TE Vfgh Erkenntnis 1986/10/2 WI-4/86

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Veröffentlicht am 02.10.1986
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art141 Abs1 lita
B-VG Art141 Abs1 vorletzter Satz
Tir GdWO 1973 §37 Abs1
Tir GdWO 1973 §41 Abs1
Tir GdWO 1973 §46 Abs2, Abs3
Tir GdWO 1973 §47 Abs2
VfGG §70 Abs1

Leitsatz

Tir. GemeindewahlO 1973; Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde Steinach am Brenner; Verstoß gegen die zwingende Vorschrift des §41 Abs1 über die Anbringung einer Abschrift der eingebrachten Wahlvorschläge in der Wahlzelle; Aufhebung der Gemeinderatswahl ab dem Beginn des Abstimmungsverfahrens, weil die festgestellte Rechtswidrigkeit auf das Ergebnis von Einfluß sein konnte

Spruch

Die Wahl zu dem Gemeinderat der Marktgemeinde Steinach am Brenner wird in Stattgebung der Anfechtung - ab dem Beginn des Abstimmungsverfahrens - aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Am 16. März 1986 fanden die - von der Tir. Landesregierung mit Kundmachung vom 19. November 1985 (LGBl. 73/1985) ausgeschriebenen - allgemeinen Wahlen der Gemeinderäte im Bundesland Tirol - darunter die Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde Steinach am Brenner (pol. Bezirk Innsbruck-Land) - statt.

1.1.2. Der Wahl zum Gemeinderat der Marktgemeinde Steinach am Brenner lagen die von folgenden Wählergruppen (wahlwerbenden Parteien) eingebrachten, gemäß §37 der Tir. Gemeindewahlordnung 1973 (TGWO 1973), LGBl. 63/1973, idF LGBl. 4/1980 kundgemachten Wahlvorschläge zugrunde:

"Allgemeine Heimatliste",

"Junges Steinach Aktiv" und

"Liste Vizebürgermeister Herbert Hörtnagl".

1.1.3. Laut Kundmachung des Bürgermeisters der Marktgemeinde Steinach am Brenner vom 19. März 1986 (iVm. der Niederschrift der Gemeindewahlbehörde vom 16. März 1986) entfielen von den 1906 gültig abgegebenen Stimmen - 47 wurden als ungültig gewertet - auf

"Allgemeine Heimatliste"

880 (7 Gemeinderatsmandate),

"Junges Steinach Aktiv"

497 (3 Gemeinderatsmandate),

"Liste Vizebürgermeister Herbert Hörtnagl"

529 (4 Gemeinderatsmandate).

1.2. Mit ihrer am 10. April 1984 zur Post gegebenen und auf Art141 B-VG gestützten Wahlanfechtungsschrift begehrte die Wählergruppe "Liste Vizebürgermeister Herbert Hörtnagl" - durch ihren zustellungsbevollmächtigten Vertreter Herbert Hörtnagl -, daß der VfGH die Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde Steinach am Brenner wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens - und zwar wegen Verstoßes gegen die Vorschrift des §41 Abs1 TGWO 1973 (über die Anbringung einer Abschrift der eingebrachten Wahlvorschläge in der Wahlzelle) - aufhebe.

2. Über die Wahlanfechtung wurde erwogen:

2.1.1. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der VfGH ua. über Anfechtungen von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, so auch über die Anfechtung einer Gemeinderatswahl (zB VfSlg. 8973/1980). Nach Art141 Abs1 Satz 2 B-VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden.

2.1.2. Nach §68 Abs1 VerfGG 1953 muß die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem betreffenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides eingebracht sein.

2.1.3. Einen derartigen, die unmittelbare Anfechtung der Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde Steinach am Brenner beim VfGH ausschließenden Instanzenzug richtet die TGWO 1973 (§58 Abs3) nur gegen die - hier von der Anfechtungswerberin ungerügt gelassene - "Ermittlung des Wahlergebnisses" ein, die mit Einspruch (an die Bezirkswahlbehörde) bekämpft werden kann. Soweit es aber - wie in diesem Fall (s. Punkt 1.2.) - um Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens geht, die nicht zur "Ermittlung des Wahlergebnisses" zählen, ist die unmittelbare Anrufung des VfGH eröffnet.

2.1.4. Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn des Laufes der vierwöchigen Frist zur Anfechtung der in Rede stehenden Gemeinderatswahl vor dem VfGH ist somit der 19. März 1986, das ist der Tag der ortsüblichen Kundmachung des Wahlergebnisses in der Gemeinde.

Die (am 10. April 1986 zur Post beförderte) Wahlanfechtungsschrift wurde darum rechtzeitig eingebracht.

2.1.5. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Wahlanfechtung zulässig.

2.2.1. Die Anfechtungswerberin macht geltend, bei der in Rede stehenden Gemeinderatswahl sei - der Vorschrift des §41 Abs1 TGWO 1973 zuwider - in keiner einzigen Wahlzelle der drei Wahlsprengel eine Abschrift der eingebrachten Wahlvorschläge aufgelegt gewesen.

