TE Vfgh Erkenntnis 1986/9/27 V14/86

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Veröffentlicht am 27.09.1986
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Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung 1973

Norm

B-VG Art18 Abs2
GewO 1973 §52 Abs4
AutomatenV des Bürgermeisters der Gemeinde Koblach vom 28.09.82

Beachte

Kundmachung am 12. Dezember 1986, BGBl. 660/1986; Anlaßfall B812/84 vom 29. September 1986 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach Muster VfSlg. 10698/1985

Leitsatz

AutomatenV des Bgm. der Gemeinde Koblach vom 28. September 1982; keine Deckung des weiten Untersagungsbereiches der Verordnungsstelle in §52 Abs4 GewO (unter Hinweis auf Erk. VfSlg. 10594/1985); Aufhebung eines Ausdruckes in der Z2 der Verordnung

Spruch

I. Die Wortfolge "Alte Post," in Z2 der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Koblach (Bezirk Feldkirch, Vbg.) vom 28. September 1982, durch welche, gestützt auf §52 Abs4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. 1981, BGBl. 619/1981, die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Süßwaren-, Kaugummi-, Spielzeug- und sonstigen Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Mj. ausgerichtet sind, untersagt wird, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie ist verpflichtet, die Aufhebung unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Beim VfGH ist zu B812/84 ein Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, die sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Vbg. vom 6. September 1984 richtet. Mit diesem Bescheid wurde ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch mit der Maßgabe bestätigt, daß der Bf. durch Ausübung einer gewerblicher Tätigkeit mittels eines Kaugummiautomaten am Standort Koblach, Kumma 1, in der Zeit vom 28. September 1982 bis Ende Dezember 1982 gegen die Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Koblach vom 28. September 1982 (künftig: AutomatenV) verstoßen und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §367 Z15 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. 1981, BGBl. 619 (künftig: GewO) iVm. der AutomatenV begangen habe. Er wurde dafür mit einer Geldstrafe von 500 S, im Falle der Uneinbringlichkeit mit einer Arreststrafe von 1 1/2 Tagen bestraft.

2.1. Der VfGH hat aus Anlaß dieser Beschwerde beschlossen, die Wortfolge "Alte Post," in der Z2 der AutomatenV von Amts wegen zu prüfen.

2.2. Die Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Koblach vom 28. September 1982 - die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle ist hervorgehoben - lautet:

"Zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben wird die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Süßwaren-, Kaugummi-, Spielzeug- und sonstigen Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind, an folgenden Orten untersagt:

1. Im Umkreis von 150 m der Volksschule, des Kindergartens, des Gemeindesaales, des Feuerwehrgerätehauses und der Pfarrkirche, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden. Die Entfernung ist von den Eingängen des Gebäudes zu messen.

2. Im Umkreis von 150 m von den Autobushaltestellen Alte Post, Harmonie, Zollamt, Neuburg und Strassenhäuser. Die Entfernung ist von den Aufstellungsorten der Haltestellentafeln zu messen.

3. Beim Sportplatz, beim Klettergarten, bei den Gasthäusern Sternen, Krone, Haltestelle und bei der Imbißstube Grüner Baum im Umkreis von 100 m zum jeweiligen Eingangsbereich.

Übertretungen dieser Verordnung werden von der Bezirksverwaltungsbehörde geahndet.

Diese Verordnung tritt mit dem Tage der Kundmachung, spätestens am 1. Oktober 1982 in Kraft."

2.3. Die in Prüfung gezogene Regelung stützt sich auf §52 Abs4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. BGBl. 619/1981, der lautet:

"(4) Soweit dies zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben erforderlich ist, kann die Gemeinde durch Verordnung die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind,

1. im näheren Umkreis von Schulen, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden,

2. bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt werden,

3. bei Schulbushaltestellen, die von unmündigen Minderjährigen benützt werden,

4. auf Plätzen oder in Räumen, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen besucht werden, oder

5. im näheren Umkreis der in Z4 angeführten Plätze und Räume

untersagen."

2.4. Der VfGH hat seine Bedenken gegen die AutomatenV wie folgt umschrieben:

"Mit der in Prüfung gezogenen Wortfolge wird u. a. eine Verbotszone in einem Umkreis von 150 Meter von der Autobushaltestelle 'Alte Post', und damit von einer Aufnahmestelle des öffentlichen Verkehrs im Sinne des §52 Abs4 Z2 GewO verfügt. Die in Prüfung gezogene Regelung scheint §52 Abs4 GewO zu widersprechen, weil die Festlegung eines 'näheren Umkreises' als Verbotszone nur nach den Z1 und 5 des §52 Abs4 GewO, also für Schulen und für Plätze, die von unmündigen Minderjährigen frequentiert werden, vorgesehen ist, nicht aber nach dessen Z2 und 3, die Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs und Schulbushaltestellen betreffen und ein Verbot, Automaten aufzustellen, lediglich in unmittelbarer Nähe der Haltestellen erlauben (vgl. VfGH 2. 10. 1985 V36/84).

Der VfGH hat aber auch das weitere Bedenken, daß die in Z2 festgelegte Verbotszone im Umkreis der Autobushaltestelle 'Alte Post', also die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle, dem Einleitungssatz des Abs4 des §52 GewO widerspricht, wonach die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit mittels Automaten nur untersagt werden darf, soweit sie für die im Gesetz genannten Zielsetzungen 'erforderlich' ist (vgl. hiezu VfGH 16. 6. 1984 B410/83). Es ist nämlich nicht einsichtig, daß ein solches Erfordernis im Umkreis von 150 Meter einer Autobushaltestelle gegeben ist.

