TE Vfgh Erkenntnis 1986/3/6 WI-5/84

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Veröffentlicht am 06.03.1986
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Index

L1 Gemeinderecht
L1000 Gemeindeordnung

Norm

B-VG Art117 Abs3
B-VG Art141 Abs1 litb
Krnt Allgemeine GemeindeO 1982 §23 Abs2
Krnt Allgemeine GemeindeO 1982 §23 Abs4
VfGG §67, §68

Leitsatz

Art141 Abs1 litb B-VG; Anfechtung der Wahl des Bürgermeisters der Gemeinde St. Urban vom 16. Juli 1984; keine Bedenken gegen §23 Abs4 Ktn. Allgemeine GemeindeO 1982, insbesondere auch nicht aus dem Blickpunkt des Art117 Abs3 B-VG; gesetzmäßige Ermittlung der einfachen Mehrheit iS des §23 Abs2 Ktn. Allgemeine GemeindeO 1982 unter Außerachtlassung der leeren (ungültigen) Stimmen gegen §23 Abs4

Spruch

Der Wahlanfechtung wird nicht stattgegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Am 16. Juli 1984 fand die Wahl des Bürgermeisters der Gemeinde St. Urban, pol. Bezirk Feldkirchen in Kärnten, statt.

1.2. Der Gemeinderat der Gemeinde St. Urban besteht aus 15 Mitgliedern. Mit Schreiben vom 27. Juni 1984 teilte der frühere Bürgermeister durch eine an das Gemeindeamt gerichtete schriftliche Erklärung seinen Verzicht auf das Amt des Bürgermeisters mit und berief eine Sitzung des Gemeinderates zur Durchführung der "Neuwahl des Bürgermeisters, Vorstandsänderungswahlen - und Angelobungen" für 9. Juli 1984 ein. Bei dieser Sitzung des Gemeinderates waren jedoch nur 8 Mitglieder anwesend, sodaß das gemäß §23 Abs5 der Allgemeinen Gemeindeordnung 1982, LGBl. für Ktn. 8/1982 idF 30/1982 und 51/1984 (künftig: AGO 1982), für die Durchführung der Wahl erforderliche Präsenzquorum nicht gegeben war. Gemäß §23 Abs5 leg. cit. berief hierauf der bisherige Bürgermeister eine zweite Sitzung für den 16. Juli 1984 ein.

1.3. Am 16. Juli 1984 waren alle Mitglieder des Gemeinderates anwesend und die Wahl des Bürgermeisters wurde durchgeführt. Sie erbrachte - im ersten Wahlgang - folgendes Ergebnis:

Insgesamt abgegebene Stimmzettel: 15

leere (ungültige) Stimmen: 2

gültige Stimmen: 13

davon für Mag. Dr. Hermann Huber 7 Stimmen

für Thomas Kogler 6 Stimmen.

Aufgrund dieses Wahlergebnisses wurde in der Niederschrift über die Sitzung des Gemeinderates festgehalten, daß gemäß §23 Abs2 und 4 AGO 1982 Mag. Dr. Huber zum Bürgermeister gewählt ist.

