TE Vfgh Erkenntnis 1986/3/1 B572/85

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Veröffentlicht am 01.03.1986
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
AVG §71 Abs1 lita
ZivildienstG §2 Abs1
ZivildienstG §6 Abs2

Leitsatz

AVG 1950; Abweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsverhandlung unter Berufung auf §71; eigenständige Regelung der Wiedereinsetzung für das Verwaltungsverfahren sachgerecht - keine Gleichheitsbedenken gegen §71 Abs1 lita; keine willkürliche Annahme, der Bf. habe die Verhandlung aus seinem Verschulden versäumt ZivildienstG; keine Glaubhaftmachung von Gewissensgründen; keine Verletzung des durch §2 Abs1 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Dipl.-Ing. W P stellte am 28. Feber 1984 an die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDK) unter Berufung auf §5 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974, den Antrag, ihn von der Wehrpflicht zu befreien. Er lehne aus schwerwiegenden Gewissensgründen die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen grundsätzlich ab. Zu seinem Antrag führte er folgendes aus:

"Den Zivildienst möchte ich aus humanitären, religiösen und aus Gewissensgründen ableisten.

Da für mich alle Menschen gleich sind, ist es für mich ausgeschlossen, eine Waffe gegen einen Mitmenschen zu richten. Außerdem bin ich der Ansicht, daß alle Konflikte (menschliche sowie zwischenstaatliche) friedlich gelöst werden müßten. Durch Anwendung von Gewalt sind Probleme noch nie gelöst worden. Vielmehr wurden dadurch die bestehenden Probleme vergrößert. Eine Verhandlungslösung, auch wenn sich diese jahrelang erstreckt, ist, meiner Überzeugung nach, Gewalt auf jeden Fall vorzuziehen.

Ich bin stolz darauf, Österreicher zu sein und stehe voll und ganz zur Republik Österreich. Ebenso finde ich, daß Österreich bzw. die sozialen Errungenschaften in Österreich verteidigungswürdig sind. Diese Verteidigung kann und darf aber nur eine gewaltfreie Verteidigung sein.

Eine Friedensgesinnung muß erst (leider) erlernt werden. Dies kann am wirkungsvollsten in kleinen Gemeinschaften (Familie, Schule, etc.) erfolgen. Der Dienst mit der Waffe vernichtet, meiner Meinung nach, alle diesbezüglichen Bestrebungen. Der Zivildienst hingegen fördert die Friedensgesinnung durch den sozialen Kontakt zu den Mitmenschen. Nur dadurch kann eine friedliche Gesinnung von kleinen Gruppen auf ganze Völker übertragen werden.

Zu dieser Ansicht bin ich gekommen, unter anderem, durch die jahrelangen Kriegsberichte in den Massenmedien. Die Bilder von den Kriegsschauplätzen haben mir verdeutlicht, daß keine Konflikte gelöst wurden, sondern nur noch mehr Elend geschaffen wurde. Dies hat mich in meiner Überzeugung bestärkt, daß man nur friedlich Auseinandersetzungen bereinigen sollte; dh. ohne Waffengewalt, nur durch Verhandlungen und passiven Widerstand."

Mit Bescheid der ZDK, Senat 7, vom 21. Mai 1984, Z 135.032/1-ZDK/7/84, wurde der Antrag gemäß §2 Abs1 iVm. §6 Abs1 ZDG in der geltenden Fassung abgewiesen. Zur Begründung des Bescheides wurde ausgeführt:

"In der Verhandlung am 21. 5. 1984 hielten Sie Ihre schriftlich dargelegten Gründe aufrecht und führten ergänzend dazu aus, daß Ihre Gewissensbelastung beim Präsenzdienst darin läge, daß Sie dort nicht lernten, Konflikte auf friedliche Art und Weise zu bereinigen, sondern zur Waffengewalt ausgebildet würden. Im Konfliktfall würde das Bundesheer zu kriegerischen Zwecken eingesetzt und diese Vorstellung würde Sie sehr belasten. Man müsse im kleinen Kreis versuchen, Probleme durch Diskussionen und friedliche Mittel zu lösen. Sie hätten damit bereits in kleinem Kreise begonnen. Es sei notwendig die Friedensgesinnung im kleinen Kreis in der Familie und in der Schule zu zeigen. Allein die Tatsache, daß beim Bundesheer Waffen existieren und man zur Gewaltanwendung herangezogen werde, störe Sie am Präsenzdienst. Im Ernstfall würden Sie Diskussionen mit dem Gegner als Hauptverteidigungsmittel ansehen. Sie würden aber auch Boykottmaßnahmen, passiven Widerstand, Streik und Sabotage gegen Sachen, aber nur in sehr beschränktem Maße, befürworten. Ihre Überzeugung hätten Sie immer wieder jedoch nur im Freundes- und Bekanntenkreis vertreten. Sie hätten sich in keiner Organisation oder Vereinigung sozial engagiert. An großen Aktionen hätten Sie nicht teilgenommen, weil Sie glaubten, daß das Herumstehen an Straßenecken zu nichts führe.

