TE Vfgh Erkenntnis 1986/9/26 B251/86, B252/86

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Veröffentlicht am 26.09.1986
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art8
AVG §19
FremdenpolizeiG §2 Abs2
FremdenpolizeiG §5
VfGG §19 Abs3 Z2 litd

Leitsatz

Art144 Abs1 B-VG; (weitere) Anhaltung eines Untersuchungshäftlings, dessen Enthaftung vom Richter angeordnet wurde, bis zur Abwicklung der Entlassungsformalitäten; Anhaltung ist dem Richter zuzurechnen; Zurückweisung der Beschwerde mangels Zuständigkeit StGG Art8; nach Entlassung aus der Gerichtshaft Festnahme und Anhaltung des Bf. durch Organe der Bundespolizeidirektion Sbg.; §2 Abs2 FrPG keine gesetzliche Grundlage für eine Festnahme und Anhaltung; Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit

Spruch

Der Bf. ist dadurch, daß er am 4. Feber 1986 um 13.40 Uhr in Sbg. von Organen der Bundespolizeidirektion Sbg. festgenommen und sodann bis 15.00 Uhr in polizeilichem Gewahrsam gehalten wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Die zu B252/86 erhobene Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Der Bf. ist türkischer Staatsangehöriger.

Er wurde am 2. Dezember 1985 vom Landesgericht Sbg. in Untersuchungshaft genommen. Am 4. Feber 1986 fand vor diesem Gericht die Hauptverhandlung statt. Der Bf. wurde zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt, wobei diese Strafe bedingt nachgesehen wurde. Das Urteil erwuchs in Rechtskraft. Das Gericht verfügte um 12.25 Uhr die Entlassung des Bf. aus der Untersuchungshaft.

Daraufhin wurde er von Justizwachebeamten sofort in den Verwaltungstrakt des landesgerichtlichen Gefangenenhauses gebracht. Sodann wurde mit den Entlassungsformalitäten begonnen. Insbesondere hatte er die dem Gefangenenhaus gehörenden Gegenstände abzugeben und die ihm gehörenden Gegenstände zu übernehmen. Außerdem wurde die Entlassungsbestätigung ausgestellt. Auf dieser war als Entlassungszeitpunkt zunächst 13.00 Uhr angegeben worden. Diese Uhrzeit wurde dann - als sich herausstellte, daß die ursprünglich angegebene Zeit nicht eingehalten werden konnte, da sich die Entlassungsformalitäten etwas verzögerten - auf 13.40 Uhr berichtigt. Zu diesem Zeitpunkt verließ der Bf. dann tatsächlich das Gebäude des Landesgerichtes Sbg.

b) Inzwischen hatte ein Beamter des landesgerichtlichen Gefangenenhauses die Bundespolizeidirektion Sbg. - wie üblich - von der bevorstehenden Entlassung des Fremden aus der Gerichtshaft verständigt. Als diese um 13.40 Uhr erfolgte, wurde der Bf. von einem Beamten der Bundespolizeidirektion Sbg. angehalten und dieser Behörde vorgeführt; dort wurde er einvernommen. Ursprünglich war beabsichtigt, über ihn ein Aufenthaltsverbot zu verhängen. Da er sich aber verpflichtete, bis zum 7. Feber 1986 das Bundesgebiet zu verlassen, wurde davon Abstand genommen; der Bf. wurde um 15.00 Uhr entlassen.

2. Gegen die "Verlängerung der Haft" durch den Leiter des Gefangenenhauses des Landesgerichtes Sbg. am 4. Feber 1986 in der Zeit von 13.00 bis 13.40 Uhr und gegen die am selben Tag um 13.40 Uhr durch Organe der Bundespolizeidirektion Sbg. erfolgte Festnahme und die anschließende Anhaltung bis 15.00 Uhr wenden sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, in denen jeweils die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit behauptet und beantragt wird, diese Rechtsverletzungen kostenpflichtig festzustellen.