Dazu äußerte sich die Gemeindewahlbehörde ua. folgendermaßen:

"Es stimmt, daß sich in keiner Wahlzelle der drei Wahlsprengel während der Wahlhandlung eine Abschrift der eingebrachten Wahlvorschläge befand. Diese Wahlvorschläge in den Wahlzellen kundzumachen, wurde von der Gemeindewahlbehörde bzw. dem Gemeindewahlleiter schlichtweg vergessen. Es darf jedoch darauf hingewiesen werden, daß sich alle drei Wahllokale im Rathaus der Marktgemeinde Steinach befanden und auf der Amtstafel des Marktgemeindeamtes Steinach, die sich neben dem Eingang des Rathauses befindet, alle Wahlvorschläge nicht nur in der Zeit vor dem Wahltag, sondern auch während des ganzen Wahltages kundgemacht waren.

Weiters darf vermerkt werden, daß es nur eines Hinweises des Einspruchswerbers Herbert Hörtnagl bedurft hätte, der ja selbst Mitglied der Gemeindewahlbehörde war, daß sich in den Wahlzellen keine Abschrift der eingebrachten Wahlvorschläge befindet, und dieser Mangel wäre sicherlich sofort behoben worden."

2.2.2. Dieses - den Umständen nach nicht anzuzweifelnde - Tatsachenvorbringen wird der Entscheidung des VfGH zugrundegelegt. In rechtlicher Hinsicht ist von der Norm des §41 Abs1 letzter Satz TGWO 1973 auszugehen, die ua. bestimmt, daß sich in der Wahlzelle eine Abschrift der eingebrachten Wahlvorschläge befinden muß. Gegen diese strikt nach dem Wortlaut auszulegende - zwingende - Vorschrift wurde hier von der - für die Einrichtung der Wahlzellen verantwortlichen - Gemeindewahlbehörde eindeutig verstoßen (s. Punkt 2.2.1.), eine Rechtsverletzung, die - da Abschriften der Wahlvorschläge in sämtlichen Wahlzellen während der gesamten Wahlzeit fehlten - alle Wähler der Marktgemeinde Steinach am Brenner betraf.

2.2.3.1. Nun ist einer Wahlanfechtung aber nicht schon dann stattzugeben, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens - wie hier - erwiesen wurde; sie muß darüber hinaus auch auf das Wahlergebnis von Einfluß gewesen sein (Art141 Abs1 Satz 3 B-VG, §70 Abs1 VerfGG 1953). Dazu sprach der VfGH schon wiederholt aus, daß diese (zweite) Voraussetzung bereits gegeben ist, wenn die Rechtswidrigkeit auf das Wahlergebnis von Einfluß sein konnte (vgl. VfSlg. 6424/1971 und die dort angeführte Vorjudikatur, sowie 7392/1974, 7784/1976, 7850/1976, 8853/1980, 10906/1986).

2.2.3.2. Ein solcher Einfluß der unterlaufenen und das Abstimmungsverfahren von Beginn an belastenden Rechtsverletzung auf das Wahlergebnis ist in dieser Wahlsache in der Tat nicht auszuschließen (vgl. VfSlg. 5861/1968), weil die TGWO 1973 amtliche Stimmzettel nur in Gestalt eines unbedruckten Papiers gewisser Größe - also ohne Angabe der wahlwerbenden Gruppen - kennt (§46 Abs2 TGWO 1973): Dem Wähler - so er den amtlichen Stimmzettel benutzen und sich nicht einen der von den Wahlparteien ausgegebenen Stimmzettel (mit Bezeichnung der Wählergruppen (§46 Abs3 TGWO 1973)) besorgen will - stünde darum in der Wahlzelle im Regelfall kein Behelf zur Orientierung über die (genaue) Bezeichnung aller wahlwerbenden Gruppen und die Namen der Wahlwerber (vgl. §47 Abs2 TGWO 1973) zur Verfügung. Ihm jedoch noch in der Abgeschiedenheit der Wahlzelle diesen - den Formvorschriften genügenden, die freie Wahlentscheidung erleichternden - Überblick über das volle Spektrum der Wahlwerber zu geben, ist Sinn und Zweck der Vorschrift des §41 Abs1 letzter Satz TGWO 1973. Daß die Wahlvorschläge damals - wie die Gemeindewahlbehörde betont - an der Amtstafel des Gemeindeamtes ausgehängt waren, vermag die hier relevante landesgesetzlich garantierte Information noch unmittelbar vor dem Wahlakt nicht zu ersetzen, zumal die TGWO 1973 die Auflegung der Wahlvorschläge in der Wahlzelle neben der ortsüblichen Kundmachung (iS des §37 Abs1) vorschreibt.

2.3. Der Wahlanfechtung war darum, weil die festgestellte Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens auf das Wahlergebnis von Einfluß sein konnte, stattzugeben und spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Wahlen, Wahlvorschlag, Wahlzelle, VfGH / Wahlanfechtung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:WI4.1986

Dokumentnummer

JFT_10138998_86WI0004_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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