TE Vfgh Erkenntnis 1985/11/22 B373/85

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Veröffentlicht am 22.11.1985
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

StGG Art8
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb Ausübung nicht erfolgte
PersFrSchG §4
EGVG ArtIX Abs1 Z1
VStG §35 litc
VStG §36 Abs1

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; Art8 StGG; vertretbare Annahme ungestümen Benehmens iS des ArtIX Abs1 Z2 EGVG; rechtmäßige Festnahme gemäß §35 litc VStG 1950 sowie darauffolgende - halbstündige - Anhaltung gemäß §36 Abs1 leg. cit.; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird vorgebracht, der Bf. sei am 23. April 1985 in Wien, ..., von Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Wien festgenommen und sodann etwa eine halbe Stunde angehalten worden, obgleich kein Haftgrund vorgelegen sei.

Der Bf. beantragt, kostenpflichtig festzustellen, daß er durch diese behördlichen Maßnahmen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden sei.

2. Die durch die Finanzprokuratur vertretene Bundespolizeidirektion Wien erstattete eine Gegenschrift, in der bestätigt wird, daß der Bf. festgenommen und angehalten wurde. Dieses Vorgehen der Sicherheitswachebeamten sei jedoch gemäß §35 litc VStG 1950 gerechtfertigt gewesen; der Bf. habe ungebührlicherweise störenden Lärm erregt und sich gegenüber den einschreitenden Sicherheitswachebeamten ungestüm benommen; das Verhalten habe er trotz wiederholter Abmahnungen nicht eingestellt.

Die bel. Beh. begehrt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die Festnahme und die Anhaltung des Bf. sind in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangene Verwaltungsakte, die gemäß Art144 Abs1 vorletzter Satz B-VG beim VfGH bekämpft werden können (vgl. zB VfSlg. 9368/1982).

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2. a) Der VfGH hat Beweis erhoben durch Einvernahme der beiden einschreitenden Sicherheitswachebeamten (nämlich des Revierinspektors P G und des Inspektors P A) sowie von A K, H K, H M und M J als Zeugen, ferner durch Einvernahme des Bf. als Partei und schließlich durch Einsichtnahme in den Akt der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Margareten, Z Pst 2380/Mg/85, betreffend das - noch nicht abgeschlossene - gegen den Bf. geführte Verwaltungsstrafverfahren wegen §24 Abs1 litd StVO 1960 sowie ArtVIII

2. Fall, ArtIX Abs1 Z1 und ArtIX Abs1 Z2 EGVG.

b) Aufgrund dieser Beweise nimmt der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Der Bf. parkte am 23. April 1985 in Wien ... vor dem Haus Nr. 8 seinen PKW (Suzuki) derart knapp vor jenem des Zeugen A K, daß dieser nicht wegfahren konnte. Da der Zeuge K den Lenker des Suzuki nicht finden konnte, verständigte Frau K das nächstgelegene Wachzimmer. Inzwischen war der Bf. bei seinem Fahrzeug eingetroffen. Zwischen ihm und dem Zeugen K entwickelte sich ein Wortstreit, insbesondere deshalb, weil der Bf. der - unzutreffenden - Meinung war, der Zeuge K beschuldige ihn, sein (K's) Fahrzeug beim Einparken beschädigt zu haben. Aus diesem Grund rief er auch den mit einem Funkstreifenwagen erschienenen Sicherheitswachebeamten (den Zeugen G und A) zu, was denn da beschädigt sei. Er ließ die beiden Beamten kaum zu Wort kommen, sondern gebärdete sich immer erregter und lärmender; eine Ursache hiefür war, daß er eine für ihn wichtige Verabredung hatte und deshalb wegfahren wollte. Der Aufforderung der Sicherheitswachebeamten, ihnen seine Fahrzeugpapiere vorzuweisen, kam er nur sehr widerwillig nach. Vollends in Zorn geriet er, als ihn Revierinspektor G nach der Türnummer seiner Wohnung fragte. Sein lautstarkes Benehmen stellte er trotz mehrfacher Ermahnungen der Sicherheitswachebeamten nicht ein. Einige Passanten und einige aus den Fenstern nahegelegener Häuser blickende Personen nahmen das Gehaben des Bf. wahr.