Den Zivildienstantrag hätten Sie erst jetzt gestellt, weil Sie Ihr Studium beenden wollten. Hinsichtlich Ihres Zivildienstwunsches gaben Sie an, daß Sie es für zweckmäßig hielten, wenn Sie Ihren Fähigkeiten gemäß eingesetzt würden.

Gemäß §2 Abs1 ZDG sind Wehrpflichtige aufgrund ihres Antrages von der Wehrpflicht zu befreien, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden.

Für die positive Erledigung des Antrages genügt es nicht, solche Gründe bloß zu behaupten, sie müssen vielmehr auch glaubhaft gemacht werden. Die Zivildienstkommission hat bei der Würdigung dieser Gründe insbesondere auf das bisherige Verhalten des Antragstellers Bedacht zu nehmen (§6 Abs2 ZDG).

Überdies bleibt zu Ihrem schriftlichen Antrag und den mündlichen Ausführungen grundsätzlich zu bemerken, daß der Zivildienst kein Alternativdienst zum Wehrdienst ist, somit die Wahl nicht im Belieben des Wehrpflichtigen liegt, sondern ein Ausnahmerecht darstellt.

Aufgrund Ihres Vorbringens im Antrag und des von Ihnen bei der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks konnte der erkennende Senat es nicht als bescheinigt ansehen, daß sie die Anwendung von Waffengewalt aus schwerwiegenden Gewissensgründen ablehnen und bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden. Ihre Ausführung hinsichtlich des Aufbaues einer Friedensgesinnung sind logisch und entsprechen durchaus Ihrem Bildungsgang. Ein Gewissenskonflikt läßt sich hieraus jedoch nicht ableiten.

Sie haben sich mit dem Problem der Landesverteidigung überhaupt nicht auseinandergesetzt. Dies muß aber von einem jungen Menschen, der die herkömmliche Form der Verteidigung ablehnt, wohl verlangt werden. Sie haben sich aber offensichtlich auch selbst nicht Rechenschaft darüber gegeben, was es für Sie bedeuten würde, einrücken zu müssen.

Ihre Ausführungen hinsichtlich einer gewaltlosen Verteidigung besteht aus Gemeinplätzen, die jeder Zivildienstbroschüre zu entnehmen sind. Eigene Ideen, aus denen sich eine tiefgründigere Befassung mit der Materie ableiten ließe, können Sie nicht vorbringen.

Überdies kann nach Ansicht des erkennenden Senates aus Ihrem bisherigen nach außen in Erscheinung getretenen Verhalten ein entsprechender Schluß auf Ihre Glaubwürdigkeit gezogen werden. Als ein solches nach außen in Erscheinung getretenes Verhalten wird in der Regel ein Mindestmaß an sozialer Aktivität, wie etwa die Mitarbeit in Jugendorganisationen, Naturschutzorganisationen sowie bei pazifistischen Vereinen oder im privaten Bereich, wie zB Nachbarschaftshilfe oder Betreuung einer körperbehinderten oder betagten Person, verstanden. Dies deshalb, weil eine bestimmte positive Einstellung zum Leben und eine weltanschauliche Überzeugung eher glaubhaft erscheint, wenn diese nicht nur mündlich vertreten, sondern auch durch Handlungen unter Beweis gestellt wird. Der Mangel an konstruktiven Aktivitäten in Ihrer Freizeit deutet darauf hin, daß Sie sich mit den Möglichkeiten eines mündigen Staatsbürgers noch nicht ernstlich auseinandergesetzt haben.

Ihre schriftlichen und mündlichen Ausführungen stehen in krassem Gegensatz zu Ihren Handlungen. Es erscheint dem erkennenden Senat völlig unverständlich, daß ein Zivildienstwerber, dem der Frieden dieser Welt soviel bedeutet, lediglich im Freundeskreis herumredet.

