TE Vfgh Erkenntnis 1986/10/9 V25/86

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Veröffentlicht am 09.10.1986
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/05 Lebensmittelrecht

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
LMG 1975 §8 lita
LMG 1975 §28 Abs1
LMG 1975 §29
Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom 06.12.85 über das Verbot oder die Beschränkung von Stoffen für bestimmte Gebrauchsgegenstände, BGBl. 541/1985 §1, §2, §3, §4, §5

Leitsatz

Verordnung über das Verbot oder die Beschränkung von Stoffen für bestimmte Gebrauchsgegenstände, BGBl. 541/1985; kein Eingriff in die Rechtssphäre der Antragsteller (Verpackungsmaterial-Unternehmen und dessen Geschäftsführer) durch die §§3 und 5 betreffend das Inverkehrbringen bzw. Inverkehrbelassen von Lebensmitteln ua. - Zurückweisung des Individualantrages hinsichtlich dieser Bestimmungen; hingegen Eingriff in die Rechtssphäre des antragstellenden Unternehmens durch die §§1 und 2, aber auch des Geschäftsführers als für das Übertreten der Verbote der §§1 und 2 zuständigem Organ der Komplementärin des antragstellenden Unternehmens; Einleitung eines Gerichtsverfahrens bzw. eines Strafverfahrens nicht zumutbar; Zulässigkeit des Individualantrages hinsichtlich der §§1 und 2 und des §4 betreffend Inkrafttreten; keine Bedenken gegen §§8 lita, 28 Abs1 und 29 LMG 1975, insbesondere nicht im Hinblick auf Art18 Abs1 B-VG; der Verordnungsgeber konnte bei Erlassung der Verbote der §§1 und 2 - gestützt auf sachverständige Äußerungen - von der Gesundheitsschädlichkeit der Gebrauchsgegenstände, die mit den dort genannten Feuchthaltemitteln, Weichmachern oder Gleitmitteln behandelt wurden, ausgehen; keine Gesetzwidrigkeit dieser Bestimmungen

Spruch

Der Antrag auf Aufhebung der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom 6. Dezember 1985, BGBl. 541, über das Verbot oder die Beschränkung von Stoffen für bestimmte Gebrauchsgegenstände, wird, soweit er sich auf die §§3 und 5 bezieht, zurückgewiesen.

Im übrigen wird dem Antrag nicht Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz erließ am 6. Dezember 1985 folgende Verordnung über das Verbot oder die Beschränkung von Stoffen für bestimmte Gebrauchsgegenstände, die im BGBl. unter der Nr. 541/1985 kundgemacht ist:

"Auf Grund des §10 Abs1 und des §29 des Lebensmittelgesetzes 1975, BGBl. Nr. 86, wird verordnet:

§1. (1) Es ist verboten, für Umhüllungen, Überzüge oder Umschließungen (Gebrauchsgegenstände gemäß §6 lita LMG 1975), die dazu bestimmt sind, in mittelbare oder unmittelbare Berührung mit Lebensmitteln, Verzehrprodukten oder Zusatzstoffen zu kommen, folgende Stoffe als Feuchthaltemittel, Weichmacher oder Gleitmittel zu verwenden:

1. Ethandiol (Monoäthylenglykol);

2. Bis-(2-hydroxyethyl)-ether (Diäthylenglykol);

3. 1,3-Propandiol.

(2) Die im Abs1 genannten Gebrauchsgegenstände dürfen, aus verwendeten Stoffen stammend, nicht mehr enthalten als

1. 0,05 vH insgesamt Mono- und Diäthylenglykol sowie

2. 0,25 vH 1,3-Propandiol.

§2. Es ist verboten, Gebrauchsgegenstände, die den Vorschriften dieser Verordnung nicht entsprechen, in Verkehr zu bringen.

§3. Es ist verboten, Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe mit Gebrauchsgegenständen, die den Vorschriften dieser Verordnung nicht entsprechen, in Verkehr zu bringen.

§4. Diese Verordnung tritt mit 15. Jänner 1986 in Kraft.

§5. Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe, die vor dem

Inkrafttreten dieser Verordnung mit Gebrauchsgegenständen in Verkehr gebracht worden sind, dürfen entgegen §3 im Verkehr belassen werden, sofern durch ein Untersuchungszeugnis (Befund und Gutachten) über den Gebrauchsgegenstand einschließlich des betreffenden Lebensmittels, Verzehrproduktes oder Zusatzstoffes nachgewiesen ist, daß keine gesundheitsschädlichen (§8 lita LMG 1975) Rückstände der in dieser Verordnung genannten Stoffe zu erwarten sind."