2.1. Diese Wahl wird von Thomas Kogler, Walter Dulle und Gottfried Sonvilla - sie sind Gemeinderäte des Gemeinderates der Gemeinde St. Urban - gemäß Art141 Abs1 litb B-VG angefochten. Die Anfechtung behauptet die Rechtswidrigkeit der Bürgermeisterwahl, weil Mag. Dr. Hermann Huber als Bürgermeister für gewählt erklärt wurde, obwohl nur 7 Stimmen auf ihn entfallen waren, wohingegen die nach §23 Abs2 AGO 1982 erforderliche einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen bei 15 Gemeinderatsmitgliedern, die sich an der Wahl beteiligt haben, mindestens 8 Stimmen betragen hätte. §23 Abs4 AGO 1982, wonach leere Stimmzettel und Stimmzettel, die auf eine nicht wählbare Person lauten, ungültig sind und bei der Ermittlung des Wahlergebnisses außer Betracht zu bleiben haben, sei unrichtig ausgelegt worden oder verfassungswidrig. Abs2 leg. cit. spreche von abgegebenen Stimmen; da auch die Abgabe eines leeren Stimmzettels eine Stimmabgabe darstelle, sei sie bei der Berechnung der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu berücksichtigen. Dies sei insbesondere auch aus den Bestimmungen über die Nationalrats- und die Landtagswahlordnungen zu folgern. Schließlich seien nach der Nationalratswahlordnung die Kreiswahlbehörden verpflichtet, der Hauptwahlbehörde die Summe sowohl der gültigen als auch der ungültigen Stimmen bekanntzugeben, und die Hauptwahlbehörde habe diese Ergebnisse zu verlautbaren. Gemäß Art117 Abs3 B-VG werde des weiteren festgelegt, daß zu einem Beschluß des Gemeinderates die einfache Mehrheit der in beschlußfähiger Anzahl anwesenden Mitglieder erforderlich ist, wenn auch für bestimmte Angelegenheiten andere Beschlußerfordernisse vorgesehen werden können. Die Verfassungsbestimmung besage jedoch nicht, daß leere Stimmzettel oder Stimmzettel mit dem Namen einer nicht wählbaren Person als nicht abgegebene Stimmen zu behandeln seien. Demnach könnten aufgrund der zitierten Verfassungsanordnung für bestimmte Angelegenheiten nur andere Quoren festgelegt werden. Hiezu sei auch auf Art31 B-VG zu verweisen.

Die Anfechtungswerber stellen den Antrag, der Anfechtung der Wahl des Mag. Dr. Hermann Huber zum Bürgermeister der Gemeinde St. Urban in der Gemeinderatssitzung am 16. Juli 1984 stattzugeben und diese Wahl wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens aufzuheben, und regen an, hinsichtlich §23 Abs4 AGO 1982 ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten.

2.2. Der Gemeinderat der Gemeinde St. Urban hat eine Äußerung erstattet, in der er den Antrag stellt, der Anfechtung nicht Folge zu geben.

3. Der VfGH hat erwogen:

3.1. Gemäß Art141 Abs1 litb B-VG erkennt der VfGH über die Anfechtung von Wahlen in die mit der Vollziehung betrauten Organe einer Gemeinde; der Bürgermeister einer Gemeinde zählt zu diesen Organen (Art117 B-VG). Nach §67 Abs2 VerfGG bedarf die Anfechtung der Wahl zu einem mit der Vollziehung betrauten Organ der Gemeinde (§67 Abs1 VerfGG) des Antrages von einem Zehntel der Mitglieder der Gemeindevertretung, mindestens aber von zwei Mitgliedern. Auch diese Prozeßvoraussetzung liegt vor. §68 VerfGG bestimmt schließlich, daß die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens eingebracht sein muß. Die Wahlanfechtung wurde innerhalb dieser Frist erhoben.

Da demnach die Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Wahlanfechtung zulässig.

3.2. Die Wahlanfechtung ist jedoch nicht begründet.

3.2.1. §23 AGO 1982 - soweit im vorliegenden Fall von Bedeutung - lautet:

"(1) Die Wahl des Bürgermeisters hat das an Jahren älteste Mitglied des Gemeinderates zu leiten; ...

(2) Der Bürgermeister ist vom Gemeinderat aus seiner Mitte mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu wählen.

(3) Die Wahl ist mit Stimmzetteln durchzuführen. Erhält niemand die einfache Mehrheit, so ist ein zweiter Wahlgang vorzunehmen. Erhält auch bei diesem niemand die einfache Mehrheit, so ist ein dritter Wahlgang vorzunehmen. Im dritten Wahlgang ist jener Bewerber gewählt, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Kommt zufolge Stimmengleichheit mehr als eine Person in Betracht, so ist von den Bewerbern derjenige zum Bürgermeister gewählt, welcher der Gemeinderatspartei angehört, die bei der Gemeinderatswahl mehr Stimmen auf sich vereinigte. Ist auch diese Zahl gleich, so entscheidet das Los.