Der erkennende Senat gelangte daher zu der Auffassung, daß bei Ihnen noch nicht jene Gewissensbildung stattgefunden hat, die für die Glaubhaftmachung einer klaren, echten Gewissensentscheidung gegen den Wehrdienst verlangt werden muß."

2. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte Dipl.-Ing.

W P aus:

"Meine Gründe keinen Wehrdienst abzuleisten, habe ich bei der Einbringung meines Antrages auf Befreiung von der Wehrpflicht im Februar 1984 schriftlich niedergelegt. Zu diesen Ausführungen stehe ich nach wie vor voll und ganz. In der nichtöffentlichen Verhandlung am 84-05-21 glaube ich in einigen Punkten mißverstanden worden zu sein. Nur dadurch ist für mich die Ablehnung meines Antrages erklärbar. Diese Mißverständnisse möchte ich durch die vorliegende Berufung klären.

Unter anderen stellte man mir am 84-05-21 die Frage nach meiner Einstellung zur friedlichen Nutzung der Kernenergie bzw. zur Stromgewinnung aus Wasserkraft ('Wie stehen Sie zu Zwentendorf und Hainburg'). Mir ist der direkte Zusammenhang obiger Frage mit der Feststellung meiner Gewissensentscheidung gegen den Wehrdienst nicht ersichtlich. Trotzdem gehe ich in meiner Berufung darauf ein, da ich der Überzeugung bin, daß gerade diese Frage die Ursache meiner Ablehnung war.

Ich bin für Zwentendorf und ich bin für Hainburg. Dies deshalb, weil unter anderen unsere hochtechnisierte Welt dringend billige und ausreichend zur Verfügung stehende Energie benötigt. Nur dadurch kann sichergestellt werden, daß es in Zukunft zu keinen 'Energie'-Konflikten kommt. Obwohl das Thema 'Zwentendorf und Hainburg' direkt nichts mit den Themenkreisen 'Waffengewalt gegen andere Menschen' oder 'Friedensgesinnung' zu tun hat, stellt die positive Einstellung zu Zwentendorf und Hainburg somit eine, wenn auch kleine, Präventivmaßnahme zur Erhaltung des Weltfriedens dar. Umso unerklärlicher ist mir das Verhalten einiger Zivildienstkommissions-Mitglieder gewesen, die meine Bejahung obiger Frage offensichtlich unverständlich gefunden haben.

Wenn wir, dh. die industrialisierte Welt, verstärkt Atomenergie und Wasserkraft zur Stromgewinnung einsetzen und dadurch wenigstens geringfügig fossile Primärenergie einsparen (und somit die Nachfrage und den Preis danach senken), so besteht zumindest eine geringfügige Chance, daß sich in Zukunft auch Entwicklungsländer die für sie so lebensnotwendigen Erdölimporte leisten können, um das Überleben ihrer Bevölkerung sicherzustellen. Aus dieser Überlegung heraus, bin ich der Überzeugung, daß die (indirekte) Rettung nur eines Menschenlebens bei weitem einen kleinen Eingriff in die Natur durch die Technik rechtfertigt, wie sie bei einem Kraftwerksbau unabänderlich ist.

Sicherlich kann durch soziale Aktivitäten, wie zB die Zugehörigkeit zu pazifistischen Vereinen oder die Mitarbeit in Jugendorganisationen, die Glaubwürdigkeit einer Friedensgesinnung und die Ablehnung von Waffengewalt gegen andere Menschen zum Ausdruck gebracht werden. Wichtiger jedoch ist die geistige, dh. theoretische Beschäftigung mit diesem Problemkreis. Nur dadurch besteht die Möglichkeit, größere Zusammenhänge zu erkennen und somit rechtzeitig bei falschen, verhängnisvollen Entwicklungen gegensteuern zu können. Ein vorhandenes Problem zu lösen oder zu lindern ist sicher eine lobenswerte Aufgabe. Besser jedoch ist es, das Problem bei der Entstehung bereits zu stoppen. Das ist jedoch nur möglich, wenn man sich intensiv theoretisch damit beschäftigt. Ich glaube, daß ich eher, schon von meinem Beruf her, zu den Theoretikern zu zählen bin. Die Glaubwürdigkeit eines Theoretikers ist sicher so groß, wie die Glaubwürdigkeit eines Aktivisten.

Obige Ausführungen, glaube ich, zeigen deutlich, daß ich mich mit der Erhaltung des Friedens nicht nur oberflächlich beschäftigt habe, sondern auch versucht habe eigene Überlegungen und Gedankengänge mit der derzeit vorhandenen Friedenslektüre zu verbinden. Ich glaube, daß dies einen mündigen und vollwertigen Staatsbürger auszeichnet."