2. In dem auf Art139 Abs1 letzter Satz B-VG gestützten Antrag der G &

K GesmbH & Co KG und des A G wird vorgebracht, daß die Erstantragstellerin ein Unternehmen sei, das sich mit dem Handel, Konfektionieren und Bedrucken von Verpackungsmaterial, darunter auch solchem aus Zellglas, befasse. Hinsichtlich des Zweitantragstellers wird angeführt, daß er Geschäftsführer der Komplementärin der Erstantragstellerin sei.

Das Zellglas sei bisher immer durch einen sog. Weichmacher behandelt worden, wofür "seit altersher" Monoäthylenglykol, 1,3 Propandiol bzw. Ethandiol verwendet worden sei, die als "vollkommen gesundheitsunschädlich" gegolten hätten. Der Weichmacher habe die Tendenz, nicht nur in die die Verpackung umgebende Luft, sondern auch in das verpackte Lebensmittel zu entweichen. Die Spuren des Weichmachers seien jedoch so gering, daß auch bei Langzeitversuchen keine Gesundheitsschädlichkeit festgestellt worden sei. Die Verordnung berühre unmittelbar die Rechtssphäre der Antragsteller.

In der Sache selbst behaupten die Antragsteller, daß die Verwendung der in §1 der Verordnung genannten Stoffe als Weichmacher für Verpackungsmaterial nicht gesundheitsschädlich sei. Aus diesem Grunde sei die Verordnung gesetzwidrig. Auch ein nachteiliger Einfluß auf die Lebensmittel sei nicht gegeben.

Die Antragsteller beantragen, die genannte Verordnung zur Gänze aufzuheben.

3. Der Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz erstattete eine Äußerung, in der er beantragte, die angefochtene Verordnung nicht als gesetzwidrig aufzuheben.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der VfGH über die Gesetzmäßigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch die Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der VfGH in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall der Gesetzwidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der VfGH vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 8974/1980).

2. Die Antragsteller begehren die gänzliche Aufhebung der genannten Verordnung. Nach ihrem eigenen Vorbringen beschäftigt sich die Erstantragstellerin wohl mit dem Handel, Konfektionieren und Bedrucken von Verpackungsmaterial, nicht aber mit dem Inverkehrbringen von Lebensmitteln, Verzehrprodukten oder Zusatzstoffen. Da aber die §§3 und 5 der Verordnung nur das Inverkehrbringen bzw. das Inverkehrbelassen von Lebensmitteln, Verzehrprodukten oder Zusatzstoffen betreffen, berühren diese Verordnungsstellen die Rechtssphäre der Antragsteller überhaupt nicht. Die Antragsteller haben allenfalls ein wirtschaftliches Interesse am Inverkehrbringen von Lebensmitteln, Verzehrprodukten oder Zusatzstoffen, die mit Gebrauchsgegenständen verpackt sind, deren Inverkehrbringen durch §2 der Verordnung verboten ist. Der Antrag war daher zurückzuweisen, soweit er die §§3 und 5 der Verordnung betrifft.

§§1 und 2 berühren jedoch offensichtlich die Rechtssphäre der Erstantragstellerin, weil diese mit Gebrauchsgegenständen der dort genannten Art handelt. Der Zweitantragsteller wird in seiner Rechtssphäre durch diese Verordnungsstellen deshalb berührt, weil er für das Übertreten der Verbote der §§1 und 2 als zuständiges Organ der Komplementärin der Erstantragstellerin verantwortlich ist. Die Verbote der §§1 und 2 werden für die beiden Antragsteller unmittelbar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam. Der Erstantragstellerin ist nicht zumutbar, die von ihr behauptete Gesetzwidrigkeit dieser Verordnungsstellen erst nach Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens, dem Zweitantragsteller ist nicht zumutbar, diese Behauptung erst nach Einleitung eines Strafverfahrens gegen ihn geltend zu machen. §4 betrifft das Inkrafttreten der Verordnung, also auch der §§1 und 2.

Soweit die Antragsteller die Gesetzwidrigkeit der §§1, 2 und 4 der Verordnung behaupten, sind ihre Anträge zulässig.

