TE Vfgh Erkenntnis 1986/3/4 B135/83

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.03.1986
beobachten
merken

Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art83 Abs2
AVG §68 Abs4 lita

Leitsatz

Tir. GVG; AVG 1950 §68 Abs4 lita; rechtskräftiger Bescheid der Grundverkehrsbehörde Grins vom 6. 7. 1982, mit dem die Zustimmung zu einem dem Grundverkehrsrecht unterliegenden Rechtsgeschäft erteilt wurde; Nichtigerklärung dieses Bescheides mit Bescheid der Tir. Landesgrundverkehrsbehörde vom 4. 2. 1983 gemäß §68 Abs4 lita AVG 1950; Fälle des §68 Abs4 in erschöpfender Weise geregelt; Begriff der Behördenzuständigkeit in §68 Abs4 lita; Rechtsrichtigkeit des behobenen Bescheides im Falle des §68 Abs4 lita ohne Bedeutung; Entzug des gesetzlichen Richters durch gesetzwidrige Inanspruchnahme der Zuständigkeit zur Nichtigerklärung des Bescheides

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Kaufvertrag vom 7. Juni 1971 erwarb der Bf., er ist

öffentlicher Notar, von J G, Rentner, die Grundparzellen ... und ...

aus der EZ ... KG Grins um einen Kaufpreis von 64755 S.

2.1. Mit Bescheid der Grundverkehrsbehörde Grins vom 11. Jänner 1972 wurde diesem Rechtsgeschäft gemäß §6 Abs1 litc und §6 Abs2 GVG 1970 - wiederverlautbart mit Kundmachung der Tir. Landesregierung vom 18. Oktober 1983, LGBl. 69/1983, als Grundverkehrsgesetz 1983 (GVG 1983) - die Zustimmung versagt.

2.2. Mit Bescheid der Landesgrundverkehrsbehörde beim Amt der Tir. Landesregierung vom 1. Feber 1973 wurde der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gemäß §66 Abs4 AVG keine Folge gegeben und der beabsichtigten Eigentumsübertragung gemäß §6 Abs1 litc und §6 Abs2 GVG nicht zugestimmt.

3.1. Mit Antrag vom 9. Juni 1982 trat der Verkäufer neuerlich um Genehmigung des Kaufvertrages vom 7. Juni 1971 an die Grundverkehrsbehörde Grins heran und führte zur Begründung des Ansuchens wörtlich aus:

"Die Grundparzelle ... wurde inzwischen gelöscht, sodaß die

Liegenschaft als Bestandteil nur mehr die Grundparzelle ... besitzt.

An der Nordseite der Grundparzelle ... wird zur Straßenanlegung ein

4 m breiter Streifen von ca. 120 bis 150 Quadratmeter an die Gemeinde Grins abgetreten werden.

Das seinerzeitige Ansuchen wegen Genehmigung des Kaufvertrages vom 7. 6. 1971 wurde von der Landesgrundverkehrsbehörde mit Bescheid vom 14. August 1974 abgelehnt.

Die rechtlichen Voraussetzungen haben sich seither geändert und wird diesbezüglich auf das Schreiben des Gemeindeamtes Grins vom 4. 6. 1982 verwiesen. Aus diesem Schreiben geht hervor, daß die Grundparzelle ... an das Wohngebiet laut Flächenwidmungsplan anschließt und mit Einbeziehung dieser Grundparzelle ins Wohngebiet in den nächsten Jahren zu rechnen ist.

Aus diesem Grunde werden in Fotokopie vorgelegt:

1. Der Kaufvertrag vom 7. 6. 1971

2. Schreiben des Gemeindeamtes Grins vom 4. 6. 1982

3. Eine Substitutionsvollmacht des Gesuchstellers vom 24. 9. 1974

Unter Hinweis auf diese vorgelegten Unterlagen wird gebeten, das Rechtsgeschäft im Sinne des §3 Abs1a des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1970 zu genehmigen und um Zufertigung des Genehmigungsbescheides samt Rechtskraftbestätigung an den Eingabenverfasser."

