TE Vfgh Erkenntnis 1985/11/25 B686/84

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Veröffentlicht am 25.11.1985
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs3
MRK Art5
StGG Art8
PersFrSchG
StVO 1960 §82 Abs1
StVO 1960 §99 Abs3 litd
VStG §35 litc

Leitsatz

Art8 StGG; Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; Art5 MRK; vertretbare Annahme einer Verwaltungsübertretung nach §99 Abs3 litd iVm. §82 Abs1 StVO 1960 (Benutzung der Straße zu verkehrsfremden Zwecken ohne Bewilligung); keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch eine dem Magistrat der Stadt Innsbruck zurechenbare, in §35 litc VStG 1950 gedeckte Festnahme sowie die anschließende Anhaltung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH wird gleichfalls abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. P P beantragte mit seiner auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde an den VfGH der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, er sei am 23. Juli 1984 in Innsbruck ua. von Sicherheitswachebeamten der örtlichen Bundespolizeidirektion - wegen des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung (nach §99 Abs3 litd iVm. §82 Abs1 StVO 1960) - in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor seinen Geschäftsräumlichkeiten festgenommen, in das Gebäude des Stadtmagistrats verbracht, dort angehalten und hiedurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG iVm. Art5 MRK) verletzt worden.

1.2. Der Magistrat der Stadt Innsbruck als bel. Beh. (vgl. VfSlg. 5616/1967, 5663/1968, 10420/1985; VwGH 30. Oktober 1979 Z 949, 963/79) erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift und beantragte darin die Abweisung der Beschwerde.

Hiezu sei angemerkt, daß die "Untersuchung und Bestrafung" aller Übertretungen, deren Ahndung nicht anderen Verwaltungsbehörden oder den Gerichten zugewiesen ist, so auch der Übertretungen nach der StVO 1960, gemäß §26 Abs1 VStG 1950 in erster Instanz in die sachliche Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörden fallen, es sei denn, daß die Strafbefugnis den Bundespolizeibehörden im Rahmen ihres Wirkungsbereiches zukommt. Da §95 Abs1 litb StVO 1960 die Ausübung des Verwaltungsstrafrechtes wegen Übertretung der Bestimmungen (der StVO 1960) über die Benützung der Straße zu verkehrsfremden Zwecken - auch der hier bedeutsamen Vorschrift des §82 Abs1 StVO 1960 - von der Kompetenz der Bundespolizeibehörden ausdrücklich ausnimmt, ist also im Bereich der Stadt Innsbruck zur Ahndung solcher Übertretungen in erster Instanz der Magistrat zuständig; in diesem Umfang haben die Organe der Straßenaufsicht, insbesondere der Bundessicherheitswache, bei der Vollziehung der StVO 1960 mitzuwirken (§97 Abs1 StVO 1960). Derartige Amtshandlungen solcher Organe hat die Bezirksverwaltungsbehörde zu vertreten (vgl. VfSlg. 9098/1981, 10420/1985).

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Gestützt auf den Akteninhalt stellte der VfGH zunächst folgenden Sachverhalt als erwiesen fest:

2.1.1. Der Bf. betreibt ein Geschenkartikelgeschäft in Innsbruck, H-Gasse. Am 23. Juli 1984 mittags erschienen dort Beamte des Magistrats der Landeshauptstadt Innsbruck (H und R) mit zwei Sicherheitswachebeamten (Bezirksinspektor H und Inspektor G) und wiesen den Bf. sinngemäß darauf hin, daß er im Straßenbereich (auf der Fahrbahn) vor seinem Lokal zwei Warenständer - verkehrsbehindernd - aufgestellt habe. Als der Bf. sich zur Vorlage eines entsprechenden Bewilligungsbescheides im Augenblick außerstande erklärte, forderten ihn die beiden Polizisten zur Entfernung der Ständer auf. Da er dieser Aufforderung nicht nachkam und überdies eine eindringliche Belehrung über die Folgen seiner Haltung (Abmahnung) erfolglos blieb, wurde er festgenommen und in das Gebäude des Stadtmagistrats gebracht.

2.1.2. Beizufügen bleibt, daß, wie das Verfahren zeigte, dem Bf. vor seiner Festnahme tatsächlich keine Bewilligung iS des §82 Abs1 StVO 1960 erteilt worden war, welche die beanstandete Aufstellung von insgesamt zwei Ständern am 23. Juli 1984 gedeckt hätte. Mit dem vom Bf. im Verfahren vor dem VfGH beigebrachten Bescheid des Stadtmagistrats Innsbruck vom 26. Juli 1983, Z VI-2543/1983-RR, wurde nämlich der damaligen Einschreiterin H F (Geschäftsführerin des Bf.) bloß die Aufstellung eines einzigen Warenständers in der H-Gasse (gemäß §82 Abs1 StVO 1960) bewilligt.

2.2.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für die Festnehmung und anschließende Verwahrung einer Person zutrifft (zB VfSlg. 7252/1974, 7829/1976, 8145/1977, 9860/1983; VfGH 20. September 1984 B427/82).

2.2.2. Demgemäß ist die Beschwerde, da ein Instanzenzug hier nicht in Betracht kommt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, zulässig.

2.3.1. Nach der Bestimmung des Art8 StGG, auf die sich der Bf. beruft, ist die Freiheit der Person gewährleistet. Diese Verfassungsnorm und das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, schützen jedoch - ebenso wie Art5 MRK - nicht vor jeglicher Beschränkung der Bewegungsfreiheit schlechthin, sondern nur vor willkürlicher Verhaftung, rechtswidriger Inverwahrnahme sowie rechtswidriger Internierung und Konfinierung (VfSlg. 8815/1980).