(4) Leere Stimmzettel und Stimmzettel, die auf eine nicht wählbare Person lauten, sind ungültig und bleiben bei der Ermittlung des Wahlergebnisses außer Betracht.

(5) Bei der Wahl des Bürgermeisters müssen mindestens drei Viertel der Mitglieder des Gemeinderates anwesend sein. Wird diese Mindestzahl nicht erreicht, so hat der bisherige Bürgermeister innerhalb einer Woche eine zweite Sitzung einzuberufen. Bei dieser ist der Gemeinderat beschlußfähig, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder des neugewählten Gemeinderates anwesend ist. In der Einberufung zu der zweiten Sitzung ist darauf hinzuweisen.

(6) ..."

3.2.2. Eine Beantwortung der Frage, was unter "einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen" in Abs2 des §23 AGO 1982 gemeint ist, bedarf zunächst der Beantwortung der Frage, wie das Wahlergebnis der Bürgermeisterwahl zu ermitteln ist; dies ist aber ohne Einbeziehung der Anordnungen des Abs4 leg. cit. nicht möglich. Für eine "Ermittlung des Wahlergebnisses" bedarf es nämlich folgender Schritte:

1. Als Grundlage der Berechnung bedarf es der Feststellung, um welche Stimmen es geht;

2. erst dann ist festzustellen, welche Stimmen für wen abgegeben wurden, und

3. auf den Boden dieser Ergebnisse ist letztlich zu ermitteln, ob und auf wen mehr als die Hälfte der Stimmen entfallen.

Für die Feststellung, welche Stimmen die Berechnungsgrundlage für die Ermittlung des Wahlergebnisses zu bilden haben, findet sich das Nähere im Abs4 des §23 AGO 1982. Dieser besagt, daß leere Stimmzettel und Stimmzettel, die auf eine nicht wählbare Person lauten, außer Betracht zu bleiben haben. So hat auch die bel. Beh. das Gesetz gelesen und dieses Verständnis der Ermittlung des bekämpften Wahlergebnisses zugrunde gelegt.

Der Wahlbehörde kann demnach nicht der Vorwurf gemacht werden, eine Rechtswidrigkeit durch unrichtige Anwendung des Gesetzes gesetzt zu haben. Entgegen der Meinung der Anfechtungswerber ist ein anderes Verständnis des §23 AGO 1982 auch weder der Nationalratswahlordnung noch den Landtagswahlordnungen zu entnehmen.

3.2.3. Die Anfechtungswerber halten schließlich §23 Abs4 AGO 1982 für den Fall, daß dieser Bestimmung der von der Wahlbehörde - wie eben dargelegt richtigerweise - unterstellte Inhalt zukommt, für verfassungswidrig, weil er dann gegen Art117 Abs3 B-VG verstoßen würde; dieser besage, daß zu einem Beschluß des Gemeinderates die einfache Mehrheit der in beschlußfähiger Anzahl anwesenden Mitglieder erforderlich ist.

Auch dieser Vorwurf ist offenkundig verfehlt. Selbst wenn die Ansicht der Anfechtungswerber richtig ist, daß Art117 Abs3 B-VG in jeder Hinsicht und unter allen Aspekten nicht nur für Beschlußfassungen, sondern auch für Wahlen gilt, bleibt es bei dem Umstand, daß diese Verfassungsbestimmung den einfachen Gesetzgeber ermächtigt, die Beschlußfassungserfordernisse anders zu regeln. Im vorliegenden Fall hat der einfache Gesetzgeber die Beschlußfassungserfordernisse anders geregelt. Ob er das aufgrund der Ermächtigung des Art117 Abs3 B-VG getan hat oder weil die Ermittlung von Wahlergebnissen von vorneherein nicht auf Art117 Abs3 B-VG gestützt werden kann, ändert nichts am Ergebnis.

3.3. Da dem Wahlverfahren die geltend gemachten Rechtswidrigkeiten somit nicht anhaften, war die Wahlanfechtung abzuweisen.

Schlagworte

Wahlen, VfGH / Wahlanfechtung, Bürgermeister

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:WI5.1984

Dokumentnummer

JFT_10139694_84WI0005_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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