines Disziplinarrates

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Wien. Am 20. September 2005 wurde ihm der Einleitungsbeschluss des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 5. Juli 2005 zugestellt.

2. Mit einem am 29. September 2005 zur Post gegebenen Schriftsatz beantragte der Beschwerdeführer gemäß §25 Abs1 Disziplinarstatut 1990 (im Folgenden: DSt 1990), die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: OBDK) möge die Durchführung des Disziplinarverfahrens an einen anderen Disziplinarrat übertragen, weil die Objektivität des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien nicht gewährleistet sei. Begründend führte er aus, dass gegen die Rechtsanwaltskammer Wien ein Schiedsgerichtsverfahren wegen Feststellung der Unrechtmäßigkeit des Ausschlusses des Beschwerdeführers aus der Freiwilligen Treuhandrevision und "[b]eim

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien ... eine auf Schadenersatz

... gerichtete Klage wegen der wirtschaftlichen Folgen daraus und

einer von der Rechtsanwaltskammer Wien gegen [ihn] zu Unrecht erstatteten und öffentlich gewordenen Strafanzeige anhängig" seien.

3. Mit Bescheid der OBDK vom 23. Dezember 2005 wurde der Delegierungsantrag des Beschwerdeführers mit der Begründung abgewiesen, dass weder derart viele Mitglieder des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien befangen wären, dass ein ordentliches Verfahren nicht durchführbar sei, noch dass "andere wichtige Gründe" für eine Delegierung des Verfahrens ersichtlich seien. Bei Prüfung der Disziplinarvorwürfe im Umfang des Einleitungsbeschlusses sei weder ein Zusammenhang des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien oder der Rechtsanwaltskammer Wien insgesamt mit jenen Handlungsweisen zu erkennen, welche im Disziplinarverfahren zu prüfen seien noch vom Beschwerdeführer dargestellt worden. Darüber hinaus könne dem Antrag nicht entnommen werden, in welcher Hinsicht ein Zusammenhang des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien oder einzelner seiner Mitglieder mit der von der Rechtsanwaltskammer Wien gegen den Beschwerdeführer erstatteten Strafanzeige vorliege. Es fehle auch in diesem Fall ein Zusammenhang mit dem Inhalt der Vorwürfe, die nach dem Einleitungsbeschluss zu prüfen seien.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

5. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Beschwerdeführer bringt gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken vor. Auch beim Verfassungsgerichtshof sind solche aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden. Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in seinen Rechten wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung verletzt.

2.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie auf ein faires Verfahren verletzt. Begründend wird ausgeführt, dass es entgegen der Auffassung der belangten Behörde nicht darauf ankomme, dass das Disziplinarverfahren mit dem Verfahren gegen die Rechtsanwaltskammer Wien in keinem Tatsachenzusammenhang stehe. Es reiche aus, dass über den Beschwerdeführer nunmehr ein Kollegialorgan zu entscheiden habe, das jener Verfahrenspartei angehöre, mit der sich der Beschwerdeführer in - mehrfachen - gerichtlichen Auseinandersetzungen befinde. Aufgrund dieser Umstände sei anzunehmen, dass "andere wichtige Gründe" iSd.

§25 Abs1 DSt 1990 vorliegen, die es geboten erscheinen lassen, das Disziplinarverfahren an einen anderen Disziplinarrat zu delegieren.

2.2. Im Hinblick auf dieses Vorbringen genügt es darauf hinzuweisen, dass es sich beim Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer um ein vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer völlig verschiedenes, weisungsfreies und ausschließlich eigenverantwortliches Organ handelt (vgl. §§7 und 14 DSt 1990 sowie VfSlg. 17.567/2005).

3. Der Beschwerdeführer ist in den von ihm behaupteten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nicht verletzt worden. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in einem von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden ist.

4. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

5. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, Kollegialbehörde, Behördenzusammensetzung, Befangenheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B427.2006

Dokumentnummer

JFT_09939074_06B00427_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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