TE Vfgh Beschluss 1986/10/6 KI-1/85

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Veröffentlicht am 06.10.1986
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art138 Abs1 lita
JN §50, §40a, §83b
VfGG §19 Abs3 Z2 lita
VfGG §46 Abs1

Leitsatz

Art138 Abs1 lita B-VG; Antrag auf Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes zwischen dem LG für ZRS Wien und der Wr. Landesregierung; implizite Bejahung der Zulässigkeit des ordentlichen Rechtsweges im Zurückweisungsbeschluß des Landesgerichtes, das seine Zuständigkeit weder unter dem Aspekt des besonderen Gerichtsstandes für Streitigkeiten aus dem Verbandsverhältnis (§83b JN) noch unter dem der Wertzuständigkeit für gegeben hielt; keine Zuständigkeit des VfGH; Zurückweisung des Antrages

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. In der gegen die N L reg. GenmbH beim LG für ZRS Wien zu 25 Cg 186/85 erhobenen Klage brachte der Einschreiter als Kläger im wesentlichen vor, daß ihm die beklagte Wohnbaugenossenschaft, deren Mitglied er sei, rechtswidrig einen Mitgliedsbeitrag auferlegt und ihn wegen der Weigerung, diesen Betrag zu entrichten, als Mitglied ausgeschlossen habe. Er beantragte folgendes Urteil:

"Der Hauptversammlungsbeschluß vom 21. 9. 1984 ist unwirksam. Ein solcher oder ähnlicher Beschluß mit gleicher Wirkung darf bei sonstiger Exekution nicht gefaßt werden.

Herr DDr. G G ist nach wie vor Mitglied der Genossenschaft."

Mit Beschl. vom 27. Juni 1985 wies das LG für ZRS Wien die Klage wegen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes zurück und begründete dies folgendermaßen: Der Kläger stütze sich bei der Anrufung des Gerichtes auf den Gerichtsstand nach §83b JN. Hiebei handle es sich um einen Gerichtsstand für Handelsgesellschaften und Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. Letztere seien solche, die aufgrund des Gesetzes vom 9. April 1873, RGBl. 70, errichtet worden seien; Wohnbaugenossenschaften seien keine derartigen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. Da der Streitwert mit nur 1200 S beziffert worden sei, ergebe sich auch keine Zuständigkeit aufgrund des Streitwertes.

II. Der Antragsteller schritt wegen des von der genannten Genossenschaft verlangten Mitgliedsbeitrages sowie des Ausschlusses als Mitglied auch bei der Wr. Landesregierung ein. Diese erließ an ihn einen mit 2. August 1985 datierten Bescheid, dessen Spruch folgenden Wortlaut hat:

"Das Begehren des Herrn DDr. G G, ... vom 14. Mai 1985, gegen die

gemeinnützige Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft N L, reg.

Genossenschaft m.b.H. ... auf

1) Erlassung einer einstweiligen Verfügung gem. §8 Abs1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz, jenes Inhaltes, daß der Ausschluß des Beschwerdeführers aus der Genossenschaft bis zur Beendigung des Verfahrens nicht ausgesprochen werden darf,

2) Entscheidung in der Sache nach §14 Abs1 Genossenschaftsrevisionsgesetz, RGBl. Nr. 133/1903, und zwar die bescheidmäßige Aufhebung des rechtswidrigen Generalversammlungsbeschlusses über die Einhebung eines Mitgliedsbeitrages von bestimmten Gruppen von Genossenschaftern im Sinne der unter Pkt. 1 genannten Bestimmung,

3) Feststellung, daß ein solcher Beschluß auch in Hinkunft - würde er erneut gefaßt - rechtswidrig wäre,

wird wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen."

In der Begründung dieses Bescheides führte die Landesregierung nach einer näheren Darstellung der Gesetzeslage aus, daß ihre Zuständigkeit weder nach dem Genossenschaftsgesetz noch nach dem Genossenschaftsrevisionsgesetz gegeben sei.

III. Mit dem vorliegenden, ersichtlich auf Art138 Abs1 lita B-VG gestützten Antrag begehrt der Einschreiter unter Hinweis auf den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien sowie den Bescheid der Wr. Landesregierung, den verneinenden Kompetenzkonflikt zu entscheiden und den dem Erkenntnis entgegenstehenden behördlichen Akt aufzuheben.

IV. Der Antrag ist nicht zulässig.

Die in §46 Abs1 VerfGG gegebene Definition eines negativen Kompetenzkonfliktes iS des Art138 Abs1 lita B-VG, daß in derselben Sache ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde die Zuständigkeit abgelehnt haben, darf nicht im strengen Wortsinn, mithin so aufgefaßt werden, daß bereits jedwede Ablehnung einer Sachentscheidung unter dem Aspekt der Zuständigkeit im gegebenen Zusammenhang beachtlich ist. Diese Umschreibung ist vielmehr unter Bedachtnahme auf den Zweck der verfassungsrechtlichen Regelung mit einer gewissen Einschränkung zu verstehen, nämlich dahin, daß die Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung durch einen bindenden Abspruch des VfGH in der Zuständigkeitsfrage erst dann sichergestellt werden soll, wenn aus dem Zusammenwirken der in den beiden verschiedenen Vollzugsbereichen getroffenen negativen Kompetenzentscheidungen eine Verweigerung des Rechtsschutzes resultiert. Ein solcher Fall ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn die behördliche Zuständigkeitsablehnung bloß als das rechtstechnische Mittel eingesetzt wird, die gesetzlich vorgegebene Zuständigkeitsverteilung auf mehrere, durch eine gemeinsame Oberbehörde sachlich verbundene Behörden einzuhalten, die Zugehörigkeit der Rechtssache zu diesem Aufgabenbereich der Behörden aber ausdrücklich oder zumindest implizit anerkannt wird.

Beurteilt man den Beschl. des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 27. Juni 1985 anhand dieses Kriteriums, so fehlt ihm die Eignung, einen Kompetenzkonflikt iS des Art138 Abs1 lita B-VG herbeizuführen. Der angerufene Gerichtshof lehnt seine Zuständigkeit nämlich bloß deshalb ab, weil er diese weder unter dem Aspekt des besonderen Gerichtsstandes für Streitigkeiten aus dem Verbandsverhältnis (§83b JN) noch unter dem der Wertzuständigkeit für gegeben hält; damit bejaht er jedoch implizit die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtsweges. Vor dem Hintergrund der in der Jurisdiktionsnorm festgelegten Zuständigkeitsordnung für die Zivilgerichte bedeutet ein solcher Beschluß im Ergebnis nichts anderes, als daß das angerufene Gericht es der klagenden Partei anheimstellt, ihre Klage nunmehr beim örtlich zuständigen Bezirksgericht einzubringen.

Der Antrag war aus diesen Gründen wegen der Nichtzuständigkeit des VfGH zurückzuweisen, sodaß sich eine weiterreichende Prüfung auf das Vorliegen anderer Prozeßvoraussetzungen erübrigte.

Schlagworte

VfGH / Kompetenzkonflikt, VfGH / Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:KI1.1985

Dokumentnummer

JFT_10138994_85KI0001_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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