Der Bf. schrie weiter auf die Beamten ein und gestikulierte mit den Händen vor ihren Gesichtern. Obgleich ihn die Sicherheitswachebeamten wiederholt aufforderten, sich ruhig zu verhalten, und ihm die Verhaftung androhten, änderte er sein Benehmen ihnen gegenüber nicht. Schließlich sprach um 13.25 Uhr Inspektor A die Festnahme des Bf. aus. Er wurde mit dem Funkstreifenwagen zum Bezirkspolizeikommissariat Margareten gebracht. Nachdem er sich beruhigt hatte und festgestellt worden war, daß er in der Personenfahndung nicht aufscheint, wurde er um 13.55 Uhr aus der Haft entlassen.

c) Die getroffenen Sachverhaltsfeststellungen beruhen auf den weitgehend übereinstimmenden Aussagen aller vernommenen Personen (lediglich der Zeuge J vermochte überhaupt nichts Sachdienliches anzugeben), insbesondere der unbeteiligten Zeugin M. Auch der Bf. bestreitet nicht, mit den Sicherheitswachebeamten einen "Disput" gehabt zu haben.

3. Der VfGH beurteilt den festgestellten Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit wie folgt:

Nach §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt (wozu die Sicherheitswachebeamten gehören) in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Hiezu zählt auch die Bestimmung des §35 VStG 1950, auf die sich die bel. Beh. beruft. Der Bf. wäre sohin durch die Festnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nur verletzt worden, wenn die Festnehmung nicht in dieser Gesetzesvorschrift begründet wäre (vgl. zB VfSlg. 9368/1982).

Die Festnehmung einer Person durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß §35 VStG 1950 setzt voraus, daß die Person "auf frischer Tat betreten" wird. Das Sicherheitsorgan muß also selbst ein Verhalten unmittelbar wahrnehmen, das es zumindest vertretbarerweise als eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat qualifizieren kann (vgl. auch hiezu zB VfSlg. 9368/1982 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur).

Die einschreitenden Sicherheitswachebeamten haben die Tat, deren sie den Bf. beschuldigten, selbst wahrgenommen. Sie konnten zumindest vertretbarerweise annehmen, daß sich der Bf. ihnen gegenüber ungeachtet vorausgegangener Abmahnung, während sie sich in rechtmäßiger Ausübung ihres Amtes befanden, ungestüm benommen hatte (ArtIX Abs1 Z2 EGVG). Unerörtert kann bleiben, ob der Bf. vertretbarerweise auch einer anderen Verwaltungsübertretung beschuldigt werden konnte.

Bei dieser Sachlage war - da der Bf. trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrte - der Festnahmegrund der litc des §35 VStG 1950 gegeben.

Die im Anschluß an die - im Gesetz gedeckte, wegen Verharrens in der strafbaren Handlung ausgesprochene - Festnahme des Bf. erfolgte Anhaltung war ebenfalls rechtmäßig. Sie währte bloß eine halbe Stunde. Es haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß sie dem §36 Abs1 erster Satz VStG 1950 widersprechend lange gedauert hätte (vgl. hiezu zB VfSlg. 9368/1982, S 236 f.).

Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, waren die gesetzlichen Voraussetzungen für die Festnahme und die nachfolgende Anhaltung des Bf. gegeben. Er ist demnach durch diese Maßnahmen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt worden.

4. Da die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes gleichfalls nicht stattgefunden hat und auch kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß der Bf. infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde, war die Beschwerde abzuweisen.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, Ordnungsstörung, Polizei

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B373.1985

Dokumentnummer

JFT_10148878_85B00373_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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