3. Gemäß §8 lita des Lebensmittelgesetzes 1975, BGBl. 86, (LMG 1975) sind Lebensmittel, Verzehrprodukte und Zusatzstoffe gesundheitsschädlich, wenn sie geeignet sind, die Gesundheit zu gefährden oder zu schädigen. Gemäß §28 Abs1 letzter Satz gilt §8 lita LMG 1975 für Gebrauchsgegenstände sinngemäß.

§29 LMG 1975 hat folgenden Wortlaut:

"Der Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz hat, wenn das zum Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsschädigung oder vor einem nachteiligen Einfluß auf Lebensmittel, Verzehrprodukte, Zusatzstoffe oder kosmetische Mittel geboten ist, unter Bedachtnahme auf den jeweiligen Stand der Wissenschaft und der Technologie nach Anhören der Codexkommission für Gebrauchsgegenstände mit Verordnung

a) Verbote oder Gebote auszusprechen, insbesondere die Verwendung bestimmter Stoffe auszuschließen, zu beschränken oder von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen,

b) in sinngemäßer Anwendung des §10 Anordnungen zu treffen."

Die Antragsteller haben hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit dieser gesetzlichen Regelungen keine Bedenken vorgebracht. Beim VfGH sind in dieser Hinsicht im Hinblick auf den vorliegenden Antrag keine Bedenken entstanden. Insbesondere bestehen keine Bedenken im Hinblick auf die Vorschrift des Art18 Abs1 B-VG.

Das von der Erstantragstellerin erzeugte Verpackungsmaterial aus Zellglas ist ein Gebrauchsgegenstand iS des §29 LMG 1975.

Die vom Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz in den §§1 und 2 der Verordnung aufgestellten Verbote stützen sich auf die eingehend begründete sachverständige Äußerung fachkundiger Beamter der Sektion III des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz vom 29. Oktober 1985, Z III-50.963/253-6a/85. In dieser Äußerung ist ua. angeführt, aus vorliegenden Untersuchungen von verpackten Lebensmitteln sei abzuleiten, daß Diäthylenglykol aus dem Verpackungsmaterial "Zellglas" auf Lebensmittel in gesundheitlich bedenklichen Mengen übergehen kann. Insbesondere sei daher bei fortgesetztem Genuß so verpackter Lebensmittel durch Kinder die Eignung gegeben, die Gesundheit zu gefährden oder zu schädigen.

Gegen diese hier angeführte Äußerung hat die Codexkommission bei ihrer Anhörung am 27. November 1985 keine Einwendungen erhoben.

Die Antragsteller haben in ihrem Antrag die Behauptung aufgestellt, daß die verwendeten Weichmacher nicht gesundheitsschädlich seien. Der von den Antragstellern vorgelegte Befund des Kantonallabors Zürich ist jedoch nicht geeignet, das ausführliche Gutachten der Sachverständigen des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz in Frage zu stellen. Der Verordnungsgeber konnte daher bei der Erlassung der §§1 und 2 der Verordnung, gestützt auf die sachverständigen Äußerungen, davon ausgehen, daß Gebrauchsgegenstände, die mit den dort genannten Feuchthaltemitteln, Weichmachern oder Gleitmitteln behandelt wurden, gesundheitsschädlich sind und daß die Gebrauchsgegenstände nicht mehr als die in §1 Abs2 genannte Menge der dort angeführten Stoffe enthalten dürfen, damit die mit diesen Gebrauchsgegenständen verpackten Lebensmittel keine gesundheitsschädliche Wirkung entfalten.

Der Behauptung der Antragsteller, aus der Existenz des §5 der Verordnung sei zu schließen, daß es auch solche Verpackungsmaterialien iS des §1 der Verordnung gibt, die nicht gesundheitsschädlich sind, ist entgegenzuhalten, daß sich die Gesundheitsschädlichkeit dieser Materialien aus dem Zusammentreffen mehrerer Belastungen ergibt. Die Umstände sind aber so, daß in der Übergangszeit mit solchen Belastungen zu rechnen ist, die gerade noch als tolerabel angesehen werden können. Daraus aber den Schluß zu ziehen, der Verordnungsgeber wäre davon ausgegangen, daß auch nach der Übergangszeit die in §1 genannten Verpackungsmaterialien als für die Gesundheit unschädlich anzusehen wären, ginge zu weit.

Aus §4 ist für die Rechtswidrigkeit des sonstigen Inhalts der Verordnung nichts zu gewinnen.

Dem Antrag war daher, soweit er nicht zurückzuweisen war, nicht Folge zu geben.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Lebensmittelrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:V25.1986

Dokumentnummer

JFT_10138991_86V00025_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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