Der VfGH hegt daher das Bedenken, daß die Wortfolge 'Alte Post,' in Z2 der in Frage stehenden Verordnung mit der gesetzlichen Ermächtigung nicht in Einklang zu bringen ist. Der in Prüfung gezogene Verbotsbereich der Z2 der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Koblach vom 28. September 1982 scheint daher mit Gesetzwidrigkeit belastet zu sein."

3. Das Verfahren ist zulässig.

Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerde und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Stelle der Verordnung zweifeln ließe.

4. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie und der Bürgermeister von Koblach haben im Verfahren eine Äußerung erstattet.

Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie nimmt zu den Bedenken des VfGH wie folgt Stellung:

"In seinem Erkenntnis vom 2. Oktober 1985, GZ V36/84, ist der VfGH davon ausgegangen, daß bei einer größeren Distanz als 50 m nicht mehr davon gesprochen werden kann, daß sich ein Warenautomat 'bei einer Haltestelle' befindet. Das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie schließt sich den Bedenken des VfGH gegen die durch die in Prüfung gezogene Regelung geschaffene Verbotszone in einem Umkreis von 150 m einer Autobushaltestelle grundsätzlich an.

Die Festlegung einer Verbotszone in einem Umkreis von mehr als 50 m von bestimmten Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs scheint jedoch dann nicht völlig ausgeschlossen, wenn für die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels bestimmter Automaten geeignete Anbringungs- oder Aufstellungsorte erst in einer größeren Distanz als 50 m zu finden sind oder wenn die durchschnittliche Wartezeit der unmündigen Minderjährigen bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs größer ist als jene Gehzeit, die sie zum Aufsuchen von im näheren Umfeld der Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs aufgestellten Automaten und zur Rückkehr zu der betreffenden Haltestelle benötigen.

Mangels Kenntnis des am Ort gegebenen Sachverhaltes kann im vorliegenden Fall aber keine abschließende Beurteilung vorgenommen werden.

Was die weiteren Bedenken des VfGH, ob das im Einleitungssatz des §52 Abs4 GewO 1973 festgelegte Erfordernis im Umkreis von 150 m einer Autobushaltestelle gegeben sei, betrifft, ist noch folgendes zu sagen:

Es ist nicht völlig undenkbar, daß die Schutzbedürftigkeit unmündiger Minderjähriger in Hinsicht auf die durch die gewerbliche Tätigkeit mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind, ausgelösten unüberlegten Geldausgaben auch noch im Umkreis von 150 m einer Autobushaltestelle gegeben ist. Zu der verbreiteten Erscheinung, daß sich der Appetit auf die durch die Automaten angebotenen Waren gleichsam von einem Mitglied einer Gruppe unmündiger Minderjähriger auf die anderen Mitglieder dieser Gruppe überträgt, kann es unter Umständen auch noch im Umkreis von 150 m von einer Autobushaltestelle kommen.

Im Hinblick auf das Vorgesagte sieht das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie im vorliegenden Verfahren von einer konkreten Antragstellung ab."

Der Bürgermeister von Koblach verteidigt die AutomatenV:

"...

Der vom Gesetzgeber verwendete unbestimmte Gesetzesbegriff 'bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs ...' wurde in der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Koblach vom 28. 09. 1982 näher präzisiert.

Nach Ansicht des Verordnungsgebers sind alle im Umkreis von 150 m zur Aufnahmestelle des öffentlichen Verkehrs aufgestellten Automaten unter das Tatbestandsmerkmal 'bei Aufnahmestellen ...' zu subsumieren.

..." 5. Der VfGH hat in der Sache selbst erwogen:

Die im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken erweisen sich als begründet:

Der Sache nach hat der VfGH gegen diese AutomatenV dieselben Bedenken geäußert, die ihn im Fall VfSlg. 10594/1985 zur Aufhebung der dort geprüften Verordnung bewogen haben. In diesem Erkenntnis hat der VfGH zur Frage, was unter "bei" einer Haltestelle verfassungskonform zu verstehen ist, folgendes geäußert:

"Der VfGH verschließt sich auch nicht der Überlegung des Bürgermeisters, daß die konkreten Umstände dafür maßgeblich sind, ob ein Untersagungsbereich weiter oder enger zu ziehen ist. Der VfGH ist jedoch der Meinung, daß für Haltestellen im Ortsbereich die Festlegung eines Umkreises von 300 m im Gesetz keinesfalls Deckung findet; das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Gesetzes, da bei einer größeren Distanz als 50 m nicht mehr davon gesprochen werden kann, daß sich ein Warenautomat 'bei einer Haltestelle' befindet."

Der VfGH sieht keinen Anlaß, von dieser Auslegung des §52 Abs4 GewO abzugehen. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie hat lediglich darauf verwiesen, daß bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine größere Distanz als 50 m im Umkreis von Haltestellen zu rechtfertigen wäre, konnte aber nicht begründen, warum im konkreten Fall die Festlegung eines Umkreises von 150 m gerechtfertigt sein sollte. Der Bürgermeister von Koblach hat den Bedenken keine sachlichen Erwägungen entgegengehalten.

Daraus ergibt sich, daß die aufgeworfenen Bedenken zutreffen und die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle nicht dem Gesetz entspricht.

6. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Gewerberecht, Automaten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:V14.1986

Dokumentnummer

JFT_10139073_86V00014_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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