3.2. Mit Bescheid der Grundverkehrskommission der Gemeinde Grins vom 6. Juli 1982 wurde sodann "die Zustimmung für folgendes Rechtsgeschäft vom 7. 6. 1971 erteilt:

J G ... verkauft die EZ. ... bestehend aus den Gpn. ... und ... mit insgesamt 14 a 39 Quadratmeter an Dr. M R ..."

3.3. Eine gegen diesen Bescheid vom Landesgrundverkehrsreferenten am 15. Juli 1982 erhobene Berufung wurde am 14. September 1982 zurückgezogen, womit der Bescheid der Grundverkehrsbehörde Grins vom 6. Juli 1982 in Rechtskraft erwuchs.

4. Mit Bescheid der Landesgrundverkehrsbehörde beim Amt der Tir. Landesregierung vom 4. Feber 1983 wurde sodann gemäß §68 Abs4 lita AVG der Bescheid der Grundverkehrsbehörde Grins vom 6. Juli 1982 als nichtig erklärt.

Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt, die Landesgrundverkehrsbehörde sei der Ansicht, daß die Grundverkehrsbehörde Grins zur Erlassung des Bescheides vom 6. Juli 1982 unzuständig war. Gemäß §3 Abs1 GVG habe die Grundverkehrsbehörde über die dort bezeichneten Rechtserwerbe zu entscheiden. Im gegenständlichen Fall liege dem für nichtig erklärten Bescheid jedoch kein Rechtserwerb zugrunde, da das mit Vertrag vom 7. Juni 1971 beurkundete Rechtsgeschäft aufgrund des rechtskräftigen Bescheides der Landesgrundverkehrsbehörde vom 14. August 1974 gemäß §16 Abs1 GVG nichtig geworden sei; das sei auch auf der Urkunde vermerkt worden. Dies bedeute, daß im Zeitpunkte der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Entscheidung der Grundverkehrsbehörde Grins überhaupt kein gemäß §3 Abs1 GVG genehmigungsfähiger Rechtserwerb vorgelegen habe. Die Grundverkehrsbehörde hätte daher den Antrag auf Erteilung der grundverkehrsbehördlichen Zustimmung zurückweisen müssen. Bei der vom Erwerber aufgestellten Behauptung, daß, bereits bevor das Genehmigungsansuchen am 9. Juni 1982 bei der Grundverkehrsbehörde eingebracht wurde, neuerlich ein mündliches Rechtsgeschäft abgeschlossen worden sei, handle es sich um eine reine Schutzbehauptung. Da im Zeitpunkte der Entscheidung der Erstbehörde ein genehmigungsfähiger Rechtserwerb iS des §3 Abs1 lita GVG nicht vorgelegen habe, sei der Bescheid von einer unzuständigen Behörde erlassen worden und demnach für nichtig zu erklären.

5.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz, auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Freiheit des Liegenschaftserwerbes geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

5.2. Die bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

6. Ua. aus Anlaß der vorliegenden Beschwerde leitete der VfGH von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der lita, c, d, e und f des §13 Abs4 Z1 GVG 1983 ein.

Mit Erk. vom 17. Oktober 1985, G74/85 ua., wurde sodann ausgesprochen, daß die in Prüfung gezogenen Gesetzesstellen nicht als verfassungswidrig aufgehoben werden. Der VfGH erachtete es, ebenso wie der EuGMR mit Urteil vom 22. Oktober 1984 in der Rechtssache Sramek, mit Art6 MRK für unvereinbar, daß ein Tribunal - die Landesgrundverkehrsbehörde ist ein solches - jemand zu seinen Mitgliedern zählt, der sich bei seiner beruflichen Tätigkeit außerhalb der Landesgrundverkehrsbehörde gegenüber einer im grundverkehrsbehördlichen Verfahren einschreitenden Partei in einem Verhältnis funktioneller oder dienstlicher Unterordnung befindet, wie dies im Fall Sramek beim Berichterstatter der Landesgrundverkehrsbehörde in Relation zum Landesgrundverkehrsreferenten der Fall war. Der Verfassungsverstoß sei jedoch nicht in den in Prüfung gezogenen Bestimmungen grundgelegt. Da das dargelegte, aus Art6 MRK erfließende Verfassungsgebot einfach-gesetzlicher Anordnungen nicht bedürfe, um der Verfassung Geltung zu verschaffen, seien die aufgeworfenen Bedenken nicht den in Prüfung gezogenen Gesetzesstellen anzulasten.