Zu der von der Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK) für den 8. November 1984, 9.40 Uhr, ausgeschriebenen mündlichen Verhandlung erschien Dipl.-Ing. P um 9.45 Uhr, nachdem die Verhandlung um 9.43 Uhr geschlossen worden war, und erklärte, daß er "im Verkehr" steckengeblieben sei. Er wurde über die Möglichkeit, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einzubringen, in Kenntnis gesetzt. Dipl.-Ing. P brachte am 8. November 1984 bei der ZDOK einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsverhandlung ein.

3. Der unter I.2. angeführten Berufung des Dipl.-Ing. P gab die ZDOK, Senat 1, mit Bescheid vom 8. November 1984, Z 135.032/2-ZDOK/1/84, gemäß §66 Abs4 AVG 1950 nicht Folge. Dem Bescheid war folgende Begründung beigefügt:

"Der Berufungswerber ist trotz ordnungsgemäßer Vorladung zur Berufungsverhandlung nicht (rechtzeitig) erschienen, weshalb auf Grund der Aktenlage entschieden werden mußte. Diese gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, die von der ersten Instanz vorgenommene Beweiswürdigung in Zweifel zu setzen und/oder den festgestellten Sachverhalt in rechtlicher Beziehung anders zu beurteilen, wie es die Zivildienstkommission getan hat. Im übrigen hat der Rechtsmittelwerber auch nichts vorgebracht, was als die spezifizierte Darlegung eines schwerwiegenden Gewissensgrundes im Sinne des Gesetzes (§2 Abs1 ZDG) gewertet werden könnte."

Der von Dipl.-Ing. P gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde von der ZDOK, Senat 1, mit Bescheid vom 15. März 1985, Z 135032/3-ZDOK/1/85, unter Berufung auf §71 AVG 1950 abgewiesen.

Der Bescheid enthielt folgende Begründung:

"Nach Auffassung der Zivildienstoberkommission hat Dipl.-Ing. W P, wie aus seinen niederschriftlichen Angaben recht deutlich erkennbar ist, die Berufungsverhandlung aus seinem Verschulden versäumt.

Als Wiener und, wie er selbst angibt, erfahrener Autofahrer hätte Dipl.-Ing. W P bei Anwendung der nötigen Sorgfalt entweder die Fahrt in die mit Fahrzeugen nur auf Umwegen erreichbare, jedenfalls notorisch 'vollgestopfte' (verparkte) Innenstadt (Bräunerstraße), in der der Verkehr, was allgemein bekannt ist, in den Vormittagsstunden (Anlieferzeiten) regelmäßig nahezu zum Erliegen kommt, mit dem Auto früher antreten oder sich eines öffentlichen Verkehrsmittels bedienen müssen. Aus seinem Verhalten ist erkennbar, daß er nicht jenes Maß an Aufmerksamkeit und Voraussicht aufgewendet hat, wie es nach der Lebenserfahrung von einer vernünftigen und durchschnittlich gewissenhaften Person angesichts der Bedeutung der vorzunehmenden Handlung unter den gegebenen Umständen aufgewendet zu werden pflegt (siehe dazu die Entscheidung des OGH vom 17. Mai 1977, 4 Ob 507, 518/77; ferner Evidenzblatt 1946, 239 ua.).

Darüber hinaus wurden die als Hinderungsgrund für das rechtzeitige Erscheinen zur Verhandlung vorgebrachten Umstände von Dipl.-Ing. W P bloß behauptet, nicht aber, wie es §71 Abs1 lita AVG 1950 vorschreibt, gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag durch entsprechende Beweismittel glaubhaft gemacht."

Beide Bescheide wurden Dipl.-Ing. P am 19. Juli 1985 zugestellt.

4. Gegen diese beiden Bescheide der ZDOK richtet sich die vorliegende auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des Dipl.-Ing. P an den VfGH; der Bf. beruft sich hiebei auf die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG, macht im übrigen die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide.