2.3.2.1. Das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, bestimmt in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen.

§35 VStG 1950 ist ein solches Gesetz (VfSlg. 7252/1974), doch setzt die Festnehmung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in allen in dieser Gesetzesvorschrift angeführten Fällen (lita bis c) voraus, daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird: Sie muß also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Handlung verüben und bei Begehung dieser Tat betreten werden, wobei das erste dieser beiden Erfordernisse bereits erfüllt ist, wenn das Organ die Verübung einer Verwaltungsübertretung - hier: nach §99 Abs3 litd iVm.

§82 Abs1 StVO 1960 - mit gutem Grund annehmen konnte (s. VfSlg. 4143/1962, 7309/1974, 9921/1984, 10420/1985).

Gemäß §35 litc VStG 1950 ist eine Festnehmung unter den schon umschriebenen Bedingungen zum Zweck der Vorführung vor die Behörde aber nur dann statthaft, wenn der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.

2.3.2.2.1. Dementsprechend war zunächst zu prüfen, ob die - ersichtlich gemäß §97 Abs1, zweiter Anwendungsfall, StVO 1960 (:"bei der Vollziehung dieses Bundesgesetzes") - als Organe der Straßenaufsicht einschreitenden Sicherheitswachebeamten mit gutem Grund - und damit vertretbar - zur Auffassung gelangen durften, daß der Bf. sich die Übertretung nach §99 Abs3 litd iVm. §82 Abs1 StVO 1960 zuschulden kommen ließ.

Nach (der mit "Benützung von Straßen zu verkehrsfremden Zwecken" überschriebenen Bestimmung des) §82 Abs1 StVO 1960 ist für "die Benützung von Straßen einschließlich des darüber befindlichen, für die Sicherheit des Straßenverkehrs in Betracht kommenden Luftraumes zu anderen Zwecken als zu solchen des Straßenverkehrs, zB zu gewerblichen Tätigkeiten und zur Werbung, ... unbeschadet sonstiger Rechtsvorschriften eine Bewilligung nach diesem Bundesgesetz erforderlich".

Gemäß §99 Abs3 litd StVO 1960 begeht eine Verwaltungsübertretung, wer Straßen ohne Bewilligung zu verkehrsfremden Zwecken benutzt.

2.3.2.2.2. Angesichts des gegebenen Sachverhalts (s. Abschn. 2.1.1. und 2.1.2.) konnten nun die Sicherheitswachebeamten mit gutem Grund annehmen, daß der Bf. - schon im Hinblick auf seine eigenen Einlassungen an Ort und Stelle, und zwar in Gegenwart der über die Sach- und Rechtslage informierten Behördenvertreter - zumindest in Beziehung auf einen Warenständer die Verwaltungsübertretung nach §99 Abs3 litd iVm. §82 Abs1 StVO 1960 begangen habe. War aber die Beurteilung des Verhaltens des Bf. als Verwaltungsübertretung vertretbar und lag - wie hier - infolge Betretung auf frischer Tat und Verharren in der strafbaren Handlung trotz besonderer Abmahnung ganz offenkundig der Festnehmungsgrund des §35 litc VStG 1950 vor, entsprach die bekämpfte Festnehmung dem Gesetz.

2.3.2.3. Unter den obwaltenden Umständen bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Grund für die anschließende verwaltungsbehördliche Verwahrung des Bf. - sofern von einer solchen (zwangsweisen) Anhaltung nach dem Eintreffen bei der Behörde überhaupt noch gesprochen werden kann - schon vor dem Ende der (Verwaltungsstraf-)Verhandlung entfallen wäre.

Gemäß §36 Abs1 VStG 1950 hat die Behörde - im konkreten Fall zu Recht der Magistrat der Stadt Innsbruck (vgl. §94b und §95 Abs1 litb StVO 1960) - den (übernommenen) Festgenommenen sofort, spätestens aber binnen vierundzwanzig Stunden nach der Übernahme zu vernehmen: Im vorliegenden Fall wurden die Vernehmung und die (Straf-)Verhandlung aber mit aller gebotenen Beschleunigung durchgeführt, wie der Bf. im Grunde auch nicht in Abrede stellt.

2.4. Somit wurde der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

2.5. Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde - da weder die Verletzung anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hervorkam noch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die den bekämpften Verwaltungsakten zugrundeliegenden Rechtsvorschriften entstanden - als unbegründet abzuweisen.

2.6. Auch der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH war abzuweisen. Der VfGH hat die Gesetzmäßigkeit der Verhaftung und anschließenden Haftanhaltung schlechthin zu untersuchen (VfSlg. 7427/1974, 7499/1975) und sich nicht etwa auf die Frage der Gesetzlosigkeit oder denkunmöglichen Gesetzeshandhabung zu beschränken (VfSlg. 8076/1977), sodaß für eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung sonstiger - einfachgesetzlich eingeräumter - Rechte kein Raum bleibt. Daraus ergibt sich aber, daß der VfGH zur Entscheidung dieser Sache allein zuständig ist (VfSlg. 8960/1980), eine Abtretung der Beschwerde an den VwGH also nicht in Betracht kommt.

Schlagworte

Straßenpolizei, VfGH / Abtretung, Festnehmung, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B686.1984

Dokumentnummer

JFT_10148875_84B00686_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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