7. Aufgrund dieses Ergebnisses des Gesetzesprüfungsverfahrens ist auf die Beschwerdebehauptungen einzugehen. Der VfGH hat hiezu erwogen:

7.1. Zunächst ist festzuhalten, daß ein Verstoß gegen Art6 MRK wie im Fall Sramek schon deshalb nicht vorliegt, weil der Landesgrundverkehrsreferent im grundverkehrsbehördlichen Verfahren in einer für den angefochtenen Bescheid relevanten Weise - die von ihm erhobene Berufung wurde zurückgezogen - nicht eingeschritten ist.

7.2. In der Beschwerde wird aber der bel. Beh. eine Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums, auf Gleichheit und auf Liegenschaftserwerbsfreiheit vorgeworfen.

Die bel. Beh. versuche im angefochtenen Bescheid vergeblich nachzuweisen, daß ein Rechtsgeschäft zum Erwerb der Gp. ... zwischen J G und dem Bf. nach Verweigerung der Zustimmung durch die Landesgrundverkehrsbehörde im Jahre 1974 nicht rechtsgültig zustande gekommen sei. Bereits als sich im Zuge des (ersten) Genehmigungsverfahrens gezeigt habe, daß der Kaufvertrag vom 7. Juni 1971 nicht genehmigt werden würde, habe jedoch der Verkäufer dem Bf.

ein unbeschränktes Verfügungsrecht über die Gp. ... eingeräumt und

ihm eine Spezialvollmacht ausgestellt. In der Folge habe J G wohl am

7. April 1975 seinen gesamten Besitz einschließlich der Gp. ...

und ... mit Übergabsvertrag vom 7. April 1975 aus pensionsrechtlichen

Gründen an seine Gattin A G übertragen. Um den Bf. abzusichern, sei

aber am 14. Dezember 1979 ein Kaufvertrag verfaßt worden, mit welchem

A G die Gp. ... an den Bf. um den seinerzeitigen Kaufpreis von

64755 S verkauft habe. Nachdem am 4. Juni 1982 die Gemeinde Grins

schriftlich bescheinigt habe, daß die Gp. ... in den nächsten Jahren

in das Wohngebiet einbezogen würde, habe J G im Juni 1982 unter Vorlage einer Kopie des Kaufvertrages vom Jahr 1971 und unter Hinweis auf geänderte rechtliche Voraussetzungen neuerlich um Genehmigung angesucht. Mit Bescheid vom 6. Juli 1982 sei die Genehmigung erteilt worden, worauf die Ehegatten J und A G mit Notariatsakt vom 12. Juli 1982 einverständlich festgestellt hätten, daß die Gp. ... durch den Übergabsvertrag vom 7. April 1975 A G nicht übertragen worden sei. Der Bescheid der Grundverkehrsbehörde Grins vom 6. Juli 1982 sei zufolge der Rückziehung der Berufung des Landesgrundverkehrsreferenten in Rechtskraft erwachsen, worauf der Bf. am 23. September 1982 unter Vorlage des Kaufvertrages vom 7. Juni 1971 und des Notariatsaktes vom 12. Juli 1982 die Einverleibung des Eigentumsrechtes zu seinen Gunsten beantragt habe, was mit Beschl. des BG Landeck vom 23. September 1982 bewilligt worden sei.

Dem angefochtenen Bescheid liege eine denkunmögliche Würdigung dieses Sachverhaltes zugrunde.