5. Die ZDOK als bel. Beh. legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Bf. behauptet, daß §71 Abs1 lita AVG 1950 deshalb im Widerspruch zum Gleichheitsgebot stünde, weil die Partei nach dieser Vorschrift als Voraussetzung für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - anders als in zahlreichen anderen Vorschriften - glaubhaft zu machen habe, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, zur Verhandlung zu erscheinen. Im übrigen habe er unverschuldet die Verhandlung versäumt. Die Beschwerde beruft sich bei der Behauptung der Gleichheitswidrigkeit der angeführten Gesetzesbestimmung des AVG 1950 auf das Erk. des VfGH VfSlg. 10367/1985, mit dem die Worte "ohne ihr Verschulden" in §46 des VwGG 1985, BGBl. 10, als verfassungswidrig aufgehoben wurden. Der VfGH hat sich aber bei der Aufhebung dieser Worte auf die besondere Verzahnung des Beschwerdeverfahrens vor dem VwGH mit dem vor dem VfGH berufen. Sofern nicht besondere Gründe, wie etwa eine solche Verzahnung der Beschwerdeverfahren, vorliegen, steht es dem Normsetzer frei, sich in den einzelnen Bereichen der Verfahren für durchaus eigenständige Ordnungssysteme zu entscheiden, die den Erfordernissen und Besonderheiten unterschiedlicher Verfahren adäquat Rechnung tragen, sofern nur die strittigen Verfahrensgesetze in sich - dh. jeweils für sich betrachtet - gleichheitsgemäß gestaltet sind. Der VfGH teilt daher die vom Bf. unter dem Blickwinkel des vorliegenden Beschwerdefalles aufgeworfenen Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des §71 Abs1 lita AVG 1950 nicht, weil eine eigenständige Regelung der Wiedereinsetzung für das Verwaltungsverfahren als sachgerecht beurteilt werden kann.

2. Der Bf. macht auch geltend, daß die bel. Beh. bei der Abweisung seines Wiedereinsetzungsantrages dadurch seine verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte verletzt habe, daß sie davon ausgegangen sei, er habe die Verhandlung aus seinem Verschulden versäumt.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeder Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere iVm. einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung, 9600/1983).

Derartige in die Verfassungssphäre reichende gravierende Fehler der Behörde bei der Erlassung des Bescheides betreffend die Wiedereinsetzung hat der Bf. weder behauptet, noch sind solche im verfassungsgerichtlichen Verfahren hervorgekommen. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt daher in dieser Hinsicht nicht vor.

3. a. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1978, BGBl. 150, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (s. auch VfSlg. 9391/1982, VfGH 12. 3. 1982 B561/81).

b. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt nach der ständigen Judikatur des VfGH nicht bloß dann vor, wenn die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; sie ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 8787/1980), woran sich auch durch die ZDG-Nov. BGBl. 496/1980 nichts änderte (vgl. zB VfSlg. 9549/1982, 9573/1982; VfGH 26. 11. 1982 B667/81).

Wie der VfGH in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach (VfSlg. 8268/1978, 8391/1978), zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.

c. Der Bf. hat, wie aus der unter I. angeführten Darstellung des Sachverhaltes entnommen werden kann, wohl in seinem Antrag und in seiner Berufung und dem sonstigen Vorbringen einläßlich dargetan, daß er aus wohl begründeten Erwägungen die Anwendung von Waffengewalt ablehne. Auch sein Vorbringen in der Beschwerde geht in diese Richtung. Daß er aber bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würde, hat er zwar immer wieder behauptet. Der Bf. unterließ in dieser Richtung im gesamten Verwaltungsverfahren und auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren jeden Versuch einer Glaubhaftmachung.

d. Der VfGH kann der ZDOK nach Lage des Falles nicht entgegentreten, wenn sie in Prüfung und Würdigung der Verfahrensergebnisse in freier Beweiswürdigung zur Ansicht gelangte, daß Gewissensgründe (iS des §6 Abs2 ZDG) nicht glaubhaft gemacht wurden.

e. Abschließend folgt daraus, daß keine Verletzung des im §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung vorliegt.

4. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die die angefochtenen Bescheide tragenden Gesetzesbestimmungen unter dem Aspekt des auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebotes kamen nicht hervor. Bei dieser Betrachtung schied im übrigen die Vorschrift des §2 Abs1 ZDG, da es sich um eine Verfassungsbestimmung handelt, von vornherein aus.

5. Angesichts des Umstandes, daß auch keine Verletzung eines anderen, vom Bf. nicht geltend gemachten, Rechtes oder eine Rechtsverletzung wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm hervorkam, mußte die Beschwerde gegen die beiden angefochtenen Bescheide als unbegründet abgewiesen werden.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren Berufung, Verwaltungsverfahren Wiedereinsetzung, Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:B572.1985

Dokumentnummer

JFT_10139699_85B00572_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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