TE Vfgh Beschluss 1986/6/7 B614/85

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Veröffentlicht am 07.06.1986
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

DienstnehmerhaftpflichtG §2
OrganhaftpflichtG §3
VfGG §33, §35
ZPO §146 ff

Leitsatz

VerfGG §§33, 35; ZPO §146 Abs1; Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Beschwerdeerhebung gemäß Art144 B-VG; nur minderer Grad des Versehens seitens der Mitarbeiterin des Beschwerdevertreters; Stattgebung des Antrages

Spruch

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde wird stattgegeben.

Begründung

Begründung:

1. Mit der am 28. August 1985 beim VfGH überreichten Beschwerde bekämpft die bf. Gesellschaft den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Stadt Wien vom 20. Juni 1985, Z MDR-H 13/85, zugestellt am 3. Juli 1985. Gleichzeitig beantragt die bf. Gesellschaft die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Beschwerdeerhebung. Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird vorgebracht, der Bescheid der Abgabenberufungskommission sei der bf. Gesellschaft am 3. Juli 1985 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 22. Juli 1985 habe die bf. Gesellschaft ihren ständigen Rechtsvertreter Rechtsanwalt Dr. P W den Auftrag erteilt, eine VfGH-Beschwerde gegen den angeführten Bescheid zu verfassen. Dieses Schreiben mit dem Betreff "Herabsetzung der Abwassergebühren - VfGH-Beschwerde" sei am 24. Juli 1985 in der Kanzlei des Rechtsanwaltes, der sich zu diesem Zeitpunkt auf Urlaub befunden habe, eingelangt. Die Kanzleileiterin des Rechtsanwaltes habe angenommen, daß sich dieses Schreiben auf eine vom Rechtsanwalt über Auftrag der bf. Gesellschaft im Jahre 1984 in Angelegenheit "Herabsetzung der Abwassergebühren - VfGH-Beschwerde" beim VfGH eingebrachte Beschwerde bezogen habe. Über diese vom VfGH an den VwGH abgetretene Beschwerde sei mit einem dem Rechtsanwalt am 12. Juli 1985 zugestellten, den bekämpften Bescheid aufhebenden Erk. des VwGH entschieden worden, sodaß die Kanzleileiterin den Auftrag der bf. Gesellschaft, eine neuerliche VfGH-Beschwerde einzubringen, der am 12. Juli 1985 zugestellten Entscheidung des VwGH zugeordnet und weder einen Fristvormerk angebracht noch die Bearbeitung für erforderlich erachtet habe.

Erst am 26. August 1985 sei der Rechtsanwalt vom Urlaub zurückgekehrt und habe den Irrtum entdeckt. Der Kanzleileiterin sei die Wichtigkeit genauer Fristvormerke aufgrund ihrer langjährigen Tätigkeit in der Kanzlei des Rechtsanwaltes bewußt und es sei ihr ein ähnlicher Irrtum noch nie unterlaufen.

Zur Bescheinigung seines Vorbringens legte der Beschwerdevertreter eine von ihm persönlich und eine von der Kanzleileiterin abgegebene eidesstattliche Erklärung über die Richtigkeit der dargestellten Vorfälle ab.

2. Da das VerfGG 1953 in seinem §33 die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 dieses Gesetzes die entsprechenden Bestimmungen des §146 Abs1 ZPO idF der Zivilverfahrens-Novelle 1983, BGBl. 135/1983, sinngemäß anzuwenden: Danach ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein "unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis" an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für sie den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte. Daß der Partei - fährt das Gesetz fort - ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Unter "minderem Grad des Versehens" - ein Begriff, der sich bereits im §2 Dienstnehmerhaftpflichtgesetz bzw. §3 Organhaftpflichtgesetz findet - ist nach der Rechtsprechung des VfGH leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (vgl. VfSlg. 10489/1985).

3. Nach dem glaubhaften Vorbringen des Beschwerdevertreters, das in Zweifel zu ziehen für den VfGH zufolge der vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen kein Anlaß besteht, hat seine Kanzleileiterin das unter dem Betreff: "Herabsetzung der Abwassergebühren - VfGH-Beschwerde" an den Rechtsvertreter gerichtete Schreiben der bf. Gesellschaft vom 22. Juli 1985 mit dem Auftrag zur Erhebung einer VfGH-Beschwerde gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Stadt Wien vom 20. Juni 1985 dem Aktenvorgang zugeordnet, der über eine im Jahre 1984 erhobene VfGH-Beschwerde in einer Angelegenheit mit dem Betreff: "Herabsetzung der Abwassergebühren - VfGH-Beschwerde" bestanden hat, und angenommen, daß diese Angelegenheit im Hinblick auf das am 12. Juli 1985 zugestellte Erk. des VwGH erledigt sei. Bei diesen Umständen (übereinstimmende Angabe im "Betreff", kurz vor dem Einlangen des Schreibens vom 22. Juli 1985 Zustellung des Erk. des VwGH), unter denen die Kanzleileiterin zu dieser die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Stadt Wien vom 20. Juni 1985, Z MDR-H 13/85, bewirkenden Annahme gekommen ist, ist anzunehmen, daß die von der Kanzleileiterin irrtümlich vorgenommene Zuordnung eines Eingangsschreibens auch einem sorgfältig arbeitenden Menschen unterlaufen kann. Es kann daher nicht gesagt werden, daß der Fristversäumung mehr als leichte Fahrlässigkeit zugrunde liegt.

4. Dem rechtzeitig eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher - gemäß §33 VerfGG 1953 in nichtöffentlicher Sitzung - stattzugeben.

Schlagworte

Zivilrecht, VfGH / Wiedereinsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:B614.1985

Dokumentnummer

JFT_10139393_85B00614_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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