3. Die Bundespolizeidirektion Sbg. erstattete als bel. Beh. zur Beschwerde B251/86 (der der unter 1.1. b dargestellte Sachverhalt zugrundeliegt) eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

II. Der VfGH hat über die Beschwerden erwogen:

1. Zu B252/86 (Zurückhalten im landesgerichtlichen Gefangenenhaus)

a) Es ist ausgeschlossen, einen (Untersuchungs-)Häftling im selben Augenblick, in dem der Richter die Enthaftung anordnet, tatsächlich aus der Haft zu entlassen. Die richterliche Anordnung ist daher so zu verstehen, daß die zur Enthaftung erforderlichen Maßnahmen ohne Aufschub in Angriff zu nehmen und dann möglichst rasch durchzuführen und abzuschließen sind. Rechtsgrundlage der (weiteren) Anhaltung während dieses Zeitraumes ist der richterliche Auftrag; die Anhaltung ist sohin dem Richter zuzurechnen (vgl. hiezu die Judikatur des VfGH zur Bekämpfbarkeit von Festnahmen und Hausdurchsuchungen, die von einem Richter angeordnet wurden, zB VfSlg. 7818/1976, 8298/1978, 9384/1982, 9525/1982).

b) Im vorliegenden Fall wurde, nachdem der Richter um 12.25 Uhr die Entlassung des Bf. aus der Untersuchungshaft angeordnet hatte, unverzüglich mit den Entlassungsformalitäten begonnen. Diese Formalitäten dauerten rund eine Stunde. Die Entlassung des Bf. wurde also keineswegs unnötig verzögert. Daran ändert nichts, daß ursprünglich in der Entlassungsbestätigung als Entlassungszeitpunkt 13.00 Uhr angegeben worden war.

c) Die bekämpfte Anhaltung am 4. Feber 1986 in der Zeit von 13.00 bis 13.40 Uhr ist nach dem Gesagten dem Gericht (und nicht einer Verwaltungsbehörde) zuzurechnen.

Weder Art144 B-VG noch eine andere Rechtsvorschrift ermächtigen den VfGH, über Beschwerden gegen Gerichtsakte zu entscheiden. Die zu B252/86 erhobene Beschwerde war daher mangels Zuständigkeit des VfGH zurückzuweisen.

d) Da die Unzuständigkeit des VfGH offenbar ist, konnte dieser Beschluß gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

2. Zu B251/86 (Festnahme und Anhaltung durch die Bundespolizeidirektion Sbg.)

a) Aufgrund der übereinstimmenden Parteienbehauptungen und des vorgelegten Aktes der Bundespolizeidirektion Sbg. Z Fr-95.943/86 steht fest, daß der Bf. nach der am 4. Feber 1986 um 13.40 Uhr erfolgten Entlassung aus der Gerichtshaft von einem Beamten der Bundespolizeidirektion Sbg. festgenommen und dieser Behörde vorgeführt, sodann dort angehalten und vernommen und schließlich um 15.00 Uhr aus der Haft entlassen wurde.

b) Die mit der Beschwerde bekämpften Maßnahmen, nämlich die Festnahme und Anhaltung durch Organe der Bundespolizeidirektion Sbg., stellen Verwaltungsakte dar, die in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen den Bf. ergingen und die daher nach Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG beim VfGH bekämpfbar sind.

Da auch die weiteren Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die zu B251/86 erhobene Beschwerde zulässig.

c) Die Bundespolizeidirektion Sbg. stützt ihr Vorgehen auf §2 Abs2 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954, (FrPG). Diese Vorschrift lautet:

"Die Fremden haben während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet ihr Verhalten den österreichischen Gesetzen anzupassen. Sie sind verpflichtet, der Behörde und ihren Organen in begründeten Fällen auf Verlangen Auskunft über den Zweck und die beabsichtigte Dauer ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet zu erteilen und den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nachzuweisen."

Die bel. Beh. meint der Sache nach, diese Gesetzesbestimmung ermächtige deshalb auch zur Festnahme und Anhaltung eines Fremden, weil sonst das Auskunftsverlangen faktisch nicht durchsetzbar wäre.

Damit ist die Behörde aber nicht in Recht: Weder Wortlaut noch Sinn des §2 Abs2 FrPG erlauben eine derartige Interpretation. Zum Einwand der Bundespolizeidirektion Sbg. ist darauf hinzuweisen, daß in Fällen, in denen über den Fremden keine Schubhaft nach §5 FrPG zu verhängen ist (der erlassene Schubhaftbescheid schließt auch die Festnahme ein, dh. er ermächtigt zu einer solchen Maßnahme - vgl. zB VfSlg. 9323/1982), §19 AVG 1950 die Möglichkeit bietet, den Fremden vorzuladen und gegebenenfalls vorzuführen, um die im §2 Abs2 FrPG vorgesehenen Auskünfte und Nachweise zu erlangen.

Da sohin für die Freiheitsbeschränkung und Anhaltung des Bf. durch die Bundespolizeidirektion Sbg. keinerlei rechtliche Grundlage bestand, wurde er durch diese Verwaltungsakte im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt.

Schlagworte

Strafvollzug, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Fremdenpolizei, Festnehmung, Schubhaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:B251.1986

Dokumentnummer

JFT_10139074_86B00251_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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