Denkunmöglich sei weiters die Annahme der bel. Beh., daß die Grundverkehrsbehörde Grins zur Erlassung des Bescheides vom 6. Juli 1982 unzuständig gewesen sei; die Grundverkehrsbehörde Grins sei vielmehr für die grundverkehrsbehördliche Genehmigung sachlich und örtlich zuständig gewesen, selbst wenn sie den Genehmigungsantrag zurückzuweisen gehabt hätte, da ihr für diesen Fall nur eine rechtlich verfehlte Entscheidung vorgeworfen werden könne, nicht aber, daß sie als unzuständige Behörde gehandelt habe.

Verfehlt sei aber schon die Ansicht der bel. Beh., daß die Grundverkehrsbehörde Grins den Antrag vom 9. Juni 1982 zurückweisen hätte müssen. Wenn nämlich in den tatsächlichen Verhältnissen eine Änderung eingetreten sei, liege kein rechtskräftiger Bescheid in derselben Sache vor. Im Ansuchen vom 9. Juni 1982 sei auf die geänderte Sachlage ausdrücklich verwiesen worden. Materielle Rechtskraft habe einer neuerlichen Entscheidung somit nicht entgegengestanden.

7.3. Die Beschwerde ist - wenn auch nicht wegen der geltend gemachten Grundrechtsverletzungen - im Ergebnis im Recht, und zwar aus folgenden Gründen:

Der angefochtene Bescheid stützt sich auf §68 Abs4 lita AVG. Nach dieser Gesetzesstelle kann die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde einen Bescheid von Amts wegen für nichtig erklären, wenn der Bescheid von einer unzuständigen Behörde oder von einer nicht richtig zusammengesetzten Kollegialbehörde erlassen wurde. Daß die bel. Beh. den angefochtenen Bescheid als sachlich zuständige Oberbehörde der Grundverkehrsbehörde Grins erlassen hat, steht nicht in Frage. Zu prüfen ist jedoch, ob der für nichtig erklärte Bescheid vom 6. Juli 1982 von der Grundverkehrsbehörde Grins unzuständigerweise erlassen wurde und ob ein insofern der bel. Beh. anzulastender Fehler in die Verfassungssphäre reicht.

Zunächst ist festzuhalten, daß die Nichtigerklärung eines Bescheides durch die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde nur in den im Gesetz ausdrücklich genannten Fällen - vorliegendenfalls kommt nur §68 Abs4 lita AVG in Frage - erfolgen darf. Für eine sinngemäße Anwendung der Bestimmungen des §68 Abs4 AVG auf andere Fälle fehlt jede Grundlage; wie nämlich der VwGH in VwSlg. 17521 A/1933 ausdrücklich ausgesagt hat, regelt §68 Abs4 AVG die Fälle, in denen ein Bescheid als nichtig erklärt werden kann, in erschöpfender Weise, da es dem Grundsatz der Rechtskraft widerstreiten würde, wollte man die Anwendbarkeit der Nichtigkeitserklärung auf andere Fälle ausdehnen. Wenn die bel. Beh. den angefochtenen Bescheid erlassen hätte, obwohl sie sich der Sache nach auf §68 Abs4 lita AVG nicht stützen durfte, hätte sie demnach insofern die Zuständigkeit zu einer Sachentscheidung in Anspruch genommen, die ihr nicht zukommt und damit den Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Dies trifft auch tatsächlich zu. Die Zuständigkeit, von der §68 Abs4 lita AVG spricht, wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß ein Rechtsgeschäft, um dessen Genehmigung angesucht wurde, nichtig ist. Ob der Bescheid der Grundverkehrsbehörde Grins vom 6. Juli 1984 richtig war oder nicht, ist somit aus der Sicht des §68 Abs4 lita AVG ohne Bedeutung; wie schon der Wortlaut verdeutlicht, kommt es nach dieser Gesetzesstelle auf die Behördenzuständigkeit nämlich nur im engeren Sinne an.

Es fehlte somit der bel. Beh. die Sachkompetenz zur Nichtigerklärung des Bescheides vom 6. Juli 1982. Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden; der Bescheid ist daher aufzuheben.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren / Abänderung und Behebung von amtswegen, Rechtsgrundsätze

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:B135.1983

Dokumentnummer

JFT_10139696_83B00135_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten